Bernhard Linkes "Die römische Republik von den Gracchen bis Sulla" fügt den Einführungen zur römischen Geschichte aus der Reihe "Geschichte kompakt" einen wichtigen Abschnitt hinzu,1 womit erstmalig – neben den Biographien bedeutender Persönlichkeiten dieser Zeit 2 und Christs Darstellung der Krise 3 – für den deutschsprachigen Raum ein zusammenfassender Überblick von den Gracchen bis Sulla vorliegt. Linkes primäres Ziel ist es, "der Eigenständigkeit dieser Epoche ... klarere Konturen" zu verleihen (S. X). Daher soll der Überblick über die Epoche nicht unter dem Blickwinkel eines Übergangs zur Krise und dem Untergang einer Staatsform gesehen werden, Linke möchte vielmehr die "Kreativität und Produktivität, die diese Periode trotz der einsetzenden Gewalttätigkeiten im öffentlichen Raum auszeichnete" (S. IX), herausstellen. Seine Darstellung der Ereignisgeschichte folgt dabei den gängigen Unterteilungen, im Mittelpunkt stehen die jeweils herausragenden Persönlichkeiten.
In seinem Auftaktkapitel erläutert Linke die Grundstrukturen der römischen Republik (S. 1-6) und liefert eine Analyse der sich abzeichnenden Krise (S. 7-16). Als Gründe für den außenpolitischen Erfolg arbeitet er die Konsensorientierung durch den kommunikativen Zusammenklang zwischen den sozialen Schichten heraus (S. 2). Die Bereitschaft aller Bürger, sich konsequent für ihr Gemeinwesen einzusetzen, bildet die Basis für den Aufstieg Roms (S. 6). Die Ausdehnung zu einem Weltreich führt jedoch durch die steigenden Belastungen des Wehrdienstes, die materielle Konkurrenz in der Oberschicht und die zunehmende Selbstständigkeit der Kommandeure zu Dehnungseffekten, "denen die stadtstaatlichen Strukturen Roms beim Aufstieg zur Weltmacht unterlagen" (S. 16).
Die folgenden Kapitel befassen sich mit den Reformversuchen der Gracchen (S. 17-62). Tiberius übergeht bei der Vorlage eines Ackergesetzes den Senat und provoziert damit dessen Widerstand. Linke hebt vor allem das beiderseitige Unvermögen hervor, die Kommunikation trotz gegensätzlicher Positionen zu gewährleisten (S. 31-35). Die unnachgiebige Haltung der Oberschicht 4 und die Verfassungsbrüche des Tiberius, dessen "individuelle Unmöglichkeit zum Nachgeben" den Konflikt zuspitzt (S. 42), begründen die letztendliche Eskalation. Daneben ist aber vor allem der Weg, den Tiberius aufzeigt, folgenreich: die Möglichkeit des politischen Machterwerbs durch die gezielte Aufnahme von aktuellen Problemstellungen und deren Umsetzung mit Hilfe des Volkstribunats gegen den Willen des Senats. Bereits Gaius Sempronius Gracchus weiß im Zusammenhang mit seinen weit über die Ziele seines Bruders hinausgehenden Gesetzesanträgen, die Stärkung seiner eigener Position mit der Durchführung objektiv sinnvoller Maßnahmen zu verbinden (S. 57). Die folgenreichste seiner Initiativen ist die Übertragung der Repetundengerichtshöfe auf die Ritter, da dies die Aufspaltung der Gemeinschaft in Gruppen mit separaten Interessen fördert (S. 55). Der Senat, der nicht zulassen will, dass Teile der Bevölkerung "ihre politische Loyalität nicht mehr auf die überkommene Ordnung ausrichten, sondern sie einem ... Privatmann zukommen ließen" (S. 61), reagiert im Gegensatz zur Lynchjustiz gegen Tiberius mit dem neuartigen Beschluss des senatus consultum ultimum, der die Gewaltausübung des Senats legitimiert.
Mit dem Titel "Marius und Saturninus: Der verpasste Weg in die Alternative" legt Linke die Intention für das nachfolgende Kapitel dar (S. 63-91). Verbunden mit der Militärreform des Aufsteigers Marius offenbart die außenpolitische Schwächephase der Oberschicht für Linke "die Perspektive für eine strukturelle Neujustierung des politischen Systems" (S. 77) in Form einer Zentralmacht, welche durch Volksentscheide legitimiert und auf das Machtpotential der Veteranen gestützt ist (S. 90). Hierbei vernachlässigt Linke jedoch die wechselhafte Bindung zwischen Feldherr und Veteranen5, denn die Veteranen stellen 100 v. Chr. ihr Potential nicht den innenpolitischen Fraktionen um Saturninus, sondern allein ihrem Feldherrn zur Verfügung. Die von Linke als Alternative postulierte Zentralmacht wäre demnach lediglich vom Feldherrn selbst umsetzbar gewesen, der dann jedoch nicht mehr auf eine Legitimation durch Volksentscheide angewiesen wäre – eine Alternative, die Caesar wenige Jahre später vorführt. Im Jahr 100 dagegen ist der Feldherr noch nicht bereit, für die Legitimation des Volkes die Anerkennung des Senates aufzugeben und scheitert wiederholt an dessen Widerstand.
Im folgenden Kapitel schildert Linke Gründe und Verlauf des Bundesgenossenkrieges (S. 92-104). Nach den Gracchen werden erst durch Drusus grundsätzliche politische Fragen wieder öffentlich diskutiert. Seine Reformen sollen mit Hilfe einer Vergrößerung des Senats und der Rückgabe der Gerichtshöfe an die Senatoren den Senat als Gremium stärken (S. 97) und befassen sich zudem mit dem Status der socii. Das Scheitern des Projekts trotz der anfänglichen Zustimmung des Senats, ist für Linke in dem Versuch begründet, den Senat mit Hilfe des Volkstribunates zu stärken. Daneben sei es zudem problematisch, "per Gesetz eine auf Konsens und Kommunikation aufbauende Ordnung wieder stabilisieren zu wollen" (S. 100). An dieser Stelle wären die Problematik der Vielzahl der gleichzeitig betriebenen Projekte 6 und der Uneinigkeit in Bezug auf die Italikerfrage 7 erwähnenswert gewesen. Das erneute Ende der Kommunikation führt zum Ausbruch des Bundesgenossenkrieges (S. 100ff.), in dem es den socii um politische Integration in den römischen Staat bzw. um eine "gleichberechtigte Teilhabe bei gleichzeitiger Wahrung ihrer kollektiven Identität" (S. 102) geht. Am Ende steht die Verleihung des römischen Bürgerrechts an alle Einwohner Italiens südlich des Po, womit die Aufständischen nach Linke "ihre politische ... Identität verlieren, um als Römer in das römische Gemeinwesen zwangsintegriert zu werden" (S. 104). Dieses Fazit wirkt bei den für die Römer aus dieser "Zwangsintegration" erwachsenden Problemen bisher wenig überzeugend und macht weitere Forschungen nötig.8
Die folgenden Kapitel befassen sich mit Roms Weg in den Bürgerkrieg (S. 105-126) und der Diktatur Sullas (S. 127-138). Der Entzug des Kommandos gegen Mithridates VI. zwingt den Konsul Sulla zum Marsch auf Rom. Dort kann er den Staat jedoch nur notdürftig stabilisieren und macht nach seinem Weggang in den Osten den Weg frei für das Regime Cinnas. Sulla operiert daraufhin isoliert im Osten und ist gezwungen den Krieg zu gewinnen, um seine Machtbasis in Rom zurückfordern zu können. Die Eventualität dieser Möglichkeit versetzt das römische Gemeinwesen unter Cinna in einen Schwebezustand, da dessen durchaus fortschrittlichen Maßnahmen der Gefahr einer späteren Revision unterliegen (S. 117). Der Sieg Sullas führt zu dessen durch die Diktatur legitimierter Herrschaft, die durch eine Korrespondenz zwischen Verbrechen an römischen Bürgern und einem umfassenden Gesetzgebungswerk (S. 131ff.) mit dem Ziel einer Stärkung des Senats als Gremium geprägt ist. Für Linke scheitert das Reformprogramm vor allem an Sullas eigenem skrupellosen Vorgehen, mit dem er "lang gewachsene Elemente der römischen Ordnung mit Brachialgewalt" einreißt (S. 128) und Freiräume für ehrgeizige Individualisten schafft (S. 138). Hinzugefügt werden muss Sullas konsequente Ignoranz globaler Reichsaufgaben, welche die außerordentlichen Imperien eines Pompeius erst nötig machten. 9
In den politischen Ambitionen der Gracchen, den Aktivitäten von Saturninus und der Diktatur Sullas sieht Linke Alternativen zur kollektiven Herrschaft der Nobilität, welche die Grundlage des Führungsanspruchs der Nobilität untergruben 10 und die Voraussetzung für die Etablierung eines neuen monarchischen Regierungssystems schufen. Folgerichtig nennt er sein letztes Kapitel "Krise durch Alternative" (S. 139-142). Ergebnis des Konflikts ist die "kommunikative Monarchie" des Augustus, in der "die Tradition der sozialen Vernetzung und der schichtenübergreifenden Kommunikation, die Rom groß gemacht hatte, auch in der Kaiserzeit" fortlebte (S. 142). So gibt Linke einen kompakten und gewinnbringenden Überblick voll positiver Denkanstöße über die Phase von den Gracchen bis Sulla und wird damit seinem eigenen Anspruch einer Überblicksdarstellung über die gesamte Epoche für historisch interessierte Leser/innen voll gerecht. Gleichzeitig stellen seine Analyse der Motivation der Bundesgenossen sowie die kritische Auseinandersetzung mit der "Krise ohne Alternative" (S. 141) einen Beitrag zu aktuellen Themen der Forschung dar, der nicht übersehen werden sollte. Kritisiert werden könnte lediglich die konsequente Nichtnutzung der Begriffe Optimaten und Popularen, die spätestens seit Gelzers "Nobilität der römischen Republik" 11 allgemeingültige Begriffsbestimmungen geworden sind und das Verständnis an einigen Stellen vereinfacht hätten. Den positiven Gesamteindruck runden logisch in den Text eingebundene Quellenauszüge und Erläuterungen sowie eine Literaturauswahl ab, die wesentliche Aspekte der neueren Forschung umfasst, zumal sich der Autor auch nicht scheut, Forschungsdiskussionen in den Text zu integrieren und damit auf aktuelle Problemstellungen hinzuweisen.
Alles in allem stellt Linkes "Die römische Republik von den Gracchen bis Sulla" auf Basis der modernen Forschung einen überzeugenden Überblick über die Epoche dar, der durch die Fähigkeit des Autors, wissenschaftlich komplexe Sachverhalte und historische Fakten klar, präzise und ansprechend darzustellen, gewinnbringend abgerundet wird.
Anmerkungen:
1 Es reiht sich ein zwischen: Dreyer, Boris, Die Innenpolitik der Römischen Republik 264-133 v. Chr., Darmstadt 2006 und Baltrusch, Ernst, Caesar und Pompeius, Darmstadt 2004 sowie Schlange-Schöningen, Heinrich, Augustus, Darmstadt 2005.
2 Vgl. etwa: Stockton, David L., The Gracchi, Oxford 1979; Evans, Richard John, Gaius Marius, Pretoria 1994; Christ, Karl, Sulla, Eine römische Karriere, München 2002.
3 Christ, Karl, Krise und Untergang der römischen Republik, Darmstadt 2000.
4 Während für Jochen Bleicken (Geschichte der römischen Republik, München 1999, S. 64) die unnachgiebige Haltung des Senats nicht durch die Landverteilung an sich, sondern durch die sich aus ihr entwickelnde Umschichtung des politischen Entscheidungsprozesses begründet ist, betont Linke, dass der Senat sehr wohl auch aufgrund eigener Interessen, die von denen der Unter- und Mittelschicht abdriften, so unnachgiebig auf Tiberius reagiert (S. 37f.).
5 Bleicken (wie Anm. 4), S. 214; Christ (wie Anm. 3), S. 71.
6 Christ (wie Anm. 2), S. 178f.
7 Hackl, Ursula, Die Bedeutung der popularen Methode von den Gracchen bis Sulla im Spiegel der Gesetzgebung des jüngeren L. Drusus, Volkstribun 91 v. Chr., Gymnasium 94 (1987), S. 109-127, hier S. 123.
8 Gegensätzlicher Meinung sind unter anderem Eder, Walter, Art. "Bundesgenossenkriege 3", DNP 2 (1997), Sp. 845f.; Bleicken (wie Anm. 4), S. 69; Christ (wie Anm. 2), S. 182; Baltrusch (wie Anm. 1), S. 9.
9 Baltrusch (wie Anm. 1), S. 16.
10 Der Ansatz an sich ist nicht neu, Christ hebt jedoch gleichzeitig hervor, dass Reformer, "die alle Brücken hinter sich abbrachen, wie Appuleius Saturninus und später Catilina, die Ausnahme dar[stellten]. In der Regel wurde stets versucht, die Krisen innerhalb der bestehenden Strukturen zu überwinden" (Christ, wie Anm. 2, S. 230), so dass die politischen Aktivitäten jener Jahre weniger als Alternativen zur Senatsherrschaft als vielmehr zur Lösung akuter Probleme im Rahmen der überkommenen Ordnung verstanden werden müssen.
11 Gelzer Matthias, Nobilität der römischen Republik (1912), hg. v. Jürgen von Ungern-Sternberg, Stuttgart 1983; Hackl (wie Anm. 8), S. 110.