N.A. Kurz: Jewish Internationalism and Human Rights after the Holocaust

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Titel
Jewish Internationalism and Human Rights after the Holocaust.


Autor(en)
Kurz, Nathan A.
Reihe
Human Rights in History
Erschienen
Anzahl Seiten
310 S.
Preis
£ 29.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Annette Weinke, Friedrich-Schiller-Universität Jena / Historisches Kolleg München

Noch bevor der Londoner Menschenrechtsanwalt und Publizist Philippe Sands 2016 mit seiner autobiografisch getönten Erzählung „East West Street“ einen veritablen Welterfolg erzielte, war das Interesse am jüdischen Beitrag zum humanitären Völkerrecht und zu den Menschenrechten spürbar gestiegen, was sich u.a. in den Arbeiten von Abigail Green, Michael Barnett und James Loeffler niederschlug.1 Angesichts der kontroversen Diskussionen, die seit einigen Jahren über die Frage eines kausalen Zusammenhangs zwischen frühem Holocaust-Gedächtnis und dem Menschenrechtsregime der Vereinten Nationen (UN) geführt werden, ist es auffällig, dass die Forschung das komplizierte Verhältnis zwischen dem jüdischen Internationalismus und den Menschenrechten der Nachkriegsära bislang eher oberflächlich und ohne tiefere quellenmäßige Fundierung behandelt hat.

Die Studie von Nathan A. Kurz hat sich das Ziel gesetzt, diese nicht eben unbeträchtliche Forschungslücke zumindest teilweise zu schließen und sie hat, so viel sei hier vorweggenommen, ihren ambitionierten Anspruch in geradezu bravouröser Weise eingelöst. Der in London lehrende Historiker versteht seine Untersuchung als Gegenentwurf zum expandierenden Genre (kollektiv-)biographischer Arbeiten. Statt die spezifische Handschrift einzelner namhafter Juristen im humanitären Völkerrecht zu erkunden, nimmt Kurz den jüdischen Internationalismus als eher lockeren Verbund von transnational agierenden Nichtregierungsorganisationen (NGO) in den Blick. Nachdem der Holocaust an den osteuropäischen Juden traditionelle Strukturen und religiös-intellektuelle Strömungen des zionistischen Internationalismus nachhaltig geschwächt habe, hätten sich die Machtverhältnisse nach dem Zweiten Weltkrieg unwiederbringlich zugunsten der großen amerikanisch-jüdischen Organisationen verlagert. Im Gegensatz zu den europäischen NGOs sei deren Selbstverständnis durch einen „liberalen Integrationismus“ geprägt gewesen, der auf internationaler Ebene die Existenz einer jüdischen Interessenpolitik eher zu verwischen suchte (S. 11).

Eine weitere bedeutende Änderung habe sich darüber hinaus aus der 1948 erfolgten Gründung eines eigenen jüdischen Staats ergeben. Während ein Teil der Menschenrechtsgeschichtsschreibung bis heute argumentiert, jüdische Organisationen hätten sich nach dem Sechs-Tage-Krieg oder gar erst Mitte der Siebziger aufgrund der israelfeindlichen „Zionismus ist Rassismus“-Resolution von der UN-Menschenrechtsarbeit zurückgezogen, relativiert Kurz die Vorstellung eines abrupten und monokausalen Bruchs. Vielmehr geht er von einem Prozess der kumulativen Entfremdung aus, der bereits unmittelbar nach Kriegsende einsetzte und sich bis zur UN-Resolution 3379 steigerte.

In den folgenden sieben Kapiteln seiner beeindruckenden Studie schildert Kurz die Herausforderungen und Wandlungen des jüdischen Menschenrechtsaktivismus anhand chronologisch aufeinanderfolgender Themenfelder. So geht er zunächst ausführlich auf die Kriegs- und frühen Nachkriegsdebatten ein, die zwischen den vorwiegend aus Osteuropa stammenden Befürwortern kollektiver Autonomierechte und den anglo-amerikanischen „Assimilationisten“ geführt wurden. Während zionistische Internationalisten wie der Völkerrechtler Jacob Robinson noch über 1945 hinaus an einem gruppenbezogenen Rechtsverständnis festhielten, das auch die Entschädigung von und Restituierung an Holocaust-Opfern vorsah, zielte das American Jewish Committee (AJC) auf eine individualrechtliche International Bill of Rights, die nach den Vorstellungen ihres Autors Hersch Lauterpachts zunächst auch noch den Schutz von Minderheiten vor deren zwangsweiser Assimilierung eingeschlossen hatte.

Jedoch erwies sich die kurze Zeit später stattfindende Pariser Friedenskonferenz als Höhepunkt eines Prozesses, den Kurz als die „Entinternationalisierung“ der Minderheitenrechte charakterisiert (S. 33). Zwei Jahre später wiederholte sich diese Konstellation, als sich eine Mehrheit von Mitgliedsstaaten sowohl für die Ausklammerung des Minderheitenschutzes in der UN-Menschenrechtserklärung (UDHR) als auch für die Streichung des „kulturellen Genozids“ in der von Raphael Lemkin entwickelten Völkermord-Konvention aussprach. Für den zionistischen World Jewish Congress (WJC), die seinerzeit größte transnationale Dachorganisation für jüdische Diasporagemeinden, war die UN-Gründung mit zwiespältigen Folgen verbunden. Zwar erfuhr die eigene Arbeit dadurch eine Aufwertung, da die Organisation den begehrten „NGO“-Status für den Wirtschafts- und Sozialrat erhielt. Trotzdem gelang es den jüdischen Rechtsaktivisten im Umfeld der UN auch danach kaum, jüdische Partikularerfahrungen in universelle Rechtsnormen zu überführen. Vor diesem Hintergrund bestreitet Kurz den Status der UDHR als eines angeblichen lieux de mémoire des Holocaust. Vielmehr sieht er das „silencing“ and „self-silencing“ als die damals dominierenden Formen des Umgangs mit dem Judenmord (S. 55).

Mit dem UN-Teilungsplan, der Gründung Israels und den dadurch ausgelösten Flüchtlingswellen im Nahen Osten und in Nordafrika veränderten sich die Parameter des jüdischen Rechtsaktivismus grundlegend. Für die im internationalen Raum agierenden europäisch-jüdischen NGOs erfüllte sich mit der Staatsgründung ein lang gehegtes Ziel, das freilich auch neue Dilemmata aufwarf. Konfrontiert mit den explosiven Auswirkungen eines zunehmend unbeherrschbaren palästinensischen Flüchtlingsproblems, verlagerten sie ihre Menschenrechtsarbeit – wie der Autor meint, im Einvernehmen mit der israelischen Regierung – auf eine „Neutralisierungsstrategie“, die das Rückkehrrecht der Palästinenser und der aus dem Irak vertriebenen Juden gegeneinander aufzurechnen suchte (S. 75).

Wie Kurz an anderer Stelle betont, habe sich die israelische Regierung im Gegensatz zu den meisten arabischen Staaten zu Beginn der 1950er-Jahre durchaus noch dem universalistischen Ansatz der UDHR verbunden gefühlt. Deutlichster Ausdruck dafür war die 1951 verabschiedete Genfer Flüchtlingskonvention und deren Prinzip des non-refoulement, das auf besagten Robinson zurückgeht. Spätestens nach der Suez-Krise und dem endgültigen Zerfall der französischen Kolonialherrschaft in Nordafrika sei diese menschenrechtsfreundliche Haltung aber mehr und mehr einem nüchternen Pragmatismus gewichen. So sei man nicht zuletzt wegen des weiterhin ungelösten palästinensischen Flüchtlingsproblems darum bemüht gewesen, unter Umgehung des politisch brisanten Artikels 13 UDHR die massenhafte Einwanderung nordafrikanischer Juden nach Israel zu organisieren. Angesichts fehlender Implementierungsmechanismen setzten die jüdischen Internationalisten nicht mehr auf die schwache Karte der Menschenrechte, sondern auf das politische und wirtschaftliche Gewicht der USA in der Dritten Welt.

Schließlich befassen sich die letzten Kapitel mit den Gründen für das Scheitern einer internationalen Konvention gegen den Antisemitismus und dem Ende jüdischer Menschenrechtsarbeit bei den Vereinten Nationen. Ende der 1950er-Jahre kam es in der Bundesrepublik zu mehreren schwerwiegenden antisemitischen Vorfällen, die in rasender Geschwindigkeit Nachahmer in anderen Ländern, darunter auch die USA und Israel, auf den Plan riefen. Führende jüdisch-amerikanische Organisationen forderten daraufhin die UN zur Erstellung eines globalen Antisemitismus-Berichts auf. Gleichzeitig sollte Antisemitismus nun als Verstoß gegen die internationalen Menschenrechte definiert werden. Diese Bemühungen scheiterten letztlich am Antikommunismus einiger amerikanisch-jüdischer „Cold War Hawks“ um Philip Halpern und Morris B. Abram (S. 117).

Indem diese die geplante Resolution für einen ideologischen Schlagabtausch mit der Sowjetunion zu nutzen suchten, hätten sie den Einfluss der USA innerhalb der UN stark überschätzt, so Kurz. Jüdische und nicht-jüdische Akteure seien wie selbstverständlich von einer eurozentrischen Weltordnung ausgegangen, mit den Menschenrechten als „zivilisatorische“ Antwort des Westens auf Nationalsozialismus und Stalinismus. Im Gegenzug bezeichneten sowjetische und arabische Propagandisten die jüdischen Aktivisten nun als Mitglieder einer rassistischen Internationale aus „Neo-Kolonialisten“ und „neo-faschistischen Elementen“, die angeblich den Weg der kolonisierten Länder in die nationale Unabhängigkeit behindern würden. Daher hält Kurz fest: „Jewish internationalism, which reached its pinnacle under the auspices of a nineteenth-century European imperial system, now found itself on the wrong side of the civilizational divide” (S. 113).

Es ist eine bemerkenswerte Stärke der Untersuchung, dass es ihr gelingt, zentrale Entwicklungslinien der jüdischen Menschenrechtsarbeit im Umfeld der Vereinten Nationen in prägnanter Weise herauszuarbeiten und kenntnisreich einzuordnen. Trotz großer Flughöhe handelt es sich um eine Darstellung, die aus einem enormen Fundus von Quellen schöpft und deren oft pointierende Schlussfolgerungen durchgehend auf einer intensiven Auseinandersetzung mit dem Material beruhen. Zu den Vorzügen der Arbeit zählt auch, dass sie die ebenso komplizierte wie konflikthafte Geschichte des Verhältnisses zwischen dem jüdischen Internationalismus und den Menschenrechten als integralen Bestandteil der internationalen Nachkriegsgeschichte erzählt, ohne dass damit die kritische Distanz gegenüber dem Untersuchungsgegenstand aufgegeben wird.

Als gewisser Schwachpunkt kann hingegen ein eher unterkomplexer Menschenrechtsbegriff gelten, der sich konzeptuell weitgehend an der UDHR und dem liberalen Menschenrechtsverständnis der frühen 1950er-Jahre orientiert. Gewichtige Bereiche des jüdischen Menschenrechtsaktivismus wie die Entschädigung und Restitution für NS-Verfolgte lässt der Autor somit bewusst außen vor, obwohl ihm klar gewesen sein dürfte, dass deren Einbeziehung womöglich zu weniger eindeutigen Bewertungen geführt hätte. Wer aber verstehen will, wie sich jüdische Menschenrechtsarbeit unter den schwierigen Bedingungen des Kalten Kriegs und der Dekolonisierung entwickelt hat, wird in Zukunft als erstes zu diesem exzellenten Buch greifen müssen.

Anmerkung:
1 Abigail Green, The British Empire and the Jews. An Imperialism of Human Rights?, in: Past & Present 199 (2008), S. 175–205; Michael Barnett, The Star and the Stripes. A History of the Foreign Policies of American Jews, Princeton 2016; James B. Loeffler, Rooted Cosmopolitans. Jews and Human Rights in the Twentieth Century, New Haven 2018.