E. Kraus (Hrsg.): Die Universität München im Dritten Reich

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Titel
Die Universität München im Dritten Reich. Aufsätze. Teil I


Herausgeber
Kraus, Elisabeth
Reihe
Beiträge zur Geschichte der Ludwigs-Maximilians-Universität München, Bd. 1
Erschienen
München 2006: Herbert Utz Verlag
Anzahl Seiten
670 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulf Morgenstern, Universität Leipzig, Historisches Seminar

Die universitätsgeschichtliche Forschung in Deutschland erfreut sich in den letzten Jahren eines erfreulichen Zuwachses, zumal dann, wenn ihr Schwerpunkt auf die Zeit des Nationalsozialismus liegt. Zwei Hauptgründe für diese Akzentuierung innerhalb der Zeitgeschichte fallen dabei besonders ins Auge: Zum einen stehen nicht wenigen Universitäten beachtliche Jubiläen ins Haus (600 Jahre Universität Leipzig im Jahr 2009, 450 Jahre Universität Jena, im Jahr 2008, 200 Jahre Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin im Jahr 2010 usw.), die ein reges Interesse an der Geschichte der Institution Universität hervorrufen. Zum anderen vollzieht sich seit den neunziger Jahren ein regelrechter Paradigmenwechsel in der Ausrichtung und der Themensetzung der Wissenschaftsgeschichte. Mittlerweile ist ein nahezu alle bedeutenden und unbedeutenden Fächer und Wissenschaftler erfassendes Erkenntnisinteresse an den wissenschaftlichen und persönlichen Verflechtungen im Nationalsozialismus festzustellen.1 Für die Geschichtswissenschaft eröffnete hier besonders der Historikertag 1998 eine Debatte über die Geschichte des Fachs und seiner Vertreter im Dritten Reich sowie deren personelle und wissenschaftskonzeptionelle Kontinuität nach 1945.2 Andere Fächer wie die Anglistik, die Altertumswissenschaft oder die Philosophie folgten.3 Neben solchen wissenschaftsbiographischen und fach- bzw. institutionengeschichtlichen Arbeiten widmen sich etliche Forschungen auch Aspekten wie der Geschichte der Studentenschaft, der Universitätsfinanzierung und -verwaltung, akademischen Festen und Feiern oder den Beziehungen zwischen Universität und Stadt.

Diese verschiedenen Ansätze vereint ein neuer, von Elisabeth Kraus herausgegebener Sammelband zur Geschichte der Universität München, der nicht nur für die bayerische Landesuniversität Neues bringt. Die fünfzehn, zumeist aus Graduierungsarbeiten hervorgegangenen Aufsätze des dickleibigen Buches bearbeiten neben Fachgeschichten (Klassische Philologie, Ägyptologie, Tiermedizin, Rechtswissenschaft), einzelnen akademischen Biographien (der Jurist Hans Nawiasky, der Student Friedrich Beck, der Historiker Ulrich Crämer, der Hausschlosser Jakob Schmid) und studentengeschichtlichen Themen (Studentenwerk, Universitätsreitschule, Studentenaustausch, Studentinnen, Feldpostbriefe) auch allgemeinere Themen (Universitätsbibliothek, Jubiläumsfeiern).

Eine konzise Einleitung sowie ein methodischer Ausblick aus der Feder der Herausgeberin runden den Band ab. Dabei wird deutlich, dass die vorliegende Sammlung von Einzelforschungen eine wichtige „Probebohrung“ (S. 10f.) für eine spätere Gesamtdarstellung der Universität München darstellt, die – anders als etwa ein Tagungsband – keinen Anspruch auf Vollständigkeit und systematische Stringenz erhebt. Die Aufnahme eines Aufsatzes zur politischen „Reeducation“ der amerikanischen Besatzer nach dem Zweiten Weltkrieg hinterläßt beim Leser trotzdem Fragen, da der erwartete inhaltliche Bezug zu München fast völlig fehlt.

Für München spezifisch ist dagegen die von Indra Schöller bearbeitete Geschichte der Universitätsreitschule. Zwar hing die Einführung von universitären Leibesübungen in der Weimarer Republik bekanntermaßen eng mit dem Gedanken der Wehrertüchtigung zusammen, doch stellt die Gründung einer eigenen akademischen Reitschule als quasi-Ersatz „für die kavalleristische Ausbildung“ (S. 87) nach dem Wegfall der Wehrpflicht eine hervorzuhebende Entwicklung dar.

Neben diesem Text sind besonders die studentengeschichtlichen Beiträge hervorzuheben, da sie vor allem eines zeigen: Außer dem singulären Phänomen der Geschwister Scholl unterschieden sich die Münchner Studenten durch nichts vom reichsweiten Mainstream der Jahre 1933 bis 1945. Schon vor der Machtübernahme war der örtliche NS-Studentenbund derart erstarkt, daß er den Juristen Hans Nawiasky, der 1931 aus vertragsrechtlicher Sicht die Friedensverträge von Brest-Litowsk und Versailles miteinander verglichen hatte, mit Hilfe des Völkischen Beobachters massiv angreifen konnte. Dass der katholische Vernunftrepublikaner jüdischer Herkunft dann 1933 als einer der ersten aus dem Amt gedrängt wurde, überrascht wenig.

Ebenso stark auf ungedruckten Quellen wie dieser Beitrag Michael Behrendts basieren die thematisch verwandten Aufsätze von Nicole Kramer und Andreas Raith zum Studentenaustausch im Dritten Reich sowie der universitären Feldpostbetreuung der zur Wehrmacht eingezogenen Studenten im Zweiten Weltkrieg. Der Leser lernt, dass nicht jeder deutsche Austauschstudent ein ideologischer Teilzeitexport des Systems war und dass das Austauschstudium trotz aller staatlichen Einwirkungen stets (auch) eine individuelle Angelegenheit blieb, die manchen sogar skeptisch in die Heimat zurückkehren ließ.

Neuland betritt Andreas Raiths Untersuchung der Feldpostbetreuung von Studenten durch ihre Heimatuniversität. Diese war der Forschung zwar als Phänomen der „totalitären Wissenschaftspolitik“ bekannt, die im Gegensatz zur patriotischen Betreuung der Frontsoldaten im Ersten Weltkrieg ein von Anfang an illusionäres Fernstudium etablieren wollte und an diesem vaterländisch-akademischen Großprojekt scheiterte. Raiths Verdienst ist es hier jedoch, am Beispiel Münchens erstmals genau und detailliert rekonstruieren zu können, dass dieses Scheitern in den Widersprüchen zwischen euphorisch-planlosem ministeriellen Erfassungswillen und universitärer Normwahrung begründet lag. Diese Beobachtungen ließen sich mit einiger Sicherheit auch auf die Mehrzahl der übrigen Universitäten Deutschlands übertragen.

Der überaus ansprechend lektorierte Band enthält ein Personenverzeichnis und eine umfangreiche Auswahlbibliographie, die einen raschen Zugriff auf Einzelthemen ermöglicht. Er liefert an vielen Punkten wertvolle Beiträge zur gegenwärtigen Forschungsdiskussion, ohne dabei der Versuchung zu erliegen, überspitzte Aufklärerbeiträge zu präsentieren. So entbehrt der solide und quellensatte, aus seiner Dissertation über die Geschwister Scholl hervorgegangene Beitrag Sönke Zankels über den Münchner Hausschlosser Jakob Schmid, der sich der Festnahme der Widerständler rühmen konnte, aller Hypothesen und vorschnellen Schlüsse, die dem gleichen Autor in Rezensionen seines jüngsten Buches als Hauptkritikpunkte entgegengehalten wurden.4

Wünschenswert wären überblickserleichternde Anschauungshilfen (Tabellen oder Graphiken zu Rektoren, Dekanen, Studentenfrequenz usw.) gewesen, die aber verständlicherweise bei diesem ersten „Projektbericht“ noch fehlen und auf weitere Arbeiten zur Geschichte der zweitgrößten deutschen Universität im Nationalsozialismus hoffen lassen.

Anmerkungen:
1 Eberle, Hendrik, Die Martin-Luther-Universität in der Zeit des Nationalsozialismus, Halle 2002. Hoßfeld, Uwe u.a. (Hg.), „Kämpferische Wissenschaft“. Studien zur Universität Jena im Nationalsozialismus, Köln u.a. 2003. Eine umfangreiche Bibliographie zur aktuellen universitätsgeschichtlichen Forschung enthält ferner: von Hehl, Ulrich (Hg.), Sachsens Landesuniversität in Monarchie, Republik und Diktatur. Beiträge zur Geschichte der Universität Leipzig vom Kaiserreich bis zur Auflösung des Landes Sachsen 1952, Leipzig 2005, S. 537-575.
2 Vgl. u.a. Schulze, Winfried/Oexle, Otto Gerhard (Hg.), Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, Frankfurt/Main 1999.
3 Hausmann, Frank Rutger, Anglistik und Amerikanistik im „Dritten Reich“, Frankfurt/Main 2002. Tilitzki, Christian, Die deutsche Universitätsphilosophie in der Weimarer Republik und im Dritten Reich, 2 Bde., Berlin 2002.
4 Zur Diskussion um Zankel, Sönke, Die „Weisse Rosse“ war nur der Anfang. Geschichte eines Widerstandskreises, Köln 2006, vgl. u.a. die H-Soz-u-Kult-Renzension Jakob Knabs vom 28.10.2006 oder die Besprechungen und Stellungnahmen Felix Johannes Krömers, Joachim Scholtyseks und Hans Günther Hockerts’ in der FAZ vom 21. und 26. Oktober sowie 7. November 2006.

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