M. Meiske: Die Geburt des Geoengineerings

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Titel
Die Geburt des Geoengineerings. Großbauprojekte in der Frühphase des Anthropozäns


Autor(en)
Meiske, Martin
Reihe
Deutsches Museum. Abhandlungen und Berichte - Neue Folge 34
Erschienen
Göttingen 2021: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
328 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frederik Schulze, Außereuropäische Geschichte, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Martin Meiskes Buch, das auf seiner an der Ludwig-Maximilians-Universität München verteidigten Dissertation basiert, führt zwei hochaktuelle Forschungsfelder zusammen: die Infrastrukturforschung und die Anthropozän-Debatte. Meiske schickt sich an, die ersten hundert Jahre des „Geoengineering“ zu porträtieren, also „die Geschichte der menschlichen Veränderungen der Geosphäre“ (S. 15) von 1850 bis 1950, die in seinen Augen vor allem durch große Infrastrukturprojekte und die Herausbildung der Geoingenieurswissenschaft geprägt gewesen sei. Damit begibt sich der Autor auf die Spuren der Frühphase des Anthropozäns und möchte seine Forschung als quasi handlungsleitenden Beitrag für die momentan virulente Klimaengineering-Debatte verstanden wissen. Das von ihm festgestellte weitgehende Scheitern der Naturbeherrschung in der ersten Phase des Geoengineering mache eine gewisse Skepsis erforderlich, wenn heutzutage großangelegte Ingenieurseingriffe zum Stopp des Klimawandels vorgeschlagen würden, etwa die Erzeugung künstlicher Wolken zur Abschattung der Erdoberfläche.

Neben diesem eher politischen Argument geht es Meiske um eine „Wissenschaftsgeschichte der Ingenieursgeologie“ (S. 38), die nach Voraussetzungen, nicht gewollten Folgen, Grenzen der Naturbeherrschung und Aushandlungsprozessen seitens der beteiligten Akteure fragt. Im Mittelpunkt steht die Vielfalt der Entitäten, die Handlungsmacht besaßen. Dazu rechnet der Autor auch nichtmenschliche Akteure wie Tiere, Pflanzen und materielle Umwelteinflüsse. Die Vielfalt der Agenten und lokalen Kontexte habe zu unterschiedlichen Ausprägungen und Dynamiken des Anthropozäns geführt. Theoretisch basiert die Studie auf der Infrastruktur- und Umweltgeschichte, während Wissenschafts- oder Wissensgeschichte nicht explizit eingeführt werden, obwohl Meiske den Wissensbegriff konstant verwendet.

Die drei empirischen Kapitel des Buches zeichnen die Entwicklung des Geoengineering anhand von drei verschiedenen Infrastrukturtypen nach, nämlich Eisenbahntunnel, Meereskanäle und Talsperren. Zu diesem Zweck wurden je zwei Fallstudien ausgewählt. Diese Beispiele, die eher als Aufhänger für die Geschichte des Geoengineering denn als Einzelgeschichten verstanden werden können, stellten laut Meiske wegweisende Infrastrukturen dar, die auf ihrem Gebiet neue Maßstäbe gesetzt und zu einer Konjunktur der entsprechenden geoinvasiven Infrastrukturen geführt hätten. Chronologisch schlagen sie einen Bogen von der Geburt des Geoengineering bis zu einer gewissen Ernüchterung auf dem Feld der Technikgläubigkeit. Die Fallstudien, die auf einem umfangreichen Quellenmaterial aus Archiven in den USA, Deutschland und Frankreich beruhen, beschränken sich auf europäische und US-amerikanische Projekte und sparen den globalen Süden weitgehend aus, was sich auch in der Auswahl der Forschungsliteratur niederschlägt. Plausibel ist die Auswahl insofern, als die Fallbeispielpaare die transatlantische Zusammenarbeit verdeutlichen, die durch einen umfassenden Austausch von Akteuren und Wissen charakterisiert war. Tunnel, Kanäle und Dämme in den Vordergrund zu stellen, erlaubt die Fokussierung auf die für das Geoengineering zentrale Ingenieursgeologie, auch wenn Geoengineering noch weitere Aspekte wie Emissionen, Landgewinnung, Waldrodung oder die Förderung von fossilen Brennstoffen und Erzen umfasst.

Das erste Kapitel widmet sich Eisenbahntunneln in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und stellt den Mont-Cenis-Tunnel, der die Alpen zwischen Frankreich und Italien durchsticht, und den US-amerikanischen Hoosac-Tunnel durch die Appalachen näher vor. Drei Aspekte stehen im Vordergrund: Zunächst beschreibt der Verfasser anhand der Lebensläufe zentraler Ingenieure die disziplinäre Institutionalisierung der Geologie im Kontext der Industrialisierung und ihrer Infrastrukturprojekte. Dafür hätten transnationale Werdegänge von Ingenieuren, Elitennetzwerke, Wissenstransfers zwischen Europa und den USA, die Konsolidierung der Ingenieursausbildung und der Aufbau von Ingenieursvereinen und Fachliteratur eine wichtige Rolle gespielt. In der Folge hätten sich spezifische nationale Technikkulturen und ein bestimmtes Selbstbild der Akteure herausgebildet, das von Technikoptimismus geprägt gewesen sei. In einem zweiten Schritt wird der aus Bohrern, Sprengmaterial und Maschinen bestehende Werkzeugkasten der Tunnelingenieure beschrieben, um dann in einem dritten Schritt die an den Bauten beteiligten Arbeiter und Arbeitstiere, die Arbeitsbedingungen, die Arbeitsorganisation und das Leben in den Arbeitersiedlungen zu beleuchten. Insgesamt rekonstruiert der Verfasser ein komplexes Geflecht von Akteuren, die für die Instituierung der Geoingenieurswissenschaften maßgeblich waren.

Das zweite Kapitel fährt mit zwei intermaritimen Kanälen um 1900 fort, dem Panamakanal und dem deutschen Nord-Ostsee-Kanal. Zunächst wird der Erzählstrang der Netzwerkbildung und der Wissensproduktion wieder aufgegriffen, indem die Zusammenarbeit zwischen Ingenieuren und Geologen sowie die Forschungsaktivitäten im Kontext der Kanäle genauer betrachtet werden, etwa im Zusammenhang mit Erdrutschen am Panamakanal. In diesem Abschnitt widmet sich Meiske auch der Frage, welche Rolle die Infrastrukturen für Nationalismus und Geopolitik spielten, und konstatiert ein globales Machtgefälle. Neu tritt in diesem Kapitel die Umweltgeschichte hinzu. Am Beispiel der Bioinvasion von Pflanzen und Tieren und des daraus resultierenden Wartungsbedarfs der Kanäle unterstreicht der Verfasser nichtintentionale Umweltschäden und die Handlungsmacht der Umwelt. Abschließend führt er aus, dass Tunnel und Kanäle am Anfang des 20. Jahrhunderts zu beschleunigten Zeitwahrnehmungen beigetragen hätten, was für das Anthropozän charakteristisch sei.

Das letzte Kapitel über Talsperrenprojekte aus den 1940er- und 1950er-Jahren schließt die Monografie ab. Anhand des US-amerikanischen Fontana-Damms und des deutschen Roßhaupten-Damms wird die Frage nach partizipativer Mitbestimmung der Bevölkerung am Geoengineering aufgeworfen. Dabei dient das Regionalplanungsmodell der Tennessee Valley Authority (TVA) als Ausgangspunkt, das sich ab den 1930er-Jahren global verbreitete und demokratische Teilhabe verhieß. Dementsprechende Bezüge finden sich auch für den bayrischen Ausbau des Lechs, was einen Fokus auf die Handlungsmacht von Anrainern ermöglicht. Wie im Tennessee-Tal deutlich wurde, blieb demokratische Partizipation oft ein nicht eingelöstes Versprechen, wenn etwa neue Siedlungen rassistische Segregation umsetzten. In Bayern löste der Talsperrenbau ungewollte Teilhabe in Form von bäuerlichem Protest und Kritik an der Umweltzerstörung aus.

Unter dem Strich ist Martin Meiske ein stilistisch souveränes Buch gelungen, das einen wichtigen Einblick in die Frühphase der Geoingenieurswissenschaften und einige ihrer großen Infrastrukturprojekte bietet. Lesehinderlich ist die mitunter nur schwer zu entwirrende Argumentation und Struktur des Buches, wozu sperrige Kapitelüberschriften, der stetige Zufluss neuer Themen und eine nicht immer plausible Chronologie beitragen. Dies schmälert die Leistung der Monografie jedoch nicht, deren inhaltliche Stärken im „envirotech-Fokus“ (S. 37), also in der gekonnten Verbindung von Technik- und Umweltgeschichte, und der virtuosen Auffächerung der Kategorie „agency“ liegen. Ein qualitativ hochwertiger Bildapparat rundet die Studie ab.

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