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Titel
Rome and the Invention of the Papacy. The Liber Pontificalis


Autor(en)
McKitterick, Rosamond
Erschienen
Anzahl Seiten
288 S.
Preis
€ 37,25
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Veronika Unger, Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Rosamond McKitterick hat es sich mit dem Buch Rome and the invention of the papacy. The Liber pontificalis zum Ziel gemacht, den Liber pontificalis, eines der bedeutendsten Quellenzeugnisse über das frühmittelalterliche Rom, gewissermaßen zu dekonstruieren: Sie versteht das „Buch der Päpste“ als Prisma eines Narrativs über Rom und die Päpste in Spätantike und Frühmittelalter, möchte zeigen, inwiefern mit diesem Text päpstliche Ideologie und petrinische Sukzession vermittelt wurden und so die Wahrnehmung von und die Erinnerung an Rom entscheidend geformt wurde.

Das Buch ist gegliedert in ein knappes Vorwort, sechs Hauptkapitel und eine kurze Zusammenfassung am Ende. Dass das erste Hauptkapitel offenbar die Einleitung darstellen soll, wird erst im Laufe der Lektüre klar (im dritten Kapitel nennt sie es „introductory chapter“, S. 68). Der Aufbau des Buchs wird an keiner Stelle erläutert und erschließt sich auch nicht durchwegs. Dagegen ist jedes Kapitel für sich klar durchstrukturiert, beinhaltet immer eine Einführung und eine Zusammenfassung und es wird auch häufig auf zuvor präsentierte Thesen verwiesen sowie auf das, was noch kommt. Dies ist bei der Lektüre äußerst hilfreich und macht das Buch auch für diejenigen gut lesbar, die sich bisher wenig mit dem Thema beschäftigt haben.

Im ersten Kapitel „The Liber pontificalis: Text and Context“ gibt die Autorin zunächst einen kurzen Überblick über die bisherige Forschung zur Quelle, aber auch zu Rom und den Päpsten in Spätantike und Frühmittelalter. Es gelingt ihr sehr gut, auf knappem Raum die wichtigsten Forschungsarbeiten zu nennen, und zwar nicht nur die englischsprachigen, sondern ebenso französische, italienische und deutsche. Ihre Hauptkritik am Umgang der Mittelalterforschung mit dem Liber pontificalis (und damit meint sie nicht in erster Linie die Personen, die in den letzten Jahrzehnten konkret zum Liber pontificalis gearbeitet haben, mit denen sie meistens einer Meinung ist), bezieht sich auf die Verwendung des Textes als Steinbruch für die Rekonstruktion der Geschichte einzelner Pontifikate bzw. römischer Kirchengebäude. Dabei seien oft die Gesamtkomposition des Textes außer Acht gelassen und die Produktionsbedingungen vernachlässigt worden. Die Hauptthese des ersten Kapitels bezieht sich sodann auf die Entstehung des ersten Teils des Liber pontificalis (von Petrus bis Agapit) in den 530er-Jahren; dieser erste Teil müsse im Lichte der Krise in Rom zu Beginn des 6. Jahrhunderts gelesen werden. Ziel bei der Anlage des Textes sei es gewesen, die Wahrnehmung von Rom als kaiserliche Stadt zu transformieren; aus Rom sollte eine christliche Kapitale unter Führung der Päpste werden.

Das zweite Kapitel „The Liber pontificalis and the City of Rome“ fokussiert auf die Verbindung von Christentum und der Stadt Rom, womit neben den Gebäuden vor allem auch die Bewohner der Stadt gemeint sind. Der Liber pontificalis habe eine „mental map“ (S. 41, 66) von Rom als christlicher Stadt entworfen und zwar nicht nur topographisch, sondern unter Einbezug der Bischöfe und der in Rom lebenden Leute, insbesondere durch die Betonung der römischen Herkunft der Bischöfe, der Verbindung zwischen römischen Familien und christlichen Heiligen und Märtyrern sowie der Teilhabe der römischen Bürger am christlichen Leben in der Stadt.

Im dritten Kapitel „Apostolic Succession“ steht die Bedeutung der Petrusnachfolge der Päpste im Mittelpunkt. Der Liber pontificalis präsentiert nach McKitterick Rom als Anker des Christentums durch die Darstellung der Werke des Apostelfürsten und seiner unmittelbaren Nachfolger. Die Innovationen der Päpste des 6. Jahrhunderts würden so eingebettet in eine fünfhundertjährige Vergangenheit und es würde ein kulturelles Gedächtnis Roms im Sinne von Jan und Aleida Assmann geschaffen.

Das vierte Kapitel „Establishing Visible Power“ rückt die Baustruktur Roms ins Zentrum, durch welche die Transformation Roms von einer kaiserlichen zu einer christlichen Stadt besonders deutlich werde. Einerseits die unter Konstantin dem Großen errichteten Kirchengebäude, welche im Liber pontificalis zentral sind und in fast allen Viten vorkommen, andererseits ursprünglich kaiserliche und dann von den Päpsten christlich geweihte Gebäude, wie etwa das Pantheon, hätten die Autorität der Päpste nach außen hin sichtbar gemacht.

Dies leitet über zum fünften Kapitel „Bishop and Pope“, in dem die Autorität und Orthodoxie der Päpste als eines der Kernthemen des Liber pontificalis herausgestellt werden. Nicht systematisch, aber immer wieder würden in diesem Text die Innovationen der Päpste im Bereich der Liturgie, der kirchlichen Doktrin und des Kirchenrechts erwähnt.

Kapitel 6 „Transmission, Reception and Audiences: the Early Medieval Manuscripts of the Liber pontificalis and their Implications“, das mit Abstand umfangreichste Kapitel des Buchs, wendet den Blick schließlich weg vom Text und seiner Komposition hin zu denjenigen, die ihn lasen, besaßen und weitergaben. Der Liber pontificalis sei ganz gewiss kein Text gewesen, den man besitzen musste. Doch trotz des Fehlens von frühen Handschriftenzeugnissen (vor dem 8. Jahrhundert) ist die Autorin überzeugt, dass die erste Version bereits am Ende des 6. Jahrhunderts verbreitet wurde; sehr viel stärker sei dies dann ab dem 8. Jahrhundert passiert, wobei der Liber pontificalis dabei stets als ein Ganzes bis zu den Viten am Beginn des 8. Jahrhunderts betrachtet wurde. Da der Text häufig mit Konzilsschriften, Kirchenrecht und päpstlichen Dekretalen in den Handschriften steht, werde deutlich, inwiefern er als Ausfluss kirchlicher Autorität betrachtet wurde, wobei der historische Aspekt in Bezug auf Doktrin, Liturgie und Recht wichtiger als die aktuelle päpstliche Politik erschienen sei. Dies erklärt, wieso auch die meisten Handschriften ab dem 9. Jahrhundert nur die Viten bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts beinhalten.

In der Zusammenfassung „Conclusion: the Power of a Text“ verweist die Autorin noch einmal auf ihre Ausgangsthese, der Liber pontificalis sei ein Prisma, durch das man die Transformation Roms von einer kaiserlichen zu einer christlichen Kapitale betrachten könne. Er habe ein bestimmtes Bild von den Päpsten und eine besondere Darstellung ihrer Geschichte, ihrer Rolle als Nachfolger Petri und der Stadt Rom als heilige Stadt der christlichen Heiligen und Märtyrer geschaffen. Durch die vielen fränkischen Handschriften mit ihren speziellen Eingriffen in den Text, so resümiert McKitterick am Ende, hätten sich auch die Karolinger in diese Geschichte eingeschrieben.

Man merkt dem Buch an vielen Stellen an, dass es auf einer Vorlesungsreihe beruht, was die Autorin im Vorwort auch ausführt. Es gibt zahlreiche Tabellen und Schaubilder, Anmerkungen sind eher knapp gehalten, ebenso Hinweise auf Quellen. Dies bietet allerdings die große Chance, dass ein Thema, das sonst eher von einigen wenigen Spezialist:innen behandelt wird, einem breiteren Publikum nahegebracht und auch für in diesem Bereich wenig erfahrene Forschende zugänglich wird. Die Erschließung durch eine ausführliche Bibliographie, die alle wesentlichen Studien zum Thema beinhaltet, sowie ein Handschriftenverzeichnis und ein gemischtes Orts-, Personen- und Sachregister unterstreicht diese Ausrichtung. Lediglich eine Erläuterung der Gesamtstruktur bereits zu Beginn des Buchs hätte sich die Rezensentin für einen noch besseren Zugang gewünscht.

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