Cover
Titel
Sophie Scholl: Es reut mich nichts. Porträt einer Widerständigen


Autor(en)
Zoske, Robert M.
Erschienen
Anzahl Seiten
442 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Fritz Schmidt, Augsburg

Nach seinen Büchern „Sehnsucht nach dem Lichte – Zur religiösen Entwicklung von Hans Scholl“, München 2013, sowie „Flamme sein! Hans Scholl und die Weiße Rose. Eine Biografie“, München 2018, hat Robert M. Zoske nun ein solches über Hansens Schwester und Schicksalsgenossin Sophie Scholl, die am 9. Mai vor einhundert Jahren in Forchtenberg geboren wurde, vorgelegt. Wie in den vorgenannten Büchern bildet der Nachlass von Inge Aicher-Scholl im Institut für Zeitgeschichte (IfZ) München das Gerüst, unterbaut von Recherchen, beigebracht aus Sekundärquellen aus dem Umfeld der Protagonistin wie zum Beispiel der Biografie von Ernst Reden.1

Zoske referiert den Freiheitswillen der jungen Sofie: „Freiheitsbeschränkung. Darin spiegelt sich ihr höchst ambivalentes Verhältnis zum Nationalsozialismus, das sich von glühendem Fanatismus über eine langsame Ernüchterung zu erbittert-verzweifelter Gegnerschaft“ (S. 55) der sich 1942 nun Sophie schreibenden Scholl-Tochter wandelte. Er betont ihre Liebe und Verbundenheit zur Natur sowie ihre bereits in jungen Jahren anspruchsvolle und lebendige Formulierungskunst: „Die Leichtigkeit der Texte, die immer wieder aufblitzende (Selbst-)Ironie und zuweilen der Blick hinter die Dinge machen das Lesen nicht nur vordergründig zu einem Vergnügen.“ (S. 77) Und sie war eine begabte Zeichnerin.

Ob es nötig war, das Liebesleben einer sensiblen, gelegentlich zickigen Pubertierenden aus behütet-bürgerlicher Familie im Deutschland des Nationalsozialismus so detailliert offenzulegen, sei dahingestellt. Ihr beinahe selbstzerstörerischer Schuld-Dialog mit Gott ging weit über die evangelisch-christliche Erziehung Sophie Scholls hinaus, den der nicht prüde evangelische Theologe Zoske kommentierte, sie habe „gemäß einer fatalen christlichen Tradition […] Sexualität mit Sünde“ verbunden (S. 132). Der Rezensent hätte hinzuzufügen, der Tenor sei allerdings von Sophies Mutter, einer ehemaligen Diakonisse, vorgegeben worden mit dem in jener Zeit kursierenden Wahlspruch „Rein bleiben und reif werden“, wobei Magdalene Scholl jedoch durchaus tolerant weder Sohn Hans noch Ernst Reden wegen deren „sittlicher Verfehlungen“ irgendwelche Vorhaltungen machte. Und Tochter Sophie sicher auch nicht, sollte diese der Mutter ihre Intimitäten anvertraut haben.

Zoske nahm sich auch Otl Aicher, den späteren Ehemann von Inge Scholl und damaligen Verehrer von Sophie, und dessen Katholizismus zur Brust, dem er einerseits radikalen Anti-Nationalsozialismus bescheinigte, aber auch nicht zu Unrecht vorwarf, bezüglich seiner Religion „missionarisch bis zur Manipulation“ gewesen zu sein (S. 198). Bei seiner späteren Ehefrau Inge Scholl, die zum Katholizismus konvertierte, mit Erfolg.

Zwar kann Zoske in diesem Buch nicht mit ähnlich schwerwiegenden Behauptungen aufwarten, wie er sie unberechtigterweise in Sachen Homosexualität gegen Hans Scholl in „Flamme sein!“ vorbrachte, aber es doch nicht lassen, „eine zarte Liebeserklärung“ der 19-jährigen Sophie gegenüber einer Freundin zu konstruieren, „so wie Fritz Hartnagel“, ihr Freund, „sie nie von ihr gehört hatte“ (S. 113). Im Verfolg ihres Lebens, gegen dessen Ende zu, mit zunehmender Reife, im Stress der Widerstandsaktivitäten brachte sie in den Briefen an Hartnagel schon ihre Liebe zum Ausdruck.

Sophie war gerne allein. Vor allem in ihrer Zeit im Reichsarbeitsdienst litt sie daran, ständig in Gesellschaft von Kameradinnen sein zu müssen, die zumeist nicht ihrer Bildungsschicht angehörten. Sie teilte mit Vater Robert Scholl ihre Bedenken, wenn nicht Vorurteile gegenüber der „Masse“, wogegen Bruder Hans im Verlaufe des Krieges seine Position des Elitegedankens und der Verachtung der Masse revidierte. Robert Scholl hinwiederum äußerte noch 1960 seine Skepsis gegenüber der „Massendemokratie“: 98 Prozent der Bevölkerung hätten in der NS-Zeit bewusst die damaligen Gangster anerkannt (S. 38). Aber auch die Aktivisten der „Weißen Rose“ erklärten sich nicht als Demokraten; am ehesten noch Hans Scholl, am wenigsten konnte Professor Huber Demokratie und Parlamentarismus etwas abgewinnen.

Zoske ließ es sich angelegen sein, das Scholl‘sche Familien-Umfeld in den Blick zu nehmen, der des Öfteren auf Vater Scholl haften blieb. Obwohl er Robert Scholls Gegnerschaft zum NS anerkennt, setzt Zoske doch eins drauf: Ob Vater Scholl die staatlichen Sanktionen gegenüber Juden abgelehnt habe, sei fraglich und er führt die Freundschaft Robert Scholls mit einem Kreisleiter der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) an (S. 91f.), die bereits von Scholls früherem Wohnort Forchtenberg herrührte. Letzteres wie andere Beispiele weisen darauf hin, dass Zoske wie Sönke Zankel2 und viele jüngere Historiker die Realitäten im sogenannten Dritten Reich negiert beziehungsweise nicht einschätzen kann, denn derartige zwischenmenschliche Beziehungen waren zwar nicht alltäglich, wurden aber wenn bestehend am 30. Januar 1933 nach aller Regel nicht an der Garderobe abgegeben. Andererseits erkannte mancher NS-Gegner, der nicht hinter die Kulissen blickte, den Abbau der Arbeitslosigkeit in Hitler-Deutschland an.

Im Falle von Robert Scholl kommt Zoske dann doch nicht umhin zu konzedieren, dass überliefert ist, Vater Scholl sei nach der sogenannten Kristallnacht bei der Familie seiner vormaligen jüdischen Vermieter erschienen und habe gefragt, ob sie Hilfe benötige. Die Scholls wohnten in Ulm mit Juden in einem Haus, das bis 1938 eben Juden gehörte, zu Robert Scholls Kunden zählten Juden, im Krieg wurde in der Familie über die Judenverfolgung gesprochen, im Flugblatt war die Stellungnahme gegen die Judenmorde eindeutig.

Der Krieg. Es wurde für Sophie, der sozusagen Mitleiden mit in die Wiege gelegt worden war, unbegreiflich, dass Menschen von anderen Menschen in Lebensgefahr gebracht würden, wie sie kurz nach Kriegsbeginn am 5. September 1939 an ihren Freund Fritz Hartnagel, den Berufssoldaten, schrieb, und er solle nicht sagen, es sei fürs Vaterland. Doch auch ihr blieb keine Wahl gegenüber den Anforderungen Hitler-Deutschlands an seine „Volksgenossen“, was die „Volksgenoss-innen“ einschloss. Nachdem ihr Zoske attestierte, „im Rahmen ihrer Möglichkeiten“ „jahrelang tatkräftig zur emotionalen Akzeptanz des Regimes beigetragen“ zu haben, fühlte sich Sophie laut Zoske im Herbst 1942 angesichts des millionenfachen Mordens „verantwortlich vor Menschen und Gott“ (S. 244). Da war sie bereits eingebunden in die Widerstandsaktivitäten ihres Bruders Hans und seiner Kameraden Alexander Schmorell, Willi Graf, Christoph Probst sowie von Professor Kurt Huber. Dass ihr diese Tätigkeiten ‒ an der Abfassung von Flugblättern war sie nur marginal beteiligt ‒, Beschaffung von Vervielfältigungsapparaten, von Papier und Briefmarken, Schreiben von Adressen, Verteilung der Flugblätter auf ausgedehnten Bahnreisen, nicht leicht und fröhlich von der Hand, sondern unter großem Druck mit Reizbarkeit, Depressionen und sonstigen gesundheitlichen Beschwerden einher gingen, zeigt Zoske auf. Er wendet sich in seinem Sophie-Buch jedoch entschieden gegen das „simplifizierende, inzwischen millionenfach aufgelegte Andachtstraktat“, das „bis heute das Bild von Sophie Scholl und mit ihr der anderen Freiheitskämpfer“ präge (S. 292), „Die weiße Rose“ von Inge Scholl.3 Aber er bilanziert schon: „Sophie Scholl war eine außergewöhnliche, bewundernswerte Frau. Sie darf angesichts ihrer Tat Ikone ‒ ein Vor- und Leitbild ‒ für Glaubensmut, Mitmenschlichkeit und Widerständigkeit sein. Aber sie war und ist mehr als das.“ (S. 298)

Fazit: Im Gegensatz zu anderen jugendlichen Widerständigen wie Helmut Hirsch, der totgeschwiegen wird, öffnet sich den Geschwistern Scholl immer wieder der Buchmarkt. Dabei kommt neben Bekanntem auch Neues zum Vorschein wie zum Beispiel in obigem Buch weniger über Sophie als über Vater Robert Scholl oder die Vita des Reichsanwalts Albert Weyersberg, der die Anklage vor dem Volksgerichtshof gegen die Geschwister Scholl sowie Christoph Probst vertrat.

Übrigens: Die Gräber der drei Letztgenannten befinden sich nicht wie von Zoske angegeben (S. 284) auf dem Perlacher Friedhof, sondern auf dem Friedhof am Perlacher Forst in München.

Anmerkungen:
1 Jörg Hannes Kuhn, Im Schatten der Rose. Ernst Reden, Schöngeist und Lyriker ‒ ein kurzes jungenschaftliches Leben, Leipzig 2020.
2 Sönke Zankel, Mit Flugblättern gegen Hitler, Köln 2007, S. 322.
3 Der Rezensent bekennt, dass auch er 1955/56 seine einschlägige Kenntnis zunächst aus diesem Buch bezogen hat.

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