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Titel
Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945


Autor(en)
Klee, Ernst
Erschienen
Frankfurt am Main 2007: S. Fischer
Anzahl Seiten
720 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Anselm Heinrich, University of Glasgow

Ernst Klee legt mit seinem Kulturlexikon ein wichtiges Nachschlagewerk vor. Wer sich in Zukunft mit Kunst und Kultur im Dritten Reich beschäftigen will, wird dieses Buch als unersetzliche Hilfe empfinden. Obwohl sich vor Klee schon andere diesem Thema gewidmet haben – besonders hervorzuheben in diesem Zusammenhang ist Boguslaw Drewniaks Studie zum Theater in Nazi-Deutschland, das einen hervorragenden Anhang enthält1, – versucht doch Klee als erster, übergreifend alle Sparten der Kultur abzudecken. Dabei geht es ihm wie schon in seinem 2003 erschienenen Personenlexikon zum Dritten Reich vor allem darum, Kontinuitäten nach 1945 aufzuzeigen.2

Klee belegt, dass unzählige, zum Teil nicht unerheblich in das Dritte Reich verstrickte Künstler die Diktatur nicht nur unbeschadet überstanden, sondern ihre Karrieren danach erfolgreich fortsetzen konnten – und zwar im Westen wie im Osten Deutschlands. Hier handelt es sich nicht nur um Stars wie Heinz Rühmann und Herbert von Karajan, sondern auch beispielsweise um Theaterleiter in der Provinz. Heute nahezu vergessene Intendanten wie Willi Hanke (Münster/Nürnberg), Georg Hartmann (Dortmund/Duisburg) oder Erich Pabst (Augsburg/Münster) zeigten sich vor 1945 als glühende Hitler-Verehrer. Diese Verstrickung in das Dritte Reich schadete keinem von ihnen, im Gegenteil. Intendanzen wie diejenige von Paul Walter Jacob (in Klees Lexikon leider nicht vertreten), der 1950 die Leitung des Dortmunder Stadttheaters übernahm, nachdem er im argentinischen Exil die „Freie deutsche Bühne“ geleitet hatte, waren die Ausnahme.

Auch wenn in jedem Lexikon zwangsläufig einige Namen fehlen, ist es doch auffällig, dass es gerade einige wichtige Exilkünstler sind, die in Klees Werk unberücksichtigt bleiben. So sucht man vergeblich nach Kurt Jooss, der in den 1920er-Jahren das Tanztheater revolutionierte und 1933 ins britische Exil getrieben wurde, oder nach Schauspielern wie Oskar Homolka und Frederick Valk. Es scheint, als habe sich Klee in diesem Bereich allzu sehr auf Stars wie Peter Lorre, Elisabeth Bergner und Lilli Palmer konzentriert.

Auf der anderen Seite – nämlich auf der „Täterseite“ – hat Klee ungleich intensiver geforscht. Es ist ihm in diesem Bereich hoch anzurechnen, dass er sich hier eben nicht nur auf die Prominenz beschränkt, sondern auch unbekanntere Künstler genau unter die Lupe nimmt. Zu oben erwähntem Willi Hanke beispielsweise hat Klee einen wichtigen Aktenvorgang aus dem Bundesarchiv Lichterfelde ausgegraben (BArch, R55/72), der belegt, mit welcher Dreistigkeit und Beharrlichkeit Hanke sich über mehrere Jahre und unter Zuhilfenahme prominenter nationalsozialistischer Fürsprecher für seine Ernennung zum Generalintendanten einsetzte – und schließlich im September 1943 damit auch Erfolg hatte.

In die knappen aber informativen Lexikoneinträge integriert Klee immer wieder Zitate aus Nachrufen, Zeitungsartikeln, einschlägigen Akten oder den Goebbels-Tagebüchern. Die Kürze der Einträge lässt mitunter allerdings auch den Wunsch nach einer ausführlicheren Auseinandersetzung aufkommen. In seinem faszinierenden Artikel für „Die Zeit“ hat Ernst Klee unlängst bewiesen, dass es gerade in der Forschung zu Kunst und Holocaust noch einige Lücken zu füllen gibt.3 Die Kombination von Massenmord und „heiteren Abenden“ mit Operette und Goethe im Vernichtungslager Auschwitz beleuchtet einmal mehr die furchtbare Wahrheit von Hannah Ahrends These von der „Banalität des Bösen“.

Klee macht in seinem „Kulturlexikon“ aus seiner eigenen Überzeugung kein Geheimnis. Im Gegensatz zu „herkömmlichen“ Lexika zum Dritten Reich geht es ihm explizit um die Darstellung und Anprangerung von Unrecht. Die Wut über Kontinuitäten von Karrieren, die Uneinsichtigkeit oder das Abstreiten der eigenen Verstrickung ins Dritte Reich, vor allem aber über eine Gesellschaft, die an einer gründlichen Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit lange kein Interesse bekundete, ist Klee deutlich anzumerken. Dies führt zu mitunter allzu plakativen Bewertungen („Frontdichter“, „Kunsträuber“, „völkischer Publizist“). Auf der anderen Seite kann man Klees Empörung angesichts von Karrieren wie der von Kurt Knittel, SS-Unterführer und seit 1941 Organisator des Unterhaltungsprogramms in Auschwitz, der es nach dem Krieg bis zum Regierungsschulrat und Mitglied des Verwaltungsrats der Badischen Hochschule für Musik brachte, vollauf nachvollziehen.

Anmerkungen:
1 Drewniak, Boguslaw, Das Theater im NS-Staat. Szenarium deutscher Zeitgeschichte 1933-1945, Düsseldorf 1983. Als weitere brauchbare, aber vor allem auf Politik und Militär bezogene biographische Nachschlagewerke sind unter anderen zu nennen Weiß, Hermann (Hrsg.), Biographisches Lexikon zum Dritten Reich, Frankfurt am Main 2002, sowie Wistrich, Robert, Wer war wer im Dritten Reich: Anhänger, Mitläufer, Gegner aus Politik, Wirtschaft, Militär, Kunst und Wissenschaft (aus dem Englischen übersetzt von Joachim Rehork), München 1983.
2 Klee, Ernst, Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945? Frankfurt am Main 2003.
3 Klee, Ernst, Heitere Stunden in Auschwitz. Wie deutsche Künstler ihre mordenden Landsleute im besetzten Polen bei Laune hielten, in: Die Zeit vom 25. Januar 2007, S. 90.

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