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Titel
Grundfragen der Kulturgeschichte.


Autor(en)
Tschopp, Sylvia S.; Weber, Wolfgang E. J.
Reihe
Kontroversen um die Geschichte
Erschienen
Anzahl Seiten
152 S.
Preis
€ 16,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefan Zahlmann, Fachgruppe Geschichtswissenschaft, Universität Konstanz

Die „Grundfragen der Kulturgeschichte“ sind in der Reihe „Kontroversen um die Geschichte“ der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft erschienen. Nach Einzelbänden zu bestimmten Epochen der europäischen und deutschen Geschichte, darunter klassische Kernthemen des Geschichtsstudiums wie der Absolutismus oder die Weimarer Republik, nun also ein Band zu einem methodisch definierten Fachgebiet historischer Forschung, der Kulturgeschichte. Der Wechsel von kontrovers diskutierten Gegenständen historischen Interesses hin zu einer Disziplin, die nicht nur neue wissenschaftliche Gegenstandsbereiche erschlossen hat, sondern ihrerseits auch zum Gegenstand und Ausgangsort wissenschaftlicher Kontroversen wurde, verspricht eine spannende Lektüre. Denn bereits der von mir verwendete Begriff „Disziplin“ wird ja nicht von allen Anhängern oder Gegnern der Kulturgeschichte als deckungsgleich mit kulturgeschichtlichen Forschungsfeldern oder dem Status der Kulturgeschichte innerhalb der Fakultäten an deutschen Universitäten verstanden. Und ebenso umstritten sind die Bemühungen, einen tragfähigen Begriff der „Kultur“ selbst zu definieren. Silvia Serena Tschopp und Wolfgang E. J. Weber richten mit ihrer Veröffentlichung deshalb den Blick auf die Kontroversen, die sich sowohl am Gegenstandsbereich als auch am disziplinären Status der Kulturgeschichte entzündet haben.

Klar grenzen beide hierbei die Kulturgeschichte von der Kulturwissenschaft ab. Gemäß des geschichtswissenschaftlichen Charakters der Reihe und ihres eigenen wissenschaftlichen Verständnisses bestimmen sie Kulturgeschichte als „eine sich spezifischen disziplinären Zusammenhängen verdankende Diskursformation“ (S. 24). Eine eindimensionale Definition zum Begriff der Kulturgeschichte liefern die Autoren nicht. Dem Leser bietet sich vielmehr gleichsam eine Karte, auf der verschiedene Landschaften und topographische Besonderheiten des „Feldes“ Kulturgeschichte eingezeichnet werden, ihre Verbindungswege, theoretischen Verwerfungen, Höhenzüge – oder auch Sackgassen. Aber eine vorgeschriebene Route zu einem wie auch immer definierten Ziel (im Sinne eines banalen Verständnisses von „richtiger“ Kulturgeschichte) sucht man glücklicherweise vergebens.

Die beiden Augsburger Kulturhistoriker bieten in ihrem vom Umfang her knapp gehaltenen Band nicht nur einen breiten Überblick zu den unterschiedlichen Definitionen, Themen und Perioden der Kulturgeschichte sowie ihren nationalen und internationalen Entwicklungen. Zugleich vermitteln sie einen Einblick in die theoretische und methodische Komplexität ihres Gegenstandsbereichs. Der Band besteht aus drei Teilen: Im ersten Teil skizziert Weber zunächst die historische Entwicklung der Kulturgeschichte in der europäischen Neuzeit und ihre Themenfelder. Diese kurze Geschichte der Kulturgeschichte verfolgt Weber bis in die Gegenwart und lässt sie mit Hinweisen auf alte und neue Gegner enden: Geschichtswissenschaftliche Positionen, die angesichts der heterogenen Erscheinungsweise aktueller Kulturgeschichte deren unbestreitbare Widersprüche und problematische Implikationen zum Gegenstand ihrer Kritik machen – ohne jedoch ihrerseits ein überzeugendes Profil als Alternative zu gewinnen. Daran schließt Weber eine Darstellung der wissenschaftlichen Teilgebiete der Kulturgeschichte und ihrer Themenfelder an. In diesem Zusammenhang weist er darauf hin, dass sich kulturgeschichtliche Themen oft „quer“ zu ihren wissenschaftlichen Teilgebieten entwickelt haben und eine Anschlussfähigkeit an andere geistes- und sozialwissenschaftliche Disziplinen bieten (und zuweilen wohl auch benötigen). Hier spricht Weber zahlreiche kulturgeschichtliche Forschungspositionen an und bietet Verweise auf entsprechende Literatur, darunter mittlerweile schon „klassisch“ zu nennende Standardwerke. Den Abschluss des Kapitels bildet ein leidenschaftliches Plädoyer dafür, die „zugleich emotionale oder affektive bis ‚irrationale’, spontane und rationale Natur des Menschen“ wissenschaftlich anzuerkennen (S. 23). Dem strikt rationalistisch verstandenen homo oeconomicus sei der homo culturalis gegenüberzustellen – und dieses alternative Menschenbild sei der Kulturgeschichte als Verdienst anzurechnen.

Die von Weber bereits angedeuteten oder skizzierten wissenschaftsgeschichtlichen Konflikte, denen sich die Kulturgeschichte stellen musste und noch immer stellt, werden von Tschopp weiter ausgeführt und zugleich durch eine Darstellung der Kontroversen innerhalb der Kulturgeschichte selbst ergänzt. Ausgangspunkt dieses zweiten Teiles der Veröffentlichung ist der Kulturbegriff der Kulturgeschichte. Aufbauend auf diesen definitorischen Überlegungen stellt Tschopp Gegenstände und Methoden kulturgeschichtlicher Forschung vor – chronologisch orientiert an den historischen Entwicklungen und Erscheinungsformen der Kulturgeschichte als rotem Faden. Die immense Breite und wechselseitige Verflechtung der dabei zu nennenden Definitionen und Positionen geschickt auszuwählen und zugleich die Grenzen der Beschränkung auf „das Wesentliche“ weit zu überschreiten, muss als Leistung Tschopps besonders herausgestellt werden. Die – wie schon zuvor im ersten Teil von Weber – niemals einseitig unkritische Sicht auf die Kulturgeschichte selbst ermöglicht dem Leser den Nachvollzug der Unvermeidbarkeit und Notwendigkeit der Kontroversen etwa um Karl Lamprecht oder der Auseinandersetzungen mit der ebenfalls komplexen Sozialgeschichte.

Außerordentlich erfreulich ist, dass wichtige Arbeiten deutscher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wie Ute Daniel, Stefan Haas und Andreas Reckwitz in angemessener Form in den skizzierten Forschungszusammenhang eingeordnet werden.1 Damit stellen die Autoren auch eigenständige deutsche Positionen in den internationalen Dialogen um die Kulturgeschichte heraus und bleiben nicht bei einer (erneuten) Diskussion „klassischer“ Theorien und Autoren aus dem französischen oder angloamerikanischen Sprachraum stehen, deren Wirkung leider nur allzu oft mit einem „hierzulande aufgegriffen von“ abgehakt wird. Der besondere Schwerpunkt auf deutschen Debatten ist hierbei keine nationalistische Nabelschau, sondern bereits ein Ergebnis der im Reihentitel akzentuierten Problemstellung: Denn deutsche Wissenschaftler scheinen sich mit ungleich höherer Vehemenz als ihre Kollegen in anderen Staaten an den Kontroversen um die Kulturgeschichte zu beteiligen (S. 25).

Den Abschluss dieses Kapitels bildet eine Übersicht zu Quellen und Methoden kulturgeschichtlicher Forschung. So simpel wie die hier zu nennenden Quellengruppen der „Texte“, „Bilder“ oder „Handlungen“ auf den ersten Blick erscheinen – hier eröffnen sich dem Leser die Unterschiede zu anderen historischen Forschungsrichtungen ebenso eindrucksvoll wie die heftig umstrittenen Definitionen, methodischen Zugänge und das weit gefächerte Erkenntnisinteresse gegenwärtiger kulturgeschichtlicher Forschungen. Den dritten Teil des Bandes bilden eine systematische Bibliographie und ein Namensregister.

Stand in einer anderen, vor drei Jahren erschienenen Einführung eine an spezifischen Kernthemen orientierte Würdigung der Kulturgeschichte und ihrer Erkenntnismöglichkeiten im Mittelpunkt2, so bietet der vorliegende Band eine gleichsam synoptische Perspektive auf Themen und Theorien der Kulturgeschichte. Beide Veröffentlichungen sind auch sprachlich sehr gelungen. Die größte Stärke des Buchs von Tschopp und Weber ist neben der leicht verständlichen Diktion die äußerst kompakte Form. Angesichts der mittlerweile unüberschaubaren kulturgeschichtlichen und -theoretischen Forschungsliteratur bieten die Autoren damit einen perfekten Einstieg für interessierte Studierende und Lehrende. Das Layout des Bandes, ein zweispaltiger Seitenaufbau mit stichwortartigen Orientierungshilfen in der jeweils schmaleren äußeren Spalte und ein für eine wissenschaftliche Überblicksdarstellung attraktiver Preis dürften ein Übriges dazu beitragen, dass diese Veröffentlichung zahlreiche Leser finden wird.

Anmerkungen:
1 Daniel, Ute, Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter, Frankfurt am Main 2001; Haas, Stefan, Historische Kulturforschung in Deutschland 1880–1930. Geschichtswissenschaft zwischen Synthese und Pluralität, Köln 1994; Reckwitz, Andreas, Die Transformation der Kulturtheorien. Zur Entwicklung eines Theorieprogramms, Weilerswist 2000.
2 Lutter, Christina; Szöllösi-Janze, Margit; Uhl, Heidemarie (Hrsg.), Kulturgeschichte. Fragestellungen, Konzepte, Annäherungen, Wien 2004 (siehe dazu meine Rezension: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-1-080>). Natürlich wären aus der Debatte um die „neue“ Kulturgeschichte auch zahlreiche weitere, im besprochenen Buch zum großen Teil berücksichtigte Titel zu nennen.

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