Vor dem Eingang zum Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München steht eine bronzene Pferdeplastik auf einem steinernen Sockel. Es handelt sich um das „Denkmal der deutschen Kavallerie 1870–1945“. Auf dem rechten vorderen Huf sind die Künstlersignatur und die Datierung angebracht: „Bernh. Bleeker 1960.“ Über den Bildhauer Bernhard Bleeker (1881–1968) ist in den Akten im Bayerischen Hauptstaatsarchiv unter anderem seine Teilnahme an den „Großen Deutschen Kunstausstellungen“ nachzulesen, den Leistungsschauen der bildenden Kunst im Nationalsozialismus. Überdies erhielt er zahlreiche Aufträge während des NS-Regimes und wurde 1944 in die Liste der „gottbegnadeten“ Künstlerinnen und Künstler aufgenommen, die während des Zweiten Weltkriegs vom Front- und Arbeitseinsatz freigestellt blieben. Die Ausstellung „Die Liste der ‚Gottbegnadeten‘. Künstler des Nationalsozialismus in der Bundesrepublik“ im Deutschen Historischen Museum (DHM) fokussiert, ausgehend von diesem Verzeichnis, Bildwerke im (halb-)öffentlichen Raum – wie Bleekers Plastik von 1960 – und die sich darin manifestierenden Künstlerkarrieren der Nachkriegszeit.
Abb. 1: Das „Denkmal der deutschen Kavallerie 1870–1945“ (1960) von Bernhard Bleeker vor dem Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München. Für weitere Bilder dieses Objekts siehe auch https://storage.googleapis.com/dhm-gottbegnadete/6qv8WcJPDT9eaFVv/index.html#/works/NbvgG2rz2PlMTveIrSPx (06.10.2021).
(Foto: Deutsches Historisches Museum, Eric Tschernow)
Konzeptionell ist die Ausstellung das Pendant zur zwei Monate zuvor im DHM eröffneten Schau „documenta. Politik und Kunst“ (noch bis zum 9. Januar 2022: https://www.dhm.de/ausstellungen/documenta-politik-und-kunst/#/, 03.10.2021). Den zeitlichen, geografischen und politischen Rahmen definiert die erstmals 1955 veranstaltete documenta: Im Kern beider Ausstellungen geht es um bildkünstlerische und kulturpolitische Praktiken in der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg – und um deren Akteure. Während in der documenta-Ausstellung die Verschränkungen von Kunst, politischem Kalkül und kunsthistorischer Kanonbildung betrachtet werden, untersucht die Ausstellung zu den „Gottbegnadeten“ diejenigen Künstler, die jenseits dieses Kanons künstlerisch tätig waren und an ihre Karrieren im Nationalsozialismus anknüpften. Sie arbeiteten nach 1945 weiterhin gegenständlich, wurden mit prestigeträchtigen Aufträgen bedacht, lehrten an Kunstakademien, wurden mit Preisen und Förderungen geehrt. Die sich über zwei Etagen entwickelnde Schau ist in drei Kapitel strukturiert: „Die ‚Gottbegnadeten‘ im NS-Kunstbetrieb“, „Auftragskunst und Netzwerke nach 1945“ sowie „Ausstellungen und Reaktionen nach 1945“. Im Vorwort zum Katalog nennt Raphael Gross, der Präsident der Stiftung Deutsches Historisches Museum, sehr klar eine zentrale Erkenntnis: „In der Kunst gab es nach dem Ende der NS-Herrschaft genauso wenig eine ‚Stunde Null‘ wie in fast allen anderen Bereichen der deutschen und auch österreichischen Gesellschaft.“ (S. 11)
Das erste Kapitel der Präsentation befasst sich mit den Rahmenbedingungen für die Kunstproduktion in der Zeit des Nationalsozialismus und führt die später genauer vorgestellten Künstler ein. Die drei Sektionen des Ausstellungskapitels – „Die ‚Gottbegnadeten-Liste‘“, „Kunstpolitik im Nationalsozialismus“ und „Großprojekte im Nationalsozialismus“ – sind räumlich und inhaltlich eng miteinander verwoben. Ausgangspunkt der von Wolfgang Brauneis, unter Mitarbeit von Ambra Frank und Swantje Greve, kuratierten Schau ist die Liste der „Gottbegnadeten“, die im September 1944 auf Initiative von Adolf Hitler und Joseph Goebbels erstellt wurde. Ein Auszug aus der Liste wird am Beginn der Ausstellung in einer Vitrine präsentiert (die Gesamtliste liegt zum Durchblättern als Reproduktion aus). Darauf sind die Namen von Schriftstellern, bildenden Künstlern und Musikern zu lesen. Die dazugehörige Texttafel erklärt: „378 Künstlerinnen und Künstler aus den Bereichen Literatur, Musik, Bildende Kunst und Theater wurden […] von Wehrdienst und Arbeitseinsatz im Rüstungsbetrieb freigestellt“, darunter 114 Bildhauer und Maler (ausschließlich Männer). Grundlage der „Gottbegnadeten“-Liste sei, so heißt es in dem Text weiter, die sogenannte „Führerliste“ gewesen, die bereits zu Kriegsbeginn diejenigen Künstlerinnen und Künstler verzeichnete, die als „unabkömmlich“ vom Militärdienst ausgenommen werden sollten.
Abb. 2: Blick in den ersten Ausstellungsraum mit einem Auszug aus der Liste der „Gottbegnadeten“ im Vordergrund
(Foto: Deutsches Historisches Museum, Yves Sucksdorff)
Die Sektion „Kunstpolitik im Nationalsozialismus“ beleuchtet pointiert Entwicklungen und Ereignisse, darunter die Verfolgung von Künstlerinnen und Künstlern aufgrund der „Rassegesetze“, die Ablehnung von modernen und sozialkritischen Positionen sowie das Verbot der als „jüdisch“ verfemten Kunstkritik. Nahtlos grenzt hieran die Sektion zu künstlerischen Großprojekten. Die Ausstellung bespricht im Einzelnen: die Festumzüge am 1937 eingeführten „Tag der Deutschen Kunst“; die „Großen Deutschen Kunstausstellungen“ der Jahre 1937 bis 1944; die Dekorationsprogramme am „Haus der Deutschen Kunst“ in München und an der Neuen Reichskanzlei in Berlin; umfassende Skulpturenprogramme am Berliner Reichssportfeld, an der NS-Ordensburg Vogelsang und am Nürnberger Reichsparteitagsgelände. Mehrere Künstler aus der Liste der „Gottbegnadeten“ waren an diesen Vorhaben als Bauplastiker, künstlerische Leiter oder Grafiker beteiligt, darunter Hermann Kaspar, Richard Klein, Willy Meller, Josef Thorak und Josef Wackerle.
Das umfassendste und bedeutendste Ausstellungskapitel „Auftragskunst und Netzwerke nach 1945“ beleuchtet exemplarisch am Beispiel von acht Bildhauern und vier Malern aus fünf Regionen die künstlerische Produktion der einst „Gottbegnadeten“ in den frühen Nachkriegsjahrzehnten. Übersichtlich strukturiert können nacheinander die Sektionen zu Bayern, Ruhrgebiet, Rheinland, Berlin und Österreich durchschritten werden, welchen die ausgewählten Künstler zugeordnet sind. Es seien hier die ersten drei Regionen etwas genauer vorgestellt.
Abb. 3: Raumansicht der Ausstellungssektion „Auftragskunst und Netzwerke: Bayern“. Links: Gobelin „Die Frau Musica“ (1969) von Hermann Kaspar aus der Nürnberger Meistersingerhalle.
(Foto: Deutsches Historisches Museum, Yves Sucksdorff)
Den Ausstellungsraum zu Bayern dominiert der Gobelin „Die Frau Musica“ (1969) von Hermann Kaspar (1904–1986), der seit 1970 die Meistersingerhalle in Nürnberg schmückt. Rechts neben dem Original ist eine großformatige Fotoreproduktion von der Enthüllung des Gobelins zu sehen (dieses Bild ist zugleich das Covermotiv des Katalogs). Manche der größtenteils in Rückenansicht aufgenommenen Anwesenden führen Gespräche miteinander, andere blicken zum soeben enthüllten Wandbehang. Die Verwendung von solchen historischen Fotografien ist Teil des Konzepts, zumal sich viele bildhauerische Arbeiten weiterhin im öffentlichen Raum befinden und nicht ins Museum transportiert werden können. Schaut man sich in der Ausstellung um, fällt auf, dass die besprochenen Kunstwerke auf den Fotos fast nie isoliert erscheinen. Stets sind sie von Menschen umgeben. Häufig sind es die Künstler selbst, die beim Arbeiten oder bei einer Atelierbegehung mit Gästen fotografiert wurden. Meistens jedoch, wie bei Kaspars „Die Frau Musica“, werden die Kunstwerke bei ihrer Enthüllung oder Aufstellung gezeigt, in Anwesenheit eines größeren Publikums. Die Besucher:innen im DHM schauen den zeitgenössischen Betrachter:innen gewissermaßen beim Betrachten zu. Neben den Künstlerkarrieren und -netzwerken versucht die Ausstellung deren öffentliche Wahrnehmung sichtbar zu machen. Zu allen näher vorgestellten Künstlern hat das Ausstellungsteam zudem zeitgenössische Pressestimmen recherchiert und präsentiert in den Vitrinen historische Zeitungen, Magazine und Broschüren. So auch zu „Die Frau Musica“: 1965 begann eine Debatte um den Auftrag für den Gobelin, nachdem ein Journalist über die prominente Rolle Kaspars im NS-Kulturbetrieb geschrieben hatte. Drei Jahre später gestalteten Studierende der Kunstakademie München eine Ausstellung zum Thema. Auf einer Fotografie ist zu sehen, wie Kaspar die mit Hakenkreuzen beschmierte Tür zu seinem Atelier betritt. Seine Klasse hielt aber zu ihrem Professor: „Alle fordern Mitbestimmung / WIR AUCH / Die Klasse Kaspar hat sich für Professor Kaspar entschieden“, formulierten seine Student:innen auf einem Flugblatt.
Im nächsten Raum werden Willy Meller (1887–1974) und Adolf Wamper (1901–1977) stellvertretend für die einst „Gottbegnadeten“ im Ruhrgebiet präsentiert. Dem Bildhauer Meller, der zu Beginn der Ausstellung mit seinen Figurenprogrammen für das Reichssportfeld und die NS-Ordensburg Vogelsang vorgestellt wurde, begegnet man hier mit gänzlich anderen Bildthemen. 1962 erhielt Meller die Zusage für die Skulptur „Die Trauernde“, welche vor den Gedenkräumen an die Opfer des Nationalsozialismus in Oberhausen aufgestellt wurde – der ersten mit einer Dauerausstellung verbundenen NS-Gedenkstätte in der Bundesrepublik. Zuvor hatte Meller in seiner Skulpturengruppe „Die Opfer“ (1950–1955) die Zeit des Zweiten Weltkriegs in der Stadt Frechen künstlerisch verarbeitet. „In den 2000er Jahren regte sich öffentlicher Unmut […] und die Geschichte des Denkmals sowie die Biografie Mellers wurden kritisch aufgearbeitet“, heißt es über „Die Trauernde“ im Begleitband (S. 129). Mit einer Ausstellung und einer Informationstafel kontextualisiert die Stadt Oberhausen die Skulptur heute.
Abb. 4: Blick in die Ausstellungssektion „Auftragskunst und Netzwerke: Rheinland“. Im Vordergrund: Rückenansicht der „Pallas Athene“ von Arno Breker (1956/57); im Hintergrund links das Gemälde „Allegorie des Friedens“ von Werner Peiner (1954) und rechts die „Büste von Karl Marx“ von Hans van Breek [Hans Breker] (1949).
(Foto: Darja Jesse)
Von solchen jüngeren Auseinandersetzungen mit Kunstwerken der ehemals „Gottbegnadeten“ wird in der Ausstellung und im Begleitband häufig berichtet – so auch über Arno Brekers Bronze „Pallas Athene“, die in der Sektion „Rheinland“ zu sehen ist. Aufgestellt wurde sie 1957 vor einem Gymnasium in Wuppertal. In den frühen 2000er-Jahren entbrannte eine öffentliche Debatte über den künftigen Umgang mit der Plastik. Es sei nun geplant, „die Skulptur durch ein künstlerisches Gegenstück zu ‚entschärfen‘“, ist im Begleitband zu lesen (S. 59). Mit dem Bildhauer Arno Breker (1900–1991) und dem Maler Werner Peiner (1897–1984) begegnen den Besucher:innen in dieser Ausstellungssektion zwei der prominentesten Akteure des nationalsozialistischen Kunstbetriebs. Weniger bekannt ist Hans Breker, der nach dem Krieg unter dem Pseudonym Hans van Breek eine Professur an der Staatlichen Hochschule für Baukunst und Bildende Künste in Weimar innehatte. Aus dieser Zeit stammt die in der Ausstellung präsentierte Büste von Karl Marx. Die Weimarer Professur gab Hans Breker 1954 auf, um seinem Bruder Arno nach Düsseldorf zu folgen. Beide erhielten dort zahlreiche öffentliche und private Aufträge.
In den fünf ausgewählten Regionen, so die Leitidee dieses Ausstellungskapitels, konnten die Künstler nach 1945 besonders gut auf die Netzwerke aus der Zeit des Nationalsozialismus zurückgreifen. Teils vermittelten ehemals „gottbegnadete“ Architekten einst „gottbegnadeten“ Bildhauern Aufträge für Kunst am Bau. Aber auch im akademischen Betrieb und in der freien Wirtschaft konnten die Künstler ihre Netzwerke bruchlos weiterpflegen. Dass diese regionalen Netzwerke nicht hermetisch abgeschlossen waren, versinnbildlichen in der zurückgenommenen und durchdachten Ausstellungsarchitektur die Durchblicke zwischen den einzelnen Themenbereichen. Sie können als räumliche Metapher für zeitliche Kontinuitäten, personelle Überschneidungen und durchlässige Strukturen verstanden werden. Etwas aus dem Blick gerät allerdings, dass etliche „Gottbegnadete“ nicht nur im NS-Regime und in der Bundesrepublik künstlerisch tätig waren, sondern bereits vor 1933 als etablierte Künstler galten. Manchen gelang es, in drei oder gar vier politischen Systemen künstlerische Erfolge zu erzielen. Zu solchen zählt der eingangs erwähnte Bernhard Bleeker, der bereits 1922 als ordentlicher Professor an die Akademie der Bildenden Künste München berufen wurde und etliche Werke vor 1933 schuf. Dies wirft die Frage auf, ob die diskutierten Netzwerke der Nachkriegszeit nicht wenigstens zum Teil noch auf die Schaffensphasen vor dem NS-Regime zurückzuführen sind.
Das dritte Kapitel, „Ausstellungen und Reaktionen nach 1945“, thematisiert die Sichtbarkeit der vorgestellten Künstler und die Wahrnehmungsgeschichte ihres Schaffens. Zwei großformatige Ölgemälde des Marinemalers Claus Bergen (1885–1964) spiegeln die Ambivalenzen dieser Rezeptionsgeschichte wider. Das Gemälde „Schwerer Kreuzer ‚Prinz Eugen‘ im Gefecht in der Dänemarkstraße“, welches 1944 auf der „Großen Deutschen Kunstausstellung“ in München präsentiert und dort von Adolf Hitler angekauft worden war, wurde nach Kriegsende im Rahmen der Entnazifizierungsmaßnahmen als Propagandakunst von der US-Armee konfisziert und in die USA verbracht. Kriegsverherrlichende Bilderwelten aus dem Nationalsozialismus sollten den Werten einer künftigen demokratischen Gesellschaft möglichst nicht im Weg stehen. Dass solche traditionellen Sujets der Marinemalerei, wie Bergen sie bevorzugte, jedoch nicht nur weiterhin produziert wurden, sondern auch den Publikumsgeschmack trafen, wird an dem daneben präsentierten Gemälde „Das letzte Gefecht der ‚Bismarck‘“ ersichtlich. Es wurde von Bergen 1949 fertiggestellt und gelangte als Schenkung des Industriellen Hermann Reusch 1963 an die Marineschule Flensburg-Mürwik, wo es bis heute zu sehen ist.
Abb. 5: Blick in das Ausstellungskapitel „Ausstellungen und Reaktionen nach 1945“. Links: Claus Bergens Gemälde „Das letzte Gefecht der ‚Bismarck‘“ (1949) und „Schwerer Kreuzer ‚Prinz Eugen‘ im Gefecht in der Dänemarkstraße“ (vor 1944). Rechts: Arno Brekers Porträtbüsten von Peter und Irene Ludwig (1986).
(Foto: Darja Jesse)
Auch die in den 1980er-Jahren durch zwei Porträtbüsten Arno Brekers ausgelöste und verbissen geführte Debatte um die Ausstellbarkeit jener Künstler, die während des Nationalsozialismus Karrieren gemacht hatten, wird in der Schau thematisiert. Der Bildhauer porträtierte 1986 das Ehepaar Peter und Irene Ludwig, welches das Museum Ludwig in Köln mit einer umfangreichen Kunstsammlung der Klassischen Moderne gestiftet hatte. Im Neubau des Museums sollten auch Brekers Büsten aufgestellt werden, was zu einer langen Auseinandersetzung um moralische und ästhetische Kategorien führte, an der sich neben Peter Ludwig zahlreiche Vertreter:innen aus Museen, Universitäten und dem Kunstbetrieb beteiligten.
Am lebendigsten werden die Auseinandersetzungen mit den inzwischen allesamt verstorbenen „Gottbegnadeten“ in historischen Fernsehinterviews mit den Künstlern. Dieses nur mühevoll aufzufindende Videomaterial bereichert verschiedene Ausstellungssektionen. Es erinnert daran, dass die Künstler noch vielfältig aktiv waren, als in den 1960er-/1970er-Jahren die ersten Bücher und Ausstellungen zur Kunst im Nationalsozialismus erschienen. Ein besonders eindrückliches Beispiel für das Selbstverständnis vieler ehemals „Gottbegnadeter“ ist das Fernsehinterview des Westdeutschen Rundfunks mit Werner Peiner 1975, der sich darin als „Emigrant in [seinem] Vaterlande“ stilisierte, von „deutschem Zusammenbruch“ sprach und mit Blick auf seine Werke darüber sinnierte, dass bei einem anderen Ausgang des Zweiten Weltkrieges „diese Seite der Kunst tragend geworden“ wäre.
Abschließend richtet die Ausstellung den Blick nach draußen. Als Projektionen sind im letzten Raum Fotografien von etwa 300 Kunstwerken der einst „gottbegnadeten“ Künstler an ihren heutigen Standorten im öffentlichen Raum zu sehen – die Bilder wurden im Rahmen des Ausstellungsprojekts eigens angefertigt. Jederzeit einsehbar ist der Fotobestand online auf einer interaktiven Karte, die künftig um zusätzliche Funktionen und Kunstwerke erweitert werden soll (https://storage.googleapis.com/dhm-gottbegnadete/6qv8WcJPDT9eaFVv/index.html#/, 06.10.2021). Darin werden weitere Kontexte, Motive und Materialien ersichtlich: banal erscheinendes Bau- oder Stadtraumdekor (wie der Einhorn-Brunnen von Hermann Geibel aus dem Jahr 1956 in Darmstadt), aber auch zahlreiche symbolpolitische Auftragswerke. Dies schärft den Blick für die Kunst im öffentlichen Raum sowie die dahinter liegenden historischen und politischen Dimensionen.
„Die Liste der ‚Gottbegnadeten‘“ ist die erste Ausstellung zu erfolgreichen Künstlern des Nationalsozialismus, die sich dezidiert deren Nachkriegskarrieren widmet. Damit wagt sie sich in einen bislang weitgehend unerforschten Bereich und legt zugleich akademische Leerstellen offen. Es fehlen in erster Linie monografische Untersuchungen zu vielen der hier vorgestellten Künstler. Ein Forschungsdesiderat ist zudem eine diskurshistorische Einordnung der unterschiedlichen Debatten aus vier Nachkriegsjahrzehnten rund um die Kunst aus dem Nationalsozialismus – Debatten, die in der Ausstellung nur schlaglichtartig beleuchtet werden konnten. Womöglich regt die Schau die Forschung dazu an, eine umfassende quellenbasierte Diskursgeschichte zu erarbeiten, welche die Bereiche Politik, Gesellschaft, Kunstmarkt und Kunstgeschichte vereint. Mit den Rechercheergebnissen zu den ausgewählten Künstlern, aber auch mit den digital erfassten Objekten bietet die Ausstellung einen kaum zu überschätzenden Beitrag zur Grundlagenforschung.