Echt alt! Mittelalterliches Handwerk ausgegraben

Echt alt! Mittelalterliches Handwerk ausgegraben

Veranstalter
LWL-Freilichtmuseum Hagen
Ort
Hagen
Land
Deutschland
Vom - Bis
06.05.2018 - 31.10.2018

Publikation(en)

Cover
Echt alt!. Mittelalterliches Handwerk ausgegraben: Sonderausstellung im LWL-Freilichtmuseum Hagen Westfälisches Landesmuseum für Handwerk und Technik. Ausstellungskatalog. Hagen 2018 , ISBN 9783926190376
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Julia Bruch, Historisches Institut, Mittelalterliche Geschichte, Universität zu Köln

Die diesjährige Sonderausstellung im "LWL-Freilichtmuseum Hagen. Westfälisches Landesmuseum für Handwerk und Technik" widmet sich unter dem Titel „Echt alt! Mittelalterliches Handwerk ausgegraben“ den mittelalterlichen Handwerken und Handwerkern. Die Ausstellung fand im Sonderausstellungsgebäude auf dem weitläufigen Areal des LWL-Freilichtmuseums Hagen statt, das das Westfälische Landesmuseum für Handwerk und Technik beheimatet. Zeitlicher Sammlungsschwerpunkt des Museums ist die Neuzeit (vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in die 1960er-Jahre), eine Ausstellung zum mittelalterlichen Handwerk lag da auf den ersten Blick nicht sehr nahe, zumal das Museum keine eigenen Exponate aus dieser Zeit besitzt. Auf den zweiten Blick passt die Betrachtung der Wurzeln des neuzeitlichen Handwerks in einer Sonderausstellung allerdings sehr gut, da auf die Verknüpfung mit den eigenen, zeitlich späteren Exponaten und Schauwerkstätten ein Schwerpunkt gelegt wurde. So wurden vor allem Handwerke gezeigt, die Entsprechungen in der Dauerausstellung haben.

In sieben Räumen zeigt das Museum zum Thema „mittelalterliches Handwerk ausgegraben“ Exponate von LeihgeberInnen aus der Region Westfalen, ein Vorraum und ein Raum zum Schluss rahmen die Ausstellung mit lebensweltlichen Bezügen. Die kenntnisreich ausgewählten Leihgaben sind in ein umfangreiches und vielschichtiges Konzept eingebettet. Die BesucherInnen starten in einem Raum mit Straßenschildern, die Namen von Handwerken tragen (wie „Gerberaue“ oder „Cordulanergasse“) und beenden den Rundgang in einem Raum mit europäischen Nach- und Familiennamen, die auf Handwerken basieren (wie „Schmied“, „Smith“, „Kowalski“ etc.). Diese Rahmung ist gut gelungen, indem die Ausstellung im alltäglichen Leben einsetzt und endet und das Thema dadurch für alle BesucherInnen greifbar macht.

Der erste Raum mit Exponaten steht unter dem Thema „Orte des Handwerks“ und zeigt eindrücklich – an aktuelle Forschung im Lichte des spacial turn anknüpfend –, dass Handwerk nicht nur in der mittelalterlichen Stadt zu finden war, sondern auch in den Klöstern, auf den Burgen und im ländlichen Bereich. In diesem Raum zeigen sich die großen Stärken, aber auch die Schwächen der Ausstellung. Geht man mit einer Gruppe durch die Ausstellung, sind die Räume sehr klein, die Exponate, Informationstafeln und -fahnen, das zusätzliche Material und die Mitmachstationen sind sehr dicht und eng gedrängt. Diese Dichte der Information auf kleinem Raum kann überfordernd wirken. Die räumliche Enge ist jedoch vor allem dem Gebäude mit relativ kleinen Zimmern geschuldet. Mit dem begrenzten Raum ist man kreativ umgegangen und nutzt nicht nur die Wände zum Transport von Zusatzinformationen, sondern auch die Böden und oft beidseitig bedruckte, mobile Tafeln, die die BesucherInnen in die Hand nehmen können und sollen.
Die Exponate sind mit Kärtchen versehen, die umfangreiche Informationen bieten; hier wurde dem Trend, möglichst wenig Text bei den Exponaten zur Verfügung zu stellen, nicht gefolgt. Dies ist sinnvoll, da ein nicht archäologisch ausgebildeter Laie ohne diese Informationsfülle viele Exponate nicht hätte einordnen können. Die Ausstellung besteht nämlich vorwiegend aus ergrabenen Exponaten (beispielsweise Rohstoffen wie Erze, Halbfabrikaten, fragmentarische erhaltenen Werkzeugen oder Abfallprodukten wie Lohe), die alleingenommen oft nicht sehr aussagekräftig sind und einer Kontextualisierung bedürfen. Zusätzlich werden weitere Informationsangebote gemacht, die ohne jede digitale oder Audiovermittlung auskommen (auch animierte Darstellungen werden nur gezielt eingesetzt).

Eine gelungene Verknüpfung zwischen Sonder- und Dauerausstellung ist dadurch gegeben, dass die BesucherInnen sich in der Ausstellung an bestimmten Punkten Postkarten mitnehmen können, die mit Abbildungen auf Stationen der Dauerausstellung verweisen. Ein Schwerpunkt des Ausstellungskonzeptes besteht darüber hinaus in der Vermittlung archäologischer Methoden und Fundkategorien, die mittels mobiler Tafeln erfolgt. Archäologische Methoden wie Dendrochronologie, Archäometallurgie, Archäobotanik, Archäozoologie und Stratigraphie und der Umgang mit Funden wie Keramik werden erklärt. Für die (kleineren) BesucherInnen gibt es Mitmachstationen, die dazu einladen sollen, das vermittelte Wissen zu vertiefen und durch eigenes Erfahren Sachverhalte besser zu verstehen (etwa mittels eines Keramikpuzzles oder eines Blickes durch ein Mikroskop). Besonders zu erwähnen ist hier die Mitmachstation zum Bauhandwerk, bei der BesucherInnen versuchen können, einen (Tor-) Bogen mit Holzklötzen zu bauen.

Die weiteren Räume stehen jeweils für eine Handwerkskategorie: Bauhandwerke, Schmiede, Buntmetallhandwerke, Töpferei, Knochenschnitzerei und Lederverarbeitung. Die Metallverarbeitung ist dabei das zentrale Thema und spiegelt so die Dauerausstellung wider. Knochenschnitzerei und Töpferei sind die beiden Handwerke, die keine Entsprechung in der Dauerausstellung haben.

Ob man die gesamte Informationsfülle erfassen kann, die in der Ausstellung ansprechend und mit mittelalterlichen Abbildungen oder graphischen Darstellungen und Karten gezielt bebildert ist, mag bezweifelt werden, gelenkt durch ein farbliches Konzept und verschiedene Materialien kann jedoch jede Besucherin/ jeder Besucher für sich einen Schwerpunkt setzen. Zudem handelt es sich bei den Exponaten um alltägliche Gegenstände aus der mittelalterlichen Arbeits- und Lebenswelt, die in anderen Mittelalterausstellungen, die den Fokus sehr häufig auf die politischen, sozialen und religiösen Führungseliten legen, gerne untergehen. Unter ihres gleichen finden sie in dieser Ausstellung zum Handwerk eine Aufwertung.

Zur Ausstellung ist ein Begleitband erschienen, der vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe und dem "LWL-Freilichtmuseum Hagen. Westfälisches Landesmuseum Handwerk und Technik" in der hauseigenen Reihe „Forschungsbeiträge zu Handwerk und Technik“ herausgegeben wurde. Der Katalog legt seinen Schwerpunkt auf materielle Relikte des mittelalterlichen Handwerks und die meisten Beiträge haben einen archäologischen Schwerpunkt (S. 5). Ausgewertet wurden Bodenfunde aus Produktions- und Werkstätten, Werkzeuge, Halbfertig- und Endprodukte, Produktionsausschüsse, Rohstoffe, Abfälle (S. 8). Der Katalog bietet so für aktuelle Fragen der (Wirtschafts-) Geschichte, die sich nach dem so genannten material turn verstärkt den Dingen zuwendet, reichhaltige Anknüpfungspunkte. Genremäßig bedingt sind in dem Katalog viele und erfreulicherweise qualitativ hochwertige Abbildungen enthalten. Für die Historikerin/ den Historiker befremdlich ist die Entscheidung, innerhalb der Aufsätze auf Fußnoten zu verzichten. Die historische Forschung wird sich schwertun, die Forschungsergebnisse zu rezipieren, wenn der Nachweis zwar in Literaturverzeichnissen am Ende der Aufsätze zu finden ist, die einzelnen Ergebnisse aber mangels direkten Verweises nicht genau nachvollzogen werden können. Zudem scheint es, die Literaturlisten seien durch die HerausgeberInnen beschränkt worden, finden sich doch bei zwei Aufsätzen der Hinweis, man könne weitere Literatur zum Thema erfragen (S. 92, 190). Das Ausstellungskonzept findet sich in der Auswahl der Beiträge wieder: Zuerst werden die Stätten des mittelalterlichen Handwerks besprochen (leider ohne die Klöster), danach einzelne Handwerke, die ihre Entsprechung in der Ausstellung haben.

Der Katalog fokussiert wie die Ausstellung auf die westfälische Landesgeschichte, verständlich dabei ist, dass auch die einleitenden Artikel auf diesen Bereich ihr Augenmerk setzen. Dennoch wäre eine Anknüpfung an aktuelle Forschungsansätze wünschenswert gewesen, wenn auch dafür der regionale Blick hätte geweitet werden müssen. So finden etwa die neueren Forschungsergebnisse zur sozialen Heterogenität des Handwerks und der Einbindung von Frauen wenig Beachtung.1 Besonders gelungen hingegen ist die Entscheidung, 20 Exponate herauszugreifen und diesen jeweils eine Doppelseite zu widmen. Besonders hervorzuheben sind zwei Aufsätze von Johannes Müller-Kissing zum Handwerk auf der Burg (Falkenburg bei Detmold) und von Elke Treude zum Handwerk im Dorf (Wüstung Barkhof im Kreis Lippe), werden doch diese beiden Stätten handwerklicher Produktion zugunsten der Städte in der Regel vernachlässigt. Beide Aufsätze besprechen zum Teil unveröffentlichte Grabungsfunde und -befunde und bieten wichtige Erkenntnisse für Fragen nach den Räumen des Handwerks, nach Arbeitsteilung, Laienarbeit bzw. Eigenproduktion, Anwerbung von Spezialisten und Einkauf von außerhalb. Auch die neun Aufsätze zu den einzelnen Handwerken zeichnen sich durch eine beeindruckende Quellendichte aus.

Die Ausstellung und der Katalog sind im Ganzen betrachtet gut gelungen und gewinnbringend. Beide bieten für die mittelalterliche (Handwerks-) Geschichte zahlreiche Anknüpfungspunkte und interessante Erkenntnisse.

Anmerkung:
1 Vgl. dazu die Aufsätze in Eva Jullien (Hrsg.), Craftsmen and guilds in the medieval and early modern periods, Stuttgart 2016, sowie Sabine von Heusinger, Die Zunft im Mittelalter. Zur Verflechtung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Straßburg, Stuttgart 2009.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) Ausstellung
Deutsch
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension