E. Schöck-Quinteros u.a. (Hrsg.): Politische Netzwerkerinnen

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Titel
Politische Netzwerkerinnen. Internationale Zusammenarbeit von Frauen 1830-1960


Herausgeber
Schöck-Quinteros, Eva; Schüler, Anja; Wilmers, Annika; Wolff, Kerstin
Reihe
Schriftenreihe des Hedwig Hintze-Instituts Bremen 10
Erschienen
Berlin 2007: Trafo Verlag
Anzahl Seiten
391 S.
Preis
€ 40,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulla Wischermann, Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main

Das Thema Transnationalität steht seit einigen Jahren zunehmend auf der Agenda wissenschaftlicher Forschung, so auch in der Geschichtswissenschaft und der Soziologie. Wie fruchtbar der Blick über nationalstaatliche Grenzen hinweg ist und wie wichtig es ist, internationalen Austausch, transnationale Transfer- und Verflechtungsprozesse zu rekonstruieren, haben nicht zuletzt einzelne Arbeiten gezeigt, die sich mit der Geschichte historischer Frauenbewegungen befasst haben. Sowohl für die historischen, als auch für die neuen Frauenbewegungen war Transnationalität nicht die Ausnahme, sondern eher die Regel. Trotzdem wurde dies bis vor einigen Jahren eher selten in der Forschung berücksichtigt und vor allem länderspezifische Studien vorgelegt. Daneben gibt es einige Untersuchungen zu internationalen Organisationen und transnationaler Zusammenarbeit sowie mehrere Länder vergleichende Studien. Auch wenn inzwischen erste Arbeiten zur Erforschung dieser Dimensionen von Frauenbewegungen erschienen sind und Überlegungen zur Bedeutung internationaler Organisierung für die nationalen Bewegungen angestellt wurden, bestehen nach wie vor gravierende Forschungslücken.

Hier setzt der besprochene Sammelband an und leistet dazu einen produktiven Beitrag. Er präsentiert mit 16 englischen und deutschen Aufsätzen die Ergebnisse einer internationalen Tagung, die 2005 in Bremen stattgefunden hat. Internationale Kooperationen und Networking von Frauen und Frauenorganisationen werden hier für die Jahre 1830 – 1960 nachvollzogen. Gemäß diesem großen Untersuchungszeitraum spannt sich der Bogen der angesprochenen Themen sehr weit, wirkt aber dadurch manchmal etwas disparat und zufällig.

Das Kapitel über „Akteurinnen in frühen Netzwerken“ (S. 57ff.) belegt, dass und wie schon in den frühen Frauenbewegungen ab 1830 ein transnationaler Austausch betrieben wurde und welche Impulse und Einflüsse davon ausgingen. Im Beitrag von Susanne Schötz wird beispielsweise der landläufig eher als ein bisschen provinziell geltende „Allgemeine deutsche Frauenverein“ rehabilitiert. Auf der Basis einer gründlichen Auswertung der Vereinszeitschrift „Neue Bahnen“ zeigt die Autorin, dass die publizierten Korrespondenzen und Auslandsberichte dazu angetan waren, das Thema Geschlechtergerechtigkeit von vielen Seiten zu beleuchten und gemeinsame Lern- und Vermittlungsprozesse jenseits von Ländergrenzen in Gang zu setzen.

Wie wichtig es war, erste internationale Kontakte von Frauenbewegungsakteurinnen durch Organisierung zu stärken, wird im Kapitel „Der Weg in internationale Organisationen“ (S. 129ff.) verdeutlicht. Anzumerken ist, dass zwar drei eindrucksvolle Einzelbeispiele präsentiert werden, die aber weit von einem Gesamtüberblick entfernt bleiben (müssen). Gerade hier ist noch ein großer Forschungsbedarf zu konstatieren. Im Einzelnen geht es um die Gründung und frühen Aktivitäten der „Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit“ (Jo Vellacott) und um ein weitgehend unerforschtes Gebiet, und zwar um Frauen in der Diplomatie des Völkerbundes (Madeleine Herren). Der dritte Beitrag in diesem Kapitel – von Barbara Potthast – fällt positiv ins Auge, da er sich unter dem Titel „Vom Kinderschutzbundkongress zum Völkerbund“ mit den internationalen Aktivitäten lateinamerikanischer Feministinnen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts befasst und damit die doch sonst in diesem Band recht eng verfolgte US-amerikanisch-westeuropäische Ausrichtung überschreitet.

Dass es oft konfliktbeladen ist, nationale Kontextstrukturen und internationale Kooperation miteinander zu vereinbaren, wird in Kriegszeiten besonders virulent. Unter der Überschrift „Im Spannungsfeld von nationalen und internationalen Interessen“ (S. 205ff.) wird auch dies im hier besprochenen Sammelband thematisiert. Insbesondere der Beitrag von Annika Wilmers zeigt diesen Balanceakt und vollzieht differenziert nach, wie schwierig es für die frauenbewegten Pazifistinnen im und unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg war, auf den Internationalen Frauenfriedenskongressen in den Haag (1915) und in Zürich (1919) die Begegnung und den Austausch von Frauen aus den kriegführenden Ländern produktiv zu machen und wie sehr kommunikative Netzwerke und Bewegungskulturen aus der Vorkriegszeit dazu beitrugen, dies überhaupt zu ermöglichen.

Der Band schließt mit der Frage: „Feministischer Internationalismus – eine Erfolgsgeschichte?“ (S. 287ff.), die – erwartungsgemäß – nicht eindeutig beantwortet werden kann. Der Beitrag von Anne Summers schildert am Beispiel der „Internationalen Abolitionistischen Föderation“, die – von England ausgehend und von der internationalen Aktivistin Josephine Butler initiiert – gegen die Reglementierung der Prostitution kämpfte, wie schwer es oft war, angesichts vielschichtiger sozialer und kultureller Differenzen überhaupt eine konsensbezogene Politik treiben zu können. Sie charakterisiert die unterschiedlichen Ausprägungen des Abolitionismus in der Schweiz, den Niederlanden, Deutschland und Frankreich und macht deutlich, wie die nationalen Kontextstrukturen, beeinflusst von Politik, Konfession und Sprache, auch von der unterschiedlichen Zusammensetzung der AkteurInnen oder von der mehr oder weniger starken Beteiligung von Männern (oft Klerikale), die jeweilige Bewegung prägten und Kooperationen erschwerten. Summers verweist darauf, dass gerade eine internationale Bewegung, die die herrschende Doppelmoral im Bereich der Sexualität thematisierte und dabei fortschrittliche wie konservative Kräfte zu integrieren versuchte, (fast) unausweichliche Begrenzungen im politischen Handeln und bei der Bestimmung gemeinsamer Ziele und Forderungen in Kauf nehmen musste.

Generell kann gesagt werden, dass der Band wichtige und neue Ergebnisse präsentiert. Besonders die in den verschiedenen Kapiteln aufgenommenen Beiträge über die „Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit“ schließen gravierende Forschungslücken. Gleichwohl fallen einige Desiderate auf, so etwa die Ignorierung der internationalen Ausrichtung sozialistischer Frauen und der proletarischen Frauenbewegung sowie der recht eng geführte Blick auf vor allem europäische Länder und die USA. Trotz wichtiger Impulse für die Forschung und interessanten Einzelbefunden fehlen Theoretisierungen zum Thema Inter/Transnationalität in den meisten Beiträgen fast gänzlich. Einzig Susanne Kinnebrock (S. 27ff.) trägt hierzu bei, wenn sie über soziale Bewegungen im Spannungsfeld zwischen nationalen Öffentlichkeiten und internationalem Bewegungsverbund reflektiert. Komplexe Prozesse der Interaktion verschiedener Ebenen von Öffentlichkeit werden analysiert, unterschiedlichen Bewegungsphasen zugeordnet und in einem Konzept systematisiert. Auch finden sich hier einige Überlegungen zur Definition ‚international’ und ‚transnational’ auf der Basis aktueller Literatur, die in den übrigen Beiträgen des Sammelbandes, auch in der Einleitung der Herausgeberinnen, zu wenig geleistet wird.

Es bleibt eine wichtige Aufgabe für die derzeitige Frauenbewegungsforschung, transnationale Netzwerke und Organisationen zu erforschen. Dabei ist die Frage nach gemeinsamen wie auch divergierenden Zielen und Aktionsformen und nach einem Transfer von Ideen bis hin zu kulturellen Werten zentral. So können transnationale Räume neu ausgemessen und den Lebenswegen von Frauen zwischen verschiedenen Kulturen nachgegangen werden. Der Sammelband bildet – trotz meiner kritischen Anmerkungen – einen ermutigenden Anfang für diese anstehenden Aufgaben.

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