C. Goschler; J. Lillteicher (Hgg.): "Arisierung" und Restitution

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Titel
"Arisierung" und Restitution. Die Rückerstattung jüdischen Eigentums in Deutschland und Österreich nach 1945 und 1989


Herausgeber
Goschler, Constantin; Lillteicher, Jürgen
Erschienen
Göttingen 2002: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
286 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Harald Wixforth, Fachbereich Geschichte, TU Dresden

Fraglos kann die historische Forschung eine Reihe neuer Ergebnisse und Erkenntnisse zur Funktionsweise des nationalsozialistischen Herrschaftssystems vorweisen, die im Rahmen verschiedener, teilweise großdimensionierter Forschungsprojekte in Deutschland, der Schweiz und Österreich in jüngster Zeit gesammelt wurden. Einen besonderen Stellenwert nehmen dabei die unterschiedlichen, zum Teil vielschichtigen Aspekte und Dimensionen der Judenverfolgung ein. Zu begrüßen ist daher, wenn Constantin Goschler und Jürgen Lillteicher einen Sammelband zu „Arisierung“ und Restitution jüdischen Eigentums publizieren, in dem der aktuelle Forschungsstand, aber auch die neuesten Ergebnisse zu diesem Forschungskomplex aus Deutschland und Österreich eingeflossen sind. Der Sammelband mit insgesamt neun großen Beiträgen und drei Einführungen zum Thema fasst die Ergebnisse zusammen, die auf einer Tagung in Freiburg i. B. im Oktober 2000 vorgestellt wurden.

Thematisch werden hier drei große Forschungskomplexe behandelt: 1. „Arisierung und Enteignung in Deutschland und Österreich. 2. Rückerstattung in Westdeutschland und Österreich. 3. Rückerstattung in der DDR und Österreich. Gerade in dem Aufzeigen einer Vergleichsperspektive ist sicherlich eine der Stärke des Sammelbandes zu sehen.

Nach der Einleitung der beiden Herausgeber, in der sie zum einen die Vielschichtigkeit des Begriffes „Arisierung“ problematisieren und den Forschungsstand zu dieser Thematik und zur Rückerstattung referieren, behandelt Frank Bajohr „Arisierung“ und Restitution in Deutschland. Dabei betont er zurecht, dass sich der ursprünglich politisch initiierte Prozess der „Arisierung“ schleichend zu einem gesellschaftlichen Prozess wandelte. Bajohr verweist darauf, dass gerade bei der „Arisierung“ nationalsozialistische Herrschaftspraxis und gesellschaftliche Funktions- und Verhaltensweisen eng ineinander griffen. Ungezählte Profiteure und Nutznießer der „Arisierung“ wurden dadurch nicht nur eng das nationalsozialistische Herrschaftssystem gebunden bzw. banden sich selbst eng daran. Nur vor diesem Hintergrund war die systematische Entrechtung und Ausgrenzung der Juden aus der deutschen Gesellschaft möglich, wie Bajohr richtig betont. Gleichzeitig bildete diese Verschränkung von politischer Herrschaftspraxis und gesellschaftlicher Realität im Nationalsozialismus eine der entscheidenden Barrieren, die eine rasche Entschädigung der jüdischen Opfer nach 1945 erschwerte.

In seinem Beitrag über die Spezifika der „Arisierung in Österreich, vor allem in Wien, betont Hans Safrian zwar ebenfalls die Wirkungsmacht des „Wiener Modells“ bei der Entrechtung, Enteignung und Beraubung der Juden, stellt aber den in Literatur des öfteren hervorgehobenen modernisierungstheoretischen Aspekt dieses Modells in Abrede. Die „Arisierung“ in Österreich ist für ihn kein nach einem bestimmten, von der Politik festgelegten Plan durchgeführter Prozess, sondern vor allem inoffizieller, nicht gesteuerter Beraubung und halboffizieller Konfiskation. Das Zusammenwirken dieser beiden Aspekte, hervorgerufen durch die „massenhafte Gier“ nach Bereicherung in der Bevölkerung führte jedoch fraglos zu einer bis dahin nicht gekannten Radikalisierung in der Politik gegenüber den Juden – daran lässt auch Safrian keinen Zweifel. Österreich war zum einen ein Experimentierfeld in der „Judenpolitik“, wies aber zugleich den Weg zur endgültigen und konsequenten Ausschaltung der Juden auch aus der deutschen Gesellschaft, als das Wiener Modell hier nachgeahmt wurde. Die einzelnen Schritte dieses Prozesses werden von Safrian anhand von zahlreichen Dokumenten hervorragend aufgearbeitet und nachvollzogen.

Im zweiten Abschnitts des Sammelbandes thematisieren die beiden ersten Aufsätze von Constantin Goschler und Jürgen Lillteicher die rechtlichen Bestimmungen und die Praxis der Rückerstattung in Westdeutschland nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Beide kommen in ihren Beiträgen zu dem ernüchternden, vielleicht sogar enttäuschenden Ergebnis, dass die Durchsetzung der erlassenen Rückerstattungsgesetze seit ihrer Verabschiedung mit kolossalen Widerständen zu kämpfen hatte. Wie Goschler zeigt, gilt dieser Tatbestand nicht nur für das von den Alliierten in Kraft gesetzte Rückerstattungsgesetz, sondern auch für das vom Bundestag 1957 verabschiedete Bundesrückerstattungsgesetz. Die bundesdeutsche Nachkriegsgesellschaft sah sich vielfach eher in der Opfer- als in der Täterrolle und lehnte daher eine umfassende Rückerstattung ab, wie Goschler plausibel deutlich machen kann. Am Beispiel der Rosenthal Porzellan AG dokumentiert Lillteicher, wie auch mit Hilfe der deutschen Gerichte der Sachverhalt der Enteignung und des Raubes jüdischen Eigentums oft bis zur Unkenntlichkeit entkonkretisiert, parzelliert und bis zur Unkenntlichkeit entfremdet wurde, so dass die Betroffenen vielfach nur einen geringen Betrag für ihr ursprüngliches Eigentum zurückerhielten. Brigitte Bailer-Galanda kommt in ihrem Beitrag über Österreich zu einem gleichen, in gewisser Weise sogar noch bedrückenderen Befund. Hier wuchs erst in den 1990er Jahren, nicht zuletzt aufgrund internationalen Druckes, die Bereitschaft, dass an den Juden begangene Unrecht systematisch aufzuarbeiten und Rückerstattung – bzw. „Rückstellungen“ - für erfolgten Vermögensentzug leisten zu müssen.

Eine völlig andere Perspektive auf die Rückerstattungsfrage herrschte auch in der DDR vor, wie die Beiträge von Ralf Kessler, Angelika Timm und Jan Phillip Spannuth im dritten Teil des Sammelbandes zeigen. Die DDR-Führung lehnte eine Rückerstattung lange Zeit kategorisch ab – zum einen aus wirtschaftlichen Gründen, weil man die finanzielle Belastung für den Etat zu hoch einschätzte, zum anderen, weil man vor dem Hintergrund der herrschenden Ideologie jegliche Rückgabe von „arisiertem“ oder enteignetem jüdischen Vermögen als „Restauration des Kapitalismus“ brandmarkte und statt dessen die Überführung in vollseigenes Vermögen betrieb. Jan Phillipp Spannuth sowie Christian Meyer-Seitz in seinem Aufsatz über die bisherige Rückerstattungspraxis in den neuen Bundesländern nach 1990 können jedoch auch zeigen, dass die „Rückerstattung Ost“ bisher juristisch ausgereifter und politisch störungsfreier verlief als in den alten Bundesländern. Entscheidend hierfür ist zum einen der Rückgriff auf über vierzig Jahre Erfahrungswerte zu diesem Komplex, zum anderen wohl auch ein größeres Maß an Sensibilisierung in der Öffentlichkeit in den 1990er Jahren für diese Thematik.

Den Herausgeber des Sammelbandes ist ein großes Lob zu zollen. Sie haben den vorliegenden Band nicht nur durch eigene Beiträge bereichert, sondern mit der hier vorgelegten Publikation der anderen Beiträge dafür gesorgt, dass „Arisierung“ und Rückerstattung mit ihren unterschiedlichen Aspekten sowie politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen von der historische Forschung diskutiert werden kann. Der Sammelband ist nicht nur eine Zusammenfassung und Übersicht über die bisherigen Forschungsergebnisse, sondern zeigt auch die Komplexität der Thematik auf. Zudem bildet er eine hervorragende Grundlage für weitere Fragestellungen und Forschungsperspektiven, die zu diesem Thema in den nächsten Jahren von der Zeitgeschichte zu bearbeiten sind.

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