Cover
Titel
The Enemy on Display. The Second World War in Eastern European Museums


Autor(en)
Bogumił, Zuzanna; Wawrzyniak, Joanna; Buchen, Tim; Ganzer, Christian; Senina, Maria
Reihe
Museums and Collections 7
Erschienen
New York 2015: Berghahn Books
Anzahl Seiten
XIII, 176 S., 18 Abb.
Preis
€ 86,11
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Juliane Tomann, Imre Kertész Kolleg Jena / Friedrich-Schiller-Universität Jena

Vergleichende Analysen historischer Museen besitzen großen Reiz, versprechen sie doch vertiefende Einsichten in Strategien des Zeigens und Inszenierens von Geschichte. Sie sind aufgrund des zu bewältigenden Materialumfangs und der methodischen Herausforderungen jedoch keine leichte Aufgabe. Für den ost(mittel)europäischen Raum sind derartige Untersuchungen bislang selten, wenngleich sich die Forschungslandschaft langsam verändert.1 Umso begrüßenswerter ist der Versuch eines internationalen Autorenteams, sich vergleichend mit den stadtgeschichtlichen Museen in St. Petersburg, Warschau und Dresden zu beschäftigen. Neben dieser Vergleichsebene besitzt das Buch eine weitere Besonderheit: Es liefert wertvolle Einblicke in die Verfasstheit und den Verlauf eines kooperativen und interdisziplinären Forschungsprozesses, der von einem russisch-polnisch-deutschen Forscherteam bestritten wurde. Vor- und Nachteile dieses kooperativen Ansatzes liegen nah beieinander: Der Selbstverständigungsprozess innerhalb des Teams bezüglich der Eingrenzung des Forschungsgegenstandes und der Methodik wird transparent gemacht. So erfährt der Leser detailliert wie die Museen ausgewählt und in welcher Weise sie analysiert wurden; auch die Schwierigkeiten, die sich bei der Arbeit in dem gemischtnationalen und interdisziplinären Team ergaben, werden thematisiert. Dies erfolgt etwa am Beispiel stereotyper Vorstellungen und Wahrnehmungen innerhalb des Teams, die in Diskussionen aufgefangen, thematisiert und konstruktiv gewendet wurden. Dem kooperativen Ansatz entsprechend weisen die einzelnen Subkapitel keine Autoren aus, der Text ist Produkt einer Gemeinschaftsarbeit. Er erinnert teilweise an einen Projektabschlussbericht für eine Fördereinrichtung, die dieses umfangreiche und innovative Projekt finanziert hat. Das Vorwort verweist auf die Genese des Buches aus einem solchen Projektbericht und bestätigt diesen Leseeindruck. Vielleicht neigt der Text daher zu Wiederholungen und lässt mancherorts Stringenz vermissen. Dies könnte aber auch dem gemeinsamen Schreibprozess geschuldet sein.

An den stadtgeschichtlichen Museen interessiert die Autoren das Zusammenspiel von lokaler und nationaler Geschichte, vor allem aber fragen sie danach, wie Feindbilder dargestellt werden. Dieser Zugriff auf stadtgeschichtliche Museen ist ungewöhnlich, verspricht aber in der transnationalen Perspektive produktive Ergebnisse. Um es vorweg zu nehmen: Die Feindbildanalyse trägt nicht für jedes der ausgewählten Museen in gleichem Maße. Ihren ungewöhnlichen Fokus auf Feindbilder begründen die Autoren mit der Wahrnehmung, dass viele populäre Geschichtsdarstellungen noch immer „old stereotypes and national myths“ transportieren würden (S. 11). Die Autoren fragen auch danach, wie sich die Ausstellungsnarrative und besonders die Darstellungen von Feinbildern über die politisch-gesellschaftlichen Brüche der frühen 1990er-Jahre verändert haben. Ihr Ergebnis nehmen sie auf Seite 3 vorweg: Die „communist stories“ wurden nicht einfach durch neue, den demokratischen und marktliberalen Bedingungen angepasste Narrative ersetzt. Die analysierten Ausstellungen seien vielmehr „effects of overlapping components of different discourses“, die noch immer viele Elemente und Interpretationen aus der Zeit vor 1989–91 besitzen (S. 3). Neben allerhand theoretischen Gewährsleuten argumentieren die Autoren vor allem mit Pfadabhängigkeit und den Erinnerungsdiskursen, die Einfluss auf das Erscheinungsbild und den Inhalt der Ausstellungen haben. Darüber hinaus führen sie an, in einem Prozess des Verstehens die „’poetics’ of the exhibition“ erfassen zu wollen: die Struktur, ihren Sinngehalt, das Zusammenspiel zwischen den einzelnen Ausstellungselementen, die Codes der Präsentation, durch die Sinn gebildet wird sowie die Objektbeschreibungen, die Einfluss darauf haben, wie Dinge wahrgenommen und verstanden werden (S. 20). Zur Kategorisierung der Museen lehnen sie sich an die Unterscheidung von Tempel und Forum an: Während erstere im Sinne der Konstruktion einer nationalen Identität Geschichte als objektive Wahrheit darstellt, steht das Forum-Museum für Pluralität, Diskursivität und Offenheit (S. 5).

Neben diesen vielfältigen und inspirierenden methodischen Vorbemerkungen besteht das Buch aus drei qualitativen Fallstudien und einem Abschlusskapitel. Den Auftakt bildet das Staatliche Museum der Geschichte St. Petersburgs, dem bereits in der Überschrift die Kategorie Tempel zugeordnet wird. Nach einer erinnerungspolitischen Einordnung der Leningrader Blockade in den sowjetischen Kontext wird die Ausstellung „Leningrad während des Großen Vaterländischen Krieges“ als thematisch-chronologische Schau beschrieben, die über sorgsam ausgesuchte authentische Objekte, Dokumente und Fotographien verfügt. Das präsentierte Feindbild charakterisieren die Autoren als doppeltes: Der deutsche Soldat, der als militärischer Feind die Sowjetunion angreift, jedoch nie ins Innere des Belagerungsrings gelangt und deshalb für die Stadtbevölkerung abstrakt bleibt. Ihm steht die konkrete Lebensbedrohung der Leningrader, der Feind in Form von Kälte, Hunger und Angst gegenüber. Für die Darstellung des deutschen Soldaten konstatieren die Autoren eine Veränderung im Laufe der Ausstellung vom inhumanen und grausamen Feind zum Besiegten, dessen Welt zusammenbricht. Das lässt den sowjetischen Sieg als moralischen erscheinen. Den Überlebenskampf der Leningrader stellt die Ausstellung durch den Versuch der Rekonstruktion der Atmosphäre der belagerten Stadt und die Omnipräsenz von Kälte und Hunger dar. Eine zum Symbol während der Belagerung gewordene 125-Gramm-Brotration, präsentiert in einer speziell ausgeleuchteten Vitrine, steht nicht primär für das Leid der Einwohner, sondern überhöht den Überlebenskampf zu einem heroischen Akt.

Auch das Historische Museum der Stadt Warschau erhält schon in der Kapitelüberschrift die Kategorisierung als Tempel, das seinen Besuchern eine „one-dimensional story of the struggle, suffering and heroism of the Polish nation“ anhand der Geschichte Warschaus im Zweiten Weltkrieg näher bringen will (S. 95). Die Rollen im „patriotic drama“ (S. 63) der Ausstellung sind klar und bipolar verteilt: Die polnische Nation wird als heldenhaft präsentiert, die deutschen Okkupanten sind die Feinde. Das Vorgehen der Analyse gleicht dem des ersten Kapitels. Eingangs wird in sehr instruktiver Weise der erinnerungspolitische Diskurs zum Warschauer Aufstand (1944), aber auch zum Aufstand im Warschauer Ghetto (1943) vor und nach 1989 erläutert. Im Anschluss stehen die einzelnen Räume des Museums, das sich allerdings während der Feldforschung im Umbau befand, im Mittelpunkt. Das Autorenteam unterstreicht, dass die gesamte, vermehrt mit Licht und Geräuscheffekten arbeitende Ausstellung auf die Präsentation des heroischen Kampfes im Warschauer Aufstand zuläuft. Unheroische Momente, etwa Kollaboration mit den Deutschen, werden ausgespart, die Einwohner Warschaus firmieren als Kollektiv junger Polen, das in einer hoffnungslosen Situation verzweifelt kämpft. Das polnische Martyrium erhält konkrete Namen und Biographien. Die deutschen Feinde hingegen bleiben gesichtslos. Sie sind eine anonyme, uniformierte, militärisch überlegene Macht, die über Leben und Tod bestimmt. Der Feind bleibe eine Idee, dessen spezifische Ziele, Strategien, Gefühle oder Überzeugungen nicht deutlich werden. Neben der bipolaren Beziehung zwischen (deutschem) Feindbild und (polnischem) Heroismus thematisieren die Autoren auch die Rolle der Roten Armee während des Warschauer Aufstandes sowie des jüdischen Kampfes im Warschauer Ghetto im Szenario der Ausstellung.

Im Stadtmuseum in Dresden liegen die Dinge etwas anders als in Warschau und St. Petersburg, was die Kapitelüberschrift mit dem Verweis auf ein Forum-Museum andeutet. Hier werden keine Wahrheiten vermittelt, sondern Fragen angeregt. Als Beispiele für die Elemente eines Forum-Museums führen die Autoren die Raumaufteilung als „reflective space“ (S. 111) an, der dem Besucher keine Richtung vorschreibt; auch der Umgang mit Objekten, die nicht Agenten einer unveränderlichen Wahrheit, sondern Ausgangspunkte für das Erzählen von „microhistories“ seien, stehen dafür (S. 112). Bei der Analyse des Stadtmuseums konzentrieren sich die Autoren auf den Raum zur Zerstörung Dresdens. Die Mythenbildung um die alliierte Bombardierung der Stadt im Februar 1945 geben sie dem Leser als übersichtliche Einleitung an die Hand. Die in der Mitte der 2000er-Jahre neu eröffnete Ausstellung versucht, sich von diesen Mythen zu distanzieren und sie zu kontextualisieren. Im Sinne der Pfadabhängigkeit gibt es einen deutlichen Bruch und die Darstellung von Feindbildern folgt einer anderen Logik als in den Vergleichsmuseen. Die Dresdner Ausstellung liefert keine Feindbilder, der Besucher bekommt keine enthumanisierten Kreaturen zu sehen. Auch die von den Nazis als Feinde angesehenen Alliierten sind im Museum nicht als solche repräsentiert. Die Autoren erkennen darin eine besondere Strategie: Die Ausstellung verlagere den Feind in die Stadtgemeinschaft hinein, die 1933 die NSDAP gewählt hatte und somit Verantwortung mitträgt für Tod und Zerstörung. Die Schuldfrage bleibt dennoch unbeantwortet, denn konkrete Personen werden nicht benannt.

Zusammenfassend bleibt der Eindruck eines inspirierenden Ansatzes zur Ausstellungsanalyse, der mit reichlich theoretischen Überlegungen hergeleitet wird. Fallstudien sind – wenngleich teilweise bruchstückhaft – an diese Theorie rückgebunden. Fraglich bleibt, ob die Analysekategorie „Feindbild“ in den stadtgeschichtlichen Museen geschickt gewählt war. Teilweise scheint dieser spezifische Fokus den Blick auf andere, wesentlichere Faktoren der Sinnbildung in den Ausstellungen zu verstellen.

Anmerkung:
1 Vgl. Ekaterina Makhotina u.a. (Hrsg.), Krieg im Museum. Präsentationen des Zweiten Weltkriegs in Museen und Gedenkstätten des östlichen Europa, Göttingen 2015.

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