M. Cohen Ferris: The Edible South

Cover
Titel
The Edible South. The Power of Food and the Making of an American Region


Autor(en)
Cohen Ferris, Marcie
Erschienen
Anzahl Seiten
477 S.
Preis
€ 33,49
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefanie Büttner, Historisches Seminar, Universität Erfurt Email:

Geschichte(n) schreiben – so schwer dies Historiker/innen meist fällt – heißt oft Rahmen setzen und selektive Perspektiven einnehmen; eine bestimmte Linse verwenden, die mal weiter, mal enger fokussiert und spezifische Blickwinkel auf historische Prozesse, Regionen, Akteur/innen mit neuen Erkenntnissen und Wendungen ermöglicht. In „The Edible South. The Power of Food and the Making of an American Region“ von Marcie Cohen Ferris dienen Essen und insbesondere essensbezogene Praktiken als eine solche Linse. Über sie wird versucht, facettenreiche Geschichten des US-amerikanischen Südens von ‚gender’- und ‚race’-Beziehungen, ökonomischen Entwicklungen, Hunger, Armut, Bürgerrechten, Aushandlungen regionaler Identitäten oder gesellschaftlichen Neuentwürfen zu Konsum und Genuss mittels eines analytischen Zugriffs über Essen und Ernährung(spraktiken) zu schreiben – von der Kolonialzeit bis ins ausgehende 20. Jahrhundert.

Mit dem Anspruch, eine essensinspirierte Geschichte der Südstaaten der USA über mehr als vier Jahrhunderte vorzulegen, legt Marcie Cohen Ferris die Messlatte recht hoch. Food Studies kann man zwar als ein stetig wachsendes Forschungsfeld nicht nur im amerikanischen Forschungskontext bezeichnen, und es gelang bereits einigen Autor/innen der letzten Jahre, Essen und damit verknüpfte Praktiken als analytische Kategorien zu etablieren.1 Vor allem traditionelle historische Narrative gilt es aufzubrechen und kulturwissenschaftlich so quer zu lesen, dass die dichte Verzahnung von Kategorien wie ‚race’, ‚class’ oder ‚gender’ mit Ernährungspraktiken und Essen als Teil materieller Kultur augenscheinlich wird. Ein solcher historisch-analytischer Durchmarsch, der postuliert „[to] examine an assemblage of evocative voices as they have spoken, written, eaten, celebrated, reformed, and fought for food across the centuries of southern history” (S. 4), stellt allerdings eine besondere Herausforderung dar. Dies gelingt der Professorin für American Studies an der University of North Carolina in der Gesamtschau gut. Ihre vorgelegte Studie zeichnet sich durchaus durch Stärken im Detail aus, ist aber mit obiger Zielsetzung, eine umfangreiche und vor allem diversifizierte Geschichte von Essen und Ernährung des Südens zu bieten, nicht frei von vereinzelten Schwächen.

Ferris untergliedert „The Edible South“ in drei Teilabschnitte. Darin setzt sie, jeweils quergelegt zur historischen Chronologie, mittels des Quellenthemas ‚Essen‘ frische Akzente auf soziale Aushandlungsprozesse und Machtkonstellationen in einer sich wandelnden Gesellschaft und unterschiedlichen Regionen des US-amerikanischen Südens2: In „Part I: Early South – Plantation South“ widmet sich die Autorin der initialen Entwicklung essensbezogener Traditionslinien. Beginnend mit knappen Ausführungen zur Früh- und Kolonialzeit beschreiben sechs Unterkapitel historische Prozesse bis in die Ära der Reconstruction. Ausführlich beschäftigen Ferris vor allem über ‚race‘ und ‚gender‘ kodierte Dynamiken am „plantation table“ einer maßgeblich von Sklaverei geprägten Gesellschaft des 18. Jahrhunderts und des „Antebellum South“. Weiterhin verdeutlicht sie die Konfrontation der Bevölkerung mit Mangel und der Umkämpftheit von Essen während des Bürgerkrieges, bevor sie schließlich zu ökonomischen sowie gesellschaftlichen Transformationsprozessen der Reconstruction kommt. In quellennahen Ausführungen und mittels punktueller Rückbindungen an historische, sozio-kulturelle und vor allem regionale Prozesse arbeitet Ferris heraus, wie gesellschaftliche Praktiken im Ernährungskontext anders kaum sichtbare Dynamiken verdeutlichen. Sie beleuchtet etwa die Beziehungsgefüge zwischen ‚weißer‘ Oberschicht und ‚schwarzer‘ unfreier Bevölkerung innerhalb des (Haus-)Sklaverei-Settings oder verdeutlicht Machtstrukturen entlang von hegemonialen Geschlechterrollen und Rassismus, die im Kontext von Kochen und Essen zu Tage traten.

Darauf folgt der am breitesten angelegte, zweite Teilabschnitt über eine mit „New South“ umschriebene Phase der Regionalgeschichte der Südstaaten, welche die Autorin über Essen, Landwirtschaft und Konsum charakterisiert. Die inhaltlichen Schwerpunkte liegen in acht Kapiteln auf den Zusammenhängen zwischen einer hauptsächlich untere Bevölkerungsschichten betreffenden Mangel- und Fehlernährung sowie den damit einhergehenden Herausforderungen für die lokale Landwirtschaft. Bildungs- und gesundheitsorientierte Reformbewegungen des hier vornehmlich untersuchten frühen 20. Jahrhunderts zielten auf die Bekämpfung von Armut und des Defizits an nachhaltiger Nahrungsmittelversorgung der Regionen ab. Dabei bleibt Ferris nicht in bloßen Beschreibungen historischer Prozesse und von Ernährungspraktiken verhaftet, sondern unterstreicht in ihrer Analyse verstärkt den besonderen Quellenwert ihres Materials. Dieser enthülle insbesondere Techniken der Akteur/innen der Zeit, mit ernährungsbezogenen Themen umzugehen. Neben Beispielen von praxisorientierten Maßnahmen wie Land- und Hauswirtschaftsunterricht zeigt Ferris besonders über zeitgenössische anthropologische und soziologische Studien eine Problembeschreibung und Ursachensystematisierung durch ‚Expertinnen und Experten‘, die die nationale Wahrnehmung des „New South“ als soziales Problemfeld innerhalb der US-Gesellschaft maßgeblich prägten. Das Feld der Fremdwahrnehmung von Regionen unter Ernährungsparametern vertieft die Autorin anschließend. Sie spannt einen Bogen von der Beschreibung eines früh negativ besetzten Bildes einer einseitigen, unzulänglichen Essenstradition des Südens, ‚gefangen‘ in strukturellen Wirtschaftsproblemen, hin zur Konstruktion einer regionalen Identität über die positiv besetzte Symbolhaftigkeit von Essen und Kochen. Ferris veranschaulicht dazu, wie sich seit den 1920er-Jahren ein strategisches „Branding“ der Südstaaten und ein nostalgisch-romantisiertes Image von vermeintlich authentisch-traditioneller Küche als nutzbar für Konsum, Tourismus und letztlich eine lokale Identitätskonstruktion herausbildeten. Dass eine solche Wahrnehmung stark von Stereotypisierungen und Rassismus durchzogen war, bleibt dabei nicht unerwähnt und funktioniert als Überleitung zum dritten Abschnitt „Modern South“.

In den fünf Kapiteln des Schlussteils wendet sich das Buch erneut der Fluchtlinie der gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen zwischen ‚weißer‘ und ‚schwarzer‘ Bevölkerung zu. Essen und regionale Gastronomieaspekte werden als politisiert und als zentrale Aushandlungspunkte für Kämpfe um Desegregation und Bürgerrechte unter den prekären und gewaltgeschwängerten Bedingungen des „Jim Crow South“ bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts portraitiert. Auch die nach wie vor existenten landwirtschaftlichen Missstände der unterschiedlichen Regionen werden nochmals betrachtet, bevor die letzten Kapitel eine „New Southern Cuisine“ als Produkt einer Counterculture der Südstaaten umreißen. Sich stark über Ernährung definierende Gemeinschaften oder innovative Gastronomien trugen laut Ferris zu einer wesentlichen Neuerfindung von Produktion und Konsum von Nahrungsmitteln auf alternativen Pfaden bei, die neue kulinarische Räume des Südens seit den 1970er-Jahren wegbereitend gestalteten.

Ergänzt durch einen umfangreichen Literaturanhang liegen die Stärken des Buches definitiv in seiner beeindruckenden Quellenbasis. Es ruft ein heterogenes Portfolio an Quellengattungen (unter anderem Kochbücher, Magazine, Reiseführer, ethnographische/soziologische Studien, Interviews oder Fotomaterial) auf, das ein sehr vielfältiges kulinarisches Bild des Untersuchungszeitraumes zeichnet. Hier spiegelt sich auch die Ambition der Autorin, Quellen zu Essen über ihre rein deskriptive Funktion hinaus zu interpretieren und „sprechen zu lassen“. Marcie Cohen Ferris gelingt es oft, an markanten Eckpunkten amerikanischer Geschichte und den vor allem über ‚race’ und auch ‚class‘ augenfällig werdenden gesellschaftlichen Frontstellungen innerhalb des Südens neue Aspekte zu benennen. Insbesondere lotet sie mit ihrem Buch bestimmte Handlungsfelder sowohl von African Americans als auch der ‚weißen‘ Bevölkerung innerhalb meist kleinteiliger Rahmenbedingungen aus – wie etwa der Küche, der Demonstration einer Hauswirtschaftslehrerin oder einem Restaurant, das zum Schauplatz von Bürgerrechtsauseinandersetzungen wurde. Essen funktioniert hier folglich analytisch sehr gut als verbindende Kategorie für unterschiedliche soziale Räume und Machtgefüge eines „Edible South“.

Dennoch löst Ferris den interpretatorischen Anspruch des Buches an manchen Stellen nicht ein und bleibt einer stark deskriptiven Verwendung ihres Quellenmaterials verhaftet. Auch der in der Einleitung angestrebte Aufbruch einer „old white-and-black-South“-Dichotomie (S. 3) zugunsten einer größeren Fluidität südstaatlicher Identitätsentwürfe wird kaum geltend gemacht, da weitere ethnische Einflüsse auf ihre Analysegegenstände oder auf distinkte „Foodways“ kaum aufgegriffen werden. Der Einfluss von Einwanderung auf kulinarische Entwicklungen jenseits der afrikanisch-karibischen Komponente fehlt beispielsweise völlig. Auch wirkt der Mittelteil etwas zu stark wie eine vermeintliche Erfolgsgeschichte ‚weißer‘ Reformbewegungen, soziologischer Problemerfassung und einer folgenden touristischen Strategie, ebenso wie die Kapitel für die Zeit nach dem Civil Rights Movement zur Auseinandersetzung mit den strukturellen Wirtschaftsproblemen, der Arbeitssituation und dem Hunger teils holzschnittartig anmuten. Die vorher sehr stark bemühte Kategorie ‚race’ erscheint in den Schlusskapiteln schließlich weitgehend ausgeblendet (abgesehen von der Episode zur afroamerikanischen Köchin und Autorin Edna Lewis), zu Gunsten vermeintlich nur innerhalb der ‚weißen‘ Mittelschicht verhandelter, ‚moderner‘ Ernährungs- und Konsumentwicklungen bis in die 1990er-Jahre. Wünschenswert wäre hier eine stärkere Problematisierung, was der stetige Bezug auf eine „traditional southern cuisine“ in historischer Perspektive überhaupt impliziert.

Im Resümee stellt „The Edible South” ein sehr lesenswertes Buch dar, das mit einem vielfältigen Quellenbesatz auf bisher weniger beachtete Schnittstellen der Geschichte des US-amerikanischen Südens aufmerksam macht und eine Vielzahl an Themen aufruft, die bald sicher weiter vertieft werden. Die Studie lässt zahlreiche Akteur/innen über das Vehikel der Essenspraktiken greifbar werden und bietet einen sehr inspirierenden Zugang zu diesem Forschungsfeld.

Anmerkungen:
1 Das Buch bietet selbst eine sehr umfangreiche Bibliografie zum aktuellen Forschungsstand. Speziell zum US-amerikanischen Süden, siehe u.a. Elizabeth S. Engelhardt, A Mess of Greens. Southern Gender and Southern Food. Athens, GA 2011, und Angela J. Cooley, To Live and Dine in Dixie. The Evolution of Urban Food Culture in the Jim Crow South, Athens, GA 2015; mit einem Schwerpunkt auf African American Cuisine siehe Frederick D. Opie, Hog and Hominy. Soul Food from Africa to America, New York 2008.
2 Ferris folgt Ansätzen der “New Southern Studies“ (S. 3), welche sich darum bemühen, Analysen unter den Prämissen aufzubauen, dass unterschiedliche kulturelle Einflüsse, Geschlechter und Ethnien fluide Identitäten des „Südens“ (streng genommen gibt es nicht nur ‚den einen Süden’) in ihrer Historizität hervorbringen und stets neu verhandeln. Somit wird der US-amerikanische Süden nicht nur über ohnehin schwer zu definierende, geografische Grenzen markiert, sondern mittels sozio-kulturell und intersektional ausgehandelter regionaler Identitäten gefasst.

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