L. Warlouzet: Governing Europe in a Globalizing World

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Titel
Governing Europe in a Globalizing World. Neoliberalism and its Alternatives following the 1973 Oil Crisis


Autor(en)
Warlouzet, Laurent
Reihe
Routledge Studies on Government and the European Union 8
Erschienen
London 2018: Routledge
Anzahl Seiten
XIV, 274 S.
Preis
£ 105.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Henrich-Franke, Historisches Seminar, Universität Siegen

In Folge der jüngsten Staatsschulden-, Finanz- und Bankenkrisen seit den Jahren 2007/08 mehren sich die Anzeichen, dass die Phase neoliberaler Marktreformen, die in den 1970er-Jahren allmählich eingesetzt hatte, in ihrer Radikalität ihrem Ende zugeht. Zwar dominiert das neoliberale Wirtschaftsdogma weiterhin das Denken der wichtigen Akteure in Politik und Gesellschaft. Dennoch zweifelt kaum noch jemand daran, dass die internationalen Märkte – und insbesondere der Kapitalmarkt – einer stärkeren Regulierung bedürfen, nachdem die großen Deregulierungswellen der 1980er- und 1990er-Jahre es verpasst hatten, eine Rahmenordnung zu etablieren, die es der Politik erlaubt, gegen krisenhafte Ausbreitungseffekte vorzugehen. Ursächlich für die wirtschaftlichen Wandlungsprozesse war die Ölkrise von 1973, durch die sich die Wirtschaften Europas erstmals seit der Zwischenkriegszeit wieder in einer defensiven Position auf den Weltmärkten befanden. Die Ölkrise, wirtschaftlicher Strukturwandel in Westeuropa, neue Wettbewerber auf den Weltmärkten und der Zusammenbruch des Weltwährungssystems von Bretton Woods hatten die Staaten Westeuropas in eine Wirtschaftskrise gestürzt, die nachhaltige politische Reformen provozierte.

Den neoliberalen Reformen der europäischen Märkte nach der Ölkrise von 1973 widmet sich Laurent Warlouzet in „Governing Europe in a Globalizing World. Neoliberalism and its Alternatives following the 1973 Oil Crisis“. Er geht der Frage nach: War die neoliberale Revolution, in deren Folge die Wirtschaften und Gesellschaften Europas radikal umgebaut wurden, eine logische Konsequenz der Globalisierung seit den 1970er-Jahren? Mitnichten, argumentiert Warlouzet. Vielfältige Alternativen hätten in den von ihm untersuchten Jahren von 1973 bis 1986 auf dem Tisch gelegen und seien in den verschiedenen Staaten Europas und der Europäischen Gemeinschaft implementiert und ausprobiert worden.

Grundsätzlich unterscheidet Warlouzet zwischen einem sozial orientierten, einem neomerkantilistischen und einem marktorientierten ordnungspolitischen Konzept und begreift den letztlich beschrittenen Weg der neoliberalen Marktreformen als eine radikale Variante des letzteren Konzepts. Warlouzet geht davon aus, dass (West-)Europa zwei zentrale Entscheidungen traf, um den veränderten Bedingungen auf den Weltmärkten zu begegnen: Strukturell wurde die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) von den Regierungen ihrer Mitgliedsstaaten als Hauptforum entdeckt, um auf die Globalisierung zu reagieren. Inhaltlich entschieden sich die europäischen Regierungen für eine neoliberale Politik als Antwort auf die wirtschaftliche Krise, womit Warlouzet impliziert, dass der Neoliberalismus in Europa mehr war als ein (Direkt-)Import der Ideen und Konzepte der Chicagoer Schule um Milton Friedman. In seiner Studie, die die politischen Versuche der Krisenbewältigung bis ins Jahr 1986 mit dem Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte in den Blick nimmt, fokussiert Warlouzet explizit europäische Spitzenpolitiker der EG-Kommission sowie der Regierungen in Deutschland, Frankreich und Großbritannien.

Das Werk gliedert sich in zehn Kapitel, die sich sechs Schwerpunktbereichen zuordnen lassen. Im ersten Teil werden die Spezifika der Wirtschaftskrisen der 1970er-Jahre hinsichtlich der drei ordnungspolitischen Konzepte betrachtet, bevor die Teile 2 bis 4 sich den Versuchen widmen, diese Konzepte in einzelnen Maßnahmen und Politikfeldern zu implementieren. Teil 2 zum sozial orientierten Management der Globalisierung analysiert die grundlegenden Wirtschaftspolitiken der EG in den Feldern der Agrar- und Regionalpolitik sowie die Debatten über die angemessene Regulierung von multinationalen Unternehmen. Teil 3 widmet sich der Zunahme neomerkantilistischer Politiken und betrachtet die Handelsbeziehungen mit den (ehemaligen) Kolonien, Reaktionen auf den sektoralen Strukturwandel und Arbeitslosigkeit sowie die Hochtechnologiepolitik, zu der auch die Bemühungen um europäische Gemeinschaftsunternehmen wie Airbus zählten. Teil 4 greift die marktorientierten Konzepte auf, wobei neben den in den 1970er-Jahren zunächst gescheiterten Bemühungen um ein koordiniertes europäisches Währungssystem insbesondere die EG-Wettbewerbspolitik eingehend untersucht wird, die von Warlouzet als ein Hauptträger der neoliberalen Reformpolitik eingestuft wird, machte sie doch den innereuropäischen Standortwettbewerb auf offenen Märkten zu einem Kernelement westeuropäischer Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik. Wie diese drei ordnungspolitischen Ansätze dann in den Jahren 1985 und 1986 durch die Einheitliche Europäische Akte und den Auftakt zur Uruguay-Runde des GATT zu einer neuen Form der Marktregulierung verschmolzen wurden, diskutiert der Autor in Teil 5.

Im Fazit (Teil 6) kommt Warlouzet auf seine Ausgangsthese zurück und argumentiert, dass es keinen unaufhaltsamen Aufstieg des neoliberalen Europas gab, sondern vielmehr eine Kombination aller drei ordnungspolitischen Ansätze. Das neoliberale Europa war eine evolutionäre Entwicklung, die nicht zwangsläufig von radikalen marktliberalen Konzepten genährt wurde. Die EWG stellte dabei nicht zwangsläufig die erste und präferierte institutionalisierte Wahl europäischer Spitzenpolitiker dar. Vielmehr antworteten die europäischen Entscheidungsträger auf die Herausforderung der Globalisierung, indem sie verschiedene Wirtschafts- und Sozialpolitiken gegeneinander ausbalancierten und eine durchdachte Entscheidung für Integrationsschritte in einer Reihe selektierter Politikbereiche vornahmen.

Warlouzet baut seine Argumentation auf einer breiten archivalischen Basis auf, die sowohl nationale Archive als auch diejenigen der Europäischen Gemeinschaften und weiterer relevanter internationaler Organisationen umfasst. Diese Multiperspektivität findet sich in der Darstellung der einzelnen Entscheidungsprozesse deutlich wieder und ermöglicht es, die Positionen und Bedeutungen einzelner nationalstaatlicher Akteure hervorzuheben. Eine besondere Stärke des Buches liegt darin, die innereuropäische Diskussion konsequent im globalen Umfeld zu verankern, was umso wichtiger ist, als die 1970er-Jahre durch eine Reihe fundamentaler Veränderungen des globalen Umfelds geprägt waren, auf die die europäischen Staaten reagieren mussten. Das Werk besticht durch seinen systematischen Zugriff und den konsequenten Abgleich der drei ordnungspolitischen Konzepte, die eine Reihe spannender Einblicke in das Nebeneinander unterschiedlicher politischer Lösungswege erlaubt. Allerdings – und dies ist auch eine Kritik des Rezensenten – überrascht dieses Ergebnis angesichts der Wahl des Untersuchungszeitraums wenig, stellten doch die Jahre 1973 bis 1986 einen Zeitraum dar, der auch mit Blick auf nationale Wirtschaftsordnungspolitik in Europa einen Transformationszeitraum bildete, in dem unterschiedliche ordnungspolitische Ansätze koexistierten. Insofern stellt sich die Frage, wie sich das Urteil Warlouzets verändert hätte, wenn der Untersuchungszeitraum auf die Aushandlung des Maastrichter Vertragswerks und die sich in den Jahren 1986 bis 1992 fundamental wandelnde globalpolitische Lage erweitert worden wäre. Dieser Kritikpunkt soll aber die Leistung des Autors nicht schmälern. Im Gegenteil, insgesamt kann der Rezensent das sehr innovative und inhaltlich gehaltvolle Werk uneingeschränkt zum Lesen empfehlen.

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