O. D. Cordovana u.a. (Hrsg.): Pollution and the Environment

Cover
Titel
Pollution and the Environment in Ancient Life and Thought.


Herausgeber
Cordovana, Orietta Dora; Chiai, Gian Franco
Reihe
Geographica historica 36
Erschienen
Stuttgart 2017: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
296 S.
Preis
€ 54,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christopher Schliephake, Universität Augsburg

Umweltgeschichtliche sowie ökologische Fragestellungen haben in den vergangenen Jahren vermehrt in den Altertumswissenschaften Einzug gehalten. Dies hat angesichts des anthropogenen Klimawandels und vielfältiger Formen der Umweltverschmutzung zum einen mit einem gesteigerten gesellschaftspolitischen Problembewusstsein zu tun, das danach fragt, wie eigentlich vergangene Gesellschaften mit natürlichen Ressourcen umgingen und wie menschliches Handeln in der Geschichte auf die Umwelt einwirkte. Zum anderen ist dies aber auch auf interdisziplinäre Ansätze zurückzuführen, die Quellentypen und Datenreihen neuer Art generieren, welche Einblicke in Bereiche der vormodernen Geschichte eröffnen, über die man zuvor vergleichsweise wenig wusste. Die historische Klimaforschung und Paläoklimatologie sowie andere naturwissenschaftliche Ansätze (unter anderem Eisbohrkernforschung, Gletscheranalysen, Dendrochronologie, Paläogenetik, Knochenuntersuchungen, Isotopenanalysen usw.) haben in den letzten Jahrzehnten hochkomplexe Datenmengen zutage gefördert, die es erlauben, neue makro- sowie mikrogeschichtliche Aussagen über Bereiche der antiken Geschichte zu treffen: Klimatische Veränderungen, die zu bestimmten Zeiten an unterschiedlichen Orten etwa auf die agrarwirtschaftliche Produktion einwirkten, fallen ebenso darunter, wie etwa Aussagen über die Anfälligkeit des menschlichen Immunsystems für Mikroorganismen innerhalb urbaner Strukturen im Imperium Romanum.1

Der Sammelband „Pollution and the Environment in Ancient Life and Thought“ von Orietta Dora Cordovana und Gian Franco Chiai fügt sich gut in diesen neuen Forschungstrend ein, indem er eine Brücke schlägt zwischen älteren, vor allem textbasierten umweltgeschichtlichen Arbeiten und neueren Tendenzen. Obgleich die Autor/innen in den insgesamt 13 Einzelbeiträgen nach wie vor eine textzentrierte Herangehensweise wählen, wird in Ansätzen deutlich, dass naturwissenschaftliche Messmethoden neue Blickwinkel gerade auf medizingeschichtliche sowie ökologische Fragestellungen liefern. Exemplarisch verdeutlichen dies vor allem die Beiträge, die materielle Evidenz als Grundlage der historischen Analyse wählen, um zu einem tieferen Verständnis der historischen Quellentexte zu gelangen – und um umgekehrt zu prüfen, ob und wie Zeitgenossen in Texten über Umweltphänomene geschrieben haben. Elizabeth Craiks Aufsatz über die Ausbreitung und den Umgang mit Malaria im antiken Griechenland macht dies ebenso deutlich, wie Alain Bressons Beitrag zum Umgang mit Umweltverschmutzung, besonders durch Kohle, und der korrelierenden Ausbreitung von Krankheiten in Städten der griechisch-römischen Welt. Aber auch die anderen Autor/innen sind an diesem Brückenschlag beteiligt, indem sie dokumentarische Textzeugnisse – und hier vor allem Inschriften – nach ihren umweltgeschichtliche Gesichtspunkten aufarbeiten.

Im Zentrum des Sammelbandes stehen dabei unterschiedliche Formen von „pollution“ sowie die Fragen, wie Phänomene der Verschmutzung überhaupt in der Antike herbeigeführt wurden und wie mit ihnen letztlich umgegangen wurde. Cordovana und Chiai wählen dabei einen insofern programmatischen Auftakt, als ihre Überlegungen zum sogenannten „Menschenzeitalter“, dem „Anthropozän“ (S. 11–12), dessen Beginn mittlerweile meist auf das atomare Zeitalter um 1945 gelegt wird, den eigenen Platz in der Geschichte reflektieren (der gerade in umweltgeschichtlicher Hinsicht die Gefahr anachronistischer Rückschlüsse auf die Vergangenheit beinhaltet) sowie deutlich machen, dass die Vormoderne in gegenwärtigen geisteswissenschaftlichen Untersuchungen zur Umwelt durchaus eine wichtige Rolle einnehmen kann.2 Allerdings nicht, indem vorschnelle Vergleiche zwischen Gegenwart und Antike gezogen werden, oder indem man ökologisches Gedankengut und Praktiken des Umweltschutzes auf das griechisch-römische Altertum rückprojiziert. Cordovana und Chiai sprechen in diesem Zusammenhang vorsichtiger von einem „common-sense environment“ (das heißt „the shared common knowledge and perception of the environment by ordinary people“, S. 12), das es zu analysieren gilt. Die Gliederung des Bandes nach Quellengruppen – Gesetzestexte, literarische und epigraphische Quellen, medizinhistorische Schriften sowie materielle Fundkomplexe – macht vor diesem Hintergrund Sinn, um tatsächlich der Frage nachzugehen, wie und auf welchen Ebenen antike Menschen mit ihren „Umwelten“ konfrontiert waren.

Das übergeordnete Thema – die Verschmutzung – ist dabei ebenso geeignet, unterschiedliche Dimensionen des Umwelthandelns in den Blick zu rücken und das breite Quellenspektrum in einer gemeinsamen Klammer zusammenzufassen. Allerdings fehlt es an einer vertiefenden Schärfung und Konzeptualisierung des Begriffs der „pollution“. Wo Cordovana und Chiai kurz anheben, um ihn zu erklären (S. 18), ziehen sie sich auf eher allgemein gehaltene Bemerkung zum Umgang mit umwelthistorischen Quellen zurück. Zwar ist es zweifellos richtig, dass epigraphische Quellen und Gesetzestexte Maßnahmen gegen Verunreinigungen aller Art treffen. Allerdings wäre im Einzelfall stärker zu prüfen, welche gesamtgesellschaftlichen Prozesse, Ereignisse und Entwicklungen damit zusammenhängen und vor allem wie das Phänomen der Verschmutzung jeweils terminologisch greifbar wird. Ein Abschnitt oder gar ein eigenes Kapitel, das sich mit diesem Aspekt auseinandersetzt, wäre wünschenswert gewesen, wie Cinzia Bearzot es in ihrem Beitrag zu „ökologischen“ Vorstellungen vorführt. Hier liegen bereits zahlreiche einschlägige Studien vor, die Anknüpfungs-, aber auch Abgrenzungspunkte geboten hätten, um den eigenen Forschungsbeitrag des Bandes noch stärker zu profilieren.3

Chronologisch umfasst der Sammelband die gesamte griechisch-römische Antike von der archaischen Zeit bis in die Spätantike, mit Vorläufern in Mesopotamien (analysiert von Cristina Simonetti) und Traditionslinien bis hinein ins monastische Mittelalter (untersucht von Luca Montecchio). Während Luigi Capogrossi Colognesi, angefangen mit dem sogenannten Zwölftafelgesetz aus dem 5. Jh. v. Chr., römische Gesetzestexte und Maßnahmen zu Schutz vor Wasser- und Luftverunreinigungen in den Blick nimmt, greift Arnaldo Marcone den Faden auf, um allgemein die Entwicklung von Umweltbewusstsein in der römischen Welt zu verfolgen, das er für die Frühe Kaiserzeit als etabliert sieht. Gian Franco Chiai nimmt ein breites Spektrum an kultisch-religiös konnotierten Inschriften im Bereich von Tempelbezirken in den Blick, die einmal mehr zeigen, wie nuanciert das Verhältnis von Religion und Umwelthandeln in der antiken Welt war und um vorzuführen, wie es vor allem Flüssen und Gewässern zugutekam. Edoardo Bianchi kann am Beispiel des Tibers vorführen, in welchem interaktiven Wechselverhältnis Natur- und Stadträume standen und welche Schutzmaßnahmen von Seiten der Stadtrömer notwendig waren, um den Fluss zu regulieren. Dass die Organisation von und die Aufsicht über diese Regulierung ein Politikfeld ersten Ranges war, wird dabei ebenfalls evident.

Fragen der Medizingeschichte und der menschlichen Interaktion mit Mikroorganismen sind Thema in den bereits angesprochenen Beiträgen von Craik und Bresson sowie in Isabella Andorlinis Untersuchung von ägyptischen Papyritexten, in denen ein deutliches Bewusstsein für den Zusammenhang von Ressourcenabbau in Bergwerken und dem Ausbruch von Krankheiten sichtbar wird. J. Donald Hughes greift mit dem Schutz von Wäldern und dem Problem der Entwaldung zwei Themen auf, die die Umweltgeschichte der Antike seit einigen Jahrzehnten geprägt haben. Er kommt zu dem Schluss, dass die Entwaldung ein größeres ökologisches Problem darstellte, als es jüngere Studien nahegelegt haben, und verweist einhergehende Phänomene wie Erosion und Luftverschmutzung, die bereits in der Antike in Zusammenhang mit Entwaldung diskutiert wurden.4 Der materialreiche Beitrag von Jocelyne Nelis-Clément untersucht, ausgehend von modernen Massenveranstaltungen wie den olympischen Spielen, die ökologischen Ausmaße der römischen Arenaspiele und zwar nicht nur bezogen auf die Bedrohung einzelner Tierarten, sondern in allgemeiner Hinsicht auf Ressourcenverschleiß und Umweltverschmutzungen (etwa durch Lärm). Dieser sowie die anderen Beiträge des Bandes mögen eine Richtung vorgeben, in die sich zukünftige umweltgeschichtliche Forschungen zur Antike bewegen können, nämlich indem man antike Infrastrukturen und Institutionen (wie das Spiel- und Festwesen) noch stärker auf ihre umweltpolitischen Implikationen hin untersucht als bislang geschehen; und indem man kritisch neue, naturwissenschaftliche Datensets in die Analyse integriert, ohne dabei die textzentrierte Quellenanalyse außer Acht zu lassen. Dass es dabei eine Fülle an Material, gerade im Bereich der Epigraphik, aber auch der Medizinschriftsteller gibt, das es zu erforschen gilt, macht dieser anregende Band jedenfalls sehr deutlich.

Anmerkungen:
1 Beispielhaft wird dies vorgeführt in Joseph G. Manning, The Open Sea. The Economic Life of the Ancient Mediterranean World from the Iron Age to the Rise of Rome. Princeton NJ 2018; sowie Kyle Harper, The Fate of Rome. Climate, Disease, and the End of an Empire, Princeton NJ 2017. Programmatische Ausführungen bieten William V. Harris (Hrsg.), The Ancient Mediterranean between Science and History, Leiden 2013; sowie Alain Bresson, The Ancient World. A Climatic Exchange, in: F. de Callataÿ (Hrsg.), Quantifying the Greco-Roman Economy and Beyond, Bari 2014, S. 43–62.
2 Zum Begriff des „Anthropozäns“ und der Rolle der Geschichtswissenschaften Dipesh Chakrabarty, The Climate of History. Four Theses, in: Critical Inquiry, 35 (2009), 2, S. 197–222. Für die Altertumswissenschaften vgl. bald Christopher Schliephake, The Environmental Humanities and the Ancient World. Questions and Perspectives, Elements in Environmental Humanities, Cambridge erscheint 2019/20.
3 Vgl. Mark Bradley / Kenneth Stow (Hrsg.), Rome, Pollution and Propriety. Dirt, Disease and Hygiene in the Eternal City from Antiquity to Modernity, British School at Rome Studies, Cambridge 2012. Nun auch Jan-Mathieu Carbon / Saskia Peels-Mathey (Hrsg.), Purity and Purification in the Ancient Greek World, Kernos Supplément 32, Liège 2018.
4 Vgl. Platon, Kritias 110e–111e. Siehe dazu William V. Harris, Plato and the Deforestation of Attica, in: Athenaeum 99, S. 479–82. Ebenso J. Donald Hughes, What is Environmental History? Cambridge 2016, S. 22ff. und Lukas Thommen, Umweltgeschichte der Antike, München 2009, S. 43f.

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