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Titel
Stadtmütter. Bürgerliche Frauen und ihr Einfluss auf die Kommunalpolitik im 19. Jahrhundert (1860-1900)


Autor(en)
Wolff, Kerstin
Reihe
Aktuelle Frauenforschung
Erschienen
Königstein 2003: Ulrike Helmer Verlag
Anzahl Seiten
288 S.
Preis
€ 24,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rainer Hering, Staatsarchiv Hamburg

„Im Gegensatz zu den Männern, die auch bei geringem Verdienst zumindest an den Reichs- und Landtagswahlen teilnehmen konnten, waren Frauen von der politischen Partizipation bis zum Ende des Kaiserreiches gänzlich ausgeschlossen. Sie besaßen weder das kommunale noch das nationale Wahlrecht. Auch zu leitenden Positionen in der städtischen Verwaltung hatten sie keinen Zugang, da sie nicht in den Besitz des Bürgerrechtes gelangen konnten.“1 Diese These einer Untersuchung zur städtischen Kommunalpolitik repräsentiert nahezu idealtypisch die bisherige Auffassung von der Rolle der Frau in der Kommunalpolitik vor der Weimarer Republik. Kommunalpolitik wird dabei zumeist als das Handeln von mindestens zwei Gruppen verstanden, wobei die städtische Verwaltungsspitze in der Person des Bürgermeisters den gewählten Vertretern der Stadtgemeinde gegenüber steht. Die Forschungen zur modernen Stadtgeschichte konzentrieren sich dabei zumeist auf Männer, da Bürgerinnen grundsätzlich als von der politischen Partizipation ausgeschlossen angesehen werden. Deutlich wird dabei, dass in diesem Verständnis von Normen auf die tatsächliche Lebenspraxis geschlossen wird und dass politische Wahlen als Gradmesser der politischen Partizipation angesehen werden.

Gegen diese Sichtweise wendet sich Kerstin Wolff in ihrer mit dem Elisabeth-Selbert-Preis des Landes Hessen im Jahr 2002 ausgezeichneten Dissertation. Sie bezweifelt, dass im 19. Jahrhundert wirklich alle Frauen politisch einflusslos waren. Um Frauen als kommunalpolitisch Handelnde in den Blick zu nehmen, erweitert sie den Begriff des Politischen in der Kommune und zugleich den der Kommunalpolitik. Im 19. Jahrhundert wandelten sich die Stadtverwaltungen von einer Honoratioren- zu einer Leistungsverwaltung. Die komplexeren Anforderungen an die Stadtverwaltung und der kontinuierliche Funktionszuwachs führten dazu, dass immer mehr Menschen von den Entscheidungen der Stadtverwaltung betroffen waren. Träger der kommunalen Selbstverwaltung war bis zum Ende der Monarchie das liberale Stadtbürgertum, das seine Vorstellungen von kommunaler Politik umsetzen konnte.

Kerstin Wolff untersucht jetzt nicht den Selbstverwaltungsapparat von außen, sondern konzentriert sich auf konkrete, kommunalpolitisch wichtige Projekte und analysiert daran, wer sich mit ihnen beschäftigte und wer in welcher Weise Einfluss auf das städtische Vorhaben nahm. Dadurch gelingt es ihr überzeugend, neben den üblichen Partizipationsformen Einflusskreise herauszuarbeiten, die von Frauen genutzt werden konnten.

Am Beispiel der preußischen Stadt Harburg, die im 19. Jahrhundert eine erstaunliche Industrialisierung durchlief und 1937 im Rahmen des Groß-Hamburg-Gesetzes zur Hansestadt kam, wo sie heute einen Bezirk bildet, analysiert Kerstin Wolff methodisch sehr reflektiert am Beispiel dreier kommunalpolitisch relevanter Vorhaben die Partizipationsmöglichkeiten und –formen von Frauen: der Entstehung des (städtischen) Siechenhauses ab 1872, des neuen Rathausbaues ab 1888 und der Entwicklung des Krankenhauses zwischen 1843 und 1900. Ihre Quellengrundlage sind die Akten der Stadtverwaltung sowie die lokale Presse zwischen 1866 und 1900. Quellen, die eine Innensicht der handelnden politischen Elite ermöglicht hätten, konnten leider nicht ermittelt werden – es fehlt an überlieferten Briefen, Testamenten oder Tagebüchern. Vorangestellt sind nach einleitenden Überlegungen eine konzentrierte Geschichte Harburgs und der kommunalen Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert.

Kerstin Wolff arbeitet so, drei Formen der politischen Partizipation von Frauen heraus, die sie keineswegs nur als diskriminierte, leidende und durch männliche Normen eingezwängte Personen erscheinen lassen. Die erste ist die Gründung eines (Frauen-)Vereins, der gerade im Deutschen Kaiserreich ein sehr hohes Ansehen genoss. Diese Organisationsform bot die Möglichkeit, ein Thema in die Öffentlichkeit zu bringen und zugleich auch finanzielle und andere Mittel zur weiteren Unterstützung zu akquirieren. In Harburg gelang es dem Frauenverein „Comité für die Warteschule“ neben einer „Warteschule“ auch ein Siechenhaus für Frauen zu erreichten. Im Rahmen der Expansion seines Einflusses übernahm der Magistrat dann dieses Haus – die „private“ Gründung wurde so zur städtischen Einrichtung. Bürgerliche Frauenvereine stellten nicht nur ein Netzwerk untereinander befreundeter, politisch aktiver Frauen dar, sondern boten auch eine Möglichkeit, spezifisch weibliche Formen bürgerlicher Werte und Anforderungen an die Gesellschaft weiterzuleiten. Die Form des (Frauen-)Vereins war einer der erfolgreichsten Möglichkeiten für Frauen, kommunalpolitisch gestaltend zu wirken.

Die zweite wichtige Form waren die informellen Kontakte über den Namen und das Eingebundensein in einen Familienverband. Gerade im 19. Jahrhundert wurden Netzwerke in der Kommunalpolitik stark von der Familie her bestimmt. Der Familienname transportierte eine bestimmte Stellung innerhalb der Kommune, je einflussreicher diese war, desto größer waren die Wirkungsmöglichkeiten – auch für bürgerliche Frauen, die eine wichtige Position innerhalb des Familiennetzwerkes einnahmen. In Harburg wird diese Form vor allem beim Rathausbau offenbar, wo Frauen eine aktive und selbstbewusste Rolle als Mäzeninnen und Spenderinnen inne hatten. Dabei war der familiäre Status von entscheidender Bedeutung. Die dritte Variante war damit verbunden – das Zurverfügungstellen finanzieller Ressourcen, wodurch bestimmte Projekte beeinflusst werden konnten. Weibliches Stiften – so Kerstin Wolff – war für weibliche Belange typisch, männliches für männliche Interessen. In Harburg wird dies besonders beim Bau des Krankenhauses deutlich.

Kommunalpolitik – so folgert Wolff – war im Kaiserreich ein verflochtenes, meist bürgerliches politisches System, das neben den institutionalisierten Formen der politischen Partizipation gerade auf informell Handelnde setzte. In diesem Blickwinkel geraten gerade weibliche Partizipationsmöglichkeiten ins Zentrum der Wahrnehmung. Die von ihr vorgestellten bürgerlichen Frauen nutzten ihre Möglichkeiten, um ihre eigenen Vorstellungen einer menschlichen Gesellschaft umzusetzen. Sie übernahmen Verantwortung für den Umbau der bürgerlichen Gesellschaft (S. 204). Kerstin Wolff betont in ihrer anregenden Studie, dass derartige Partizipationsmöglichkeiten von Frauen nicht nur in Harburg, sondern auch in anderen Städten zu finden sind, wenn man gezielt danach sucht. Wünschenswert ist, dass weitere lokalgeschichtliche Untersuchungen diese Fragestellung aufgreifen, damit sich übergreifende Schlussfolgerungen ziehen lassen. Ein überzeugender Anfang ist gemacht!

Anmerkung:
1 Bartelsheim, Ursula, Bürgersinn und Parteiinteresse. Kommunalpolitik in Frankfurt am Main 1848-1914, Frankfurt am Main 1997, S. 332.

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