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Titel
Genosse General!. Die Militärelite der DDR in biografischen Skizzen


Herausgeber
Ehlert, Hans; Wagner, Armin
Reihe
Militärgeschichte der DDR 7
Erschienen
Anzahl Seiten
632 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Th. Müller, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

„Neben dem Charakter des Staates und seiner Politik, dem die Streitkräfte dienen, ist natürlich die Besetzung der führenden Kommandeursstellungen für das Wesen und die Ziele einer Armee entscheidend.“ Erich Honeckern 1

Entsprechend dieser Maxime erfolgte in der DDR die Auswahl der politisch und fachlich als geeignet befundenen Personen für militärische Spitzenpositionen. Diese „Kaderpolitik“ bildete eines der prägenden Fundamente der SED-Diktatur. Über die Lebensläufe der insgesamt 377 Generale und Admirale, die in der Nationalen Volksarmee und ihren Vorläuferorganisationen gedient haben, war bisher jedoch nur wenig bekannt. Die Biografien der führenden Militärs der SBZ/DDR waren bis zur Wende mehr oder weniger Verschlusssache. Das galt vor allem dann, wenn sie Brüche enthielten, die nicht in das Bild der offiziellen Propaganda passten.

Nachdem Klaus Froh und Rüdiger Wenzke bereits im Jahr 2000 ein biografisches Handbuch der Generale und Admirale der NVA veröffentlicht haben, ist nun im Herbst 2003 mit dem von Hans Ehlert und Armin Wagner herausgegebenen Buch eine Sammlung von 19 vertiefenden biografischen Porträts führender Militärs der SBZ/DDR erschienen. Die Autoren – zum großen Teil ausgewiesene Militärhistoriker aus Ost- und Westdeutschland – arbeiten darin die Prototypen einer zentralen Funktionselite der DDR exemplarisch heraus. Ihre Aufsätze verknüpfen das individuelle Moment jeder Biografie mit allgemeinen Aussagen zur Militärelite der DDR. Im Vordergrund standen die „hervorragenden Merkmale“ (S. 18) der jeweiligen Karriere sowie private und berufliche Brüche. Demgegenüber traten Alltag und Normalität des Truppen- bzw. Stabsdienstes deutlich zurück. Die verschiedenen Lebensläufe laden zum Vergleich ein, der die Individualität der einzelnen Akteure scharf hervortreten lässt. Bei ihrer Auswahl wurden vor allem die Vertreter der großen Organisationsbereiche bzw. die Inhaber zentraler Dienststellungen, etwa des Ministers für Nationale Verteidigung, berücksichtigt. Das hat jedoch zur Folge, dass bedauerlicherweise die jüngste, nahezu vollständig in der DDR sozialisierte und etwa 35 Personen umfassende Generalsgeneration, welche bis 1989/90 noch nicht in die Spitzenpositionen aufgerückt war, gar keine Berücksichtigung gefunden hat. Die biografischen Skizzen widmen sich daher ausschließlich der Gründer- und der Aufbaugeneration der NVA. Die Gründergeneration ist, bestehend aus ehemaligen Wehrmachtoffizieren und Altkommunisten zugleich die am wenigsten homogene Generation der ostdeutschen Generalität. Die Lebenswege der Aufbaugeneration weisen demgegenüber deutlich mehr Gemeinsamkeiten auf. Kindheit bzw. Jugend in Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg, zum Teil die Erfahrung als Unteroffizier oder Mannschaftssoldat der Wehrmacht mit anschließender sowjetischer Kriegsgefangenschaft und Antifa-Umerziehung sowie schließlich das Engagement in FDJ und SED für den neuen Staat DDR stellten die entscheidenden Prägungen dieser Generation dar. Das Buch gliedert sich folglich in drei Teile.

Der erste Teil widmet sich in fünf Skizzen den ehemaligen Wehrmachtoffizieren bzw. –generalen der Gründergeneration, welche sich zum Teil noch vor Gründung der DDR dem Aufbau ostdeutscher Streitkräfte zur Verfügung stellten. Porträtiert werden Rudolf Bamler, Bernhard Bechler, Arno von Lenski, Vincenz Müller und Heinz Bernhard Zorn. Kennzeichnend ist für diese Gruppe der mit der sich abzeichnenden Niederlage Hitlerdeutschlands einsetzende Gesinnungswandel, der sie über NKFD und Antifa-Schule – wenn schon nicht wie z.B. Rudolf Bamler in die SED – so doch in die Blockpartei NDPD führte, wo etwa Vincenz Müller eigene politische Ambitionen verfolgte. Dennoch oder gerade deshalb wurden vormalige Wehrmachtoffiziere von der SED-Führung mit Argwohn betrachtet und sobald als möglich (1958) entlassen oder zumindest aus Entscheidungspositionen entfernt, um ihre fachlichen Fähigkeiten und Erfahrungen fürderhin an Militärakademie oder Militärgeschichtlichem Institut zu nutzen.

Sechs Altkommunisten und „bewährte Klassenkämpfer“, die von der SED vor allem wegen ihrer politischen Zuverlässigkeit in militärische Schlüsselpositionen gehoben wurden, werden im zweiten Abschnitt vorgestellt. Dabei handelt es sich um Friedrich Dickel, Rudolf Dölling, Heinz Hoffmann, Willi Stoph, Kurt Wagner und Waldemar Verner. Zweifelsohne am bekanntesten dürfte dabei der spätere DDR-Ministerpräsident Willi Stoph sein. Ulrich Mählert porträtiert ihn als den „ewig zweiten Mann der DDR“ und „roten Preußen“, der diszipliniert und kompetent als erster Verteidigungsminister der DDR „Beachtliches geleistet“ (S. 293) habe, dessen Rolle im Nationalsozialismus jedoch nur bedingt dem Ideal eines kommunistischen Widerstandskämpfers entsprach. Als kleines KPD-Mitglied bald von den Genossen im Widerstand isoliert, diente Stoph unspektakulär in der Wehrmacht, stieg bis zum Unteroffizier auf und nutzte die verbleibende Zeit zur Weiterqualifikation als Bautechniker. Andere altkommunistische Generalskollegen haben in dieser Hinsicht als Spanienkämpfer, Kominternfunktionäre oder Instrukteure an Antifa-Schulen für deutsche Kriegsgefangene deutlich mehr zu bieten. Eine Ausnahme anderer Art stellt in dieser Gruppe der gelernte Steinsetzer Kurt Wagner dar. Zwischen 1935 und 1945 war er wegen seiner Tätigkeit im kommunistischen Widerstand inhaftiert. Sein Biograf Matthias Rogg hebt in diesem Zusammenhang die „große innere Disziplin“ (S. 337) seines Protagonisten hervor, der nach dem Krieg bis zum Generaloberst und Chef Ausbildung der NVA aufstieg. Rogg charakterisiert ihn als Mann mit klarer Sprache, fleißig, nüchtern und kompromisslos, ein im besten Sinne des DDR-Systems „zuverlässiger Parteisoldat“ (S. 352).

Ein derart fairer, ja respektvoller Umgang mit den zu porträtierenden Persönlichkeiten ist kennzeichnend für die Mehrzahl der hier vorgelegten biografischen Skizzen. Die einzelnen Lebensläufe werden mit ihren Höhen und Tiefen sowie, insbesondere bei den ehemaligen Wehrmachtoffizieren, in ihrer Widersprüchlichkeit kritisch gewürdigt. Dabei werden im Hinblick auf die jeweilige Verstrickung in die SED-Diktatur - Stichwort Grenzregime und IM-Tätigkeit - auch keine Werturteile gescheut. Wohlfeile und eindimensionale Wertungen unterbleiben jedoch. Prägend ist statt dessen Empathie. Fachliche Fähigkeiten, menschliche Qualitäten, der Aufstieg aus oft sehr einfachen Verhältnissen in hohe und höchste militärische Dienststellungen sowie der Beitrag zum Aufbau der NVA, kurz die individuellen Lebensleistungen, werden von den Autoren anerkannt und gebührend gewürdigt. Das schließt aber auch die Benennung von Fehlern, charakterlichen und intellektuellen Schwächen sowie beruflichem und privatem Scheitern mit ein, so dass von den einzelnen Protagonisten ein sehr ausgewogenes Bild gezeichnet wird.

Das trifft auch auf die im dritten und letzten Teil enthaltenen acht Porträts von Vertretern der Aufbaugeneration zu. Die Biografien von Wilhelm Ehm, Theodor Hoffmann, Heinz Keßler, Erich Peter, Fritz Peter, Wolfgang Reinhold, Horst Stechbarth und Fritz Streletz wurden für diesen Band untersucht, weil sie maßgeblich an der Entwicklung der einzelnen Teilstreitkräfte beteiligt waren. Ihre Lebenswege spiegeln dabei gleichzeitig Aufbau, Konsolidierung, Krise und Ende von DDR und NVA wider. In der retrospektiven Bewertung des SED-Regimes und eigener Verantwortung für die repressive Dimension des Staatssozialismus gibt es bei den Porträtierten jedoch zum Teil erhebliche Differenzen. Das Spektrum reicht hier von der auch öffentlichen kritischen Reflexion der Rolle der Streitkräfte in der DDR über den Rückzug ins Privatleben bis hin zu Apologetik und Legendenbildung.

Die Herausgeber Hans Ehlert und Armin Wagner haben einen durchweg gelungenen Band vorgelegt, dessen biografischer Ansatz vor allem dazu geeignet ist, dem Klischee uniformer „Kader“ ohne Ecken und Kanten entgegenzuwirken, in dem der DDR-Militärführung ein Gesicht gegeben wird. Jedem Porträt folgen unmittelbar ein Quellen- und Literaturbericht nebst Literaturverzeichnis, die dem interessierten Leser Anhaltspunkte für die weitere Recherche geben. Erleichtert dies zweifelsohne den Literaturüberblick zum jeweiligen Protagonisten, so wäre nichtsdestoweniger eine Gesamtbibliografie am Ende des Bandes wünschenswert gewesen, die eine schnelle Übersicht zu den Themen Streitkräfteentwicklung und Kader bzw. Eliten in der SBZ/DDR ermöglicht. Ein Anhang mit Tabellen und Organigrammen sowie einem Datengerüst zur Geschichte der ostdeutschen Streitkräfte rundet diesen empfehlenswerten Sammelband ab, dem viele Leser zu wünschen sind.

Anmerkung:
1 Honecker, Erich, Aus meinem Leben, Berlin 1980, S. 198.

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