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Titel
Das hybride Subjekt. Eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne


Autor(en)
Reckwitz, Andreas
Erschienen
Weilerswist 2006: Velbrück Wissenschaft
Anzahl Seiten
704 S.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Timo Luks, Carl von Ossietzky Universität Oldenburg

Der Soziologe Andreas Reckwitz hat mit seiner Hamburger Habilitation eine umfangreiche Synthese vorgelegt, die sich an einer Theorie moderner und postmoderner Subjektkulturen versucht, das heißt an der Rekonstruktion sich verändernder Kriterien von Subjekthaftigkeit seit dem 18. Jahrhundert. Er konzentriert sich auf das geographische Dreieck aus Deutschland, England und Frankreich und bezieht auch die USA ein. Reckwitz geht dabei von der Annahme aus, dass Subjekte sich abhängig von der jeweiligen materiellen Kultur in sozialen und kulturellen Praktiken und Diskursen bilden, stabilisieren und verschieben. Vor diesem Hintergrund analysiert Reckwitz vor allem die sich verändernden Formen der Arbeit, der Intimbeziehungen und der Technologien des Selbst. Er stützt sich vor allem auf – inzwischen zahlreich vorliegende – historische, soziologische und kulturwissenschaftliche Forschungen. Lediglich dort, wo Reckwitz einen Mangel empirischer Detailstudien feststellt, wendet er den Blick ‚in die Quellen’. Das heißt dann: punktuelles und illustratives Zitieren literarischer und geistesgeschichtlicher Klassiker. Der Gewinn der Arbeit liegt dementsprechend weniger in ihrem thematischen Neuigkeitswert als in der Entwicklung systematischer Kategorien, die eine Re-Evaluation bisheriger Forschungen unter subjektgeschichtlicher Perspektive ermöglichen.

Reckwitz rekonstruiert drei hegemoniale Subjektkulturen: das „moralisch-souveräne Subjekt“ der bürgerlichen Moderne, das „nach-bürgerliche Angestelltensubjekt“ der organisierten Moderne und das „konsumtorische Kreativsubjekt“ der Postmoderne. Er hebt vor allem auf die Hybridität, Agonalität und Diskontinuität dieser Formationen ab. Subjektkulturen werden als „ein Palimpsest von kulturellen Versatzstücken der Subjektivität“ (S. 15) sichtbar gemacht, das sich in beständigen Sinntransfers sowie einer „selektiven Verarbeitung des Früheren im Späteren“ (S. 88) realisiere. Dies ermögliche immer wieder die Bildung ästhetisch-kultureller Gegenbewegungen, die die inneren Widersprüche der hegemonialen Kultur aufgreifen, deren Universalitätssanspruch herausfordern und damit letztlich eine subjektgeschichtliche Dynamik in Gang halten würden.

Das Subjekt der bürgerlichen Moderne bildete sich in doppelter Opposition und entlang eines doppelten Subjektcodes: Gegenüber dem artifiziellen, exzessiven, parasitären Adelssubjekt erfolgte die Abgrenzung auf moralischer Ebene, während die Idee sich selbst regierender Souveränität übernommen wurde; gegenüber dem sich in Tradition und Religion verlierenden Subjekt der Volkskultur erfolgte die Abgrenzung auf der Ebene reflexiver Souveränität, während bestimmte Elemente einer harmonistischen Kosmologie adaptiert wurden. Vor diesem Hintergrund modellierte sich das bürgerliche Subjekt als „moralisch-souveränes Allgemeinsubjekt“, das sich mittels der Fähigkeit professioneller Partizipation seines „vollwertigen Subjektseins“ versicherte und Arbeit moralisch re-codierte; das seine Intimbeziehungen entlang eines psychologisierten und psychologisierenden Freundschaftscodes gestaltete und Freundschaftsfähigkeit zum Kennzeichen eigenverantwortlicher Souveränität erhob; das im Medium der Schrift eine subjektive Innenwelt realisierte, ein (auto)biographisches Bewusstsein, Entscheidungs- und moralische Urteilskompetenz entwickelte.

Zugleich wies das bürgerliche Subjekt eine Reihe innerer Friktionen auf: Das wirtschaftliche Handeln in einem unberechenbaren Markt, der spielerische Risikospekulation zu ermuntern drohte; die affektiv-libidinöse Aufladung des Anderen im Kontext bürgerlicher Freundschaftssemantik, die ständig Gefahr lief, die Grenzen der Tugendhaftigkeit zu überschreiten; die subjektivierende Lektüre, die ästhetische Gegenwelten ‚einzuschmuggeln’ und eine ‚ausschweifende Einbildungskraft’ hervorzubringen in der Lage war; die stete Selbstbeobachtung, die den Sinn für Individualität über die Standards moralischer Typisierung hinaus steigern konnte – all das waren Bruchstellen, an denen die Romantik mit ihrer Betonung ästhetischer Individualität und inneren Welterlebens ansetzte und sich gegenüber der bürgerlichen Moralisierung, Zweckrationalisierung und Routinisierung von Subjektivität profilierte.

In Weiterführung einiger Elemente des romantischen Subjektivierungsprogramms waren es dann die kulturellen Avantgarden seit der Wende zum 20. Jahrhundert, die eine Delegitimierung und Ent-Universalisierung des klassisch bürgerlichen Subjekts vorantrieben und ihrerseits einen Code transgressiver Subjektivität ausbildeten: „[A]lles, was im bürgerlichen Sinnhorizont das Risiko des Unkontrollierten enthält, erscheint nun als Bündel von Wegen zur Transgression.“ (S. 296) Auf der Suche nach überschreitenden, schockierenden und spektakulären Erfahrungen wurden unter anderem Kino und Metropole bedeutsam. Beide förderten und forderten eine experimentelle Haltung gegenüber den Grenzen von Realität und Fiktionalität und verkörperten eine fragmentarische, die prästabile Harmonie der bürgerlichen Moderne herausfordernde Ordnung. Das Soziale wurde von einem intersubjektiven Kommunikationsraum, den es in der bürgerlichen Welt repräsentierte, zum Objekt der Ästhetik – der romantischen Ästhetisierung der moralischen Souveränität des bürgerlichen Subjekts nicht unähnlich.

Es war besonders die avantgardistische Betonung der Theatralität des Sozialen, die im Kontext der organisierten Moderne aufgegriffen wurde – nun freilich entlang der Idee eines sozialen und extrovertierten Subjekts, von dem in seinem sichtbaren Verhalten Konformität erwartet wurde. Die Ästhetik des Visuellen und der Oberfläche wurde an soziale Normalität gekoppelt und verlangte ein entsprechendes ‚impression management’. Unter dem Einfluss neuer Arbeitspraktiken bildete sich zudem ein sozio-technischer Code heraus, der die Organisierbarkeit des Sozialen ins Zentrum rückte und den Manager-Ingenieur zum Modell moderner Subjekthaftigkeit erhob. Ein Miteinander von Konformität, Kooperation und (‚sportlicher’) Konkurrenz strukturierte auch die Intimbeziehungen. ‚Lockerheit’, ‚Informalität’ und ‚Attraktivität’ (der Verhaltens-Oberfläche) wurden zu den Kernelementen nach-bürgerlicher Intimbeziehungen, die den Charakter von ‚peer’-Beziehungen unter Gleichen annahmen.

Die Kritik der ‚counter culture’ der 1960er- und 1970er-Jahre setzte am sozialen Normalismus, an der Dominanz technischer Rationalität sowie der ereignisarmen Routine der organisierten Moderne an. Gegen den nun nicht mehr als ‚Umgänglichkeit’, sondern explizit als repressiv und unauthentisch codierten Konformismus der Angestelltensubjekte brachte man das ‚Begehren’ des Individuums in Stellung. Das Subjekt der ‚counter culture’ ist „eines des entgrenzten und spielerischen Begehrens nach intensiven Erfahrungen“ (S. 442f.).

Die ‚counter culture’ bereitete laut Reckwitz die postmoderne Verdrängung des Angestelltensubjekts durch ein konsumtorisches Kreativsubjekt vor. Post-bürokratische Praktiken der Arbeit gestalteten sich zunehmend als projekt- und teamförmige Kreativarbeit. „Die entsprechende soziale Normalform ist der Wettbewerb zwischen eigeninteressierten, selbstverantwortlichen Individuen. Gleichzeitig wird dieses Subjekt als eine risikobereite, aktivistische Instanz vorgestellt. Seine gesellschaftliche Normalform ist das ‚Unternehmen’ (enterprise), das sich in beständiger, aktiver Reaktion auf die Wünsche von ‚Kunden’/Konsumenten auf dem Gütermarkt positioniert.“ (S. 506) Ökonomismus und Ästhetizismus verbanden (und verbinden) sich. Arbeit, Intimität, Konsum und Mediengebrauch werden in der Postmoderne allesamt zum Mittel expressiver Subjektivität und Selbstverwirklichung – zu ‚Projekten’, eingebettet in ‚Netzwerke’, individualästhetisch und lebensstilistisch überformt. Entsprechend transformierte sich der Normalismus des Angestelltensubjekts: „Die Anerkennung des Individualstils hat dort ihre Grenzen, wo keine souveräne Arbeit an der eigenen, unverwechselbaren Ästhetik des Selbst mehr erkennbar ist: Stillosigkeit erscheint als Zeichen mangelnder Individualität des Selbst.“ (S. 565)

Auch wenn die Grundlinien des Buchs überzeugen und der systematische Zugriff anregend ist, sind zwei kritische Bemerkungen erforderlich. Erstens ist „Das hybride Subjekt“ hochgradig redundant und hätte ohne Substanzverlust erkennbar gekürzt werden können. Zweitens führt Reckwitz’ starke Neigung zu kultursoziologischem Jargon, den die vorliegende Rezension in gewisser Weise reproduziert, mitunter dazu, dass der Gegenstand der Arbeit verschwimmt. Zu oft geraten Passagen, die Elemente konkreter Subjektkulturen beschreiben wollen, unter der Hand zu Theoriezusammenfassungen. Begriffe, die derart überdeterminiert sind wie Diskurs, Disposition, Feld, Hybridität, kulturelles Kapital oder Praxis, eignen sich als analytische Werkzeuge, kaum aber zur Beschreibung konkreter Gegenstände. Sie evozieren stets zuerst ihre eigenen Theoriekontexte und verweisen bestenfalls in zweiter Linie auf den zu beschreibenden Gegenstand, den sie dadurch unwillkürlich verschieben. Aus Sicht des Historikers hat dies freilich den Vorteil, dass Reckwitz’ gelungene Theorie moderner und postmoderner Subjektkulturen noch Raum lässt für deren Geschichte.