Geschichte lehren und lernen. Das Bild des (guten) akademischen Lehrers

Geschichte lehren und lernen. Das Bild des (guten) akademischen Lehrers

Organisatoren
Historische Seminar der TU Braunschweig (Heike Christina Mätzing), Michael Stolle (Universität Karlsruhe) und das Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung
Ort
Braunschweig
Land
Deutschland
Vom - Bis
05.10.2006 - 07.10.2006
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Von
Michael Stolle, Institut für Geschichte, Universität Karlsruhe (TH), Heike Christina Mätzing

Die deutschen Hochschulen stehen vor großen Aufgaben, die nicht zuletzt ihr Selbstverständnis als eine auf Forschung und Lehre konzentrierte Einrichtung berühren. Wenn der Bologna-Prozess zu einer stärkeren Betonung von „Lehre“ führen soll, so ist besonders kritisch, dass es nach wie vor an einer Verständigung darüber mangelt, wie an der Hochschule fachspezifisch gelehrt werden kann und von welchem Selbstverständnis sich akademische Lehrer und Lehrerinnen leiten lassen können – oder wollen.1

Was gute Lehre ausmacht und wer eigentlich ein guter akademischer Lehrer ist (bzw. als solcher bei Studierenden, Kollegen und Evaluationsbüros gilt), ist trotz zahlreicher – freiwilliger oder unfreiwilliger – Evaluierungsverfahren noch nicht hinreichend geklärt. Gewiss ist nur, dass pädagogisches Talent, Routine und eine innere Leidenschaft für den Beruf noch keinem Hochschullehrer geschadet haben. Aber reichen fachliches Können und fachmethodische Souveränität schon aus? Und ist ein herausragender Forscher schon ein guter Lehrer? Oder braucht es neue Lehrformen und Anregungen aus der allgemeinen Hochschuldidaktik? Für die Geschichtswissenschaft ist darüber hinaus relevant, welche fachspezifischen Kompetenzen sich mittels guter Lehre aufbauen lassen – oder anders gewendet: welche Kompetenzen bei schlechter Lehre möglicherweise unzulänglich ausgebildet werden.

Diesen Fragen ging eine internationale Tagung nach, die das Historische Seminar der TU Braunschweig (Heike Christina Mätzing), Michael Stolle (Universität Karlsruhe) und das Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung vom 5. bis 7. Oktober 2006 gemeinsam in Braunschweig veranstalteten. Ursprünglich als Sektionsbeitrag des Konstanzer Historikertages geplant, dann aber mit Unterstützung der Marga und Kurt Möllgaard-Stifung im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft eigenständig durchgeführt und konzeptionell erweitert, sollte auf der Tagung herausgefunden werden, welche fachspezifischen Anforderungen an eine erfolgreiche akademische Lehre gestellt werden müssen und ob es signifikante Formen einer Hochschuldidaktik für das Fach Geschichte gibt.

Michael Stolle (Karlsruhe) erinnerte in seinem Eröffnungsvortrag an die Geschichte der Lehrinnovation im Fach Geschichte und stellte „Reformvorschläge von Ernst Bernheim bis heute“ vor. Bernheim (1840–1942) könne als erster Vertreter einer fachspezifischen Hochschuldidaktik in Deutschland angesehen werden, der seine Überlegungen zur akademischen Lernwirklichkeit nicht nur im geschlossenen Seminarraum erprobte. Als führender Vertreter der „Gesellschaft für Hochschulpädagogik“ sei Bernheim bestrebt gewesen, einen Austausch über akademische Lehre zu begründen. In seiner Reformschrift „Das akademische Studium der Geschichtswissenschaft“ konkretisierte Bernheim seine Anliegen. Seine Reformimpulse, die von einem aktivierenden und Problem basierten Unterricht ausgingen, konnten die Lehrkultur an deutschen Universitäten jedoch nicht verändern. Eine öffentliche Diskussion über Lehrverfahren und Lehrmethoden kam erst nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus und Zweiten Weltkriegs wieder in Gang, wie Stolle anhand der Ansätze von Walther Peter Fuchs (1905–1997) verdeutlichte. Fuchs betonte in den 1950er Jahren einerseits den Bildungsauftrag der Universität und leitete andererseits aus der Beobachtung einer sich sozialstrukturell und mental verändernden Studentenschaft Maßnahmen ab, wie das Fach Geschichte zeitgemäß gelehrt werden könne. Stolle betonte, dass die Hinwendung zur Lehre und zu Lehrinnovationen keine Erfindung der Studentenbewegung der „68er“ wäre. Andererseits könne nicht unterschlagen werden, dass nach „1968“ die hochschuldidaktische Diskussion innerhalb der Geschichtswissenschaft neue und wichtige Impulse erhalten habe, wie die – in der GWU veröffentlichten – Diskussionsbeiträge über den akademischen Unterrichts in den Jahren 1972 und 1975 zeigten – eine Diskussion, an die erst seit wenigen Jahren und mit deutlichem Schwerpunkt auf außergewöhnlichen Unterrichtsentwürfen wieder angeknüpft werde. Wo aber bliebe der pragmatische Austausch von alltäglichen Lehrerfahrungen und Lehrexperimenten, den Bernheim bereits gefordert habe? Sei Nachahmen und Abgucken guter Ideen für die Verbesserung des akademischen Unterrichts noch immer verpönt? In der sich anschließenden Diskussion wurde mehrfach geäußert, dass für das Lernen der Lehre zwar Vorbilder sehr wichtig seien, diesbezügliche Diskussionsforen aber nur selten hergestellt würden. Nur in kleinen Netzwerken lasse sich unter Kollegen jenes Vertrauen schaffen, das für konstruktive Kritik und Veränderung notwendig sei (Christoph Frei, St. Gallen).

Rainer Pöppinghege (Paderborn) stellte später das hochschuldidaktische Instrument der Hospitation vor, mit dem ein solcher Lehraustausch im Kleinen stattfinden könne. Die Erfahrungen, die er als Betreuer interdisziplinärer Hospitationsverfahren in Paderborn machte, lassen jedoch keine eindeutigen Schlussfolgerungen zu. Während einige Nachwuchsakademiker eine wachsende Verunsicherung bemerkten, empfanden andere das Feedback über die eigene Lehre als sehr hilfreich. Insgesamt jedoch dürfte die Hospitation ein adäquates Verfahren sein, um die Selbstwahrnehmung und Rollenzuschreibung als akademischer Lehrer zu professionalisieren. Bei der Tagung wurden daraufhin erste Überlegungen angestellt, wie sich regionale Netzwerke für Lehrhospitationen organisieren ließen.

Einen Perspektivenwechsel nahm Knud Andresen (Kiel) vor, der zwei Jahre lang als Referent des AStA mit der Umstellung auf BA/MA beschäftigt war und sich bildungspolitisch für die JUSO Schleswig-Holstein engagiert. Er rekapitulierte die Eckpunkte des Bologna-Prozesses aus studentischer Sicht und stellte die Interessen und Erwartungen vor, welche die Studierenden an die Modularisierung von Studiengängen haben. „Wir erwarten, dass die Lehrenden sich umstellen und der Student in den Mittelpunkt rückt“, so Andresen. Dies bedeute, dass die Studierenden bereits bei der Curriculumentwicklung und der Frage nach der Studierbarkeit der neuen Studiengänge gehört würden. Ernstgemeinte Modularisierung zwinge zur Aufgabe des Frontalunterrichts als Kennzeichen des Hochschulunterrichts. Sie bedeute den Abschied von langweiligen Referaten und die Einführung zielorientierterer, projekt- und handlungsorientierter Verfahren, die höheren Lehrerfolg versprächen. Die Studierenden müssten das Lernen lernen, um sich lebenslang qualifizieren zu können. Damit rücke die didaktische Qualität der Universität in den Fokus; eine ernstgenommene Evaluation müsse hier für Standards sorgen. Die Studierenden erhofften sich neue Veranstaltungsformen und eine intensivere Studienberatung. Praktika sollten vermittelt und in den Studienplan integriert werden. Im Zentrum des Wandels müsse ein neues Berufsbild des Hochschuldozenten stehen, das sich auch auf dessen Selbstverständnis niederschlage. Indes bestünde wenig Aussicht, dass diese Erwartungen erfüllt würden, da angesichts steigender Studierendenzahlen nach konservativem Muster nichts übrig bliebe, als wenig arbeitsintensive Veranstaltungsformen und Prüfungen zu kombinieren, um Personal zu sparen. Die Gefahr, dass die neuen, begrüßenswerten Lernziele mit einem didaktischen „roll-back“ einhergehen, erscheine sehr groß. Sollten die Beharrungskräfte stärker als die Reformideen bleiben, zeichneten sich eine Verstärkung des Bildungstrichters und die Verschulung der Universitäten ab.

Was gute Lehre aus der Sicht ausländischer Wissenschaftler ist, darüber tauschten sich in einem moderierten Gespräch (Heike Chr. Mätzing) der Politologe Christoph Frei und der Zeithistoriker Karl Christian Lammers (Kopenhagen) aus. Frei bekam 2005 den ´Teaching Award` der Universität St. Gallen verliehen – ein von Studierenden ausgelobter Preis, mit dem diese sich bei den Lehrenden für die exzellente Vorbereitung auf das Berufsleben bedanken wollen. Frei betonte dennoch, dass die kurzfristige Beliebtheit aufgrund ermittelter Evaluationsergebnisse kein hinreichender Indikator für eine gute Lehre sei. Diese beweise sich viel mehr in ihrer Nachhaltigkeit, etwa wenn ein Dozent von seinen Absolventen nach zwei, drei Jahren Briefe bekomme, in denen steht, warum bestimmte Lehrveranstaltungen von bleibendem Wert gewesen seien. Gute Lehre entspringe einerseits guter Technik (wozu Frei neben der Beherrschung von Präsentationstechniken auch die Grundregeln der sozialen Kommunikation und Interaktion zählte) – aber gute Technik allein reiche nicht. Die kreative Komponente, die Natur, die Persönlichkeit des Lehrenden komme hinzu. Erst beides zusammen – Technik und Kunst – machten im guten Falle gute Lehre. Frei betonte, dass es die richtige Mischung aus Technik und Kunst nicht gebe, sondern nur viele gelungene Mischungen, die jeder für sich finden müsse. Zugleich führte er Gründe an, warum Lehre, anders als in der anglikanischen Kultur, hierzulande ein schlechtes Standing habe. So sei gute Lehre zeitaufwändig und unbequem. Man müsse sich in Bereichen Mühe geben, in denen dies bislang nicht gefordert worden sei. Frei zeigte sich jedoch optimistisch, dass „hierarchische Topdownansätze“ in der Lehre der Vergangenheit angehörten: „Da wird das Leben dafür sorgen, dass es nicht mehr lange weiter gehen kann wie bisher.“

Während an der Hochschule St. Gallen Studiengebühren erhoben werden, folgen die Universitäten in Dänemark einem nahezu konträren Modell, wie Karl Christian Lammers ausführte. Dort erhielte jeder dänische Studierende fünf Jahre lang einen Lohn von 700€. Bei Überschreitung der Regelstudienzeit drohten der Universität jedoch in Zukunft finanzielle Nachteile. Die Lehre besitze in Dänemark einen großen Stellenwert, was sich auch in der Budgetierung der Zeit niederschlage. Forschung und Lehre würden hierbei gleichermaßen berücksichtigt – etwa wenn die Vorbereitung neuer Themen oder ein hoher Prüfungsaufwand mit einer zeitlichen Ermäßigung in der Lehre honoriert würden. Lammers machte ferner deutlich, dass in Dänemark Lehrveranstaltungen bereits seit längerem evaluiert würden, dass sich dieser Trend aber – nach niederländischem Muster – wohl noch weiter verstärken werde. Die Geschichtswissenschaft befinde sich zurzeit in einer Umbruchphase; so sollten Geschichtsstudierende in Zukunft auch solche Qualifikationen erwerben, die über die traditionellen Fertigkeiten eines wissenschaftlich arbeitenden Historikers hinausreichten und eine größere Praxisorientierung aufwiesen. Sowohl Lammers wie auch Frei betonten, dass ein enger, vertrauensvoller Umgang außerhalb der Lehrveranstaltungen letztlich zum Erfolg der Lehre beitrügen.

Kurze Praxisberichte gaben Heike Christina Mätzing und Frank Möller (Greifswald). Während Möller rekapitulierte, von welchen Selbst- und Fremdanforderungen die Vorbereitung seiner ersten Vorlesung geleitet war, berichtete Mätzing von einem Verfahren, das die Methode der Projektarbeit in den Seminaralltag integrierte. Dabei standen insbesondere die Auswirkungen auf die Arbeitsformen innerhalb des Seminars im Fokus. Während die Seminarleiterin die Rolle einer Moderatorin von Lernprozessen einnahm, sollten die Studierenden einerseits selbständig Kriterien formulieren, mit denen sie anhand der Fibelsammlung des Georg-Eckert-Instituts die übergeordnete Fragestellung („Formen des Zeitbewusstseins vom 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart“) bearbeiten wollten („entdeckendes Lernen“). Voraus gegangen war ein Seminarteil, in dem die fachwissenschaftlichen Kontexte aus der Sekundärliteratur erarbeitet worden waren. Positiv bewertete Mätzing an dieser Seminarform die gelungene Vermittlung von Schlüsselqualifikationen und die hohe Motivation der Studierenden, negativ zu Buche aus Sicht des Faches schlugen eine geringe Planungssicherheit, nicht genau definierbare Lernziele sowie unzureichende Präsentationsformen im öffentlichen Raum. Aufschlussreich war die Beurteilung des Seminars durch die Studierenden: ihnen gefiel am besten, dass sie eigenständig auf neue Fragen stießen.

Am Abend gab der Schriftsteller und promovierte Historiker Sten Nadolny einen lebendigen Eindruck von seinem akademischen Lehrer Thomas Nipperdey. Eingebunden in eine Lesung aus dem Roman „Selim oder die Gabe der Rede“ und seinen Nachruf auf Nipperdey („Die Sprache des Geschichts-Erzählers) erzählte Nadolny von seinen Begegnungen mit Nipperdey innerhalb und außerhalb von Vorlesung und Seminar. Damit erzählte er nicht nur von sich selbst, sondern machte auch sinnlich erfahrbar, wie sehr Geschichte und Erzählung zusammengehören. Mit geprägt durch die Ereignisse der Studentenbewegung machte Nadolny deutlich, wie viel er der akademischen Ausstrahlung und wissenschaftlichen wie zwischenmenschlichen Brillanz des bewunderten Lehrers Nipperdey verdankte, der ohne hochschuldidaktische Reflexionen auskam. Brauchen wir also überhaupt eine didaktisch reflektierte und fachwissenschaftlich fundierte Reflexion über Lehre?, so ließe sich fragend anschließen.

Das Fazit der Tagung fällt nüchtern aus. Kriterien für eine gute fachspezifische Lehre lassen sich ohne eine an der Praxis ausgerichtete (Lern-) Zieldefinition nicht per Definition festlegen. Daher müssten die Lehrenden konkreter als dies in den Modulbeschreibungen erfolgt, darüber nachdenken, welche Qualifikationen innerhalb eines Geschichtsstudiums, aber vor allem auch innerhalb einzelner Seminare erworben werden sollen – und auch: in welcher Weise Historiker ihre im Studium erworbenen Qualifikationen, Routinen und Fähigkeiten in ein späteres Berufsleben einbringen könnten. Erst danach kann geklärt werden, was sich im Hochschulunterricht mit welchen methodischen Ansätzen vermitteln lässt. Angesichts unterschiedlicher Berufswünsche und -vorstellungen der Studierenden fragt sich jedoch, ob ein für alle Studierenden einheitlicher Zielkatalog überhaupt sinnvoll ist. Existieren doch in Zukunft möglicherweise Studiengänge, in denen Geschichte einerseits „klassisch“, andererseits als Methodenfach zur Welterschließung gelehrt wird.

Die Frage jedoch: „Wie lässt sich Geschichte lehren?“ stellt sich als Kardinalproblem jeder Universitätsreform. Sie ist so alt wie Bernheims Ansätze, aber sie ist nicht altmodisch, nicht überholt, nicht zu vernachlässigen. Die Braunschweiger Tagung hat gezeigt, dass gute Voraussetzungen vorhanden sind, mit einem Dialog zu beginnen, der sich dem pragmatischen Austausch von Lehrerfahrungen und Lehrexperimenten verpflichtet weiß.

Anmerkungen:
1 Mit Rücksicht auf den Sprachfluss wird im Folgenden nur die männliche Form verwendet; selbstredend sind jedoch immer Lehrende beiderlei Geschlechts gemeint.


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