Friedländer Gespräche III: „Unsichtbares Gepäck“ – Zur Bewältigung von Kriegs- und Fluchterfahrungen seit 1945

Friedländer Gespräche III: „Unsichtbares Gepäck“ – Zur Bewältigung von Kriegs- und Fluchterfahrungen seit 1945

Organisatoren
Projekt "Museum Friedland"
Ort
Friedland
Land
Deutschland
Vom - Bis
18.09.2014 - 19.09.2014
Url der Konferenzwebsite
Von
Sara Sponholz, Die Exponauten - Projekt Museum Friedland

Am 18. und 19. September 2014 fand die dritte Veranstaltung der Tagungsreihe Friedländer Gespräche in der Landesaufnahmebehörde Niedersachsen, Standort Grenzdurchgangslager Friedland statt. Hier entsteht derzeit das Museum Friedland, in dessen Dauerausstellung die fast 70jährige Geschichte des Lagers und der Menschen, die Friedland durchlaufen haben, präsentiert wird. Unter dem Titel „‚Unsichtbares Gepäck‘ – Zur Bewältigung von Kriegs- und Fluchterfahrungen seit 1945“ diskutierte die Tagung interdisziplinär und zeitübergreifend kollektive und individuelle Verarbeitungen von Kriegs- und Fluchterfahrungen. In drei Sektionen behandelten Beiträge aus medizinhistorischer, wissenschaftshistorischer und psychologischer Perspektive die Folgen für verschiedene Gruppen wie Flüchtlinge, Kriegsgefangene, Displaced Persons und Kriegskinder. Im Fokus standen unter anderem der Trauma-Begriff sowie die gesellschaftlichen Bedingungen und Verarbeitungsweisen bis heute.

Nach einer Einführung in das Tagungsthema von Katrin Pieper (Berlin) vom Projekt „Museum Friedland“ referierte JOSÉ BRUNNER (Tel Aviv) im einführenden Eröffnungsvortrag über das Trauma-Konzept. Er definierte die Basis jeden Trauma-Diskurses als die Verknüpfung von Seele, Medizin und Recht, welche er in sieben Thesen erläuterte. Ein wichtiger Aspekt sei die Notwendigkeit einer Übersetzung persönlichen Leids in zeitgenössische medizinische Begriffe (z.B. Trauma). Ebenso hielt Brunner fest, dass man sich einer traumatischen Störung aus drei Perspektiven nähern könne: dem Ereignis selbst, durch die Diagnose oder mittels der Symptome.

Nach dieser grundlegenden Behandlung des Trauma-Konzepts folgte das erste Panel mit vier Vorträgen zum Thema „Gewalterfahrungen und Suche nach „Normalität“ im deutschen Nachkrieg“ moderiert von Bernd Weisbrod (Berlin / Göttingen).

Im ersten Beitrag legte PETER STEINKAMP (Ulm) die öffentliche Wahrnehmung von Kriegstraumatisierten nach dem Zweiten Weltkrieg dar und belegte seine These, dass eine Wahrnehmung nur über extremes Handeln der Betroffenen erfolgte, durch einzelne Beispiele. Als Problem nannte er die fehlende gesellschaftliche Anerkennung von seelischen Schäden im Gegensatz zu körperlichen Schäden. Auch ANDREA RIECKEN (Osnabrück) hob die Diagnose psychischer Belastung als Randerscheinung hervor. Ihrer Meinung nach, sei das Problem die personelle, strukturelle und konzeptionelle Kontinuität in der Gesundheitspolitik der Nachkriegszeit, welche die Eindämmung von Infektionserkrankungen in den Vordergrund stellte und psychische Erkrankungen bei Flüchtlingen und Vertriebenen größtenteils nicht berücksichtigte.

Die seelischen Auswirkungen von Flucht und Vertreibung in der SBZ/DDR untersuchte UTA BRETSCHNEIDER (Dresden) in ihrem Dissertationsprojekt, für das sie Interviews mit Kindern ehemaliger Flüchtlinge und Vertriebenen durchführte. Im Zuge der Assimilationspolitik wurden diese als „Umsiedler“ in die Gesellschaft integriert und mussten dabei ihre Vergangenheit verschweigen. Erst ab den 1970er-Jahren wuchs die Aufmerksamkeit und ab 1989 erfolgte eine vermehrt öffentliche Aufarbeitung durch Denkmalstiftungen und Vereinsgründungen. JAN-HINNERK ANTONS (Hamburg) beschloss den ersten Tag mit einem Bericht über Displaced Persons (DPs) in der britischen Besatzungszone. Nach einer kurzen Definition der DPs und der Vorstellung der zuständigen Hilfsorganisation der Vereinten Nationen (UNRRA) stellte Antons zwei beispielhafte Gruppen (jüdische und ukrainische DPs) vor und schilderte ihre teils offensiven, teils nationalistisch-geprägten Verarbeitungsformen von Kriegs- und Lagererfahrungen.

Am zweiten Tag folgten die Vorträge der zweiten und dritten Sektion, unterbrochen von einer Mittagspause mit Führungen über das Gelände und der Vorstellung des Projekts Museum Friedland.

Zum Thema „Die Entdeckung des Traumas“ unter der Moderation von Birga Meyer (Berlin) referierte BIRGIT SCHWELLING (Duisburg) über das psychosomatische Krankheitsbild „Dystrophie“ im gesellschaftlichen Diskurs der frühen Bundesrepublik. Sie zeigte auf, dass hierbei der langanhaltende Hunger in der Gefangenschaft im Fokus der Wissenschaft steht. Zwar finde eine Abwendung von der vorherigen Fixierung auf eine Anlagebedingtheit statt, jedoch stehe nun die Gefangenschaft als Ursache von psychischen Krankheiten im Zentrum und nicht der Krieg selbst.

ANNE FREESE (Berlin) umriss in ihrem Vortrag die historische Entwicklung des Trauma-Konzepts seit den 1960er-Jahren in der Bundesrepublik und griff dabei einzelne Aspekte der anderen Vorträge wieder auf. Sie stellte heraus, dass das psychische Trauma – in Abgrenzung zum körperlichen Trauma, welches schon zur Jahrhundertwende diese Bezeichnung hatte – erst ab den 1960er-Jahren langsam in der Wissenschaft Verwendung fand. Hierbei spielten die Begutachtungen von NS-Verfolgten und der Vietnamkrieg (PTSD) eine große Rolle. Erst in den 2000er-Jahren entwickelte sich in Deutschland ein neues Forschungsfeld zur Psychotraumatologie, welches sich vor allem aus Wissensgewinnung in der Therapie speist.

Das dritte Panel zum Thema „Praktiken der Verarbeitung von erinnerten und aktuellen Kriegs- und Fluchterfahrungen“ (Moderation Joachim Baur (Berlin)) stellte abschließend die psychologische Praxis in den Vordergrund. HARTMUT RADEBOLD (Kassel) eröffnete den letzten Teil der Tagung mit einem Beitrag zu den psychischen Belastungen von Kriegskindern. Viele Trauma-Symptome scheinen sich erst im Alter zu bilden, da die Kinder im Krieg und in der direkten Nachkriegszeit keine Gelegenheit zum Trauern gehabt hätten und ihre Ängste etc. unterdrückten. Durch Traumreaktivierung, Retraumatisierung und Traueraktivierung können nun im Alter Symptome auftreten, mit denen die Betroffenen selbst nicht umgehen können.

Einen Einblick in die ethnografische Methode verschaffte GESA BIERWERTHs (Québec) Dissertationsprojekt über die Auseinandersetzung mit Fluchterfahrungen im Rahmen organisierter Reisen. Ihrer Meinung nach würden die Fahrten individuelle Erinnerungen durch neue Eindrücke überlagern, da die kulturelle Dimension der Reise im Vordergrund stünde.

Im letzten Vortrag berichtete IBRAHIM ÖZKAN (Göttingen) über die Behandlung von traumatisierten Flüchtlingen im Asylverfahren. Neben einer Vorstellung des Göttinger Konzepts bot er auch einen Überblick in das spezifische Friedländer Modell mit einer „schonenden Traumatherapie“. Grundsätzlich gilt es durch eine bessere gegenseitige Verständigung, den Traumatisierten Stabilität und identifikatorische Anknüpfungspunkte zu bieten.

In der Abschlussdiskussion wurden nochmals die wichtigsten Aspekte von José Brunner aufgegriffen, welche schon in den einzelnen Vortrags-Diskussionen eine herausragende Rolle spielten, so wurde z.B. das historische Problem von zeitübergreifenden Begriffsverwendungen und mitschwingenden Wahrheitsansprüchen sowie die Notwendigkeit von begrifflichen Übersetzungen für Diagnose und Therapie diskutiert. Auffällig ist außerdem, dass in der frühen Forschung vorrangig die Nachkriegszeit als Auslöser von traumatischen Störungen diagnostiziert wurde und die Kriegs-Thematik selbst häufig vermieden wurde. Insgesamt plädierten alle Referentinnen und Referenten für eine inter- bzw. transdisziplinäre Forschung, um so die Kriegs- und Fluchterfahrungen umfassender untersuchen zu können.

Konferenzübersicht:

Katrin Pieper (Berlin), Begrüßung und Einführung ins Thema

Eröffnungsvortrag:
José Brunner (Tel Aviv), Traumatische Orte – Traumatische Zeiten. Kontexte seelischer Verletzlichkeit

Sektion 1: Gewalterfahrungen und Suche nach „Normalität“ im deutschen Nachkrieg

Peter Steinkamp (Ulm), Am Krieg zerbrochen? Kriegstraumatisierte in der öffentlichen Wahrnehmung nach dem Zweiten Weltkrieg

Andrea Riecken (Osnabrück), Flüchtlinge und Vertriebene in Friedland und Niedersachsen 1945-1953. Psychische Erkrankungen und Gesundheitspolitik

Uta Bretschneider (Dresden), Menschen ohne Vergangenheit? Zum Umgang mit Flucht und Vertreibung in der SBZ/DDR

Jan-Hinnerk Antons (Hamburg), Displaced Persons in der britischen Besatzungszone. Formen der (Nicht-)Verarbeitung von Kriegs- und Lagererfahrungen

Sektion 2: Die Entdeckung des Traumas

Birgit Schwelling (Duisburg), Das Trauma der Kriegsgefangenschaft. Das psychosomatische Krankheitsbild ‚Dystrophie‘ im gesellschaftlichen Diskurs der frühen Bundesrepublik

Anne Freese (Berlin), Das Trauma-Konzept aus wissensgeschichtlicher Perspektive seit den 1960er-Jahren in der Bundesrepublik

Sektion 3: Praktiken der Verarbeitung von erinnerten und aktuellen Kriegs- und Fluchterfahrungen

Hartmut Radebold (Kassel), Kriegskindheiten im Zweiten Weltkrieg und ihre Folgen. Wenn Erinnerungen an die Oberfläche kommen

Gesa Bierwerth (Québec), Heimwehtourismus: Überlegungen zur Auseinandersetzung mit Fluchterfahrungen im Rahmen organisierter Reisen

Ibrahim Özkan (Göttingen), Das Friedländer Modell: Behandlung von traumatisierten Flüchtlingen im Asylverfahren


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