König, Reich und Fürsten im Mittelalter. Abschlusstagung des Greifswalder Principes-Projekts

König, Reich und Fürsten im Mittelalter. Abschlusstagung des Greifswalder Principes-Projekts

Organisatoren
Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald; Oliver Auge, Historisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel; Karl-Heinz Spieß, Historisches Institut, Ernst-Moritz-Arndt Universität Greifswald
Ort
Greifswald
Land
Deutschland
Vom - Bis
13.06.2014 - 15.06.2014
Url der Konferenzwebsite
Von
Nina Kühnle, Historisches Seminar, Christian-Albrechts-Universität, Kiel; Ute Kümmel, Historisches Institut, Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Greifswald

Das langfristig angelegte Greifswalder Forschungsprojekt „Principes“ beschäftigt sich seit seinem Beginn im Jahr 1996 mit dem sozialen Beziehungsnetz, der inneren Struktur und der Rangordnung der spätmittelalterlichen Reichsfürsten und hat seitdem eine Reihe von Publikationen hervorgebracht, darunter die Habilitationsschriften von Oliver Auge und Cordula Nolte, sowie mehrere Dissertationen angeregt, die zum Teil noch in Vorbereitung sind. Nach der ersten programmatischen Tagung im Jahr 2000, deren Tagungsband weite Beachtung fand und findet1, folgte im Juni 2014 die Abschlusstagung, die das Principes-Projekt bilanzierte und zugleich den Blick für neue Fragestellungen öffnete.

Zum Auftakt der Tagung widmete sich PATRICK J. GEARY (Princeton) der Darstellung der merowingischen Höfe Chlothars II. und Dagoberts bei Desiderius von Cahors. Dessen Briefcorpus lasse rückblickend Bilder frühmittelalterlicher Hofkultur entstehen, bei denen der Hof als „centre of power and representation“ und Schauplatz der Netzwerkbildung erscheine. Zugleich werde die Dauerhaftigkeit dieser Netzwerke in den Briefen des Desiderius erkennbar, die daher als „reaffirmation of the mechanisms of power“ gelten könnten.

THOMAS ZOTZ (Freiburg) begann mit einem Abriss der Entwicklung der Gruppe der Ministerialen und der Fürsten bis zum Hochmittelalter. Der Schwerpunkt der Ausführungen lag dann auf dem Stauferhof, für den die Präsenz und die Funktion der Ministerialen und der Fürsten bis zum Ende der Stauferzeit anhand von Urkunden und Hofgerichtsurteilen nachgezeichnet wurden.

Anschließend setzte sich GERHARD FOUQUET (Kiel) mit der Dreiecksbeziehung zwischen dem Königtum, den Reichsbischöfen und ihren Städten im frühen 13. Jahrhundert auseinander und demonstrierte an den Beispielen Verdun, Speyer und Worms die politischen Spielräume Friedrichs II. und Heinrichs (VII.) sowie die Auswirkungen ihres Handelns auf die Urbanisierungsgeschichte. Insgesamt lasse sich ein situatives, vor allem auf wirtschaftliche Interessen ausgerichtetes Handeln seitens der Könige erkennen, die die Kommunen noch nicht als relevante politische Akteure betrachtet hätten.

Der Vortrag von WERNER RÖSENER (Gießen) thematisierte die materiellen Ressourcen der hochmittelalterlichen Königsherrschaft und die damit verbundenen räumlichen Dimensionen. Während etwa die Reichsgüter als Streubesitz über das ganze Reich verteilt gewesen seien, hätten die Tafelgüter der Versorgung der mobilen königlichen Hofhaltung gedient und gleichzeitig einen wichtiger Faktor für die Präsenz des Königs in unterschiedlichen Reichsteilen dargestellt. Der Königshof schließlich habe das Herrschafts- und Verwaltungszentrum gebildet, wo es zu personalen Bezügen zwischen König und Reich und mithin zwischen König und Raum gekommen sei.

Den Nachmittag eröffnete BERND SCHNEIDMÜLLER (Heidelberg), der, an das Modell der konsensualen Herrschaft anknüpfend, grundsätzliche Überlegungen zu den Zusammenhängen zwischen den Reichsfürstentümern des 13. Jahrhunderts und der Gruppe der Ministerialen präsentierte. Nach der Feststellung, dass Reichsministeriale über die gleichen erbrechtlichen Privilegien verfügten wie die Reichsfürsten selbst, ging er auf die Kontinuität geistlicher Fürstentümer durch Domkapitel und Hofamtsträger, den Einfluss beider Seiten auf die Bischofswahl und den Anteil der Ministerialen an den Gerichtsentscheiden ihrer Herren ein. Man könne feststellen, dass sich Reichsfürstentümer nicht nur durch ihre Beziehungen in die standesgleiche Breite positioniert hätten, sondern auch durch ihre Bindungen in die soziale Tiefe, etwa zu ihren Ministerialen, gefestigt und verstetigt worden seien.

Die aus gesundheitlichen Gründen leider verhinderte URSULA PETERS (Köln) stellte in ihrem Referat, vorgetragen von Karl-Heinz Spieß, die Chancen und Grenzen einer sozialgeschichtlichen Interpretation höfischer Dichtung vor. Sie gab zunächst einen Überblick über die wesentlichen bisherigen Forschungsstationen und spannte dabei einen Bogen von der Romantik des frühen 19. Jahrhunderts über den Positivismus und die gesellschaftsbezogenen Deutungsansätze ab den späten 1950er-Jahren bis hin zum „cultural turn“ mit seinem bunten Strauß neuer Themen. Peters betonte das große Potential sozialgeschichtlicher Fragestellungen und verdeutlichte dies am Beispiel der in der Dichtung zwar nicht überpräsenten, aber bisweilen in auffälliger Weise eingebundenen Lehnsbegrifflichkeiten und Vasallitätsbezüge.

Der Vortrag von ENNO BÜNZ (Leipzig) wurde freundlicherweise von Ralf-Gunnar Werlich vorgetragen. Darin wurde die Präsenz der Wettiner auf den spätmittelalterlichen Reichstagen anhand des Beispiels Kurfürst Friedrichs des Weisen auf dem Wahltag im Juni 1519 in Frankfurt beleuchtet. Nach einer kurzen Übersicht über weitere Reichstagsbesuche der Wettiner und die Darstellung belegbarer Kosten solcher Reisen stellte Enno Bünz den Reisebericht des niederbayerischen Adligen Hans Herzheimer vor, der die Teilnahme Friedrichs des Weisen am Wahltag schildert. Obwohl Herzheimer lediglich an den öffentlichen Programmpunkten des Wahlprozesses teilgenommen habe, sei sein Bericht als Zeitzeuge besonders in Bezug auf die mögliche Königswahl Kurfürst Friedrichs und den Ablauf der Wahl Karls V. ausgesprochen aufschlussreich.

MARTIN KINTZINGER (Münster) stellte Visualisierungen von Rang und Herrschaft anhand mittelalterlicher bildlicher Darstellungen von Herrschertreffen, Belehnungen, Turnieren, Hofdiensten und vielem mehr vor. Er untersuchte die dargestellte Kleidung, die Insignien und die Körperhaltung an Beispielen aus dem Reich und darüber hinaus. In einem zweiten Schritt resümierte Kintzinger die Forschungen des Principes-Projektes und verortete diese innerhalb der europäischen Mittelalterforschung.

Den öffentlichen Abendvortrag übernahm STEFAN WEINFURTER (Heidelberg) und präsentierte dabei ein Thema, das ebenso auf die Tagung als auch auf das große Jubiläumsjahr 2014 anlässlich des Todes Karls des Großen Bezug nahm. Auf der Grundlage seiner neuesten Publikation sprach er über Karl den Großen und dessen Beiträge für die europäische Wissenskultur. Dabei stand Karls Streben nach Eindeutigkeit und Wahrheit, die Wiederbelebung der septem artes liberales sowie sein Bildungsprogramm im Vordergrund. Zudem verglich Weinfurter das Verständnis von Eindeutigkeit und Mehrdeutigkeit in der Wissenschaft zur Zeit Karls des Großen mit dem heutigen.

Der Vortrag von WERNER PARAVICINI (Kiel) entführte den Zuhörer auf den Spuren Christians I. von Dänemark auf eine Reise durch Italien. Auf der Grundlage zahlreicher Quellen konnte unter anderem das Itinerar des Königs, dessen Gefolge, die Finanzierung sowie die Transportmittel auf dieser Pilgerreise rekonstruiert werden. Der zweite Teil des Beitrages beleuchtete Christians Auftreten in Italien und die Reaktionen darauf vor Ort sowie die politischen Absichten des Königs. Zudem waren die veranstalteten Feste und die ausgetauschten Geschenke Thema.

Der Besuch Maximilians I. auf dem hohenlohischen Schloss Neuenstein stand im Mittelpunkt von KURT ANDERMANNs (Freiburg) Betrachtungen, die damit zugleich ein denkwürdiges Ereignis in der Geschichte der Grafen von Hohenlohe aufgriffen. Auf dem Rückweg vom Wormser Reichstag 1495 habe der König auf die Einladung Krafts von Hohenlohe hin einen Halt auf Neuenstein eingelegt, wo er mit seinen Begleitern gebührend bewirtet worden sei, ehe er am nächsten Tag seine Reise nach Schwäbisch Hall fortgesetzt habe. Besuche wie dieser dürften aber die Ausnahme gewesen sein, da sie für Mindermächtige einen erheblichen logistischen Aufwand bedeutet und hohe Flexibilität seitens der Gastgeber verlangt hätten.

SIGRID HIRBODIAN (Tübingen) leuchtete den Handlungsspielraum geistlicher Fürstinnen im Südwesten des Reiches zwischen Reichsbezug und Familienbindung aus. Im ersten Teil ihres Beitrages wurden das Verhältnis der Fürstinnen zum Kaiser sowie die Lebensweise in mittelalterlichen Frauenstiften anhand zahlreicher Beispiele dargebracht. Im zweiten Teil referierte sie über den Aufstieg der Ministerialenfamilie von Andlau, deren Verhältnis zum Stift Andlau, den Einfluss anderer Adelsfamilien auf dieses Stift sowie über das gegenseitige Kontrollverhältnis von Konvent und Äbtissin.

PAUL-JOACHIM HEINIG (Mainz) legte am Beispiel der Landgrafen von Hessen dar, wie ursprünglich königsferne Reichsfürsten Königsnähe erzeugten und sich dafür einer Strategie bedienten, die sich in Anlehnung an die Forschungen Peter Moraws als Entregionalisierung bezeichnen lasse. So habe Ludwig I. von Hessen verstärkt Präsenz bei überregionalen Versammlungen und Wallfahrten gezeigt und seine politischen Handlungsspielräume vor allem durch seine Erbansprüche auf das Herzogtum Brabant erheblich erweitert. Durch eigene Heiratsprojekte weithin vernetzt, habe es der Landgraf 1440 zu einem ernstzunehmenden Kandidaten bei der Königswahl gebracht – eine Entwicklung, die maßgeblich auf das entstandene überregionale Netzwerk zurückzuführen sei, was sich auch bei anderen spätmittelalterlichen Fürsten beobachten lasse.

KLAUS OSCHEMA (Bern / Heidelberg) stellte Quellen und Beispiele zum Thema Fürsten und städtische Prostitution und deren Verflechtung im spätmittelalterlichen Reich zusammen. Dabei beleuchtete er die organisatorischen Beziehungen und untersuchte den fürstlichen Adel als potentielle und tatsächliche Kundschaft.

Danach sprach RAINER CHRISTOPH SCHWINGES (Bern) über die Bedeutung der Gelehrten im späten Mittelalter und gab damit zugleich Einblicke in das von ihm federführend betreute und groß angelegte Projekt „Repertorium Academicum Germanicum“. Ausgehend von der Feststellung, dass im 15. Jahrhundert aufgrund zunehmender Universitätsgründungen und ansteigender Besucherzahlen eine erhebliche Bedeutungssteigerung gelehrter Elemente bei Hof zu verzeichnen sei, führte Schwinges anhand verschiedener Parameter wie der universitären Fachrichtung und der studentischen Herkunft, des Einsatzes im Fürstendienst und des gewährten Entgelts in die Bedingungen und Möglichkeiten von Gelehrtenlaufbahnen ein. Insgesamt habe der Dienst bei Hof einen hohen Prestigegewinn und ein verantwortungsvolles Aufgabenfeld nach sich gezogen, weshalb der Gelehrte zu einem „Techniker der Macht“ avanciert sei.

Einen interdisziplinären Beitrag zum Tagungsthema leistete der Kunsthistoriker MATTHIAS MÜLLER (Mainz). Er beleuchtete bildreich die Position Lucas Cranachs als Hofkünstler am kursächsischen Hof und die Entwicklung seines unverwechselbaren „Court Styling“. Müller stellte des Weiteren die Kunstförderung der sächsischen Kursfürsten und die der Habsburger gegenüber und entwickelte die These, dass die Kunstförderung am kursächsischen Hof als Element fürstlicher Statuskonkurrenz fungierte. Natürlich fehlte die Relativierung der vorgestellten Kunstförderung im Reich anhand der Verhältnisse in Italien nicht.

Im letzten Vortrag der Tagung beschäftigte sich ANDREAS RANFT (Halle) mit dem Reformator Martin Luther als Akteur auf höfisch-politischer Bühne. Während Luther dem kursächsischen Hof zunächst als Professor bekannt geworden sei, habe er sich spätestens seit der Heirat mit Katharina von Bora ein adliges Netzwerk aufgebaut. Kennzeichnend seien für ihn in der Folge ein sehr repräsentatives Erscheinungsbild und ein edelmännischer Lebensstil gewesen. Auch Luthers Korrespondenz, die zu zwei Dritteln der höfischen Sphäre zuzuordnen sei, zeige den Reformator als einen auch in weltlichen Angelegenheiten bestens informierten Mann. Die große Nähe zu den sächsischen Fürsten, denen er als Hofprediger und enger politischer Berater zur Seite gestanden habe, werde zudem in zeitgenössischen Bildwerken sichtbar. Nach seinem Tod schließlich sei Luthers Status durch ein fürstengleiches Begräbnis unterstrichen und in einer Grabplatte aus Bronze verewigt worden.

Abschließend ergriff der Mitveranstalter OLIVER AUGE (Kiel) das Wort, um allen an der Organisation Beteiligten zu danken und noch einmal den Hintergrund der Tagung hervorzuheben, die sowohl das Greifswalder Principes-Projekt zu einem gelungenen Abschluss gebracht als auch den 65. Geburtstag des baldigen Emeritus Karl-Heinz Spieß gebührend gefeiert habe. Das vielfältige Vortragsprogramm habe gezeigt, dass das Principes-Projekt mit seiner äußerst erfolgreichen Bilanz nicht nur in der Vergangenheit die Forschungslandschaft bereichert habe, sondern noch immer in anregender Weise zahlreiche Perspektiven zu eröffnen vermöge.

Den Worten der Schlussbetrachtung Auges kann man sich vorbehaltlos anschließen. Die Vorträge der Tagung „König, Reich und Fürsten im Mittelalter“ waren für alle Teilnehmer gewinnbringend und den Horizont erweiternd. Das gebotene Programm stellte noch einmal die Schwerpunkte des Principes-Projektes heraus und bettete die dort behandelten Fragestellungen und Problemkreise in den aktuellen wissenschaftlichen Diskurs ein. Die Beiträge der drei Tage zeigten aber auch gleichzeitig neue Themenfelder für die zukünftige Adelsforschung auf.

Konferenzübersicht:

Grußworte

Sektion I
Moderation: Immo Warntjes (Belfast)

Patrick J. Geary (Princeton), Nostalogia for the Court: Desiderius of Cahors and his Circle

Thomas Zotz (Freiburg), Fürsten und Ministerialen am Stauferhof

Gerhard Fouquet (Kiel), König, Reich und Städte im 13. Jahrhundert

Werner Rösener (Gießen), Ressourcen der Königsherrschaft im Hochmittelalter

Sektion II
Moderation: Gert Melville (Dresden)

Bernd Schneidmüller (Heidelberg), Verantwortung aus Breite und Tiefe. Reichsfürsten Existenzen im 13. Jahrhundert

Ursula Peters (Köln), Fürsten, Adel, Rittertum und die höfische Dichtung. Eine Problemgeschichte sozialhistorischer Textlektüren

Enno Bünz (Leipzig), Die Wettiner auf den Reichstagen: Kurfürst Friedrich der Weise auf dem Wahltag 1519 in Frankfurt, gesehen mit den Augen eines Zeitzeugen

Martin Kintzinger (Münster), Inter pares. Innere und äußere Referenzen fürstlicher Politik im Spätmittelalter

Stefan Weinfurter (Heidelberg), Eindeutigkeit – Karl der Große und die Anfänge europäischer Wissenskultur (Abendvortrag)

Sektion III
Moderation: Cordula Nolte (Bremen)

Werner Paravicini (Kiel), Geschäfte unterwegs. Christian I. von Dänemark in Italien 1474

Kurt Andermann (Freiburg), Der König zu Gast – Maximilians I. Besuch beim Grafen von Hohenlohe in Neuenstein

Sigrid Hirbodian (Tübingen), Geistliche Fürstinnen im Südwesten des Reichs zwischen Familienbindung und Reichsbezug

Paul-Joachim Heinig (Mainz), Sein und Bewusstsein. Aspekte reichsfürstlicher Entregionalisierung am Ende des Mittelalters

Sektion IV
Moderation: Frank Rexroth (Göttingen)

Klaus Oschema (Bern / Heidelberg), Der König und die Mädchen – Fürsten und städtische Prostitution im spätmittelalterlichen Reich

Rainer Christoph Schwinges (Bern), Im Dienst. Gelehrte im Reich der deutschen Könige und Fürsten des späten Mittelalters

Matthias Müller (Mainz), Court Styling mit Lucas Cranach. Die Kunstförderung am kursächsischen Hof als Elemente fürstlicher Statuskonkurrenz

Andreas Ranft (Halle), Luther und die Fürsten

Oliver Auge (Kiel), Schlussbemerkung

Anmerkung:
1 Cordula Nolte / Karl-Heinz Spieß / Ralf-Gunnar Werlich (Hrsg.), Principes. Dynastien und Höfe im späten Mittelalter, Stuttgart 2002.


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