Zeitschriften zur Geschichte der Juden: Trends, Herausforderungen und Perspektiven

Zeitschriften zur Geschichte der Juden: Trends, Herausforderungen und Perspektiven

Organisatoren
Bildungsverein zur jüdischen Geschichte und Kultur HATIKVA e.V.
Ort
Dresden
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.06.2017 -
Url der Konferenzwebsite
Von
Marie Ch. Behrendt, Institut für Jüdische Studien und Religionswissenschaft / Historisches Institut, Universität Potsdam

Am 29. Juni 2017 lud der Bildungsverein zur jüdischen Geschichte und Kultur HATIKVA e.V. anlässlich des 10-jährigen Bestehens seiner wissenschaftlichen Online-Zeitschrift Medaon zum Workshop „Zeitschriften zur Geschichte der Juden: Trends, Herausforderungen und Perspektiven“ nach Dresden ein. VertreterInnen von fünf Fachzeitschriften aus den Jüdischen Studien diskutierten in den Räumlichkeiten der Evangelischen Hochschule über die gesellschaftliche und wissenschaftliche Bedeutung ihrer Periodika vor dem Hintergrund neuer inhaltlicher, struktureller und technischer Anforderungen im Wissenschaftsbetrieb. Gefördert durch die Ursula Lachnit-Fixson Stiftung sowie durch die Wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft des Leo Baeck Instituts nahmen an dem Austausch insgesamt 19 Redaktionsmitglieder der Periodika Medaon, Kalonymos (Salomon-Ludwig-Steinheim-Institut, Duisburg-Essen), S:I.M.O.N. (Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studien), PaRDeS (Vereinigung für Jüdische Studien e.V., Potsdam) sowie dem Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts (Universität Leipzig) teil. Wesentliche Ziele des Workshops waren, den Austausch zwischen PraktikerInnen im Fachjournalbereich der jüdischen Geschichte/Jüdische Studien zu ermöglichen, um inhaltliche Trends sowie strukturelle und technische Herausforderungen zu diskutieren, und die diagnostizierten Probleme in Zukunft über eine bessere Vernetzung zu bewältigen.

In der ersten Sektion des Tages leuchteten die WorkshopteilnehmerInnen unter der Überschrift „Geschichte und Leben von Juden in wissenschaftlichen Zeitschriften“ die Trends in ihren Periodika. In einem Impulsreferat formulierte das Medaon-Redaktionsmitglied DANIEL RISTAU (Dresden) drei Veränderungen, die er im Forschungs- und Publikationsbetrieb zur jüdischen Geschichte für wesentlich hält: Zum einen seien die Nachfrage nach jüdischer Geschichte und der Boom der Jüdischen Studien samt ihrer Periodika auch auf das Bedürfnis nach Aufarbeitung und Dokumentation der NS-Verbrechen zurückzuführen. Da sich das Ende der Zeitzeugenschaft nähere, stelle sich die Frage, wie sich die zunehmende Historisierung des Holocaust auf die inhaltliche Ausgestaltung und Bedeutung der Fachzeitschriften in den Jüdischen Studien auswirken würde. Zweitens regte Ristau dazu an, stärker über die eigene Geschichtlichkeit, das heißt Forschungstrends und Publikationsschwerpunkte zu reflektieren. Ristau stellte die Frage in den Raum, ob die Jüdischen Studien gesellschaftsrelevante Debatten und Diskussionen in ihren Fachjournalen wirklich zuließen oder ob sie lediglich auf Beschreibung und Wissensvermehrung angelegt seien. Mit diesen ersten beiden Punkten sei drittens außerdem das Problem von gesellschaftlicher Nachfrage und Relevanz von Periodika zur jüdischen Geschichte verbunden. Ristau plädierte dafür, - soweit möglich - das tatsächliche und das von den jeweiligen Redaktionen gewünschte Lesepublikum zu charakterisieren und in diesem Zusammenhang auch die didaktische Rolle der entsprechenden Fachjournale auszuloten.

Die TeilnehmerInnen der sich an das Impulsreferat anschließenden Diskussion besprachen Ristaus Überlegungen bezüglich Adressierung und Breitenwirksamkeit der eigenen wissenschaftlichen Periodika kontrovers. Einige VertreterInnen von Medaon wünschten sich für ihr Online-Journal offenbar einen höheren Outreach in die nichtakademische Öffentlichkeit, was auch damit einhergehe, stärker und schneller aktuelle Ereignisse und Entwicklungen kommentieren zu müssen. Für andere DiskutantInnen stellte sich die Adressatenfrage nicht oder anders. KERSTIN VON DER KRONE (Medaon, Washington DC) und PETRA GAMKE-BREITSCHOPF (Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts, Leipzig) etwa hielten die Rolle von Fachjournalen als Forum für den professionellen und wissenschaftlichen Austausch für ausreichend. Um einen Brückenschlag zwischen Forschung und einem allgemein interessierten Publikum zu ermöglichen, arbeite das Simon-Dubnow-Institut derzeit an einem neuen Print-Magazin, dessen erste Ausgabe im Herbst 2017 erscheinen soll. THOMAS FACHE (Medaon, Berlin / Dresden) regte an, die eigene Fachzeitschrift als Ort einer Binnenöffentlichkeit zu verstehen. Es sei wünschenswert, Fachjournale für jüdische Geschichte nicht nur auf historische Inhalte und Methodendiskussionen zu beschränken, sondern in ihnen auch das eigene Fach und seine gesellschaftlichen Aufgaben kritisch zu hinterfragen.

Am Ende der ersten Sektion trugen die TeilnehmerInnen die Zukunftsperspektiven ihrer Periodika zusammen, wobei der Wunsch nach stärkerer Internationalisierung das Gespräch bestimmte. Laut Gamke-Breitschopf wird für das Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts derzeit das Double-Blind-Review-Verfahren institutionalisiert. MARKUS KRAH (PaRDeS, Potsdam) wünschte sich für PaRDeS eine höhere Sichtbarkeit in nicht-deutschsprachigen Forschungskontexten. Dazu gehöre jedoch auch, die AutorInnen dazu anzuhalten, neben der deutschen intensiv die englischsprachige Forschungsliteratur zu rezipieren. Als besondere Herausforderung schätzten alle DiskutantInnen die Gewährleistung eines englischen Sprachlektorats in ihren Redaktionen ein. Noch sei eine englische Sprachkompetenz auf dem gewünschten Niveau nicht erreicht. Deutsch als Wissenschaftssprache sei jedoch nicht komplett zugunsten des Englischen aufzugeben. So führte Krah an, dass eine Publikationsmöglichkeit in deutscher Sprache z. B. für israelische KollegInnen attraktiv sei, da sie sich so multisprachlich aufstellen können. Gamke-Breitschopf gab zu bedenken, dass Sprache auch Inhalte transportiere und HARALD LORDICK (Kalonymos, Duisburg-Esssen) erwähnte, dass Kalonymos im Ausland nicht trotz sondern wegen der Verwendung des Deutschen gelesen werde. Neben diesen strukturellen Zielen äußerte ÉVA KOVÁCS (S:I.M.O.N.) das Vorhaben, in S:I.M.O.N. methodologischen Fragen größeren Platz einzuräumen.

In seiner zweiten Sektion thematisierte der Workshop unter der Überschrift „Die Zeitschrift als Medium? Formen, Potenziale und Zukunftsperspektiven“ Herausforderungen und Chancen einer digitalisierten Wissenschaft. In einem Impulsvortrag verwies MATHIAS BEREK (Medaon, Berlin) auf den Zusammenhang zwischen Digitalisierungsdruck und Ökonomisierung der Wissenschaft. Forschungsleistungen würden an Quantität und Quantifizierbarkeit statt Qualität und Inhalt gemessen. Mehr und schnellerer Output werde mit Aktualität verwechselt. GeisteswissenschaftlerInnen forschen und publizieren immer häufiger in prekären Arbeitsverhältnissen oder komplett unbezahlt. AutorInnen verfügten nicht über die finanziellen Mittel, um die Journals zu erwerben, für die sie selbst schreiben. Gleichzeitig steige der Druck, neben mittlerweile gängigen Online-Publikationen zur Verbreitung der eigenen Forschungsergebnisse auch auf Blogs, Social Media und Kommentarfunktionen zurückzugreifen. Das alles koste Zeit, werde aber nicht zusätzlich entlohnt. Aufgrund dieser Probleme sei zu fragen, ob die Präsenz in jedem beliebigen Online-Format aus professioneller Sicht immer sinnvoll ist bzw. seine LeserInnenschaft besitzt.

In der sich an das zweite Impulsreferat anschließenden Diskussion herrschte Einigkeit darüber, dass aus Gründen der Erreichbarkeit und Internationalisierung eine Online-Publikation von Fachjournalen der Jüdischen Studien angebracht und unumgänglich ist. Kontrovers wurde diskutiert, ob zwischen dem gesamtgesellschaftlichen Digitalisierungstrend und den Prinzipien der Academia ein Wertekonflikt herrsche. Während das Internet für Schnelllebigkeit, Austauschbarkeit und eine gewisse Jeder-kann-Mitmachen-Haltung stehe, verlange Wissenschaft nach Nachprüfbarkeit, Einheitlichkeit und Professionalität. Von der Krone kommentierte etwa, dass Online- und Social-Media-Formate aus wissenschaftlicher Perspektive ihre Grenzen besäßen. Trotzdem seien Online-Veröffentlichungen, wie z. B. Wissenschaftsblogs, wertvoll. Sie seien nicht als Ersatz für Monographien oder Zeitschriften zu begreifen, sondern als Teaser. AutorInnen erhielten hier die Gelegenheit, für ihre eigene Forschung zu werben. Krah berichtete, dass es auch und gerade unter den noch nicht etablierten Beitragenden von PaRDeS das Printformat nachgefragt sei. Allein der Fakt, auch als Druckausgabe zu erscheinen, werde mit wissenschaftlicher Qualität verbunden und mache, wie auch das Peer-Review-Verfahren, eine Fachzeitschrift für Beitragende und Lesende attraktiv.

Als wesentliche Leistung des Workshops „Zeitschriften zur Geschichte der Juden: Trends, Herausforderungen und Perspektiven“ ist die Möglichkeit des fachjournalübergreifenden Austauschs einzuschätzen. Die RedaktionsvertreterInnen einigten sich, in strukturellen Fragen zukünftig stärker zusammenzuarbeiten, so etwa betreffend Fragen des Copyrights im WWW sowie bei der Vermittlung von SprachlektorInnen und KreuzgutachterInnen. Außerdem wurde vorgeschlagen, eine gemeinsame NutzerInnen-Umfrage zu generieren, da das Nutzungsverhalten der eigenen LeserInnenschaften den Redaktionen weitestgehend unbekannt ist. Auf konkrete Probleme in der redaktionellen Arbeit wurde – bis auf das erste Benennen und Zusammentragen – während des Workshops kaum eingegangen, weshalb sich unter den TeilnehmerInnen Interesse an einem erneuten Treffen regte. Schwer greifbar blieben bis zuletzt auch die inhaltlichen Trends, Kontroversen und Herausforderungen der Jüdischen Studien und ihrer Fachzeitschriften, deren Konkretisierung sich die GastgeberInnen laut Einladungstext erhofft hatten. In Bezug auf die Problematik, Alternativen zum PDF-basierten e-Journal im Hochformat für die Jüdischen Studien auszuloten, ging die Diskussion ebenfalls noch nicht in die erforderliche Tiefe. Sollten Folgeworkshops diese Themen aufgreifen, böte es sich an, fachexterne ExpertInnen-Inputs, zum Beispiel durch KollegInnen aus dem digitalen Wissenschaftsmanagement einzuladen. Mit Medaon, PaRDeS, Kalonymos und S:I.M.O.N. waren vier der fünf vertretenen Fachzeitschriften außerdem Journale, die entweder ausschließlich oder ergänzend als e-Journal und noch dazu im Open Access erscheinen. In der Diskussion um eine erforderliche Öffnung und Digitalisierung der Medien zur jüdischen Geschichte sowie um die finanziellen und zeitresourcenbezogenen Implikationen dieser Vorgänge wäre sicherlich die Teilnahme einer größeren Bandbreite an Fachzeitschriften der Jüdischen Studien gewinnbringend gewesen, wie sie sich die OrganisatorInnen des Workshops auch gewünscht hätten. Schließlich lassen sich bei älteren und etablierten Periodika der Jüdischen Studien, wie dem Leo Baeck Institute Yearbook, dem Jahrbuch für Antisemitismusforschung, der Zeitschrift für Religions- und Geistesgeschichte, Aschkenas, den Münchner Beiträgen für Jüdische Geschichte und Kultur, Trumah, Tribüne sowie der erst im vergangenen Jahr gegründeten Jalta ganz unterschiedliche Haltungen und Lösungen zum Umgang mit dem Internet beobachten. Anerkennend ist festzuhalten, dass die Teilnehmenden den Workshop als einen ersten wichtigen Schritt in Richtung einer intensiveren, journalübergreifenden und fachinternen Kooperation betrachteten.

Konferenzübersicht:

Lenka-Maria Lange (Vorsitzende von HATiKVA e. V., Dresden): Grußwort
Thomas Fache (Medaon, Berlin): Begrüßung
Vorstellung der teilnehmenden Zeitschriften durch die VertreterInnen

Sektion I: Geschichte und Leben von Juden in wissenschaftlichen Zeitschriften
Moderation der Diskussion: Melanie Eulitz (Medaon, Leipzig)
Daniel Ristau (Medaon, Dresden): Impulsreferat

Sektion II: Die Zeitschrift als Medium? Formen, Potenziale und Zukunftsperspektiven
Mathias Berek (Medaon, Berlin): Impulsreferat
Moderation der Diskussion: Kerstin von der Krone (Medaon, Washington, D. C.)

Schlussdiskussion: Zusammenfassung und Ausblick

Moderation und Zusammenfassung
Solvejg Höppner (Medaon, Leipzig) / Olaf Glöckner (Medaon, Potsdam)


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