Geld, Prestige und Verantwortung: Bankiers als Akteure im wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Netzwerk im (Nordost-)Europa des 16.–20. Jahrhunderts

Geld, Prestige und Verantwortung: Bankiers als Akteure im wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Netzwerk im (Nordost-)Europa des 16.–20. Jahrhunderts

Organisatoren
Agnieszka Pufelska / David Feest, Nordost-Institut (Institut für Kultur und Geschichte der Deutschen in Nordosteuropa, IKGN e.V.), Lüneburg; Aleksandra Lipińska, Ludwig-Maximilians-Universität München
Ort
Kiel
Land
Deutschland
Vom - Bis
29.09.2017 - 30.09.2017
Url der Konferenzwebsite
Von
Sebastian Diziol, Kiel

Unter dem Titel „Geld, Prestige und Verantwortung: Bankiers als Akteure im wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Netzwerk im (Nordost-)Europa des 16.–20. Jahrhunderts“ veranstaltete das Nordost-Institut (Institut für Kultur und Geschichte der Deutschen in Nordosteuropa, IKGN e.V.), Lüneburg gemeinsam mit der Ludwig-Maximilians-Universität München vom 29. bis 30. September 2017 eine Arbeitstagung, auf der zehn Referent/innen in Lüneburg ihre Forschungsergebnisse vorstellten.

In ihren einleitenden Vorträgen führten die Organisatorinnen AGNIESZKA PUFELSKA (Lüneburg) und ALEKSANDRA LIPIŃSKA (München) in die zentralen Begrifflichkeiten und das Themenfeld der Arbeitstagung ein. Pufelska hob die Aktualität und den Gegenwartsbezug der Tagung hervor. Sie stellte den Bankier als zentrale Untersuchungskategorie und Person über seine ökonomische Funktion als eine Charaktermaske für Erfolg dar – ein Bild, dessen Übertragbarkeit auf heute zu hinterfragen wäre. Darüber hinaus betonte sie die Besonderheiten der Region (Nordost)Europas in ihrer kulturpolitischen Vielfalt, die durch die zeitliche Spanne des Untersuchungsrahmens zutage trete. Nach diesen ersten theoretischen Vorüberlegungen konkretisierte Lipińska die Ausführungen um kunsthistorische Betrachtungen zu der Memorialpolitik der Familie Loitz, bekannt als die „Fugger des Nordens“. Sie entwickelte dabei die Fragestellungen nach einer europäischen Memorialkultur, die Untersuchung von Handelswegen über den monetären Transfer hinaus als Kontaktzonen des Wissens, der Mode, die Frage nach politischen Parametern sowie Aspekte (inner)familiärer Politik.

Die ersten beiden Referentinnen, GIULIA SIMONINI (Berlin) und MASZA SITEK (Kraków), wählten einen kunsthistorischen Zugang. Giulia Simonini gab anhand der Rechnungsbücher der Familie Loitz einen Überblick über Konsum und Tätigkeit dieser frühneuzeitlichen westpreußischen Kaufmannsfamilie. Im Rahmen der Quellenstudie arbeitete sie am Beispiel einer Bankiersfamilie als Kunstmäzene Zirkulationswege von Luxusgütern heraus, die vorwiegend als Artefakte zum Steigern des eigenen Prestiges sowie zum Knüpfen und Sichern von Netzwerken eingesetzt wurden. Mit ihrem Vortrag zu der Kapelle des Hans Boner in der Krakauer Marienkirche knüpfte Masza Sitek an die Ergebnisse ihrer Vorrednerin an. Sie analysierte die architektonische Gestaltung sowie die Lokalisierung innerhalb der Kirche unter dem Aspekt des politischen und gesellschaftlichen Prestiges, das sich Boner durch die Stiftung dieser Kapelle erwarb. Ebenso wie die Familie Loitz orientierte sich Hans Boner dabei an europäischen Kunstzentren und künstlerischen Strömungen, wie sie in der (heute leider nicht mehr existierenden) Boner Kapelle als Memorialort signifikant wurden.

MARCIN GRULKOWSKI (Gdańsk) weitete den Blick auf den Rentenmarkt als eine Quelle für Kredite und Rentenkauf in seinem Vortrag über die Anfänge des öffentlichen Bankwesens im neuzeitlichen Danzig. Anhand der Danziger Hilfsgelder-Kasse analysierte er die Zinspolitik und das Kreditwesen der Stadt Danzig als größten Finanzmarkt in der Polnischen Republik. Dabei ging er besonders auf die Frage ein, welchen sozialen und ökonomischen Hintergrund die Personen hatten, die in die Kasse investierten. Grulkowski betonte die Bedeutung der Danziger Hilfsgelder-Kasse als erste Institution in der Entwicklung eines öffentlichen Bankwesens in Danzig.

BENJAMIN CONRAD (Berlin) beschäftigte sich mit den Schulden polnischer Magnaten bei holländischen Handels- und Bankhäusern an der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert. Er analysierte die durch die Teilung Polens und die daraus resultierende Einstellung der Zinszahlungen entstehenden Probleme anhand der Person des von den Amsterdamer Gläubigern zu Verhandlungen über Lösungen der Schuldenfrage nach Polen und Russland entsandten Robert Voûte. Conrad ging auf den Prozess der Verhandlungen ein, die erst im zweiten Anlauf mit der Zusicherung Russlands zur Übernahme der polnischen Altschulden erfolgreich waren und beleuchtete die Frage, ob Voûte mit seinem Vorgehen einen Beitrag zum Niedergang des polnisch-litauischen Staatswesens geleistet hat.

MARKUS JAGER (Hannover) legte den Fokus unter sozial- und kunsthistorischen sowie unter baulichen Aspekten auf das Gebäude der 1819 gegründeten ersten Sparkasse Österreichs in Wien. Er betonte den sozialen Anspruch der Sparkasse als erstes Geldinstitut, das allen Bevölkerungsschichten die Teilhabe an Finanzdienstleistungen ermöglichte und ging besonders auf die Rolle des Pfarrers Johann Baptist Weber als Initiator und „Oberkurator“ der Sparkasse ein. Besondere Aufmerksamkeit widmete Jager dem 1835 errichteten Neubau der Sparkasse als architektonische Verkörperung eines neuen Typus von Bankhaus. Anders als die bis dahin üblichen in Privatpalais untergebrachten Privatbanken, in deren Räumen sich Privates und Geschäftliches mischten, war die Sparkasse ausschließlich auf die Zwecke des Bankgeschäftes und seine Repräsentation ausgerichtet.

SEBASTIAN DIZIOL (Kiel) näherte sich dem Thema mithilfe eines Selbstzeugnisses: der von ihm edierten Jahrbücher des Badener Bankiers Franz Simon Meyer (1799–1871), der über 55 Jahre seines Lebens hinweg einmal jährlich niederschrieb, was ihn geschäftlich, politisch und privat bewegt hatte. Als eines der wenigen überlieferten Selbstzeugnisse von Privatbankiers aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts kommt dieser Quelle auch aufgrund ihres Umfangs und ihrer thematischen Geschlossenheit eine besondere Bedeutung zu. Diziol ging auf drei Aspekte ein, die in dieser Quelle besonders deutlich werden: die Netzwerkstrategien Meyers, das Vertrauensverhältnis zwischen Bankier und Kunden sowie die zunehmende Bedeutung des Bank- gegenüber des Handelsgeschäftes.

KORINNA SCHÖNHARL (Essen) beschäftigte sich mit der griechischen Staatsanleihe von 1910 als Fallbeispiel für Entscheidungsfindungen von Bankiers. Anhand der Methode der Behavioural Finance ging sie den Fragen nach, wie Bankiers Investitionsentscheidungen trafen, wie sie Risiken in hochriskanten Märkten wahrnahmen und managten. Anhand des Bankhauses Eric Hambro machte sie die Bedeutung diverser Netzwerke dafür deutlich, in welche die Bankiers eingebunden waren und die ihnen eine möglichst breite Basis für Informationen gaben, anhand derer sie ihre Entscheidungen trafen. Dabei betonte Schönhärl, wie stark sich die Entscheidungen der einzelnen Bankhäuser gegenseitig beeinflussten.

DAVID FEEST (Lüneburg) legte den Fokus auf den Bankier und „ungekrönten König Estlands“ Karl Scheel als Beispiel für die neuen Eliten des Landes zwischen 1918 und 1940. Feest zeichnete besonders die Entwicklung des Netzwerkes aus Bankiers und Politikern nach, das aus dem Goldhandel der Sowjetunion über Estland in den Westen in den frühen 1920er-Jahren entstand und in das Klaus Scheel an zentraler Stelle eingebunden war. Er analysierte die Beteiligung Scheels an zentralen nationalen Projekten sowohl der Estnischen Republik als auch der deutschen nationalen Selbstverwaltung. Dabei betonte er den Anpassungs- bzw. Rechtfertigungsdruck, unter dem der deutsche Scheel mit seinem internationalen Unternehmen in einem zunehmend von nationalen Paradigmen geprägten Milieu stand.

MICHAEL NORTH (Greifswald) ging in seinem öffentlichen Abendvortrag über Kaufleute und Kredit im Ostseeraum 1500 bis 1800 auf die Techniken und die Entwicklung finanzieller Transaktionen in der Frühen Neuzeit ein. Anhand zahlreicher Fallbeispiele beleuchtete er die zunehmende Komplexität dieser Transaktionen, die umfangreichen Netzwerke sowie das Vertrauensverhältnis unter den Akteuren, das dafür notwendig war. Als besonders wichtige Quelle dafür verwendete er Gerichtsakten über strittige Fälle.

ANDRIJ KUDRIACHENKO (Kiev) referierte anhand der Lebensläufe des deutschen Bankiers, Professors und Stadtrates Walter Simon sowie des Bankiers und Industriellen Konrad Gaedeke über die wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche Stellung von Bankiers in Königsberg. Er stellte Kaufleute als treibende Kraft für die Entwicklung Königsbergs heraus. Besonders Walter Simon als Abgeordneten des Paulskirchenparlaments und „größten Wohltäter“ Königsbergs, der für eine Vielzahl von sozialen Projekten wie eine Kindervolksküche, Kranken- und Armenhäuser sowie einen Sportplatz spendete, schrieb er dabei eine wichtige Rolle zu.

KLEMENS GRUBE und COLIN GLINKOWSKI (Greifswald) schließlich analysierten aus wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive die Genossenschaftsbanken in Estland und Lettland von ihrer Gründung in den 1860er-Jahren bis zum Zweiten Weltkrieg. Grube verdeutlichte deren zeitweise enorme Bedeutung – spätestens ab 1905 waren sie ein Massenphänomen – und die politischen Konjunkturen, denen sie in verschiedenen Jahrzehnten zwischen russischer Zentralverwaltung, Unabhängigkeitsbewegung, Erstem Weltkrieg und der Errichtung autoritärer Regime unterworfen waren. Ihre Blüte erreichten die Genossenschaftsbanken in den 1920er-Jahren, als zeitweise jeder zehnte Einwohner Mitglied eines solchen Instituts war. Grube ging außerdem auf die im Kern antisemitische bzw. antijudaistische Stoßrichtung ein, die in vielen Fällen zu deren Gründung geführt hatten.

Insgesamt verbanden zwei Aspekte alle Vorträge der Tagung: Erstens ging es um die Quellen, die eine Annäherung an Bankiers und ihre wirtschaftliche, soziale und politische Rolle ermöglichen und deren Auswahl zugleich große Auswirkungen auf die jeweils angewandte Methodik hat. Dabei fand eine Vielzahl von Quellengattungen Anwendung: Von Rechnungsbüchern über geschäftliche Korrespondenz und narrative Selbstzeugnisse bis hin zu architektonischen Quellen und Bauplänen einerseits sowie Räumen und Blickachsen andererseits. Die Vorträge loteten so die spezifischen Erkenntnisgewinne und -grenzen der jeweiligen Quellengattungen aus. Inhaltlich ging es zweitens in einer akteurszentrierten Perspektive stets um einzelne Bankierspersönlichkeiten bzw. Institutionen und deren Umgang mit Prestige und Verantwortung. Wie sicherten und gestalteten seit der Frühen Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert hinein Banken und Bankiers die eigene Stellung, ihr Ansehen und damit ihre Geschäftsfähigkeit und Attraktivität auf Handelspartner und Kunden in lokalen, regionalen und transnationalen Kontexten? Wie knüpften und unterhielten sie Netzwerke zu wichtigen Partnern aus Handel, Finanzen, Politik und Gesellschaft?

Aufgrund dieser beiden Aspekte, die sich wie ein roter Faden durch die Tagung zogen, sind deren Erkenntnisse und Diskussionen auch auf ähnliche Fragestellungen über Bankiers und Handelshäuser in anderen Ländern und Regionen übertragbar und bieten vielfältige Anknüpfungspunkte für neue Perspektiven, Fragestellungen und methodische Ansätze.

Konferenzübersicht:

Agnieszka Pufelska (Lüneburg) / Aleksandra Linpińska (München): Einführung.

Giulia Simonini (Berlin): Die Rechnungsbücher der Loitz: ein Überblick über Konsum und Tätigkeit einer westpreußischen Kaufmannsfamilie in der Frühneuzeit.

Masza Sitek (Kraków): Der "Fugger Polens" war kein Einzelgänger. Die Kapelle des Hans Boner in der Krakauer Marienkirche im Lichte neuer Quellen.

Marcin Grulkowski (Gdansk): Anfänge des öffentlichen Bankwesens im neuzeitlichen Danzig.

Benjamin Conrad (Berlin): Von Polen nach Russland: Robert Voûte und die polnischen Auslandsschulden.

Markus Jager (Hannover): Ein Pfarrer als Bankier. J.B. Weber, die Gründung der Ersten Spar-Casse Österreichs (1819) und ihr Gebäude am Graben in Wien.

Sebastian Diziol (Kiel): Die „Jahrbücher“ des Badener Bankiers Franz Simon Meyer (1799–1871).

Korinna Schönhärl (Essen): Finanziers in Sehnsuchtsräumen. Europäische Banken und Griechenland im 19. Jahrhundert.

David Feest (Lüneburg): Der "ungekrönte König Estlands". Klaus Scheel und die neuen Eliten der Republik Estland, 1918–1940.

Michael North (Greifswald): Öffentlicher Abendvortrag. Kaufleute und Kredit im Ostseeraum, 1500–1800.

Andrij Kudriachenko (Kiev): Bankiers - Politiker und Wissenschaftler in Ostpreußen (Ende 19. Anfang 20. Jh.).

Klemens Grube (Greifswald) / Colin Glinkowski (Greifswald): Genossenschaftsbanken als Akteure in Estland und Lettland bis zum Zweiten Weltkrieg.