HT 2018: Museen im Widerstreit – Museale Geschichtspolitik zwischen Nationalismus und Globalisierung

HT 2018: Museen im Widerstreit – Museale Geschichtspolitik zwischen Nationalismus und Globalisierung

Organisatoren
Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands (VHD); Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD)
Ort
Münster
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.09.2018 - 28.09.2018
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Von
Helen Wagner, Lehrstuhl für Neueste Geschichte und Zeitgeschichte, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg

Mit Schlagzeilen wie „Ein Museum als Schlachtfeld“ oder „A Museum Becomes a Battlefield Over Poland’s History“ fand die seit Jahren schwelende Auseinandersetzung um das Museum des Zweiten Weltkriegs im polnischen Gdańsk auf ihrem Höhepunkt um die Auswechslung des Gründungsdirektors Paweł Machcewicz ein breites und internationales Medienecho.1 Trotz der Intensität des Konflikts um die erst kurz vor der Auswechslung Machcewiczs eröffnete Dauerausstellung sei das umstrittene Danziger Museum als Beispiel für „Museen im Widerstreit – Museale Geschichtspolitik zwischen Nationalismus und Globalisierung“ nur die „Spitze des Eisbergs“, wie IRMGARD ZÜNDORF (Potsdam) in ihrer Einführung deutlich machte. Die gemeinsam mit DANIEL MORAT (Berlin) veranstaltete Sektion widmete sich mit Blick auf Fragen nach den Auswirkungen von Geschichtspolitik auf Museen, Geschichtspolitik durch Museen und Geschichtspolitik mit Museen drei unterschiedlichen Dimensionen des Themas. Die Vorträge, die Anfang 2019 als Debatte in den Zeithistorischen Forschungen erscheinen sollen, adressierten hierbei insbesondere die Frage, ob nationale Rahmungen für Geschichtsmuseen noch sinnvoll und welche Gegenmodelle denkbar seien.

Wie die zunächst mit globaler Perspektive geplante Dauerausstellung des Museums des Zweiten Weltkriegs schrittweise in ein nationales Meisternarrativ gepresst und das Museum als geschichtspolitisches Instrument funktionalisiert wird, zeigte JULIANE TOMANN (Jena): anhand von Einblicken in die Ausstellung und durch Nachzeichnen der Debatte um ihre Entstehung. Die scheinbar im Umkippen begriffene Architektur des Museumsbaus stehe symbolisch für den Zustand des vor zehn Jahren auf Initiative des damaligen Ministerpräsidenten Donald Tusk in seiner Heimatstadt Gdańsk gegründeten Museums. Das eigentlich aus Unbehagen über die Verschiebung des deutschen erinnerungskulturellen Diskurses hin zu einer Viktimisierung der eigenen Bevölkerung gegründete Museum wurde einerseits zu einem Katalysator der Kritik gegen die Regierung Donald Tusks. Andererseits avancierte es zu einem Kristallisationspunkt der Debatte darum, ob Museen nationale Meistererzählungen zeigen oder eine dekonstruierende und übergreifende Perspektive einnehmen sollten. Vor allen Dingen die seit 2015 regierende Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) begegnete der globalgeschichtlichen Perspektive auf das Leid der Zivilbevölkerung mit der Forderung, ein polnisches Museum müsse eine polnische Perspektive einnehmen. Der von Machcewicz und seinem Team gemeinsam mit einem prominent besetzten, internationalen Beirat ausgearbeitete transnationale Ansatz des Museums wurde als von außerhalb Polens gesteuerter Versuch diskreditiert, die deutsche Schuld zu relativieren und als Opfererfahrung umzudeuten.

Tomann führte aus, wie die PiS-geführte Regierung durch Gründung des Museums der Westerplatte und des Krieges von 1939 sogar die Entlassung Machcewiczs überflüssig machte. Die nach mehreren Klagen im April 2017 letztlich doch durchgeführte Zusammenführung beider Museen ermöglichte die Auflösung der ursprünglichen Institution, nachdem die Dauerausstellung erst im Vormonat publikumswirksam eröffnet worden war. Der Zusammenführung folgten die Einsetzung eines neuen Direktors und die Auswechslung des nun nicht mehr international besetzten Beirats. Die hohen Kosten der von über 2000 Objekten getragenen Dauerausstellung und drohende Regressforderungen der Stadt Danzig für das kostenlos zur Verfügung gestellte Bauland hätten zwar den kompletten Umbau von Museum und Ausstellung bisher verhindert, jedoch wurden bereits einzelne Ausstellungelemente ausgetauscht und durch eine auf eine nationale Heldengeschichte hin erzählte Inszenierung ersetzt.2

Wie eine ursprünglich national ausgerichtete Meistererzählung durch Problematisierung von wissenschaftlicher und zivilgesellschaftlicher Seite in einzelne Narrative zerfällt, die ihren Niederschlag in verschiedenen Partikularmuseen finden, zeigte ANDREAS ETGES (München) als Ersatz für die erkrankte Referentin Rosemarie Beier-de Haan (Berlin). Aufbauend auf kurzen Erklärungen zu zentralen geschichtspolitischen Institutionen wie dem National Park Service und dem Smithsonian Institute führte Etges aus, wie die museale Inszenierung des Selbstbilds der USA als fortschrittlicher und weltpolitisch erfolgreicher Staat durch eine im Zuge gesellschaftlicher Prostete der 1960er-Jahre kritischer werdende Geschichtswissenschaft herausgefordert wurde. Die museale Darstellung eines unkritischen, patriotischen Geschichtsbilds blieb aber während des Kalten Kriegs weitgehend dominant und habe sich erst in den 1990er-Jahren dem Forschungstand angeglichen. Die Auseinandersetzung um eine kritische, auf die Folgen des Atombombenabwurfs ausgerichtete Ausstellung des Kampffliegers Enola Gay Mitte der 1990er-Jahre habe allerdings zu einer Selbstzensur des Smithsonian Institute im Umgang mit kontroversen Themen geführt, die auch angesichts der Abhängigkeit von Kongressmitteln und Sponsoren bis heute anhalte.

Diese Entwicklung sei jedoch nur bedingt als Niederlage für eine kritische Geschichtswissenschaft zu werten, da andererseits Partikularmuseen wie das African American Museum und das American Indian Museum auf der National Mall in Washington als „heiligem Grund der amerikanischen Erinnerungskultur“ angekommen seien, so Etges. Die ebenfalls zum Smithsonian Institute gehörenden Museen könnten ihre Geschichte weitgehend unabhängig vom patriotischen Meisternarrativ erzählen und unkonventioneller inszenieren. Das National Museum of American History biete mittlerweile ebenfalls keine Meisterzählung zur amerikanischen Geschichte mehr an, sondern zeige viele Querschnittsthemen statt einer chronologischen Darstellung. Die Frage, ob es in einer pluralistischen Gesellschaft überhaupt noch möglich sei, die Geschichte eines Landes in einem einzigen Nationalmuseum unterzubringen oder ob die Lösung in einer partikularen Museumslandschaft bestehe, lasse sich laut Etges allerdings nicht eindeutig beantworten. Zwar konnten sich die Partikularmuseen, die mit Verzögerung der Aufsplitterung an den Departments amerikanischer Universitäten gefolgt seien, durch ihre Eingliederung in die National Mall hohe Besucherzahlen erschließen. Allerdings sei es aufgrund ihrer geschichtspolitischen Funktion schwierig, die bisweilen an Heimatmuseen erinnernden Ausstellungen kritisch zu reflektieren, weshalb ein gewisses Unbehagen bestehen bleibe.

Als Ersatz für die kurzfristig erkrankte Referentin Bettina Habsburg-Lothringen (Graz) griff HANNO HOCHMUTH (Potsdam) ursprünglich am Beispiel Österreichs vorgesehene Fragen nach dem geschichtspolitischen Einfluss von Parteien auf. Anhand der Kontroverse um die museale Bespielung des Checkpoint Charlie erweiterte er sie außerdem um das Spannungsfeld von privat und öffentlich finanzierten Museen. Das seit 1963 am Checkpoint Charlie ansässige Mauermuseum fungierte zunächst als Menschenrechtszentrum und Anlaufpunkt für Fluchthelfer. Nach dem Tod seines Gründers und langjährigen Leiters Rainer Hildebrandt im Jahr 2004 sei das Museum von einem zivilgesellschaftlichen Zentrum zu einen kommerziell erfolgreichen Touristenhotspot transformiert worden. Eine im selben Jahr realisierte, von überzogenen Opferzahlen ausgehende Kunstinstallation der neuen Museumsdirektorin löste breite Kritik aus und führte neben einer wissenschaftlichen Erhebung zur Zahl der Mauertoten zu einem Ausbau der vom Land Berlin getragenen Gedenkstätte Berliner Mauer. Das Mauermuseum generiere zwar enorm hohe Besucherzahlen, bleibe aber museologisch weit hinter aktuellen Standards zurück und verletze unter anderem den Beutelsbacher Konsens, so Hochmuth.

Um als Gegenstück zum Privatmuseum am ehemaligen Checkpoint Charlie die internationale Dimension des Kalten Kriegs in einem historisch-kritischen und erläuterndem statt antikommunistischen Gestus zu zeigen, sei 2010 der Verein Zentrum Kalter Krieg entstanden, dessen Mitglied Hochmuth ist. Die 2012 errichtete Black Box Kalter Krieg fungiere als Vorbote des kultur- und globalgeschichtlich angelegten Museums, das allerdings Widerstand von drei Seiten provoziert habe. So befürchtete die Berliner CDU, eine neutrale Betrachtung der amerikanischen und sowjetischen Politik nivelliere die Unterscheidung zwischen Demokratie und Diktatur. Das vor dem Umzug in einen Hangar des ehemaligen Tempelhofer Flughafen stehende AlliiertenMuseum fürchtete eine Standortkonkurrenz zum neuen Museum, ebenso wie das von einer antikommunistischen Haltung geprägte, private Mauermuseum, dessen Eintrittspreise mit einer öffentlichen Institution schwer konkurrieren könnten. Nachdem sich die Widerstände weitgehend aufgelöst hätten und mit einem Auftrag an die Stiftung Gedenkstätte Berliner Mauer zu Sammlungsaufbau und Konzeptentwicklung eine realistische Chance auf Umsetzung des Museums bestanden habe, sei das Museum nun zum Mittelpunkt einer Auseinandersetzung um Gentrifizierung geworden. Diese sei nicht geschichtspolitisch, sondern stadtplanerisch motiviert, weshalb nicht das Museum an sich in Frage gestellt werde, sondern der Ausverkauf der Stadt an Investoren, so Hochmuth.

Dass auch beim Wiederaufbau des Berliner Schlosses zunächst die stadtplanerische Frage um die Gestaltung der Stadtmitte im Vordergrund gestanden habe, inzwischen aber von der Diskussion um den Umgang mit kolonialem Erbe im Museum überlagert sei, machte DANIEL MORAT (Berlin) in seinem Vortrag zum Humboldt-Forum deutlich. Die Debatte betreffe weniger die geplante stadthistorische Ausstellung, für die Morat seit 2016 als Kurator tätig ist, als die aus der Sammlung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz eingebrachten Ausstellungsteile. Mit der Verlagerung der ethnologischen Sammlung aus Dahlem in die Stadtmitte gegenüber der Museumsinsel sei der Gedanke eines Dialogs der Kulturen der Welt verfolgt worden, der den Schlossbau vom Vorwurf eines Preußen verklärenden Revisionismus befreien sollte. Die als Versöhnungsvorschlag gedachte Gegenüberstellung sei allerdings schnell als Perpetuierung eines eurozentristischen Weltblicks und Ausdruck der Vorstellung in sich geschlossener Kulturen kritisiert worden, die das vermeintlich Fremde der ethnologischen Sammlung gegen das vermeintlich Eigene der Museumsinsel stelle. Auch die Benennung nach einem Akteur der kolonialen Wissensproduktion und die Ausstellung von als kolonialem Raubgut gewerteten Objekten im wiederaufgebauten Herrschaftssitz der Kolonialherren sei Anstoß der Kritik, die von den Initiatoren nicht vorhergesehen worden sei, so Morat.

Das Problem zwischen äußerer Fassade und inhaltlichem Anspruch des Projekts bleibe letztlich unauflösbar, auch wenn die Kritik Eingang in die Ausstellungskonzeption finde. So sei unter anderem in Zusammenarbeit mit Kolonialismusforscher/innen ein progressiver Leitfaden zum Umgang mit Objekten aus kolonialen Sammlungszusammenhängen erarbeitet worden, der allerdings in Fragen der Umsetzung vage bleibe. Auch die Werbematerialen würden den kritischen Diskussionstand der Ausstellungsarbeit nicht widerspiegeln. Die von den Initiatoren unvorhergesehene Debatte um den Umgang mit Kolonialgeschichte im Museum sei zum Kernproblem des Humboldt-Forums geworden, das durch eine kritische Ausstellung allein nicht zu lösen sei. Ebenso wenig könne die Lösung allein in der Restitution von Objekten bestehen, da diese Problematik weit mehr Museen betreffe und die Provenienzforschung zu kolonialen Objekten noch eine große Forschungslücke darstelle, so Morat.

Die Diskussion im trotz der Terminierung am Freitagnachmittag ausgefüllten Saal teilte sich in inhaltliche Nachfragen zu den vorgestellten Fallbeispielen und weiterführenden Fragen zu nationalen und globalen Narrativen in Museen. So beantwortete Juliane Tomann Fragen nach dem museumspädagogischen Angebot im Museum des Zweiten Weltkriegs, nach weiteren Veränderungen der Dauerausstellung und den Auswirkungen der internationalen Unterstützung für Machcewicz und sein Team. Diese sei vom Ausstellungsteam selbst angestoßen worden und habe sich bisher nicht negativ ausgewirkt. Hanno Hochmuth erläuterte auf Nachfrage Details zu Eigentumsverhältnissen der Liegenschaften und Bauten am Checkpoint Charlie und zu personellen Verbindungen zwischen Museum und Politik. Andreas Etges erklärte die hohen Besucherzahlen des Smithsonian Institutes mit dem kostenlosen Eintritt einerseits und der auf Unterhaltung ausgelegten Gestaltung andererseits. Seine Beschreibung der Aufsplitterung der musealen Darstellung eines nationalstaatlich gerahmten Geschichtsbilds in Partikularmuseen gesellschaftlicher Teilgruppen wurde als Spiegel des Nationsbildungsprozesses diskutiert. Dieser konstruiere eine Nation als imagined community auch über Prozesse der Unterdrückung und Marginalisierung, bis über Partikularmuseen Schauplätze einer eigenen Identität im Sinne einer performative citizenship gesucht würden. Daniel Morat beantwortete die Frage, welchen Ausweg es aus der festgefahrenen Diskussion um das Humboldt-Forum gebe und inwiefern die aufgrund der fehlenden Provenienzforschung problematische Sammlung auch eine Chance für eine von Migration geprägte deutsche Gesellschaft sein könne, mit einer notwendigen Internationalisierung des Ausstellungsteams. Ähnlich wie im Falle der stadthistorischen Ausstellung, wo eine wenn auch spät vollzogene Diversifizierung des Ausstellungsteams über den verstärkten Einsatz partizipativer Instrumente gesucht werde, müsse das Team der ethnologischen Sammlung stärker international und insbesondere mit Vertreter/innen ehemals kolonisierter Staaten kooperieren.

Angesichts von sich wiederholt aufdrängenden Fragen etwa zur Plausibilität der postulierten Trennung stadtplanerischer und geschichtspolitischer Dimensionen der vorgestellten Fallbeispiele oder zur Doppelrolle von im Feld der Public History tätigen Akteur/innen zwischen Erforschung und Gestaltung von Geschichtspolitik bleibt lediglich die knapp bemessene Diskussionszeit zu bemängeln. Obwohl in allen Vorträgen Fallbeispiele von hoher Relevanz interessant und überzeugend aufgearbeitet wurden, wäre möglicherweise ein Beispiel weniger zugunsten eines methodisch-analytisch rahmenden Vortrags wünschenswert gewesen.

Sektionsübersicht:

Sektionsleitung: Irmgard Zündorf (Potsdam) / Daniel Morat (Berlin)

Einführung und Moderation: Irmgard Zündorf (Potsdam)

Juliane Tomann (Jena): Geschichte als nationales Master-Narrativ? Das Museum des Zweiten Weltkrieges in Gdańsk

Andreas Etges (München): E pluribus unum – or many out of one? Nationale Geschichtsmuseen in den USA

Hanno Hochmuth (Potsdam): Zwischen Panzern und Raketen. Der Checkpoint Charlie als geschichtspolitisches Schlachtfeld

Daniel Morat (Berlin): (Post-)Kolonialismus im Museum. Das Humboldt Forum in Berlin

Anmerkungen:
1 Judith Leister, Ein Museum als Schlachtfeld, Interview mit Paweł Machcewicz, in: NZZ, 23.06.2017, <https://www.nzz.ch/feuilleton/aktuell/danziger-tauziehen-um-die-polnische-geschichte-ein-museum-als-schlachtfeld-ld.1302384> (05.10.2018); Rachel Donadio, A Museum Becomes a Battlefield Over Poland’s History, in: New York Times, 09.11.2016, <https://www.nytimes.com/2016/11/10/arts/design/museum-of-the-second-world-war-in-poland-debate.html> (05.10.2018).
2 Zu Versuchen die weitere Veränderung der Ausstellung durch Urheberrechtsklagen gegen die neue Museumsleitung zu verhindern, vgl. ein aktuelles Interview mit Paweł Machcewicz in Andreas Etges / Irmgard Zündorf / Paweł Machcewicz, History and Politics and the Politics of History. Poland and Its Museums of Contemporary History, in: International Public History 1 (2018) H. 1, https://www.degruyter.com/downloadpdf/j/iph.2018.1.issue-1/iph-2018-0006/iph-2018-0006.xml (05.10.2018).


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