Prodemokratische Propaganda, Pressekultur und politische Kommunikation in der Weimarer Republik

Prodemokratische Propaganda, Pressekultur und politische Kommunikation in der Weimarer Republik

Organisatoren
Stefanie Averbeck-Lietz / Simon Sax, Lab Kommunikationsgeschichte und Medienwandel, Zentrum für Medien- Kommunikations- und Informationsforschung, Universität Bremen
Ort
Bremen
Land
Deutschland
Vom - Bis
22.11.2019 - 23.11.2019
Url der Konferenzwebsite
Von
Arne Lorenz Gellrich, Zentrum für Medien- Kommunikations- und Informationsforschung, Universität Bremen

Die Tagung setzte sich, nicht ohne aktuelle Bezüge, mit der propagandistischen Reaktion linker Kräfte auf den Aufstieg des Nazionalsozialismus im Deutschland der 1920er- und 1930er-Jahre auseinander. Den wohl zentralen Fix- und Angelpunkt der mehrtägigen Veranstaltung bildete dabei die sogenannte Dreipfeil-Kampagne der Eisernen Front und zwei ihrer zentralen Protagonisten Carlo Mierendorff und Sergej Tschachotin. Letzterer, vertreten durch seinen Urenkel, den Berliner Dokumentarfilmer Bordis Hars-Tschachotin, eröffnete auch thematisch das Programm in Form des Preisgekrönten Dokumentarfilmes „Sergej in der Urne“, welcher durch einen Vortrag des Regisseurs zur aktuellen Verwendung des Dreipfeil-Symbols in der antifaschistischen Fußballszene der USA eingeleitet wurde. Der Film selbst berichtete von der Geschichte des russischen Biologen Sergej Tschachotin, der zugleich der Urheber des Dreipfeil-Symbols der antifaschistischen Eisernen Front ist. Es geht um das Leben Tschachotins bis zu seinem Tod 1973 – und danach, in Form seiner Urne und des Streits seiner, über Russland, Deutschland und Frankreich verteilten Söhne.

RICHARD ALBRECHT (Bad Münstereifel) setzte das Thema der Eisernen Front mit einem Vortrag „zur Praxis und Theorie eines antifaschistischen Versuchs im bürgerlichen Deutschland 1932“ fort. Ausgehend von der Biografie Carlo Mierendorffs, berichtete er zusammenfassend von der Propagandaarbeit des antifaschistischen Zusammenschlusses gegen die extreme Rechte, ebenso wie die extreme Linke und dem Unwillen der SPD, die Kampagne über den Heidelberger Wahlkampf 1932 hinaus Reichsweit mitzutragen. Die Eiserne Front charakterisierte er dabei als „soldatisch, militant und vermännlicht“ und Mierendorff und Tschachotin respektive als Theoretiker und Praktiker der Kampagne — andere Zuschreibungen seien als nachträgliche Konstrukte zu bewerten.

Mit den verschiedenen Spielarten des antifaschistischen politischen Engagements setzte sich das folgende Panel auseinander. ERIK KOENEN (Leipzig) berichtete darin von der frühen kritischen journalistischen Auseinandersetzung des damals für die liberale Vossische Zeitung schreibenden späteren Leipziger Professors der Publizistik Erich Everth mit dem Nationalsozialismus. Koenen beklagte dabei den Rückstand den Everths Disziplin, die heutige Kommunikationswissenschaft, bei der wissenschaftlichen Aufarbeitung des Topos „frühe Warner“ hat. Everth, so Koenen, habe bereits bei seiner Berichterstattung vom Parteitag der NSDAP 1923 große Klarheit und Weitblick bewiesen, seine Warnungen haben sich sowohl mit dem Hitlerputsch wie auch der späteren Machtübernahme der Nazis bestätigt.

Im Anschluss wagte JULE EHMS (Bochum) einen Exkurs in die Geschichte des deutschen Syndikalismus. Die, sich vor allem aus den Gewerkschaften speisende Syndikalistische Freie Arbeiter-Union Deutschland (FAUD), die sich sowohl gegen die repräsentative Demokratie der Weimarer Verfassung als auch die als „sozialfaschistisch“ aufgefasste Sozialdemokratie richtete, habe sich, so Ehms, angesichts der nationalsozialistischen Bedrohung dem breiten Bündnis des linken Widerstandes angeschlossen und die ihrer Ansicht nach weiterhin auf fundamentaler Ungleichheit fußende deutsche Republik als kleineres Übel gegenüber Kaiserreich und Nazidemokratie gemeinsam mit anderen linken Kräften verteidigt.

Das Panel beendete RONNY NOAK (Jena) mit einem Vortrag über die Bildungsarbeit der sozialdemokratischen und liberalen Parteien gegen die NSDAP. Darin diagnostizierte er eine zunehmende Hinwendung der politischen Bildungsprogramme zur Massenkommunikation. Zunehmend seien Lehrer durch Redner und Redner durch „Propagandisten“ ersetzt worden, während auch die NSDAP zunehmend den Bildungsansatz verfolgt habe, etwa mit der sogenannten „Reichsführerschule“ der SA.

Den Bogen zurück zur Propagandaarbeit selbst spannten sodann die Redner des nächsten Panels. Zunächst widmeten sich dabei JÜRGEN HARTMANN (Nordhorn) und DIETMAR SIMON (Lüdenscheid) dem Journalisten Artur Schweriner und seinem zwischen 1929 und der Machtergreifung erschienen linken Kampfblatt „Alarm“, welches sie als den „Versuch eines massenkompatiblen Propagandamittels gegen den Nationalsozialismus“ beschrieben. Bei der Zeitschrift, so Hartmann und Simon, handele es sich um das Organ der Organisation demokratischer Frontsoldaten, Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und der Eisernen Front, welches wohl in Zusammenarbeit mit dem Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens und der SPD produziert wurde und sich unter anderem durch die politischen Karikaturen aus der Feder eines bisher unbekannten Künstlers mit dem ironisierenden Pseudonym NAZI ausgezeichnet habe, aber auch durch seine an die Nazipropaganda angelehnte Aufmachung und den vermutlich bewussten Einsatz von Falschmeldungen. Die Biographie Schweriners wurde von den beiden Vortragenden zudem genutzt, um Forschungslücken bezüglich der häufig pseudonymisierten Schriftsteller und Karikaturisten der politischen Presse zu illustrieren.

Auf die Dreipfeil-Kampagne führte schließlich MARCEL BÖHLES (Heidelberg) zurück, der Teile seiner Dissertation zum antinationalsozialistischen und antibolschewistischen Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und seiner Propaganda im Heidelberger Wahlkampf von 1932 vorstellte, wobei er auch auf die Gegenbewegung und die satirische Häme seitens der Nazipresse einging. Besonders hob er dabei die zuvor schon von Richard Albrecht erwähnte soldatische Natur der Bewegung hervor, die sich etwa in der Heldenverehrung gefallener „republikanischer Märtyrer“ niedergeschlagen habe.

KRISTIAN MENNEN (Nijmegen) eröffnete darauf die transnationale Dimension, indem er den Versuch der Niederländischen Sociaal-Democratische Arbeiderspartij beleuchtete, das Dreipfeilsymbol zu adaptieren. Der Versuch sei, laut Mennen, schließlich daran gescheitert, dass das Symbol als zu deutsch Empfunden wurde. Ein zunächst gefordertes genuin niederländisches Äquivalent habe sich dann aber nicht entwickelt: zum einen, da es an empirischen Beweisen für den Erfolg der Propagandamethode gemangelt habe, zum anderen, da die Gefahr des Nationalsozialismus von niederländischer Seite unterschätzt worden sei.
Den Vortragsteil des Tages beendete schließlich JÜRGEN WILKE (Mainz) mit einem Zwischenfazit, in welchem er die vorangegangenen Beiträge in Bezug zu eigenen Überlegungen der Zivilisierung der Propaganda im demokratischen Weimarer Deutschland setzte. Historisch leitete Wilke diese mit der Geschichte der deutschen Informationspolitik her, welche sich mit dem ersten Weltkrieg militarisiert und mit seinem Ende weltweit, nicht zuletzt durch Beiträge zentraler Theoretiker wie Edward Bernais, aber eben auch in Deutschland wieder zivilisiert habe — eine, so Wilke, kurzlebige Phase, die, wie von den Rednern des Tages illustriert, bereits Mitte der 1920er-Jahre wieder ihr Ende fand. Diese These wurde jedoch in der anschließenden Diskussion nicht von allen Tagungsteilnehmern geteilt. So merkte etwa ULRICH SCHRÖDER (Bremen) an, der Antibolschewismus habe sich durchgängig brutal-militaristischer Propagandamethoden bedient.

Im Anschluss an diese Diskussion eröffnete PATRICK RÖSSLER (Erfurt) feierlich die von ihm kuratierte Ausstellung „Bildpropaganda in der Weimarer Republik“, welche Originale und Kopien aus Zeitungen, Zeitschriften, sowie Faksimiles einzelner politischer Plakatkunstwerke verschiedener Strömungen der Weimarer Republik zeigt. Rössler unterstrich dabei insbesondere das bereits von Hartmann und Simon hervorgehobene Desiderat hinsichtlich der Biographien der Karikaturisten der Weimarer Republik. Die Ausstellung illustriere vor allem die, laut Rössler, maßgebliche Prägung, die die sonst vorwiegend im Nazizusammenhang diskutierte Propaganda durch die sozialistischen Bewegungen der Republik erfuhr. Die Ausstellung ist noch bis zum 4. Januar 2020 im Foyer der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen (SuUB) öffentlich zugänglich.

Der zweite Tag wurde von SIMON SAX (Bremen) eröffnet, der sich thematisch mit der Kampagne der Eisernen Front 1932 in der linken Presse auseinandersetzte. Besonders hob er dabei den karnevalistischen Charakter hervor, in dem sich die Bewegung inszeniert habe. Das Dreipfeilsymbol, so Sax, sei von der linken Presse aufgegriffen und freimütig verwendet worden, so habe etwa die Parteizeitung Vorwärts sogenannte Freiheitsmarken mit dem Symbol zum ausschneiden und Sammeln abgedruckt. Ab dem Sommer 1932 bis zur sogenannten Wahl im März 1933 habe die Berichterstattung dann aber systematisch abgenommen und auch das Symbol sei seither gänzlich aus dem Repertoire der deutschen Sozialdemokratie verschwunden, im Gegensatz zu dem der österreichischen Genossen, wo es noch heute Verwendung finde.

Diesem Thema der transnationalen Geschichte der Dreipfeil-Symbolik, welches auch bereits in den Vorträgen von Hars-Tschachotin und Mennen eine Rolle gespielt hatte, widmete sich im Anschluss BENNO NIETZEL (Bielefeld), der unter Bezugnahme auf seine Habilitationsschrift von der US-amerikanische Reaktionen auf die NS-Propaganda vor und nach Kriegsbeginn berichtete. Dabei konzentrierte er sich auf die Arbeit Harold Lasswells und seine Vorschläge an das US Office of War Information, die er auf Basis der Tschachotin’schen Pfeilsymbolik entwickelt habe, sowie auf seine Kritik an der Propagandataktik des Amtes. Beides sei jedoch erfolglos geblieben und die Kampagne mit ähnlichen Argumenten wie auch im Falle der Niederlande abgelehnt worden. Abschließend betonte Nietzel noch, dass das damals von Lasswell kritisierte Element der Angst und Bedrohung in der US-Aufklärung über die nazideutsche Propaganda sich auch in der heutigen Darstellung russischer Wahlmanipulation wiederfinden ließe.

Den letzten Vortrag der Veranstaltung hielt schließlich HAGEN STEINHAUER (Bremen) über die Presselenkung im NS-Staat und das was er in Anlehnung an den Begriff des Sprechaktes als die Resistenzakte der Frankfurter Zeitung bezeichnete. Auf Basis einer inhaltsanalytischen Untersuchung habe er dabei Taktiken der Zeitung identifiziert, sich den Presseanweisungen der Reichspressekonferenz in zumindest symbolischem Maße zu widersetzen. Dazu haben, so Steinhauer, beispielsweise die Nutzung von Zitaten zur Distanzierung, das Ausweichen auf mit dem tabuisierten Gegenstand verwandte Diskursobjekte, aber auch kalkulierte Verunklarungen und das teilweise ignorieren der Anweisungen gehört. Außerdem habe die Zeitung Kritik an der Verrohung der Deutschen Sprache durch Nazijargon und damit indirekt Systemkritik geäußert. Bei alledem sei aber nicht zu vergessen, dass der oppositionelle Ruf, den die Zeitung dadurch im Ausland genoss, der Naziobrigkeit durchaus bewusst war und möglicherweise genutzt wurde, um gezielt Informationen im Ausland zu lancieren. Im Laufe der Zeit habe sich der Spielraum der Zeitung immer mehr reduziert, bis sie schließlich 1934 nach einem nachteilhaften Bericht über einen persönlichen Freund des deutschen Diktators verboten wurde.

Zuletzt gab es nun noch eine abschließende Diskussion, bei der, angestoßen durch Jürgen Wilke, der im Titel der Tagung enthaltene Begriff „prodemokratisch“ problematisiert wurde. Simon Sax verdeutlichte darauf, gemeint sei solche Propaganda, die zur Verteidigung der Republik geeignet gewesen sei.
Des Weiteren merkte etwa Jürgen Hartmann an, dass nur wenige der alten Annahmen und Narrativen über die politische Propaganda der Weimarer Zeit bisher überprüft oder empirisch gestützt worden seien und nannte als Beispiel die Behauptungen Tschachotins und Mierendorffs über die Wirksamkeit der Dreipfeil-Kampagne in Heidelberg 1932. Einmal mehr wurde darauf große Einigkeit über die Diagnose des Schwundes historischer Forschungsansätze in der Kommunikationswissenschaft zum Ausdruck gebracht. Gerade auch im Zusammenhang der thematisch weiterhin aktuellen Propagandaforschung sei dieser besorgniserregend. Erik Koenen fügte dem seine Beobachtung hinzu, dass die Kommunikationswissenschaft derzeit zu einer sehr distanzierten Beschreibung von gesellschaftlichen Phänomenen, etwa der Protestbewegung Fridays for Future, neige, ohne daraus politische Konsequenzen zu ziehen – im gesellschaftspolitischen Diskurs habe die Kommunikationswissenschaft trotz ihrer relevanten Ansätze und Erkenntnisse immer noch keine ernstzunehmende Stimme.

Konferenzübersicht:

Boris Hars-Tschachotin (Berlin): Sergej in der Urne

Panel I – Sergej Tschachotin und die prodemokratische Propaganda in der letzten Phase der Weimarer Republik

Richard Albrecht (Bad Münstereifel): „Symbolkrieg“ in Deutschland: Drei Pfeile gegen das Hakenkreuz. Zur Praxis und Theorie eines antifaschistischen Versuchs im bürgerlichen Deutschland 1932

_Panel II – Antifaschistisches Engagement in der Presse, im Arbeitskampf
und in der politischen Bildungsarbeit_

Erik Koenen (Universität Leipzig / Universität Bremen): „Hitler und die Seinen“: Erich Everths frühe Warnungen vor dem Nationalsozialismus

Jule Ehms (Ruhr Universität Bochum): „Der Zweck des Faschismus ist der jeder anderen Regierungsart auch.“ Die syndikalistische Freie Arbeiter-Union Deutschlands und ihr radikaldemokratischer Ansatz in der Auseinandersetzung mit dem deutschen Faschismus

Ronny Noak (Friedrich-Schiller-Universität Jena): „[...] die antifaschistische Aufklärungsarbeit intensivieren.“ Die Bildungsarbeit der demokratischen Parteien gegen die NSD AP

Panel III – Prodemokratische Propaganda I

Jürgen Hartmann (Nordhorn) / Dietmar Simon (Lüdenscheid): Artur Schweriner und das Kampfblatt „Alarm“. Zum Versuch eines massenkompatiblen Propagandamittels gegen den Nationalsozialismus 1929–33

Marcel Böhles (Universität Heidelberg): Im Zeichen der Drei Pfeile – der „Symbolkrieg“ der Eisernen Front 1931/32 in Heidelberg

Kristian Mennen (Radboud Universiteit Nijmegen): Argumente für oder gegen die „Drei Pfeile“ in transnationaler Perspektive

Jürgen Wilke (Johannes-Gutenberg-Universität Mainz): (Re-)Zivilisierung der Propaganda?

Patrick Rössler (Universität Erfurt): Bildpropaganda in der Weimarer Republik

Panel IV – Prodemokratische Propaganda II

Simon Sax (Universität Bremen): Presseberichterstattung über die Drei-Pfeil-Kampagne
der Eisernen Front 1932/33

Panel V – Demokratische Presse und Propaganda nach 1933

Benno Nietzel (Universität Bielefeld): Demokratische Propaganda und die Herausforderung des Totalitären: US-amerikanische Reaktionen auf die NS-Propaganda während der 1930er Jahre und im Zweiten Weltkrieg

Hagen Steinhauer (Universität Bremen): Presselenkung und Resistenzakte im Nationalsozialismus – die Frankfurter Zeitung im Pressediskurs der Vorkriegszeit

Abschlussdiskussion
Moderation: Stefanie Averbeck-Lietz (Universität Bremen)


Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts