Wahrheitspraktiken

Wahrheitspraktiken

Veranstalter
Bernhard Kleeberg, Professur für Wissenschaftsgeschichte, Universität Erfurt; Laurens Schlicht, Institut für Kulturwissenschaft, Humboldt-Universität zu Berlin in Zusammenarbeit mit dem Forschungsprojekt "From Polygraph to Brain Scan: Continuous attractivity and sociotechnical reconfiguration of lie detection", Torsten H. Voigt / Bettina Paul / Larissa Fischer, Universität Hamburg/Universität Aachen
Veranstaltungsort
Universität Erfurt, Max Weber Kolleg, Steinplatz 2, 7. Etage, Raum 805
Ort
Erfurt
Land
Deutschland
Vom - Bis
25.04.2019 - 26.04.2019
Website
Von
Laurens Schlicht

Wahrheit scheint nur dann sinnvoll zu sein, wenn sie als zeit- und subjektunabhängig be­griffen wird. Und doch ist sie auf innigste Weise auf Praktiken angewiesen, die Akteure in bestimmten Situationen ausüben, auf Techniken, die eingeübt und Verfahren, die angewandt werden. Das, was die Semantik und die kommunikative Logik von Formen von Wahrheit in Gang setzt, scheinen dabei spezifische Formen des Umgangs (mit Subjekten, Positionen, Wissen etc.) zu sein. Wir nehmen an, dass Wahrheit unter anderem als Differenzeffekt auftritt, Liminalität mar­kiert oder Ambiguität re­du­ziert, etwa in Grenz­diskursen oder Si­tua­tionen (krisenhafter) Un­über­­sicht­lich­keit und Un­si­cher­heit. So wird Wahr­­heit implizit im Rahmen von Prak­ti­ken der Wis­­­sensvermittlung ein­ge­setzt, um Wissen von Nichtwissen zu unter­schei­den, wird an­gerufen, um sich seiner selbst zu vergewissern, um trans­ito­ri­sches Wis­sen in Streit­si­tu­a­tionen zu arre­tie­­ren, zu qualifizieren oder von Pseu­do­wis­sen abzu­set­zen, dient als re­gu­la­tive Idee der Mo­ti­va­­tion von Erkennt­nis­fort­schritt, oder als (in-)of­fi­ziel­le Wahrheit der Aus­übung von Macht bzw. dem Aufruf zur Sub­ver­sion. 
Im Rahmen ope­­rativer Praxisfelder verschiedener hu­man­wis­sen­­schaftlicher, ad­mi­nis­tra­­tiv-technischer oder ju­­ristischer Bereiche findet sich ein ganzes En­sem­ble in dieser Hinsicht re­levanter Prozeduren: Praktiken des Be­obachtens, Ana­ly­sie­rens, Durchleuchtens, Ergründens und Ermittelns; des Befragens, Ver­hö­rens und des Testens; des Abhörens, Aushorchens und Aus­kundschaftens; das Durchschau­en, Enträtseln und De­ko­die­ren, das Aufdecken und Ent­hül­len; das Offenbaren, Bekennen, Ge­ste­hen und Beichten, das Aus­plaudern, Wahrsprechen und Lü­gen.
Der Workshop begreift diese verschiedenen Wahr­heits­prak­­tiken als Indizien für un­ter­schied­liche Wahrheitsregime, mit ihren je eigenen exem­pla­ri­schen Szenen, Figuren und Theo­rien. Er möchte der Frage, wie Wahrheit in jeweils relevanten gesellschaftlichen Fel­dern ein­ge­­setzt, erzeugt und problematisiert wurde, in einer breiten wissenshistorischen Per­spek­tive mit einem historischen Schwerpunkt auf der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nach­ge­hen. Die Bei­träge sollen einen Schwerpunkt auf die unterschiedlichen Praxisformen der Wahr­heits­fin­dung legen und die Frage aufwerfen, ob und in welcher Weise sich un­ter­schied­li­che Wahrheits­re­gimes bestimmen und voneinander abgrenzen lassen.

Programm

Donnerstag, 25. April

9.00-9.40
Vorstellungsrunde /
Bernhard Kleeberg (Erfurt) / Laurens Schlicht (Berlin): Einleitung

9.40-10.30
Bettina Paul (Hamburg) / Larissa Fischer (Aachen): Wahrheit unter dem Vergrößerungsglas - Über die Bestimmung von Technik, Körper und Subjekt in der deutschen Rechtsprechung zur Polygraphie

10.30-11.00
Kaffee

11.00-11.50
Martin Wieser (Berlin): „Miteinander reden – aber wie?“ Zur Problematik des „Aussageverhaltens“ in der Operativen Psychologie des MfS

11.50-12.40
Laurens Schlicht (Berlin): Vernehmungstechniken der Weiblichen Kriminalpolizei

12.40-14.00
Mittagssnack

14.10-15.00
Maria Christina Müller (Augsburg): Wahn oder Wirklichkeit – Das wichtigste psychopathologische Urteil

15.00-15.50
David Keller (Lübeck): Auf dem Prüfstand: kulturelles Wissen, diagnostische Praktiken und die Konstitution legitimen psychologischen Wissens über ‚Persönlichkeit‘ in der Psychologie der 1920er und 1930er Jahre

15.50-16.20
Kaffee

16.20-17.10
Sophie Ledebur (Wien): Liegt die Prävention im Dunklen? Verfahren des Hervorbringens des unbekannten Verbrechens

17.10-18.00
Susanne Krasmann (Hamburg): Das Verdikt der Algorithmen. Über Wahrheitsproduktion in Zeiten von Big Data

Freitag, 26. April

9.30-10.20
Peter Becker (Wien): Bürokratische Sprechakte in der Kritik. Wahrheitsansprüche, beleidigende Schreibweise und der Verwaltungsgerichtshof

10.20-11.10
Sarah Lempp (Bayreuth): With the Eyes of Society? Doing Race in Affirmative Action Practices in Brazil

11.10-11.30
Kaffee

11.30-12.20
Ruben Hackler (Zürich): Kinderaussagen vor Gericht. Zur juristischen Wahrheitsproduktion im Kaiserreich und in der Weimarer Republik

12.20-13.10
Mariia Zimina (Budapest): Staged Truth: The Notion of Soviet Objectivity

13.10-14.00
Mittagsnack

14.00-15.00
Abschlussdiskussion / Kommentare (Henning Schmidgen/ Martin Mulsow)

Kontakt

Laurens Schlicht
Institut für Kulturwissenschaft
Humboldt-Universität, Berlin
017620608495

laurens.schlicht@hu-berlin.de


Redaktion
Veröffentlicht am
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Land Veranstaltung
Sprach(en) der Veranstaltung
Deutsch
Sprache der Ankündigung