Kultursysteme in der Transformation: zwischen Identitätspolitik und Vergangenheitsbewältigung (1989 - 2019)

Kultursysteme in der Transformation: zwischen Identitätspolitik und Vergangenheitsbewältigung (1989 - 2019)

Veranstalter
Universität Leipzig, Institut für Kulturwissenschaften
Veranstaltungsort
Ort
Leipzig
Land
Deutschland
Vom - Bis
18.03.2020 - 19.03.2020
Deadline
15.07.2019
Website
Von
Prof. Dr. Thomas Höpel; Dr. Torben Ibs

[English text below]

Der Zusammenbruch der staatssozialistischen Staaten 1989/90 mündete in eine Transformation der Gesellschaften in Mittel- und Osteuropa. Im Bereich der Kultur prägten Privatisierungstendenzen, ein neues Aushandeln des politischen Auftrags von staatlich geförderten Kultureinrichtungen und eine Neuordnung ihrer Finanzierung unter neoliberalen Vorzeichen den Umbau der Kulturlandschaft das Bild. Dies gilt sowohl in der ehemaligen DDR, als auch in Polen, Ungarn und den anderen ehemals staatssozialistischen Ländern. Diese Tendenzen waren verbunden mit einer Verschiebung von einer Angebots- zu einer Nachfrageorientierung, einem veränderten Verbraucher- bzw. Kulturnutzerverhalten sowie einem Verflüssigen der Grenzen zwischen Hoch- und Populärkultur auf künstlerischer, institutioneller und diskursiver Ebene.
Auch die liberalen Demokratien des Westens, allen voran das wiedervereinte Deutschland, sahen sich nach dem Ende des Systemgegensatzes neuen Herausforderungen ausgesetzt: Die öffentliche Kulturfinanzierung geriet im Zuge der einsetzenden Konsolidierungsbestrebungen der öffentlichen Haushalte unter Druck. Das Übertragen von Ansätzen des New Public Management auf Kulturbetriebe bedeutete sowohl eine erhöhte Eigenverantwortlichkeit, aber oft auch eine geringere Unterstützung durch die öffentliche Hand und sorgte seinerseits für eine Neuausrichtung der Betriebe auf wirtschaftlicher wie inhaltlicher Ebene. Der damit verbundene Personalabbau führte dann gerade im Osten Deutschlands bei Orchestern und Theatern zu zahlreichen Fusionen und Spartenschließungen.

Die Konferenz nimmt die Entwicklung der Kultursysteme vor allem in den ehemals staatssozialistischen Staaten Mittel- und Osteuropas seit dem Zusammenbruch des Kommunismus in vergleichender Perspektive in den Blick und wendet sich dabei besonders an Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler. Die vorliegenden Ergebnisse aus den einzelnen Staaten sollen zusammengeführt werden, um neue transnationale Perspektiven zu generieren und sie in Beziehung zu internationalen Entwicklungen zu setzen. Der Vergleich zielt darauf, zu untersuchen, welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede es bei der Transformation der Kultursysteme in den ostmitteleuropäischen Staaten gab und welche Auswirkungen sie für die Stellung der Kultur und die Artikulationsmöglichkeiten von Kulturschaffenden und Kulturinstitutionen in gesellschaftlichen Krisenmomenten hatten.
Insbesondere soll die Frage behandelt werden, wie Künstlerinnen und Künstler sowie Kulturinstitutionen in die neuen Meistererzählungen nach 1989/90 integriert wurden, die an die Stelle des marxistisch-leninistischen Narrativs traten. Ein besonderer Fokus liegt auf dem Verhältnis von Politik und Kultur und den durch die Politik begründeten Institutionen und Strukturen. Dabei werden sowohl die nach 1989/90 neu begründeten Institutionen und Einrichtungen betrachtet als auch der Umgang mit den aus der staatssozialistischen Periode stammenden.
Zudem soll die Frage nach dem Wandel der kulturellen Eliten auf der Konferenz zur Sprache kommen. Außer in Ostdeutschland erfolgte dieser Elitenaustausch über rein interne Mechanismen, wobei oftmals Dissidenten und Oppositionelle aus staatssozialistischer Zeit zentrale Stellen besetzen konnten. Einige Kulturschaffende – wie an besonders herausgehobener Position Václav Havel – haben bei der Neuordnung von Staat und Kultur an prominenter Stelle mitgewirkt, während andere nach den Umwälzungen rasch an gesellschaftlichem Einfluss verloren. In der ehemaligen DDR bildete sich zudem aufgrund der Dominanz von westdeutschen Diskursen und Eliten eine Tendenz heraus, auf gewisse kulturelle Eigen- und Widerständigkeiten zu beharren. Die Frage der Vergangenheitsaufarbeitung stellte sich sowohl für individuelle Verstrickungen mit den alten Regimen als auch für die Institutionen des Kulturbereichs.

Mit Blick auf aktuelle Entwicklungen in den Staaten Mittel- und Osteuropas, wo rechtsstaatliche und freiheitliche Formen und Normen zu Gunsten einer „illiberalen Demokratie“, wie der ungarische Präsident Victor Orbán sie für Ungarn verkündet hat, zurückgedrängt werden, soll der Frage nachgegangen werden, wie diese neuen nationalistische Tendenzen erklärt werden können, welche kultur- und identitätspolitischen Konzepte sie befördert haben und wie sich Kulturakteure dazu positionieren.
Vorträge sollen sich vor allem den folgenden Themenkomplexen zuwenden:
- Transformationen der Kultur- und Identitätspolitik zwischen ökonomischen Zwängen, politischem Wollen und erkämpfter Freiheit im Vergleich
- Entwicklungen in einzelnen Kulturbereichen (Theater, Kunst, Musik, etc.)
- Freie Kultur unter Beschuss – Affirmation und Widerstand von Kultur und Kunst angesichts neuer Nationalismen
Die Tagung wird am 18. und 19. März 2020 in Leipzig stattfinden. Eingeladen sind sowohl der wissenschaftliche Nachwuchs als auch etablierte Forscherinnen und Forscher. Die Kosten für Anreise und Übernachtung der Konferenzteilnehmer werden voraussichtlich durch die Veranstalter gedeckt. Konferenzsprachen sind Deutsch und Englisch.
Themenvorschläge in Form eines Abstracts (max. 300 Wörter) werden zusammen mit einem kurzen Lebenslauf bis zum 15. Juli 2019 erbeten an Torben Ibs (Torben.Ibs@web.de) und Thomas Höpel (hoepel@uni-leipzig.de).

-------------------------------------------------

Call for Papers

Conference

Cultural systems in transformation in the gape of identity politics and the process of coming to terms with the past (1989–2019)

University of Leipzig, Institut für Kulturwissenschaften
18-19 March 2020

The breakdown of state socialism in 1989–90 started a transformation of the societies in Central and Eastern Europe, which also changed the field of culture. The transformation of cultural institutions in the former GDR as well as in Poland, Hungary and other ex-socialist states was characterized by tendencies of privatisation, neo-liberal concepts of funding and new political objectives. At the same time, cultural enterprises had to adapt to a demand-based model , where attendants of cultural events were then more and more identified as pure costumers. Furthermore, the barriers between high-art and popular culture became more fluid.
The liberal democracies in the West, and especially the new reunified Germany, also faced new challenges after the end of the Cold War. Public funding got under pressure due to the efforts to consolidate public budgets. Methods of New Public Management were adopted by cultural institutions and transformed them economically and in their cultural output as well. The adoption of these methods in Eastern Germany led to several fusions and closings of theatres and orchestras.

Therefore, the conference will, on the one hand, focus on developments in the different fields of culture and, on the other hand, discuss overall tendencies in cultural and identity politics shaped by them. The concurrent activities after 1989 will be put in an international comparative perspective to realize up to which point we face singular national solutions and where the implementation of Western models resulted in similar new structures.
A certain focus will be on the question of how artists and institutions were integrated into the new master narratives after 1989–90 that took the place of the former Marxist-Leninist narratives. Especially the relationship between politics and culture shall be highlighted by looking at structures and institutions. The new institutions emerging after 1989–90 will be analysed and how institutions from the socialist period were handled with, too.

Another field of interest of the conference is the change of and within the cultural elites. East Germany apart, the change of cultural elites had to be organized from within, thus former dissidents and actors of the opposition in the era of state socialism could manage to take key positions. This is not only true for the cultural sector but is valid for all the fields of institutions as of the state, society or culture. Some cultural actors – most famous would be Václav Havel – took a crucial role in reorganizing state and culture, while others lost their influence quickly in the societal turmoil. The situation in the former GDR was more complex due to the reunification: In the face of dominant West-German elites and a predominant Western discourse, a certain resilience and cultural self-confidence emerged. The process of coming to terms with the past challenged the relationships of artists, as well as those of institutions, with the regimes of the early past.

Looking at current events in the states of CEE, we see a rollback of the forms and norms of the rule of law and liberty due to politics like the concept of “illiberal democracy” as announced by Hungarian President Victor Orbán. How can these new nationalist tendencies be explained? Which concepts of cultural and identity politics are boosted by them and how do cultural actors position themselves in those developments?
Panels will be organized for the following topics:
- Transformation of cultural and identity politics between economic urges, political will and freedom won in internal comparison
- Developments in selected fields of culture (theatre, arts, music etc.)
- Free culture under attack – affirmation and resistance of culture and art facing new nationalism
The conference is designated for both young academics and senior academics. Costs for travel and accommodation will be covered by the organizer (due to funds). Conference languages are English and German. It will take place in Leipzig in Spring 2020. We invite the submission of abstracts on the questions and topics raised above. Please send an abstract of no more than 300 words and a biographical sketch to Thomas Höpel (hoepel@rz.uni-leipzig.de) and Torben Ibs (torben.ibs@web.de).

Programm

Kontakt

Universität Leipzig
Institut für Kulturwissenschaften
Prof. Thomas Höpel
Beethovenstr. 15
04081 Leipzig

hoepel@uni-leipzig.de