Redaktionsnotiz: Zum 75. Geburtstag von Konrad H. Jarausch

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Redaktion H-Soz-Kult

Liebe Leserinnen und Leser von H-Soz-Kult,

Würdigungen und Lobreden sind eigentlich kein Format von H-Soz-Kult. Heute müssen wir allerdings aus gegebenem Anlass eine Ausnahme machen, denn Konrad H. Jarausch, einer der Mitbegründer und Förderer von H-Soz-Kult seit zwanzig Jahren, begeht am 14. August 2016 seinen 75. Geburtstag. Im Namen der Redaktion möchten wir unserem langjährigen Senior Editor sehr herzlich gratulieren.

Bei der Gründung von H-Soz-Kult im Jahr 1996 orientierten wir uns an einem schon erfolgreichen amerikanischen Modell für die internetbasierte Wissenschaftskommunikation, am Humanities & Social Sciences Online-Network (H-Net). Ohne Konrad H. Jarausch hätte es H-Soz-Kult damals vermutlich nicht gegeben, denn er stellte in der Gründungsphase die Verbindung zum damaligen Executive Director des H-Net her, seinem Chicagoer Historikerkollegen Richard J. Jensen, half uns die amerikanischen Strukturen und Anforderungen zu verstehen und moderierte zugleich unsere Vorstellungen, wenn es irgendwo in der transatlantischen Kommunikation hakte; er brachte sich letztlich als kultureller Übersetzer und Gewährsmann ein – eine Rolle, die Konrad H. Jarausch in den Folgejahren als Co-Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung in Potsdam noch vielfach ausüben sollte. In dieser Funktion unterstützte er später auch die Gründung des Kooperationsverbundes Clio-online und die Beantragung von DFG-Fördermitteln für H-Soz-Kult, Clio-online und Zeitgeschichte-online. Mitte der 1990er-Jahre war Konrad H. Jarausch für H-Soz-Kult quasi ein natürlicher Ansprechpartner in den Vereinigten Staaten, denn er hatte sich intensiv mit der Entwicklung des deutschen und amerikanischen Wissenschaftssystems und Aspekten der Professionalisierung beschäftigt sowie Handbücher und Artikel zur Quantifizierung in der Geschichtswissenschaft verfasst, hat sich also für computeraffine Methoden interessiert, die heute in den Digital Humanities erneut entdeckt werden.1

Konrad H. Jarausch wurde 1941 in Magdeburg in ein protestantisches Milieu hineingeboren, denn beide Eltern waren Religionslehrer. Jedoch musste er ohne den Vater aufwachsen, der Hitlers Feldzug gegen die Sowjetunion im Januar 1942 in Weißrussland als Soldat in der Etappe zum Opfer fiel. Seine Kindheit verbrachte er erst in Nordbayern, wohin es die Mutter mit dem Sohn nach der Ausbombung in Magdeburg verschlagen hatte, und später im Rheinland. Auch um sich des dominanten Einflusses seines Onkels zu entziehen, des Historikers Franz Petri, migrierte Konrad H. Jarausch nach dem Abitur Ende der 1950er-Jahre – eigentlich nur auf Zeit zum Studium – in die Vereinigten Staaten. Die folgenden Jahre haben ihn sehr geprägt, denn bis heute überrascht Konrad H. Jarausch sein Umfeld durch die ihn charakterisierende Melange aus preußisch-deutschen Tugenden und Werten wie Alltagsdisziplin, Willensstärke und Naturverbundenheit in Verbindung mit amerikanischer Hilfsbereitschaft, Pragmatismus und Zielstrebigkeit, Sportlichkeit sowie Offenheit für Neuerungen. In diese Phase seiner persönlichen Amerikanisierung fällt auch die Eheschließung mit der Romanistin Hannelore Flessa und die Geburt der beiden Söhne Anfang der 1970er-Jahre. 1969 erwarb er an der University of Wisconsin seinen PhD, nach weiteren Forschungen in Princeton folgte ein Assistant bis Full Professorship an der University of Missouri, Columbia. 1983 wechselte er als Lurcy Professor for European Civilization an die University of North Carolina, Chapel Hill; diese Professur hat er bis heute inne. Nach einer Position als Stellvertretender Direktor des Duke Center for European Studies an der University of North Carolina ging er 1998 als einer der beiden Direktoren des Zentrums für Zeithistorische Forschung nach Potsdam, dessen Co-Direktor er bis 2006 blieb. Parallel war Konrad H. Jarausch im Lauf seiner Karriere Stipendiat an zahlreichen Forschungseinrichtungen in den USA, Europa, Japan und Australien. Der engagierte Wissenschaftsmanager hat sich um zahlreiche Forschungsinstitutionen verdient gemacht. Das akademische Publizieren befördert er nicht nur als außergewöhnlich produktiver Autor, sondern auch als Mitgründer und Berater unserer Plattform. Für seine Arbeit und seine Ratschläge über zwei Jahrzehnte hinweg möchten wir ihm deshalb von Herzen danken.

Konrad H. Jarausch hat in den zurückliegenden Jahrzehnten viele Aspekte der europäischen Geschichte und speziell die deutsche Geschichte der Moderne erforscht. Seine Biographie hat ihn im besten Sinne zu einem „deutsch-amerikanischen Hybriden“ gemacht. Als Zeithistoriker hat er auf beiden Seiten des Atlantiks zahlreiche Bücher verfasst und mit herausgegeben, wobei er als engagierter Intellektueller stets einen ganz eigenen analytischen Blick auf die deutsche, europäische und globale Geschichte des 20. Jahrhunderts wirft. Seine Forschungsinteressen reichen von der Geschichte des späten 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart. Konrad H. Jarausch hat die Machtübernahme Hitlers und die Geschichte des Ersten Weltkriegs ebenso untersucht wie die internationalen Beziehungen Deutschlands, die Geschichte der Universitäten, die Sozialgeschichte der Arbeit in Deutschland, die Wiedervereinigung, die politische, Sozial- und Wissenschaftsgeschichte der DDR oder den Umgang der Historiker mit dem "Dritten Reich". Seine profunde Kenntnis der deutschen und europäischen Geschichte hat er zuletzt in dem Opus Magnum "Out of Ashes. A New History of Europe in the Twentieth Century" unter Beweis gestellt. In seinem Überblickswerk zeichnet er nicht nur die Geschichte eines Kontinents im 20. Jahrhundert nach, sondern reflektiert auch auf höchstem Niveau über das Konzept der "Moderne", was es für die europäische Geschichte bedeutet (hat) und wie es für uns Historiker/innen analytischen Mehrwert erhalten kann. Seine Darstellung der Geschichte des europäischen Einigungsprojekts dürfte (und sollte) in den turbulenten Zeiten, in denen Bürger/innen der Europäischen Union derzeit leben, nicht nur Fachleute interessieren, sondern alle, denen die Vergangenheit wie die Zukunft der Idee und Praxis europäischer Einigung nicht gleichgültig ist.

Weggefährten und Freunde von Konrad H. Jarausch überreichen ihm zum Geburtstag eine Festschrift, die nun erhältlich ist: Thomas Lindenberger und Martin Sabrow (Hrsg.), German Zeitgeschichte. Konturen eines Forschungsfeldes, Göttingen 2016:
<http://www.wallstein-verlag.de/9783835319127-german-zeitgeschichte.html>

In seiner Rezension von "Out of Ashes" für H-Soz-Kult schrieb Hartmut Kaelble, die frühen Siebziger seien ein gutes Lebensalter für einen Historiker. Wenn man sich Konrad H. Jarauschs Arbeiten der letzten Jahre anschaut, dann lässt sich das gar nicht bestreiten. Wir wünschen ihm, dass auch die zweite Hälfte der Siebziger sich als eine schöpferisch, wissenschaftlich und persönlich genauso erfüllte Phase herausstellen möge!

Für die Redaktion von H-Soz-Kult
Rüdiger Hohls, Claudia Prinz, Jan-Holger Kirsch und alle anderen Redakteurinnen und Redakteure

Anmerkung:
1 Vgl. dazu seine autobiografischen Anmerkungen in: Konrad H. Jarausch, Contemporary History as Transatlantic Project: Autobiographical Reflections on the German Problem, 1960–2010, in: Historical Social Research (HSR), Supplement 24 (2012), S. 7-49, hier S. 20, <http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-379187> (09.08.2016).

Monographien und Sammelbände von Konrad H. Jarausch (seit 1996)

Out of Ashes. A New History of Europe in the Twentieth Century. Princeton: Princeton University Press 2015. ISBN 978-0-691-15279-0; 867 S.; $ 39.50 / £ 29.95.
Rezension: http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-24124 [Hartmut Kaelble, 6.11.2015]

(Hrsg.) United Germany. Debating Processes and Prospects. New York: Berghahn Books 2013. ISBN 978-0-85745-972-5; 300 S.; $ 120.00 / £ 75.00.
Rezension: http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-22033 [Marcus Böick, 14.1.2016]

(mit Ulf Dirlmeier, Andreas Gestrich, Ulrich Herrmann, Ernst Hinrichs, Christoph Kleßmann und Jürgen Reulecke) Deutsche Geschichte. Aktualisierte und ergänzte Ausg. Stuttgart: Reclam 2013. ISBN 978-3-15-019085-2; 542 S.; EUR 12,00.

Contemporary History as Transatlantic Project: The German Problem, 1960–2010 (= Historical Social Research / Historische Sozialforschung, Supplement No. 24). Köln: GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften 2012. ISSN 0172-6404; 360 S.; EUR 12,00. http://www.gesis.org/hsr/archiv/2012/suppl-24-contemporary-history/

(mit Matthias Middell und Annette Vogt, in Zusammenarbeit mit Reimer Hansen und Ilko-Sascha Kowalczuk) Geschichte der Universität Unter den Linden 1810–2010. Sozialistisches Experiment und Erneuerung in der Demokratie – die Humboldt-Universität zu Berlin 1945–2010 (= Geschichte der Universität Unter den Linden 1810–2010, Bd. 3). Berlin: Akademie Verlag 2012. ISBN 978-3-05-004668-6; 715 S.; EUR 119,95.

(Hrsg., mit Karen Hagemann und Cristina Allemann-Ghionda) Children, Families, and States. Time Policies of Childcare, Preschool, and Primary Education in Europe. New York: Berghahn Books 2011. ISBN 978-0-85745-096-8; XVI, 442 S.; $ 120.00 / £ 75.00.
(dt. Ausg.: Halbtags oder ganztags? Zeitpolitiken von Kinderbetreuung und Schule nach 1945 im europäischen Vergleich. Weinheim: Beltz Juventa 2015. ISBN 978-3-7799-2974-1; 514 S.; EUR 39,95.)

(Hrsg., mit Michael Grüttner, Rüdiger Hachtmann, Jürgen John und Matthias Middell) Gebrochene Wissenschaftskulturen. Universität und Politik im 20. Jahrhundert. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010. ISBN 978-3-525-35899-3; 384 S.; EUR 39,90.
Rezension: http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-15666 [Mario Keßler, 8.2.2013]

(Hrsg.) Das Ende der Zuversicht? Die siebziger Jahre als Geschichte. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2008. ISBN 978-3-525-36153-5; 362 S.; EUR 29,90.
Rezension: http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-11781 [Nils Freytag, 26.3.2009]

(Hrsg., mit Klaus Jochen Arnold) »Das stille Sterben...«. Feldpostbriefe von Konrad Jarausch aus Polen und Russland 1939–1942. Paderborn: Schöningh 2008. ISBN 978-3-506-76546-8; EUR 34,90.
(engl. Ausg.: Reluctant Accomplice. A Wehrmacht Soldier’s Letters from the Eastern Front, 1939–1942. Princeton: Princeton University Press 2011. ISBN 978-0-691-14042-1; XVIII, 392 S.; $ 46.00 / £ 34.95.)

(Hrsg., mit Thomas Lindenberger, in Zusammenarbeit mit Annelie Ramsbrock) Conflicted Memories. Europeanizing Contemporary Histories (= Studies in Contemporary European History, Bd. 3). New York: Berghahn Books 2007. ISBN 978-1-84545-284-1; XII, 293 S.; $ 120.00 / £ 75.00.

(Hrsg., mit Hans-Hermann Hertle) Risse im Bruderbund. Die Gespräche Honecker – Breshnew 1974 bis 1982. Berlin: Christoph Links Verlag 2006. ISBN 3-86153-419-3; 240 S.; EUR 40,00.
Rezension: http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-8297 [Gerhard Wettig, 23.1.2007]

(Hrsg., mit Arnd Bauerkämper und Marcus M. Payk) Demokratiewunder. Transatlantische Mittler und die kulturelle Öffnung Westdeutschlands 1945–1970, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2005. ISBN 3-525-36285-4; 335 S.; EUR 24,90.
Rezension: http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-6775 [Kaspar Maase, 25.11.2005]

Die Umkehr. Deutsche Wandlungen 1945–1995. München: Deutsche Verlags-Anstalt 2004. ISBN 3-421-05672-2; 500 S.; EUR 24,90.
(engl. Ausg.: After Hitler. Recivilizing Germans, 1945–1995. Oxford: Oxford Unversity Press 2006. ISBN 978-0-19-512779-9; XIII, 379 S.; £ 75.00.)

(mit Michael Geyer) Shattered Past. Reconstructing German Histories. Princeton: Princeton University Press 2003. ISBN 0-691-05936-5; XI, 380 S.; $ 65.00.
(dt. Ausg.: Zerbrochener Spiegel. Deutsche Geschichten im 20. Jahrhundert. München: Deutsche Verlags-Anstalt 2005. ISBN 3-421-05673-0; 493 S.; € 39,90.)

(Hrsg., mit Martin Sabrow) Die historische Meistererzählung. Deutungslinien deutscher Nationalgeschichte nach 1945. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2002. ISBN 3-525-36266-8; 255 S.; EUR 22,90.

(Hrsg., mit Hans-Hermann Hertle und Christoph Kleßmann) Mauerbau und Mauerfall. Ursachen – Verlauf – Auswirkungen (= Forschungen zur DDR-Gesellschaft). Berlin: Christoph Links Verlag 2002. ISBN 3-86153-264-6; 343 S.; EUR 24,90.

(Hrsg., mit Martin Sabrow) Verletztes Gedächtnis. Erinnerungskultur und Zeitgeschichte im Konflikt. Frankfurt am Main: Campus Verlag 2002. ISBN 3-593-37023-9; 275 S.; EUR 29,90.
Rezension: http://www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-1588 [Jan-Holger Kirsch, 21.10.2002]

(Hrsg., mit Rüdiger Hohls, unter Mitarbeit von Torsten Bathmann, Jens Hacke, Julia Schäfer und Marcel Steinbach-Reimann) Versäumte Fragen. Deutsche Historiker im Schatten des Nationalsozialismus. München: Deutsche Verlags-Anstalt 2000. ISBN 3-421-05341-3; 528 S.; EUR 22,50.

(Hrsg.) Dictatorship as Experience. Towards a Socio-Cultural History of the GDR. New York: Berghahn Books 1999. ISBN 978-1-57181-181-3; XII, 388 S.; $ 120.00 / £ 75.00.

(Hrsg., mit Martin Sabrow) Weg in den Untergang. Der innere Zerfall der DDR. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1999. ISBN 3-525-01383-3; 280 S.; DM 39,00.

(Hrsg.) After Unity. Reconfiguring German Identities, 1990–1995. Providence: Berghahn Books 1997. ISBN 978-1-57181-040-3; VIII, 216 S.; $ 120.00 / £ 75.00.

(Hrsg., mit Hannes Siegrist) Amerikanisierung und Sowjetisierung in Deutschland 1945–1970. Frankfurt am Main: Campus Verlag 1997. ISBN 3-593-35761-5; 411 S.; DM 78,00.

Citation
Redaktionsnotiz: Zum 75. Geburtstag von Konrad H. Jarausch, In: H-Soz-Kult, 15.08.2016, <www.hsozkult.de/text/id/texte-3150>.
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