Im „Studien“-Teil beschreibt Karl Schlögel gegen die These vom Ende der europäischen Stadt das Wiederaufleben von Urbanität im östlichen Teil Europas nach 1989. Die Soziologen William G. Roy und Timothy J. Dowd fragen nach der soziologischen Bedeutung von Musik. Und gegen die verbreitete Rede, es seien doch immer die gleichen Bilder von Gewalt, analysiert die Mediensoziologin Angela Keppler zentrale Unterschiede zwischen fiktionaler und dokumentarischer Gewaltdarstellung in Film und Fernsehen.
Das „Stichwort“ stellt mit dem Konzept der „normativen Paradoxien“ die gesellschaftstheoretische Perspektive der Forschungsarbeit am Institut für Sozialforschung vor. Der einleitende Beitrag von Axel Honneth und Ferdinand Sutterlüty entfaltet den theoretischen Grundgedanken, die gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungen nach dem Muster eines paradoxalen Prozesses zu beschreiben: Einerseits haben die sozialstrukturellen Wandlungen zu einer Vielzahl von unleugbaren normativen Fortschritten geführt. Andererseits werden die damit verbundenen Erweiterungen der individuellen Freiheits- und Autonomiespielräume im Zuge ihrer gesellschaftlichen Implementierung für große Teile der Bevölkerung zu einer schwindenden Option, tendenziell zunichte gemacht oder gänzlich in ihr Gegenteil verkehrt. In drei weiteren Beiträgen werden Ergebnisse von Forschungsprojekten des Instituts präsentiert, die in der einen oder anderen Weise bereits Gebrauch vom Paradoxienkonzept gemacht haben.
Kai-Olaf Maiwald geht dem paradoxen Befund auf den Grund, dass die Hausarbeit zwischen Männern und Frauen gerade auch dann meist sehr ungleich verteilt bleibt, wenn sich die Beteiligten an egalitäre Normen der zwischengeschlechtlichen Arbeitsteilung gebunden fühlen. Stephan Voswinkel analysiert paradoxale Folgen von Ansprüchen auf Autonomie und Selbstverwirklichung in der Arbeitswelt. Ferdinand Sutterlüty schließlich sucht eine Erklärung für das Paradox, dem zufolge gerade die Verinnerlichung von Normen ethnischer Gleichheit dazu führen kann, dass die Einheimischen jene Migrantinnen und Migranten stigmatisieren, die positiv von diesen Normen betroffen und sozial aufgestiegen sind.
Unter dem Titel „Eingriffe“ schließlich finden sich Aufsätze von Sighard Neckel, Klaus Bendel, Martin Jay sowie Sonja Buckel und Jens Wissel, die einem aktuellen Phänomen nachgehen beziehungsweise auf einen interessanten theoretischen Ansatz oder eine verblüffende Geschichte aufmerksam machen.
INHALT
Studien
Karl SchlögelDie europäische Stadt als Lebensform – nicht nur eine Geschichte 3
William G. Roy und Timothy J. DowdMusik soziologisch 21
Angela KepplerDas Gleiche ist nicht immer gleich. Gewaltdarstellungen in Film und Fernsehen 50
Stichwort: Normative Paradoxien der Gegenwart
Axel Honneth und Ferdinand SutterlütyNormative Paradoxien der Gegenwart – eine Forschungsperspektive 67
Kai-Olaf MaiwaldModern und doch traditional? Paradoxien heutiger Paarbeziehungen 86
Stephan VoswinkelParadoxien entgrenzter Arbeit 93
Ferdinand SutterlütyParadoxale Folgen ethnischer Gleichheit 103
Eingriffe
Sighard NeckelRefeudalisierung der Ökonomie. Zum Strukturwandel kapitalistischer Wirtschaft 117
Klaus BendelFähigkeiten oder Fairness? Behinderung in der Gerechtigkeitstheorie 129
Martin JayDialektik der Gegenaufklärung. Die Frankfurter Schule im Verschwörungsnarrativ extremistischer Randgruppen 147
Sonja Buckel und Jens WisselTatort Frontex 158
Mitteilungen
Rolf WiggershausRede zur Wiedereröffnung des Instituts für Sozialforschung am 1. April 2011 169
Neuerscheinung in der Schriftenreihe des IfS 175
Veranstaltungsankündigungen
ZeitBrüche – Diagnosen zur Gegenwart: Politik an Europas Grenzen 176
Vorschau auf das nächste Heft 176
Zu den Autorinnen und Autoren 177