Jon Mathieu: Gibt es heilige Berge in Europa? Eine einführende Spurensuche
Es gibt etliche Berge in Europa, die als „heilig“ bezeichnet wurden bzw. werden. Konjunktur hatte die Heiligsprechung von Bergen vor allem im Zeitalter des Nationalismus, weil damit auch immer nationalpolitische Markierungen verbunden waren. Ob man die Berge auch im religiösen Sinn als „heilig“ bezeichnen kann, ist allerdings eine andere Frage.
Andreas Bäumler: Heilige Infrastruktur: Zur Sakralisierung von alpiner Technik in der Literatur
Berge sind nicht nur als Naturphänomene heilig, sondern auch als Orte ihrer technischen Erschließung. Dies zeigt sich beispielhaft bei Schweizer Autoren des frühen 20. Jahrhunderts, die sich mit der alpinen Infrastruktur des Gotthard auseinandersetzen. So erhielten technische Projekte in den Bergen eine sakrale Dimension.
Peter Mikša: Vom Berg zum Symbol: Der Triglav und seine Bedeutung für die Slowenen
Der höchste Gipfel der Julischen Alpen war im 19. Jahrhundert der Schauplatz einer erbitterten Rivalität zwischen dem österreichischen und slowenischen Alpenverein. Im Zuge dieses Wettkampfs um die Berge wurde der Triglav zum nationalen Symbol der Slowenen und fand so nicht nur Eingang in Literatur und Malerei, sondern auch in die Heraldik. Sowohl in der jugoslawischen Teilrepublik Slowenien als auch im heutigen unabhängigen Staat ziert der Triglav das slowenische Wappen und die Flagge.
Emil Hilton Saggau: Im Zentrum der nationalen Identität: Lovćen, der schwarze Berg
Die Bucht von Kotor wird vom Berg Lovćen überragt. Der Berg ist eng mit einer der dominie- renden Herrscherfamilie Montenegros verbunden und spielt in der nationalen Dichtung eine wichtige Rolle. Spätestens seit der prägende Herrscher Petar II. Petrović-Njegoš sich eine Kapelle als Grabstätte auf dem Berg erbauen ließ, ist der Lovćen zu einem nationalen Sym- bol geworden. In den Debatten um die Errichtung der Kapelle und später eines Mausoleums spiegeln sich bis heute die Konflikte um die montenegrinische Identität.
Nathalie Clayer: Pilgerreisen zum Tomorr in Albanien: Wandel in Mobilität und sakralen Praktiken
Der Berg Tomorr im Süden Albaniens und ein auf seinem Gipfel liegendes Heiligengrab werden schon seit Jahrhunderten mit einer Pilgerreise verehrt. Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war diese eine regionale Angelegenheit, seither hat die Bektaschi- Bruderschaft verstärkt die Kontrolle über die Stätte übernommen, und die Pilgerreise ist zu einem nationalen Ereignis geworden. Parallel dazu haben sich die religiösen Praktiken an der Stätte, insbesondere aufgrund der veränderten Mobilität, gewandelt
Andreas Müller: Athos – der Heilige Berg der Orthodoxie
Der Berg Athos ist der Heilige Berg für die Orthodoxie schlechthin. Die Mönche versuchen durch festgelegte Gebetszeiten und Askese der Gottesschau näher zu kommen. Die Mönchsrepublik setzt sich aus 20 Großklöstern und mehreren Skiten zusammen, wobei die Großklöster auch die Regierung des Heiligen Bergs stellen. Der Athos ist kulturgeschichtlich prägend für die monastische Kultur der Orthodoxie geworden. In jüngster Zeit macht vor allem der gestiegene russische Einfluss auf die Mönchsrepublik von sich reden.
Boris Prevešič und Stefan Kube im Gespräch mit Elke Shoghig Hartmann: Symbol für das verlorene paradiesische Land: der Berg Ararat
Der Ararat ist das Nationalsymbol der Armenier, auch wenn er heute auf türkischem Staatsgebiet liegt. Zentral war in vornationaler Zeit jedoch nicht der Berg an sich, sondern die fruchtbare Ararat-Ebene als paradiesisches Land in einer unwirtlichen Umgebung. Im 19. und 20. Jahrhundert wird der Ararat zum Symbol des verlorenen Landes und von Armenien schlechthin. Auch im kurdischen Narrativ spielt der Berg eine Rolle, weil er an die Anfänge einer kurdischen Nationalbewegung erinnert.
Eva Maurer: Der Elbrus – die symbolische Spitze des Imperiums
„Höher als der Montblanc“ wurde der Elbrus nach der russischen Eroberung des Kaukasus zu einem beliebten, auch internationalen Bergsteigerziel, Tourismusmagneten, einem Ort sowjetischer Massenbesteigungen und imperialen Symbol russischer Kultur. Zur Erinnerungskultur gehört auch das Schicksal der balkarischen Lokalbevölkerung, aus deren Mitte ortskundige Bergführer stammten, und die 1944 von Stalin deportiert wurde.
Buchbesprechungen:
Jon Mathieu: Mount Sacred. Eine kurze Globalgeschichte der heiligen Berge seit 1500. Wien: Böhlau 2023
Emil Hilton Saggau: Nationalisation of the Sacred. Orthodox Historiography, Memory, and Politics in Montenegro (= South-East European History, vol.5) New York u.a.: Peter Lang 2024