IM FOKUS
Stefan Kube: Mit kirchlichem Segen. Serbiens Regierung bekämpft Srebrenica-Resolution
Trotz scharfer Kritik der serbischen Regierung hat die UN-Vollversammlung eine Resolution zu Srebrenica verabschiedet, die den 11. Juli als Gedenktag für die Opfer des Völkermords vorsieht. Der serbische Präsident Aleksandar Vučić warf den Initianten der Resolution vor, das serbische Volk brandmarken zu wollen und wurde dabei von der Serbischen Orthodoxen Kirche unterstützt. Sein Kampf gegen die Resolution war jedoch vor allem innenpolitisch motiviert.
KRIEGSVERBRECHEN VERFOLGEN
Helen Keller, Benjamin Baumann: Russlands Kriegsverbrechen vor Gericht - Lehren aus einem Jahrhundert Völkerrecht
Russland werden völkerrechtliche Straftatbestände wie das Führen eines Angriffskriegs, Völkermord und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht vorgeworfen. Das Völkerstrafrecht kann einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung russischer Kriegsverbrechen leisten, steht jedoch auch in der Kritik. Weil die Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs begrenzt ist, werden alternative Ansätze wie ein Sondertribunal gesucht, damit die russische Invasion in die Ukraine nicht ungesühnt bleibt.
Katarina Ristić: Rechtliche Reaktion. Das Haager Tribunal und die Kriege im früheren Jugoslawien
Mit der Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) 1993 wurde erstmals nach dem Ende des Kalten Kriegs der Versuch unternommen, schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht international zu verfolgen und zu ahnden. Der ICTY verurteilte mehrere Angeklagte wegen Völkermord und stufte sexuelle Gewalt als Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein. Der Prozess gegen Slobodan Milošević blieb aufgrund des Tods des Angeklagten jedoch unvollendet. In den jugoslawischen Nachfolgestaaten ist die Wahrnehmung des Gerichts bis heute ambivalent.
Adrijana Hanušić Bećirović: Das Opfer im Zentrum. Rechtliche Unterstützung von Überlebenden in Bosnien-Herzegowina
Bei der nationalen Strafverfolgung von Kriegsverbrechen während des Kriegs von 1992–1995 wurden in Bosnien-Herzegowina bisher über 600 Verfahren abgeschlossen. Bedeutende Fortschritte und Verbesserungen hat es in den letzten Jahren bei der Strafverfolgung von konfliktbedingter sexueller Gewalt gegeben. Dies ist auch auf die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen wie TRIAL International zurückzuführen, die sich für eine opferzentrierte Perspektive einsetzen.
Iva Vukušić: Lehren aus der Verfolgung von Kriegsverbrechen: Was kann die Ukraine von Bosnien-Herzegowina lernen?
Ähnlich wie Bosnien-Herzegowina nach dem Krieg ist die Ukraine heute mit einer immensen Zahl an Kriegsverbrechen konfrontiert, die auf ihrem Territorium geschehen. Die ukrainische Justiz steht diesbezüglich vor riesigen Herausforderungen, zur deren Bewältigung eine klare Strategie nötig ist. Allerdings müssen mit Blick auf Bosnien-Herzegowina unrealistische Erwartungen an die juristische Aufarbeitung der Verbrechen gedämpft werden. Realistischerweise wird angesichts der Menge und der Komplexität der Fälle nur ein kleiner Teil der Verbrechen sorgfältig und fair geahndet werden können.
Anna Adamska-Gallant: Langer Weg. Juristische Aufarbeitung von Kriegsverbrechen in der Ukraine
Die Hauptlast für die Strafverfolgung von Kriegsverbrechen in der Ukraine liegt auf der ukrainischen Justiz. Dennoch spielen internationale Gremien wie der Internationale Strafgerichtshof oder der Internationale Gerichtshof eine wichtige Rolle. Internationale Initiativen zur Dokumentation von Verbrechen und die Unterstützung der ukrainischen Justiz durch internationale Fachleute sind ebenfalls wichtige Stützen bei der Ahndung von Kriegsverbrechen.
Iuliia Anosova: Zur Sprache bringen. Kriegsbedingte sexuelle Gewalt in der Ukraine
Im Krieg gegen die Ukraine wendet Russland auch sexuelle Gewalt gegenüber Frauen, Männern und Kindern als Kriegswaffe an. Initiativen aus der Zivilgesellschaft wie die NGO La Strada-Ukraine setzen sich für die Erfassung dieser immer noch lückenhaft dokumentierten Gewalttaten ein und unterstützen Betroffene auf vielfältige Weise. Dabei kooperieren sie mit staatlichen Strafvollzugsbehörden und internationalen Organisationen.
Vyacheslav Likhachev: Zerstörerische „traditionelle Werte“. Russlands Kriegsverbrechen in der Ukraine
Die von Patriarch Kirill als „Heiliger Krieg“ bezeichnete Aggression gegen die Ukraine wird von einer orthodoxen Rhetorik als „Verteidigung des Christentums“ und „traditioneller Werte“ verbrämt. Diese von oben gelenkte Staatsideologie soll die imperiale Aggression legitimieren. Sie wird begleitet von Kriegsverbrechen wie der Zerstörung von sakralen Objekten, der Ermordung von Geistlichen und einer massiven Einschränkung der Religionsfreiheit in den besetzten Gebieten der Ukraine.
Inna Volosevych: Riesiger Bedarf. Mentale Gesundheit und psychologische Hilfsangebote in der Ukraine
Angesicht des russischen Angriffskriegs ist der Bedarf an psychologischer Unterstützung in der Ukraine gewaltig, bisher haben jedoch nur vier Prozent der Bevölkerung tatsächlich psychologische Hilfsangebote in Anspruch genommen. Zurückzuführen ist dies auf die Stigmatisierung psychologischer Erkrankungen, deren unterschiedliche Wahrnehmung von Frauen und Männern sowie Unkenntnis über kostenlose Hilfsangebote. Wichtig sind daher ein Ausbau psychologischer Unterstützungsangebote und die Schaffung einer Kultur der selbstverständlichen Inanspruchnahme psychologischer Hilfe.
Lina Borodynska: Traumatische Erfahrungen. Umgang mit Krieg und Gewalt unter ukrainischen Protestanten
Zu Sowjetzeiten hielten evangelische Christen größtmögliche Distanz zum atheistischen Staat. Deshalb war eine pazifistische Haltung unter evangelischen Christen in der Ukraine weit verbreitet, was zu langen Lagerhaftstrafen aufgrund Wehrpflichtverweigerung führte. Angesichts des russischen Angriffskrieges hat sich diese Haltung verändert und entwickelt sich ein neues gesellschaftliches Engagement und staatsbürgerliches Bewusstsein.
BUCHBESPRECHUNGEN:
Maryna Shevtsova (ed.): Feminist Perspectives on Russia's War in Ukraine. Lanham 2024
Mikhail Zygar: Krieg und Sühne. Berlin 2023
Hasan Hasanović: Srebrenica überleben. Göttingen 2022
Agilolf Keßelring: Die Bundeswehr auf dem Balkan. Göttingen 2023