Dieses Themenheft befasst sich mit der Frage, wie Geschlecht vor Gericht hergestellt und verhandelt, aber auch strategisch eingesetzt wurde, um Ansprüche durchzusetzen oder sich gegen Vorwürfe zu verteidigen. Im Fokus steht dabei der Gerichtsraum, der als physischer und gleichzeitig als durch Interaktionen geformter sozialer Raum zu verstehen ist. Wie prägten die durch diesen Raum verkörperten gesellschaftlichen Normen und Machtasymmetrien die Darstellungen und Strategien jener Personen, die vor der Richterbank standen? Wie nutzten Angeklagte, KlägerInnen, JuristInnen, ExpertInnen oder ZeugInnen "Geschlecht", um ihre Anliegen vor Gericht durchzusetzen? Die Beiträge behandeln verschiedene europäische Regionen und spannen den zeitlichen Bogen von den 1980er Jahren bis zurück ins Spätmittelalter.
This special issue explores the nuanced dynamics of gender in the courtroom, where gender is constructed and negotiated, as well as used strategically by individuals to advance claims or counter accusations. The focus is on the courtroom, understood as a physical but also as a social space constructed through interactions. The articles examine how social norms and power asymmetries inscribed into the courtroom shaped the representations and strategies of those standing before the judge. What role does gender play in this space? How do defendants, plaintiffs, lawyers, experts or witnesses use "gender" to make their case?
INHALT
Maria Fritsche und Ulrike Krampl Editorial S. 9-15
BEITRÄGE
Mala Loth Zur falschen Zeit am falschen Ort. Die Verhandlung des Rechts auf Gleichbehandlung von Männern vor dem Europäischen Gerichtshof (1971-1984), S. 17-33
Maria Fritsche Aushandlungen (homo-)sexueller Identitäten von Wehrmacht- und SS-Gerichten im besetzten Norwegen 1940-1945), S. 55-72
Anne Montenach Gender, Fraud and Labour Justice in Lyon's Silk Industry in the Eighteenth Century. The Case of piquage d'once, S. 53-67
Didier Lett Frauen vor Gericht. Zur Rolle von Geschlecht in der Rechtspraxis der zentralitalienischen Kommunen Tolentino und San Severino im 15. Jahrhundert, S. 69-84.
EXTRA
Lisa Kirchner "Hätte nur jede Nation so ein diszipliniertes Heer ..." Geschlechterbeziehungen und sexuelle Gewalt in autobiografischen Aufzeichnungen des Ersten Weltkrieges (Österreich-Ungarn), S. 85-101
FORUM
Martha Bucholc and Marta Gospodarczyk The Anti-Gender Offensive and the Right to Abortion in Poland, S. 103-111
Brenna McCaffrey Aiding, Abetting, and America's Bitter Abortion Pill, S. 113-118
Im Gespräch Maria Fritsche und Ulrike Krampl im Gespräch mit Elisabeth Holzleithner. "Einer queer∗feministischen Juristin geht die Arbeit nie aus", S. 119-127
AKTUELLES & KOMMENTARE
Lina Gafner und Simona Isler Unter neuen Sternen. Das Gosteli-Archiv zur Geschichte schweizerischer Frauenbewegungen, S. 129-137
Sandra Maß und Xenia von Tippelskirch In Memoriam Regina Schulte (1949-2024), S. 139-142
AUS DEN ARCHIVEN
Christina Holzmann. Geschlecht vor Gericht. Norwegische Kollaborationsprozesse und Geschlechterordnung nach dem Zweiten Weltkrieg, S. 143-147
REZENSIONEN
Ellinor Forster Teresa Phipps und Deborah Youngs (Hg.) Litigating Women. Gender and Justice in Europe, c.1300-c.1800, S. 149-151
Rita Voltmer Liv Helene Willumsen. The Voices of Women in Witchcraft Trials. Northern Europe, S. 151-155
Anna Schiff Sonja Matter, Das sexuelle Schutzalter. Gewalt, Begehren und das Ende der Kindheit (1959-1990), S. 156-159
Tim Buser Sandro Guzzi-Heeb, Sexe, impot et parenté. Une histoire sociale à l'époque moderne 1450-1850, S. 161-163
Anne-Laure Briatte Elisa Heinrich, Intim und respektabel. Homosexualität und Freundinnenschaft in der deutschen Frauenbewegung um 1900, S. 163-166
Klaus Wieland Benno Gammerl, Queer. Eine deutsche Geschichte vom Kaiserreich bis heute, S. 166-169
Abstracts, S. 171-173
Anschriften der Autor:innen, S. 175-176