Buchpreis: Schwerpunktthema 2006: Bildgeschichte – Geschichte der Bilder

Von
Jens Jäger

Essay von Jens Jäger, Kulturwissenschaftliches Forschungskolleg (SFB/FK 427), Universität zu Köln

Die Geschichtswissenschaft ist auf das Bild gekommen – so könnte man es plakativ ausdrücken. Der Themenschwerpunkt des diesjährigen Wettbewerbs von H-Soz-u-Kult legt es nahe. Historikerinnen und Historiker berücksichtigen zunehmend visuelle Quellen in ihren Studien und dies ist hoffentlich keine Modeerscheinung. Allerdings zeigen sich visuelle Quellen als sperrig gegenüber geschichtswissenschaftlicher Methodik und historiografischer Tradition. Daraus ergibt sich ein Bedürfnis nach Orientierung für den Umgang mit dem teils noch ungewohnten Material. Die ersten drei Plätze in der Kategorie „Bildgeschichte – Geschichte der Bilder“ belegen daher nicht zufällig Bücher, die dies versprechen: Die Autoren Peter Burke, Hans Belting und Bernd Roeck, jeweils hoch angesehene Forscher in ihren Feldern Frühe Neuzeit (Burke und Roeck) und Kunstgeschichte (Belting), sind bewährte Experten auf dem Gebiet der visuellen Quellen und haben Studien vorgelegt, die in die Bildthematik und -problematik auf verschiedene Weise einführen. Platz 4 teilen sich drei Autoren: der Literatur- und Medienwissenschaftler Claude D. Conter, der Zeitgeschichtler Habbo Knoch und der Osteuropahistoriker und Zeitgeschichtler Karl Schlögel; wobei Conter und Knoch jeweils mit ihren Dissertationen vertreten sind. Die Mixtur aus bewährten Autoren und Qualifikationsarbeiten ist für sich schon interessant, da sie den inspirierenden Charakter von Bildthematiken verdeutlicht.

Diese Auswahl ist aber noch aus zwei weiteren Gründen bemerkenswert. Erstens zeigt sie, dass in der Geschichtswissenschaft Bilder vor allem in der Frühen Neuzeit bereits länger als Forschungsgegenstände verankert sind. Sie zeigt ferner, dass zentrale Bereiche der Geschichtswissenschaft in Fragen der Bildgeschichte oder der Geschichte der Bilder noch Nachholbedarf haben – nicht nur bezogen auf eine hohe Platzierung in dem Schwerpunkt des HSK-Wettbewerbs. Aufschlussreich ist zweitens, dass ein sehr weit gefasster Begriff vom Bild zu Nominierungen und Platzierungen in der Kategorie geführt haben: Belting, Conter und Schlögel haben jeweils einen breiten Rahmen gesteckt, der teils wie eine tour d’horizon (Belting, Schlögel) eher allgemeine Phänomene gesellschaftlicher Vorstellungen und Identitätsbildung betrachten. Bildgeschichte – Geschichte der Bilder erscheint somit auch als Synonym für eher essayistische Überlegungen zu historischen Abläufen und gesellschaftlichen Entwicklungen.

Es mag also gerade eine gewisse Skepsis im breiten Strom der Geschichtswissenschaft gegenüber der Einarbeitung visueller Quellen sein, die dem Buch von Peter Burke die vorderste Position im Wettbewerb eingebracht hat. Nicht unerheblich erscheint dabei, dass Burke, der – inzwischen als Emeritus – in Cambridge lehrt, einer der international angesehensten Vertreter des Faches ist. Es ist mit Sicherheit ein Gewinn für eine historische Bildforschung, dass ein solcher Autor seine Originalität, sein Gespür für interessante Aspekte der Geschichte und seine Routine für die verstärkte Beachtung des Bildes in der Geschichtswissenschaft in die Waagschale geworfen hat. „Augenzeugenschaft“ ist zweifellos ein gutes Buch. Auch in der Übersetzung (das englische Original erschien bereits 2001) überzeugen die verständliche Sprache und die anschaulichen Beispiele. Burke breitet in pragmatischer Weise die Möglichkeiten und Grenzen ikonografischer Vorgehensweisen in historischer Perspektive aus. Diese Beschränkung auf Ikonografie ist möglicherweise ein Mangel, aber die Grundlagen einer historischen Bildanalyse werden in knapper Form vermittelt. Mit anderen Worten: Burkes Studie ist eine Einführung, die eben auch von der Fähigkeit des Autors lebt, die Sachverhalte klar und überzeugend darzustellen.

„Augenzeugenschaft“ berührt sich in Hinsicht auf Anerkennung und Bekanntheitsgrad des Autors mit den Büchern, die auf den Plätzen zwei und drei rangieren. Hans Belting gehört zu den renommiertesten deutschen Kunsthistorikern, der mit zahlreichen Publikationen zum Bild als kulturelles und historisches Artefakt Aufmerksamkeit über die eigenen Fachgrenzen hinweg erregt hat. In „Das echte Bild“ wird die Frage aufgeworfen, warum Bilder geglaubt werden, warum sie also als Aussagen über die Welt akzeptiert werden – eine Frage, die sich eng mit den Schwierigkeiten historischer Bildanalyse verknüpft. Beltings breite kulturwissenschaftliche Einbettung des Bildes in gesellschaftliche Zusammenhänge ist daher eine Möglichkeit, sich mit den grundsätzlichen Funktionen des Visuellen in der Gesellschaft auseinanderzusetzen.

Bernd Roeck, der den dritten Rang im HSK-Wettbewerb einnimmt, ist wie Burke ein bekannter Frühneuzeitler mit einer umfassenden kunsthistorischen Kompetenz, die in „Das historische Auge“ auch zum Tragen kommt. Roeck konzentriert sich bewusst auf den Bereich der Kunst, blendet also Bildwerke aus, die ein größeres Problem für die praktische und methodische Arbeit der Geschichtswissenschaft bilden. Neben ikonografischer Methodik kommen bei Roeck auch sozialgeschichtlich und soziologisch ausgerichtete Ansätze zu Wort, womit er das Spektrum der in gängigen historischen Studien verwendeten Herangehensweisen erweitert.

Was in der Auswahl der Jury auf den drei ersten Plätzen zum Ausdruck kommt, ist das Bedürfnis nach lesbaren, informativen, methodisch nachvollziehbaren Handreichungen für den Umgang mit Bildern als Quelle, die ohne allzu großen theoretischen Ballast auskommen. Darin kann die Aufforderung gesehen werden, sich mit dem passenden Handwerkszeug zu versehen und Bilder stärker in die alltägliche Forschungsarbeit einzubeziehen. Gleichzeitig scheint in der Verzahnung mit der Kunstgeschichte ein Trend auf, der eben die Kompetenz für das Bild vor allem in dieser Nachbardisziplin sucht und nicht so sehr in den zahlreichen Studien und Konzepten zum Bild und zum „Iconic Turn“, die aus Philosophie, Sprach- und Medienwissenschaften herrühren. Dennoch zeigen die in der Auswahl vertretenen Disziplinen, dass traditionelle Fachgrenzen in Fragen der Bilder von geringerer Bedeutung sind: Immerhin sind zwei der Autoren (Belting, Conter) nicht vom Fach. Hier zeigt die Geschichtswissenschaft eine bemerkenswerte Offenheit, aber gleichzeitig auch eine noch abwartende Haltung gegenüber anderen Ansätzen. Bilder gelten eben doch in erster Linie als ein Phänomen der Kunst, während massenkulturelle visuelle Erscheinungen, die ja gerade für die Neueste Zeit und die Zeitgeschichte so bedeutsam sind, noch immer eher ein Randdasein in historischen Studien fristen. Habbo Knochs voluminöse Dissertation „Die Tat als Bild“, die sich der Präsenz von Bildern des Holocaust und des Zweiten Weltkrieges in der Westdeutschen Erinnerungskultur bis etwa 1970 widmet, bildet hier eine Ausnahme. Fotografie, Illustrierte, Film und Fernsehen finden bei Knoch eine ausführliche Würdigung, die sein Buch zu einem Kompendium für die Zeitgeschichtsforschung macht. Knochs Arbeit ist insofern noch bemerkenswert, als dass sie tatsächlich an einem konkreten Thema die Bedeutung visueller Repräsentation auszuloten versucht.

Insgesamt zeigt die Auswahl, dass Bildgeschichte und Geschichte der Bilder vor allem in der Frühen Neuzeit gut verankert sind – es besteht nach wie vor ein Nachholbedarf in anderen Teilbereichen der Disziplin. Die Auswahl, die immerhin Erscheinungsjahre von 2001 bis 2005 abdeckt, vermittelt jedenfalls einen Eindruck der historischen Forschung, die Visuelles und Bilder nicht als Nebenschauplatz der Analyse betrachtet. Die Entscheidung der Jury stimmt jedenfalls optimistisch für die weitere Verankerung von Bildgeschichte und Geschichte(n) der Bilder innerhalb der Geschichtswissenschaft.

Von der H-Soz-u-Kult Jury „Das Historische Buch 2006“ wurden im Schwerpunktthema „Bildgeschichte – Geschichte der Bilder“ folgende Titel auf die vorderen Rangplätze gewählt:

1. Burke, Peter, Augenzeugenschaft. Bilder als historische Quellen, Berlin 2003.
2. Belting, Hans, Das echte Bild. Bildfragen als Glaubensfragen, München 2005.
3. Roeck, Bernd, Das historische Auge. Kunstwerke als Zeugen ihrer Zeit – von der Renaissance zur Revolution, Göttingen 2004.
4. Conter, Claude D., Jenseits der Nation – das vergessene Europa des 19. Jahrhunderts. Die Geschichte der Inszenierungen und Visionen Europas in Literatur, Geschichte und Politik, Bielefeld 2004. Rezension von Wolfgang Schmale, in: H-Soz-u-Kult, 30.04.2004 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=4165>.
4. Schlögel, Karl, Im Raume lesen wir die Zeit. Über Zivilisationsgeschichte und Geopolitik, München 2004. Rezension von Gerhard Altmann, in: H-Soz-u-Kult, 24.09.2005 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=4859>.
4. Knoch, Habbo, Die Tat als Bild. Fotografien des Holocaust in der deutschen Erinnerungskultur, Hamburg 2001.

Die Listen sowie detaillierte Angaben zur Jury und zum Verfahren können Sie auf dem Webserver von H-Soz-u-Kult <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/buchpreis> nachlesen.

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