Editorial zum Themenschwerpunkt

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Vera Ziegeldorf

Editorial zum Themenschwerpunkt „Historische Frauen- und Geschlechterforschung“

Der momentane Status der Frauen- und Geschlechterforschung lässt sich als eine ‚virtuelle Disziplin’ beschreiben, die quer zum Kanon der traditionellen Fächer organisiert ist und von da aus die gesellschaftliche Relevanz der Geschlechterverhältnisse betont sowie die Wissenschaft selbst einer kritischen Analyse unterzieht. Das längerfristige Streben um Institutionalisierung, aber auch die Gender-Debatte der vergangenen Jahre implizierte eine Akademisierung und damit eine Distanz zu den Anfängen als Teil einer sozialen Bewegung. Frauenforschung hat sich inzwischen als Frauen- und Geschlechterforschung, inhaltlich wie organisatorisch in eine unüberschaubare Vielfalt ausdifferenziert. Gleichzeitig hat sie sich in kritischer Selbstreflexion methodisch weiterentwickelt. Gerungen wird um die Gegenstandsbereiche, um die Frage, wer die bevorzugten Forschungssubjekte sind, und auch um die Forschungsparadigmen, kurz: um die Grenzen der Geschlechterforschung.

Auch in der Geschichtswissenschaft wurde dieser Ansatz der Frauen- und Geschlechtergeschichte, die lange Zeit in der historiographischen Forschung ausgeblendet wurde, aufgegriffen und weiterentwickelt. Traditionelle Begrifflichkeit und Konzepte der Geschichtswissenschaft, die männlichen Werte transportierten und damit die Geschlechterordnung verdeckten, wurden zu Gunsten einer neuen Sichtweise durchbrochen. Geschlecht wird dabei als zentrales gesellschaftliches Strukturprinzip verstanden und somit gibt es kaum eine historische Fragestellung, für die die Frage nach den Geschlechterverhältnissen oder Ausschlussmechanismen nicht relevant wäre. Folgerichtig wird die Geschichte von Männern und Frauen, von Männlichkeit und Weiblichkeit als gesellschaftliches Ordnungsmodell verstanden. An dieser Trennlinie orientieren sich die wissenschaftlichen Definitionsrechte und das Selbstverständnis des wissenschaftlichen Tuns ist bis heute geschlechtlich konnotiert. Insofern ist die Frauen- und Geschlechterforschung auch zu verstehen als eine Kritik an methodischen Zugängen innerhalb der Geschichtswissenschaft und an politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen. Dabei strebt die Frauen- und Geschlechterforschung nicht die Integration von Frauen in eine an männlichen Werten und Relevanzkriterien orientiere „Allgemeine Geschichte“ an, sondern eine Überprüfung des begrifflichen Zugangs, der verwendeten Konzepte und Methoden. Dadurch soll eine Historiographie entwickelt werden, die es ermöglicht, die Geschichte gleichberechtigt darzustellen.

Vor allem durch die Ausschlusserfahrungen ganzer Generationen von Akademikerinnen aus den höheren Statusgruppen an Universitäten entwickelte sich ein Interesse an der Frauenforschung. Das Ringen um die Etablierung eines eigenen Wissenschaftsfeld und die Bindung an politische Bewegungen sollte dabei diesen Ausschlussmechanismen entgegenwirken. Aufgrund dieser Entstehungszusammenhänge der Disziplin konzentrierte sich die Frauen- und Geschlechterforschung vor allem an soziologischen und politischen Ansätzen. Fragen der Frauenbewegung, Frauenarbeit sowie Bildung und Wissenschaft standen im Vordergrund, wobei es nicht nur um eine bloße Ergänzung des historischen Themenspektrums um bisher vernachlässigte „frauengeschichtliche Themen“ ging.

Das folgende Schwerpunktthema wird diese zentralen Fragen aufgreifen und sich nach einem einleitenden Artikel von Christiane Eifert, der die Geschichte und die Forschungstendenzen der Frauen- und Geschlechterforschung darstellt und für eine jeweils spezifische Anwendung des Geschlechterbegriffes in den wissenschaftlichen Disziplinen plädiert, den Frauenbewegungen in den verschiedenen Epochen zuwenden. Der Literaturbericht von Christiane Streubel stellt die politisch rechts stehende Frauenbewegung im Kaiserreich und in der Weimarer Republik ins Zentrum der Analyse. Sie fragt nach deren Organisation, Programmen, Zielen und Bedeutung, hebt dabei nicht nur auf Vereine sondern auch Parteien ab und arbeitet die verschiedenen Perspektiven der Forschung heraus. Diesem Literaturbericht werden kontrastierend die Rezension von Gerhard Knoll zur italienischen Frauenbewegung im 19. Jahrhundert und die Rezension von Kerstin Wolff zur Frauenbewegung in der Bundesrepublik Deutschland und in Frankreich der Jahre 1969-1976 zur Seite gestellt. Dadurch werden nicht nur die spezifischen nationalen Charakteristiken der Frauenbewegung deutlich, sondern auch die Verschiebung der Ziele sowie verschiedene politische Ausrichtungen. Franka Maubach greift die Frage nach rechtem politischem Engagement wieder auf und untersucht die weibliche Führerschaft im Kontext weiblicher Vergesellschaftung im Nationalsozialismus. Sie kontrastiert in ihrem Artikel das traditionelle Mutterbild der „nationalsozialistischen Frau“ und zeigt die z.T. generationell bedingten Motivationen von Führerinnen auf. Im letzten Block wird durch Rezensionen der aktuellen Forschungsliteratur schließlich die Problematik von Ausschlussmechanismen in gänzlich unterschiedlichen Bereichen aufgegriffen. Sigrid Dauks nimmt in ihrer Sammelrezension wieder den Konnex der Frauen- und Geschlechterforschung zu Wissenschaft und Bildung auf. Sie demonstriert Ausschlussmechanismen an Universitäten und Akademien von der Frühen Neuzeit bis zur Nachkriegszeit und stellt die derzeitigen Berufsmöglichkeiten von Frauen im akademischen Umfeld in einem europäischen Vergleich gegenüber. Aber auch Machtpolitik im Bereich der Künste sind auszumachen. Irene Below arbeitet in ihrer Rezension zum Bauhaus deutlich heraus, wie die scheinbar selbstverständlichen Prinzipien der Gleichberechtigung des Bauhauses – Symbol von Modernität und Progressivität – z.T. zur Mythenbildung zu rechnen sind. Elke Kimmel schließlich widmet sich der jüdischen Selbsthilfe der Jahre 1933 bis 1945. Auch hier zeigt sich, dass zwar die Rolle der Frauen im Privatleben durch ihre Arbeit aufgewertet wurde, eine berufliche Statusverbesserung jedoch damit nicht einherging. Die tatsächliche Verantwortung die die Frauen übernahmen wurde beruflich nicht widergespiegelt.

All diese Beiträge stellen einen thematischen Auftakt zur Frauen- und Geschlechterforschung dar, der innerhalb der Kooperation zwischen Querelles-Net und H-Soz-u-Kult weiter ausgebaut werden soll. Sie können daher zunächst nur Teilbereiche der Forschung aufgreifen und das Thema keinesfalls umfassend behandeln. Wir hoffen durch das Interesse unserer Leserinnen und Leser zukünftig mehr auf diesen Bereich eingehen und neue Forschungen vorstellen zu können.

Ute Daniel übertrug in ihrem Kapitel über die Frauen- und Geschlechtergeschichte* ein Bild von Charles Fourier, auf eine der „behäbigsten gesellschaftlichen Institutionen, die akademische Wissenschaft“: „Der Gang unserer Gesellschaft lässt sich mit dem des Faultiers vergleichen, bei dem jeder Schritt von Stöhnen begleitet ist.“ Wir hoffen mit diesem Beitrag den Gang etwas beschleunigt zu haben.

Wir wünschen Ihnen eine interessante Lektüre.
Im Namen der Redaktion und Querelles-Net
Ulla Bock
Anita Runge
Vera Ziegeldorf

* Ute Daniel, Kompendium Kulturgeschichte, Frankfurt am Main 2001, S. 325.

Citation
Editorial zum Themenschwerpunkt, In: H-Soz-Kult, 10.06.2003, <www.hsozkult.de/text/id/texte-337>.
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