Buchpreis: Kategorie Außereuropäische Geschichte

Von
Jochen Meissner

Essay von Jochen Meissner, Universität Leipzig

Von den insgesamt 11 Kategorien, in denen der diesjährige H-Soz-u-Kult-Buchpreis 2006 ermittelt wurde, ist dies fraglos diejenige, die die größte Vielfalt an inhaltlichen Themenstellungen, methodischen Zugriffen, Beobachtungszeiträumen und geographischen Zuschnitten bietet. Das Feld ist so bunt, dass sich die Frage aufdrängt, ob nicht bei der künftigen Ermittlung der Buchpreise eine stärkere Binnendifferenzierung angebracht wäre. Die außereuropäische Geschichte verbindet beim Buchpreis zurzeit noch Publikationen aus ganz unterschiedlichen Feldern. Das reicht einerseits von der traditionellen „Überseegeschichte“ und der Geschichte der europäischen Expansion über die Empire-Historie bis hin zur Globalgeschichte. Andererseits ist aber mit der außereuropäischen Geschichte insbesondere die Expertise für die Geschichte ganz unterschiedlicher Weltregionen von Asien, über Afrika bis zu den Amerikas gemeint. All dies wird hier gewissermaßen zu einer „Notgemeinschaft“ für den Rest der Welt, die in den anderen Kategorien nicht abgebildet werden kann, zusammengebunden. Vorsichtig formuliert schrappt dieses Vorgehen hart an der Grenze zur Seriosität entlang, wenngleich freilich verteidigend ins Feld geführt werden muss, dass dies einem immer noch weit verbreiteten Muster im deutschsprachigen Geschichtsdiskurs entspricht, den H-Soz-u-Kult nicht zu verantworten hat, den es aber abzubilden versucht. In einem solch außerordentlich heterogenen Feld muss es den Abstimmenden nachvollziehbar schwer gefallen sein, einen eindeutig „besten“ Titel für den gesamten Bereich auszuwählen. Schließlich reichte das Panorama von John Lewis Gaddis’ Geschichte des Kalten Krieges (The Cold War) und Matthias Middells Habil-Schrift zur „Leipziger Schule“ (Weltgeschichtsschreibung im Zeitalter der Verfachlichung und Professionalisierung), über Conrads und Osterhammels „Kaiserreich transnational“ bis hin zu Dirk van Laaks Arbeit über den deutschen Imperialismus im 19. und 20. Jahrhundert. Sogar Jared M. Diamonds „Collapse. How societies choose to fail or succeed“ war dabei. Dabei ist allein Gudrun Krämers Geschichte des Islam als ein Werk zur außereuropäischen Geschichte im engeren Sinne des Wortes hervorzuheben (sieht man einmal von Aufsatzbeiträgen in den mitplatzierten Sammelbänden ab).

Dennoch gibt es in dieser Kategorie einen eindeutigen Sieger, der gegenüber dem nächstplatzierten Titel mehr als das Doppelte an Abstimmungszuspruch für sich verbuchen kann, nämlich den von Boris Barth und Jürgen Osterhammel herausgegebenen Band „Zivilisierungsmissionen“, der 2005 in der Reihe „Historische Kulturwissenschaften“ erschien. Er fasst Beiträge zu einer Tagung zusammen, die im September 2003 in Konstanz stattfand. Auf diesen lesenswerten und anregenden Band werde ich mich im Folgenden konzentrieren.

In Anlehnung an den englischen Begriff der „Civilizing Mission“ und sein französisches Pendant der „Mission Civilisatrice“ prägen die Herausgeber mit dem Buchtitel „Zivilisierungsmissionen“ im Deutschen einen neuen Begriff, was angesichts der quellensprachlichen Alternative, nämlich dem der „Kulturarbeit“, mehr als nachvollziehbar ist. August Bebel zitierend verweist Christian Koller in seinem Beitrag über die Diskussion „sozialistischer Kolonialpolitik“ vor dem Ersten Weltkrieg auf eine weitere begriffliche Alternative, nämlich den der Kulturmission, den auch Conrad in seinem Artikel zum inneren Zusammenhang von „innerer“ und „äußerer“ Zivilisierung im Falle Japans verwendet. Dass die Herausgeber aber auch hierauf nicht zurückgreifen, dürfte seinen wichtigsten Grund darin haben, dass der gewählte Neologismus größere Spielräume für seine inhaltliche Auffüllung lässt bzw., wie sie selbst im Vorwort schreiben, „definitorisch formbar ist“.

Darin steckt auch eine Distanzierung von den historischen Bedeutungen, die diesen Begriffen eingeschrieben sind und auf die explizit Andreas Eckert in seiner einleitenden Kritik zu seinem Beitrag über den imperialen Verwaltungsapparat im kolonialen Westafrika hinweist. Das Konzept der Zivilisierungsmission atme, so Eckert, das Parfüm einer altmodischen Imperialismusgeschichte, die vorwiegend die Kolonisierenden im Blick habe und an den Kolonisierten wenig oder kein Interesse zeige. Er bezeichne eine rhetorische Strategie, die kaum vermocht habe, rassistische Vorurteile und ökonomische Interessen zu verbergen. Dennoch erweise sich der Begriff, so Eckert weiter, beim zweiten Hinsehen als durchaus nützlich, um einige zentrale Aspekte kolonialer Herrschaft zu beleuchten, zum Beispiel wenn man, wie Eckert es auf den folgenden Seiten seines Beitrages entwickelt, der Frage nachgeht, welche Handlungsspielräume eine sich als zivilisierend verstehende Kolonialherrschaft der afrikanischen Bevölkerung eröffnet habe.

Vor dem Hintergrund von UN-Missionen, die unter anderem für sich in Anspruch nehmen, der Absicherung von Demokratisierungsprozessen zu dienen, aber auch von Irak-Krieg und ideologischer Flankierung einer offensiven Globalstrategie etwa der USA liegen die tagespolitischen Bezüge des Themas auf der Hand und sie werden im Band auch angesprochen. Abgesehen vom einleitenden Beitrag des Philosophen Wolfgang M. Schröder, der den Legitimationspotenzialen von Zivilisierungsmissionen nachgeht, halten sich die Herausgeber aber, so scheint es zunächst, mit konzeptionellen Fragen nicht lange auf. Der Band will „das Thema nicht erschöpfen“, so die Herausgeber im Vorwort, sondern vor allem „Denkanstöße und Anregungen“ bieten. Das klingt, als sei das Unternehmen eher von einer Idee wissenschaftlicher Arbeitsteilung her konzipiert. Die historische Betrachtung wird im Vorwort noch als eine unerlässliche Ergänzung zu den normativen Debatten der Politiker/innen und Völkerrechtler/innen präsentiert. Spätestens wenn man aber beim Syntheseversuch Jürgen Osterhammels, der mehr als 60 Seiten umfasst, am Ende des Bandes angekommen ist, erscheint diese einleitende Bescheidenheit als pures Understatement. Darin fasst Osterhammel wesentliche Inhalte aus den insgesamt 15 vorangegangen Beiträgen nicht in erster Linie zusammen, sondern integriert sie in seinen eigenen, eindrucksvollen Ordnungsversuch für das gesamte Themenfeld.

Ein zentrales Thema des Bandes, das in den Einzelbeiträgen immer wieder aufleuchtet, sind die inneren Widersprüche europäischer Zivilisierungsmissionen. Niels P. Petersson liefert den Auftakt für die historischen Beiträge im Band und weist auf den Gegensatz hin, dass sich die Europäer eine zivilisierte Gesellschaft in der Regel als Marktgesellschaft vorstellten. Dieses Ziel aber konkurrierte mit den Erfordernissen der Herrschaftssicherung, der Kostenkontrolle und der Absicherung ökonomischer Interessen. Boris Barth zeigt an den drei Fallbeispielen Virginia, Südafrika und Deutsch-Südwestafrika auf, wie ein zivilisationsmissionarisches Ideal, das nach Übernahme kultureller Leitmotive durch die Kolonisierten strebte und ihnen damit auch das Potenzial zusprach, in einem Entwicklungsprozess die vermeintlich höheren Stufen der Zivilisation zu erklimmen, in Widerspruch geriet zu einer rassistischen Vorstellung von Differenz, die determiniert und als nicht mehr beeinflussbar galt. Die Fallbeispiele illustrieren dabei eine ganze Bandbreite spezifischer Ausformungen, die sich gegenseitig kontrastieren (selbst wenn man Barth in seinen weitergehenden Schlussfolgerungen nicht in allen Punkten folgen kann).

Einige Beiträge fassen ganze Kolonisationsprozesse unter dem Begriff der Zivilisationsmission zusammen. So liefert etwa Dittmar Dahlmann eine komplette Geschichte der russischen Expansion in Sibirien im 17. und 18. Jahrhundert. Frank Ninkovich dient der Begriff dazu, das spezifisch Neue des US-amerikanischen Imperialismus seit den 1890er Jahren herauszuarbeiten. Er betont dabei den Bruch und widerspricht der These von der Kontinuität zur kontinentalen Expansion der USA in Nordamerika. Ähnlich fassen auch Corinne Pernet für drei lateinamerikanische Fallbeispiele die US-Politik bis 1945 und Marc Frey die US-amerikanische Südostasienpolitik bis 1961 unter den Begriff der Zivilisierungsmission. Andere Beiträge greifen dagegen eher spezifische Aspekte heraus. So untersucht etwa Almut Steinbach anhand von Ceylon und der Protected Malay States die englische Sprachpolitik im 19. Jahrhundert und zeigt, dass diese keineswegs als kohärent und einheitlich charakterisiert werden kann. Harald Fischer-Tiné erschließt ein spannendes neues Feld, wenn er auf die destabilisierende Wirkung hinweist, die die britische Kolonialverwaltung in Indien der europäischen Landstreicherei zuschrieb, die das imperiale Erziehungsprojekt zu unterminieren drohte und gegen die mit den Vagrancy-Laws und in der Folge der Einrichtung von Arbeitshäusern vorgegangen werden sollte. Andrew Porter synthetisiert den Forschungsstand zur christlichen Mission im britischen Empire und arbeitet insbesondere heraus, wie wenig Sinn es macht, britische Kolonialunternehmungen und christliche Mission als zwei Seiten derselben Medaille zu betrachten. Sie waren teilweise geradezu konträren Motiven verpflichtet, die eine einfache Gleich- oder Parallelsetzung von missionarischer und imperialer Expansion verbieten.

Die Mehrzahl der Beiträge beschäftigt sich mit dem British Empire. Nur ein Beitrag ist explizit dem französischem Kolonialreich gewidmet, das ansonsten allerdings vereinzelt noch berührt aber nicht mehr thematisch in den Mittelpunkt gestellt wird. Michael Broers entwickelt dafür aber für diesen Bereich eine besonders weit reichende These, die die napoleonische Zivilisierungsmission in Europa in den größeren Zusammenhang des Imperialismus zu stellen versucht. Er beobachtet dabei eine Abfolge von drei Stufen französisch-imperialer Herrschaft in Europa, die modellhaft auf andere Expansionserfahrungen übertragen werden könne: die Erfahrung des Anderen, einen Prozess der Entfremdung, schließlich gefolgt von einer Phase der Akkulturation.

Es ist interessant und symptomatisch, dass zwei Beiträge einen biografisch-exemplarischen Zugriff wählen, um die Wirkmechanismen imperialer Netzwerke zu verdeutlichen. Im schon erwähnten Beitrag von Andreas Eckert wird versucht, Handlungsspielräume innerhalb der kolonialen Ordnung und hier insbesondere innerhalb der kolonialen Verwaltung am Beispiel des afrikanischen Mitarbeiters Amadou Hampaté Bâ einzufangen. William O’Reilly schließlich widmet seinen Beitrag der Karriere von Charles Vallancey (1725/26-1812), einem irischen Landvermesser, Philologen und Orientalisten und kann damit tiefe Einblicke in die Mechanismen der „Coloniality of Knowledge“ liefern.

Es ist ein Jammer, dass hier der Raum fehlt, diese vielen anregenden Beiträge genauer und im Detail nachzuzeichnen. Den darin enthaltenen Ideenreichtum und der argumentativen Stringenz der allermeisten Beiträge wird das kaum gerecht. Allerdings wäre es angesichts des durchweg hohen Niveaus und des Facettenreichtums keine wirkliche Alternative gewesen, diese kurze Würdigung auf einige willkürlich herausgegriffene Einzelbeiträge zu beschränken. So bleibt am Ende wohl nur diese, weit nützlichere Empfehlung: der Band sei dringend zur eigenen Lektüre ans Herz gelegt, so die Leser/innen bereit sind, sich in den Facettenreichtum europäisch-außereuropäischer Geschichte entführen zu lassen.

Von der H-Soz-u-Kult Jury im Wettbewerb „Das Historische Buch 2006“ wurden in der Kategorie Außereuropäische Geschichte folgende Titel auf die vorderen Rangplätze gewählt:

1. Barth, Boris; Osterhammel, Jürgen (Hrsg.), Zivilisierungsmissionen. Imperiale Weltverbesserung seit dem 18. Jahrhundert, Konstanz 2005. Rezension von Birthe Kundrus, in: H-Soz-u-Kult, 02.06.2006 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=6956>.
2. Conrad, Sebastian; Osterhammel, Jürgen (Hrsg.), Das Kaiserreich transnational. Deutschland in der Welt 1871-1914, Göttingen 2004. Rezension von Alexander Nützenadel, in: H-Soz-u-Kult, 10.03.2006 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=5492>.
3. Krämer, Gudrun, Geschichte des Islam. München 2005. Rezension von Wolfgang G. Schwanitz, in: H-Soz-u-Kult, 21.10.2006 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=7297>.
4. Laak, Dirk van, Über alles in der Welt. Deutscher Imperialismus im 19. und 20. Jahrhundert. München 2005. Rezension von Gesine Krüger, in: H-Soz-u-Kult, 12.06.2006 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=6733>.
5. Diamond, Jared M., Collapse. How societies choose to fail or succeed, New York 2005.

Die Listen sowie detaillierte Angaben zur Jury und zum Verfahren können Sie auf dem Webserver von H-Soz-u-Kult <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/buchpreis> nachlesen.

Zitation
Buchpreis: Kategorie Außereuropäische Geschichte, In: H-Soz-Kult, 21.07.2006, <www.hsozkult.de/text/id/texte-792>.
Redaktion
Veröffentlicht am
Weitere Informationen
Sprache