Die Geisteswissenschaften in den deutschsprachigen Feuilletons (08.08.-14.08.2007)

Von
Selge, Hans

Die Geisteswissenschaften in den deutschsprachigen Feuilletons" ist eine wöchentliche Presseschau, die der Perlentaucher in Kooperation mit dem Wissenschaftsjahr 2007 "Die Geisteswissenschaften. ABC der Menscheit" herausgibt. H-Soz-u-Kult veröffentlicht als Medienpartner der Initiative eine Auswahl der Beiträge für den Bereich der Geschichtswissenschaften.

Weitere Perlen aus den Feuilletons finden Sie auf der Website "ABC der Menscheit" <http://www.abc-der-menschheit.de/>

Im Blickpunkt

Grundlagen und Probleme der Universität als "Wissensfabrik"

Gleich zwei längere Artikel befassten sich mit der Lage der Universität und der Geisteswissenschaften in Zeiten von Bologna und Exzellenziniatiativen. In der NZZ erklärt der Zürcher Philosoph Georg Kohler, dass auch die "Wissensfabriken" von heute von der Eigengesetzlichkeit der Wissenschaft nicht absehen dürfen: "Wissenschaft ist und bleibt immer – auch – Selbstzweck. Was bedeutet, dass sie ihren eigenen Notwendigkeiten gehorchen muss, ihren eigenen Motiven, ihren eigenen, durch sie selbst erzeugten Relevanzerfahrungen. Wer sie erwerben und in ihr kompetent werden will – alle wahrhaft 'Studierenden' also –, hat das zu begreifen. Und dafür benötigen sie Dozierende, die keine Schulmeister sind, aber Lehrer im besten Wortsinn; keine sterilen Kenntnisüberbringer, Funktionäre des Informationstransfers und Meister der Wiederholung, sondern Hellmacher, Heimzünder, 'Aufwecker der Seele aus dem tiefen Schlaf der Gewohnheit'(Ralph Waldo Emerson)."

In der SZ befürchtet Thomas Steinfeld in einem recht polemischen Artikel, dass an den auf Drittmitteleinwerbung fixierten exzellenzoptimierten Universitäten keine wichtigen Werke mehr entstehen können: " Viel ist davon die Rede gewesen, dass 'Bologna' wie die Exzellenzinitiative die Einheit von Forschung und Lehre, so sie überhaupt noch bestand, zerstören werden. Zu wenig wurde bislang davon gesprochen, in welchem Maße die jüngste Modernisierung der Universität die Forschung aus der Universität hinaustreibt - sie individualisiert, ja privatisiert sich, sie zieht an die Peripherie des akademischen Betriebs, wofür im Übrigen auch der große Erfolg des Berliner Wissenschaftskollegs ein Indiz ist. Um so zweifelhafter aber ist das, was in den Geisteswissenschaften an 'Spitzenforschung' an den Universitäten zurückbleibt: weniger 'Exzellenz' als vielmehr 'Exzellenzen': Würdenträger, die sich in der maßlosen Bürokratie der innerakademischen Verteilungskämpfe behauptet und immer wieder durchgesetzt haben - Ordinarien also."

NZZ, 10.8.
http://www.nzz.ch/nachrichten/kultur/aktuell/ueber_das_management_der_universitaet_1.538892.html
SZ, 9.8.

Themen der Woche

Anthroposophie als Absicherung gegen historische Kritik

Für das Deutschlandradio Kultur hat Tom Grote ein Interview mit dem Historiker Horst Zander geführt, der in einer großen Studie die Geschichte der Anthroposophie untersucht hat. Zander stellt den Gründer der Anthroposophie Rudolf Steiner in den Kontext seiner Zeit – die nicht zuletzt durch die Infragestellung vermeintlich gesicherten Wissens gekennzeichnet war: "Es gibt eine große Bewegung im 19. Jahrhundert, die sagt, wir brauchen neue Fundamente. Und einer davon ist Rudolf Steiner, der sagt, wir lesen nicht mehr in irgendwelchen Schriften, die gerade rumliegen und die gerade von der Wissenschaft zerpflückt werden, sondern ich bekomme meine Informationen unmittelbar aus der geistigen Welt. Das ist sozusagen eine Absicherung gegen die historische Kritik. Es gibt religionsgeschichtlich übrigens schöne Parallelbeispiele. Der Gründer der Mormonen, Joseph Smith, der behauptete, ein Buch von einem Engel bekommen zu haben, Steinplatten. Aus der hat er sein Buch 'Mormon' gelesen, und der Engel hat dieses Buch dann wieder mit in den Himmel genommen. "

Deutschlandradio Kultur, 8.8.
http://www.dradio.de/dkultur/sendungen/kulturinterview/655387/

Zwei neue Zeitschriften für Judaistik

Auf der Geisteswissenschaften-Seite der FAZ stellt Thomas Meyer zwei neue Zeitschriften für Judaistik vor: "Das 'European Journal of Jewish Studies' (Verlag Brill, Leiden) setzt auf die Vielfalt, die der ebenso unbestimmte wie schillernde Begriff 'Jewish Studies' anklingen lässt." Die zweite Zeitschrift "Naharaim", die im Verlag Walter de Gruyter erscheint, ist in ihrer ersten Ausgabe ein Heft, so Meyer, "das Aspekten der Gedächtnis-Diskussionen, Säkularisationsfragen und dem Status politischer Theologie im jüdischen Denken aus verschiedenen Perspektiven nachtgeht."

FAZ, 8.8.

Bücher und Rezensionen

Für die taz hat Ines Kappert die Studie "Der ewig währende Untergang" des Zeitgeschichtlers Thomas Etzemüller gelesen, in der dieser sich mit der Geschichte der Demografie und ihrer Diskurse beschäftigt. Es werde sehr deutlich, so Kappert, wie viel Ideologie in dieser Wissenschaft bis heute steckt: "Nicht erst die Eugenik disqualifiziert die Demografie als Wissenschaft. Das Problem beginnt weit früher. Denn die Demografie repräsentiert - und dies über die Epochen hinweg - im Wesentlichen eine bürgerlich-akademische Schicht, die 'ihren Lebensraum und ihre Lebensweise' bedroht sieht und ihre Interessen in der Rede von einer unnatürlichen Entwicklung naturalisiert. Auch ohne Option für eine Rassenhygiene formuliert sie einen Klassendiskurs. Frank Schirrmacher und Ursula von der Leyen sind hierfür beredte Beispiele."

taz, 14.8.
http://www.taz.de/index.php?id=digitaz-artikel&ressort=ku&art=3095&no_cache=1p;no_cache=1

Konferenzen und Tagungen

keine Berichte von Konferenzen und Tagungen in dieser Woche

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