Aufklärung im Netz – Die Webseite des Fritz-Bauer-Instituts
"Heute/da unsere Nation sich wieder/zu einer führenden Stellung/emporgearbeitet hat/sollten wir uns mit anderen Dingen befassen/als mit Vorwürfen/die längst als verjährt/angesehen werden müssen."1 So der Schlusssatz von "Angeklagter 1" in Peter Weiss' Theaterstück "Die Ermittlung", deren Material ausschließlich aus authentischen Aussagen des Frankfurter Auschwitz-Prozesses 1963-65 besteht. Dieser Prozess gegen Mitglieder der Wachmannschaften des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau vor dem Frankfurter Schwurgericht zeigte deutlich die Probleme des Umgangs einer rechtsstaatlichen Justiz mit den nationalsozialistischen Untaten, schaffte jedoch erstmals so etwas wie ein öffentliches Bewusstsein für den Holocaust in der Bundesrepublik Deutschland. Als Generalstaatsanwalt des Landes Hessen leitete Fritz Bauer die Untersuchungen und verfasste die Anklageschriften. "In einer von Schuldabwehr besessenen Gesellschaft" (Micha Brumlik) versuchte dieser aus der Emigration zurückgekehrte Jude "seiner liberalen Überzeugung von einem Strafrecht, das weder als Sühne- noch als Vergeltungsmittel, sondern als Instrument gesellschaftlicher Selbstaufklärung wirken sollte, auch angesichts dieser präzedenzlosen Verbrechen treu zu bleiben." (Brumlik) Ganz im Sinn seines Namensgebers hat es sich das Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt am Main zur Aufgabe gestellt, sich mit eben diesen "Dingen" zu befassen und im besten Sinn des Wortes Aufklärung zu betreiben. Gegründet wurde das Institut 1995 durch einen Förderverein, das Land Hessen und die Stadt Frankfurt und ist heute durch einen Kooperationsvertrag mit der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität assoziiert.Die konzeptionelle Vorarbeit leistete Hanno Loewy, der spätere Gründungsdirektor des Instituts. Gegenwärtiger Direktor dieser einzigen Einrichtung in Deutschland, die sich ganz der Erforschung der Shoa und ihrer Folgen widmet, ist der Erziehungswissenschaftler und Philosoph Micha Brumlik.
Für den Web-Auftritt eines solchen Instituts lassen sich in zwei Kategorien die wichtigsten Kriterien festmachen: Da das Internet vielleicht weniger ein Spiegel unserer Gesellschaft ist als vielmehr ein Apparat, der in der Realität latent Vorhandenes virtuell manifest und so für jedermann lesbar werden lässt, sind qualitativ hochwertige Seiten, die dem interessierten Surfer korrekte Informationen zu dem schwierigen Thema Holocaust zur Verfügung stellen, bitter nötig. Erstens spielt auch die grafische Gestaltung einer Seite eine große Rolle, denn der Mensch lebt nicht vom Geist allein und das Auge isst bekanntlich mit... Zweitens ist das Internet auch für Kulturwissenschaftler die beste Möglichkeit, sich ein erstes Bild von Tätigkeitsfeld und Charakter einer Institution zu machen. Über die Qualität einer Webseite entscheidet hier die Funktionalität, also die Übersichtlichkeit und die Schnelligkeit, mit der man an die relevanten Informationen herankommt. Es sollte die Möglichkeit bestehen, Arbeitsproben von Institutsangehörigen wie Texte, Vorlesungsskripte oder Bilder einzusehen. Darüber hinaus erhofft man sich natürlich interessante Links zu sachverwandten Seiten.
Unter der URL http://www.fritz-bauer-institut.de ist das Frankfurter Institut im Netz zu finden. Auf der Homepage fällt das Auge des Betrachters zuerst auf einen fetten schwarzen Kasten, auf dem in weißer Schrift steht, um was es sich handelt: "Fritz Bauer Institut - Studien- und Dokumentationszentrum zu Geschichte und Wirkung des Holocaust". Dieser schwarze Kasten, die graue Hintergrundfarbe und die unelegante blaue Schrift wirken leicht abschreckend, machen auf jeden Fall gleich Anfangs klar, dass es hier um eine ernste Sache geht, die auf keinen Fall ästhetisch verharmlost werden sollte. Dieser Eindruck steigert noch die große, durch die kontrastverstärkende Bearbeitung holzschnittähnlich wirkende Fotografie von Fritz Bauer. Zum Glück kann man das Bild jedoch anklicken und unbearbeitet anschauen: Stefan Moses' Fotografie ist äußerst eindrücklich. Bauer steht mit angewinkelten Armen, den linken Arm über den rechten gelegt, den Kopf leicht gesenkt, so dass das Kinn fast die Brust berührt. Seine Augen schauen gerade auf den Betrachter, ein finsterer, skeptischer Blick durch die schwarze Brille hindurch. Der Mund ist zu einem etwas nach unten gebogenen Strich zusammengepresst. Dadurch, dass der ganze Körper nach links hinten etwas gedreht ist, wirkt Bauer auf dem Bild entschlossen, kämpferisch und doch zerbrechlich - es ist wohl kein Zufall, dass gerade diese hervorragende Fotografie für die Homepage des Instituts ausgewählt wurde. Unverständlich bleibt jedoch die fürchterliche Bearbeitung.
Wie oft bei großen Seiten ist es auch hier etwas mühsam, zielstrebig zu den gewünschten Informationen zu gelangen. Auf der Homepage sind eine Reihe von Verknüpfungen angebracht, die auf Aktuelles verweisen. Darunter steht ein Inhaltsmenu der Seite, dann folgen der Inhalt des aktuellen Newsletters des Instituts und Verlagsankündigungen von Publikationen. Klickt man in der Mitte auf den Link "Zum Inhalt", gerät man auf eine etwas besser geordnete Seite, von der aus ein so genannter "Site Navigator", der sich oben in der rechten Ecke befindet, den Nutzer durch die gesamte Seite führen kann. Das ist gut für den Rezensenten, der einen systematischen Überblick gewinnen will, wird einen anderen Besucher, der nach etwas Bestimmtem sucht, aber eher stören. Sucht man z.B. nach Angaben über den Direktor des Instituts, wird ein durchschnittlicher Internet-User diese erst nach längerem Herumklicken finden.
Die Inhalte selbst - einmal gefunden - lassen jedoch kaum Wünsche offen. Ausführlich werden Gründungsgeschichte und Absichten des Instituts geschildert. Seine interdisziplinäre Ausrichtung wird durch informative und interessante Ausführungen zu den vier Arbeitsschwerpunkten Dokumentation und Bibliothek, Erinnerungskultur und Rezeptionsforschung, Pädagogik und Zeitgeschichte erläutert. Der einzige größere Negativpunkt ist, dass es außer zu Micha Brumlik selbst keine näheren Angaben zu den einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Instituts gibt. Dafür sind die verschiedenen Forschungs-, Ausstellungs- und Editionsprojekte sehr ausführlich dargestellt. Dem Projekt "Holocaust-Vorstellungen - Genre, Spielfilm und Fiktionen der Vernichtung" im Schwerpunkt Erinnerungskultur und Rezeptionsforschung etwa widmet Hanno Loewy einen guten Einführungstext, der knapp in die Problematik einführt und zum Weiterlesen anregt, indem er viele Fragen aufwirft, die das Projekt behandeln soll. Auch unter dem Schwerpunkt Pädagogik werden die einzelnen Vorhaben gut erklärt. Hier erhält die interessierte Lehrperson auch die Kontaktadressen, um sich für den Unterricht beraten zu lassen. Viel Gewicht wird auf die Präsentation der Gastprofessur für interdisziplinäre Holocaustforschung gelegt, die im Wintersemester 2003/04 und Sommersemester 2004 Karol Sauerland innehat, der sonst deutsche Literatur und Ästhetik in Warschau und Thorn lehrt. Die Angaben zu den jeweiligen Gastprofessoren sind ausführlich und enthalten sogar eine Fotographie in Farbe!
Unter "Aktuell" lassen sich verschiedene Texte zur Gedenkveranstaltung anlässlich des 100. Geburtstags von Fritz Bauer am 16. Juli 2003 im IG-Farben-Haus in Frankfurt online lesen sowie als pdf-files herunterladen <http://www.fritz-bauer-institut.de/texte/essay/07-03_brumlik.htm>. Dazu gehört ein subtiler Essay von Micha Brumlik ("Im Hause des Henkers"), der noch einmal die Leistungen von Fritz Bauer würdigt und sie in einen geistes- und gesellschaftspolitischen Zusammenhang stellt. Äusserst lesenswert ist der Essay von Nicolas Berg, der Mitarbeiter am Simon Dubnow-Institut in Leipzig ist und gerade seine Dissertation veröffentlicht hat (Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung. Göttingen 2003) <http://www.fritz-bauer-institut.de/texte/essay/04-03_berg.htm>. Dieser Artikel unter dem Titel "Gedächtnis und Perspektivität. Auch das Nachdenken über den Nationalsozialismus und Holocaust ist nicht anders als historisch zu verstehen" bildet eine Antwort auf Hans Buchheims Artikel im letzten Newsletter des Instituts. Er plädiert für eine Geschichtsschreibung, die "objektive" Erforschung und "subjektive" Erinnerung zusammenführt und über beides nachdenkt. Damit wirft er der ersten deutschen Generation von Zeitgeschichtlern vor, die Perspektive von jüdischen Wissenschaftlern konsequent mit dem Argument der Befangenheit aus dem Diskurs verdrängt zu haben - ohne ihre eigene, immer auch biographisch geprägte Sicht zu reflektieren.
Die Linkliste <http://www.fritz-bauer-institut.de/links.htm> ist sehr umfangreich und daher auch etwas beliebig geraten. Man hat ein großes Angebot an WWW-Adressen von Gedenkstätten, Museen und Forschungseinrichtungen zum Holocaust zur Auswahl. Daneben stehen Adressen zum "Jüdischen Leben heute". Hier finden sich so heterogene Adressen wie die Seite von Henryk M. Broder, die Suchmaschine www.koogle.net ("the kosher search") oder www.jewishstreet.com, einem virtuellen "shopping mall", in dem man alles erstehen kann, was Juden brauchen und nicht brauchen.
Abschliessend kann festgestellt werden, dass sich die Seite des Fritz-Bauer-Instituts wachsender Beliebtheit erfreut, wie man anhand einer eigens eingerichteten Web-Statistik <http://www.fritz-bauer-institut.de/statistik/> feststellen kann. Wurde die Seite im Jahr 2000 noch von durchschnittlich rund 2.000 Besuchern im Monat aufgerufen, sind es 2003 schon durchschnittlich rund 14.000, was pro Tag eine durchschnittliche Besucherzahl von ungefähr 400 ergibt. Diese doch recht eindrücklichen Zahlen spiegeln sowohl die gesteigerte Wichtigkeit des Internets für geistes- und sozialwissenschaftliche Institutionen als auch die andauernde Aktualität des Themas.
Die Webseite des Fritz-Bauer-Instituts gibt einen faszinierenden Einblick in seine vielfältigen Felder, präsentiert gute Texte und macht die Überzeugung in jedem Moment deutlich, dass die Vergangenheit nicht so einfach bewältigt werden kann, sondern dass Vergangenheit und Gegenwart immer wieder neu überdacht werden müssen und ihr komplexes Zusammenspiel Gegenstand der Forschung sein muss, wenn eine Gesellschaft frei und menschlich bleiben will. Gestalterisch bleibt die Seite hingegen etwas hinter den Erwartungen zurück. Fehlgriffe wie die grüne Schrift "Werden Sie Mitglied", die dem Mauspfeil auf der Seite des Fördervereins nachfolgt, sind absolut zu vermeiden, will man eine ernsthafte Seite aufbauen. Etwas Formwille und grafische Klarheit würde auch der Homepage gut tun, die recht unschön daherkommt. Technisch funktioniert jedoch alles einwandfrei. Gemessen an den Seiten anderer universitärer Institute repräsentiert die Seite doch eher überdurchschnittliche Qualität.
Anmerkungen:
1 Weiss, Peter: Die Ermittlung. Oratorium in 11 Gesängen. Reinbek bei Hamburg 1969. S. 186.