Virtuelle Ausstellungen verfolgen gemeinhin mehrere Ziele, zwei wesentliche seien hier genannt: Sie suchen ein Publikum, das in seiner Altersgruppe und Rezeptionsgewohnheiten nicht unbedingt zur klassischen Museumsklientel gehört. Damit sind sie zunächst legitime Marketingstrategien im Dienste des musealen Vermittlungsauftrags. Daneben erarbeiten sie experimentell die Möglichkeiten, die dem auf Interaktion mit Realien basierenden Kommunikationszusammenhang Museum und Ausstellung durch digitale Medien erwachsen. Die neuen Medien verändern zweifellos kommunikative Formen und diese Veränderung ist noch kaum systematisch beschrieben worden. Umso wichtiger sind die Versuche, museale Vermittlungsformen mit den zeitgemäßen Kommunikationskanälen zu verbinden. Leider fehlt dazu oft das notwendige Geld, denn die professionelle Gestaltung einer komplexen Website ist kostenintensiv. Das Badische Landesmuseum in Karlsruhe hatte das Glück, öffentliche Fördermittel zu diesem Zweck zu erhalten und konnte so einen Teil seines Ausstellungsbereiches aus dem Karlsruher Schloss digitalisieren.
Das Thema Türkenbeute bietet sich hierfür durchaus an, denn es verbindet landesgeschichtliche und europäische Zusammenhänge, was dem internationalen Charakter des Internet entspricht. Das Museum verfügt über eine eindrucksvolle Sammlung von Zeugen türkischer Kunst und Waffenfertigkeit, von denen bislang nur ein Teil in einem ansprechenden Raum des Schlosses zu sehen war. Online sind nun weitere Exponate zu sehen, die auf verschiedene Weise angesteuert werden können.
Inhalt:
Die Gliederung des umfangreichen Inhaltsbereichs ist nicht immer intuitiv nachvollziehbar. Insgesamt stehen fünf Module (Sammlung, Themenreisen, Kunst & Kultur, Wissen, Information) zur Verfügung, die auf unterschiedliche Weise Inhalte zu Objekten, deren Kontext sowie über die Ausstellung selbst bereithalten. In der "Sammlung" werden sieben Unterthemen angeboten, in denen jeweils eine Reihe von Exponaten betrachtet werden kann und Kontextwissen bereitsteht. Die Objekte können teilweise gezoomt und gedreht werden. Dafür ist ein Quicktime-Plugin notwendig, das direkt herunter geladen werden kann. Im Modul Themenreisen werden vier Unterkapitel mit jeweils sieben Stationen angeboten, die unter den Titeln "Markgrafen und Sultane", "Das Schöne im Detail" und "Unter der Sonne des Morgenlandes" in Politik, Kunst und Kultur des Osmanischen Reiches einführen. Das vierte Kapitel "Istanbul" bietet vor allem jüngeren Nutzern als grafisch gestaltetes Interaktionsspiel eine altersgemäße Reise durch das historische Istanbul. Bedauerlicherweise wurde der Ansatz zu einer solchen Zielgruppenorientierung nur für diesen einen Bereich unternommen. Hier wäre gewiss mehr möglich, didaktisch unbedingt notwendig gewesen. Im Modul "Kunst & Kultur" befindet sich eine breite Palette historischer Fakten, von etwa 40 Biographien über ein historisches Porträt von Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden ("Türkenlouis"), bis hin zur Geschichte des Osmanischen Reiches und zum Kulturtransfer zwischen dem Osmanischen Reich und Europa. Die genannten drei Module bieten in unterschiedlichen Konstellationen historisches Wissen an. Das Wissen selbst ist fundiert präsentiert und deckt weit mehr Informationsbedarf ab, als es eine reale Ausstellung ohne die Stütze des Katalogs leisten kann. Die Texte werden bisweilen in zwei Komplexitätsgraden und Längen bereitgehalten. Viel Lesegeduld muss der Besucher jedoch mitbringen, wenn er sich umfassend informieren will. Denn gerade die vertiefenden Texte sind für ein Bildschirmmedium schlicht zu lang und das Lesen am Bildschirm erfordert bekanntlich weit mehr Anstrengung als die offline-Lektüre. Bis zu 15.000 Zeichen (Türkenlouis) sind auch für ambitionierte Leserinnen und Leser eine Herausforderung sofern sie die Texte nicht unerlaubterweise kopieren und ausdrucken. Durch letzteres würde der Text auch seinen medialen Rahmen verlieren, was nicht im Sinne der Kuratoren sein kann. Ein komplexes Netzwerk aus hypertextuellen Querverweisen auf ergänzendes Bildmaterial, komplementäre Inhaltsseiten und verwandte Bereiche der Website bereichern die Kapitel und Unterkapitel der drei Inhaltsmodule. Neben ihnen gibt es noch zwei weitere Module "Wissen" und "Information". Diese nur mäßig orientierende Titelgebung ist ein echtes Manko, das die Freude an der technisch sehr sorgfältig gestalteten Ausstellung immer wieder trübt. Hinter "Wissen" verbergen sich die Kategorien Forschung, Bildung, Archiv und "Mein Museum". Darunter sind Forschungsnachrichten, verwandte Ausstellungen und Websites zu finden. Im Archiv kann über eine Volltextsuche die gesamte Site durchstöbert werden. Die Rubrik "Mein Museum" bietet den Benutzerinnen und Benutzern als interaktives Schmankerl die Möglichkeit, eigene Favoriten aus der Ausstellung zu kommentieren und sich damit in eine eigene Galerie einzutragen. Ein Chatroom, in dem themenbezogene Diskussionen geführt werden können, erweitert dieses Angebot. Unter "Information" schließlich sind die Metadaten der Ausstellung zu finden.
Grafik und Navigation:
Der Zugang zu den Inhalten einer Website erfolgt über die Navigation, die nicht nur technisch funktional sein soll, sondern als Abbild der Seitenstruktur auch ein Verständnis für die Aufbaulogik der Website schaffen soll. Doch hier leidet das Karlsruher Angebot an einem Übermaß an gutem Willen. Denn die Navigation ist so vielschichtig gehalten, dass ihre Führungs- und Leitfunktion nicht mehr zum Tragen kommt. Ein Beispiel dafür ist die Startseite. Da sind die fünf Module "Sammlung", "Themenreisen" "Kunst und Kultur", "Wissen" und "Informationen" als Kartenreiter und weiterführende Links zu sehen. Nun sind "Wissen" und "Information" keine trennscharfen Bezeichnungen und die Differenz zwischen den Bereichen "Themenreise" und "Kunst und Kultur" lässt sich konzeptionell auch nur schwer nachvollziehen, zumal die dritte von vier Themenreisen unter dem kryptischen Titel "Unter der Sonne des Orients" ein buntes kulturgeschichtliches Themenfeld ausbreitet und damit ebenso gut im nächsten Modul untergebracht sein könnte. Umso stärker kommt es also auf ein funktionelles und intuitives Navigationskonzept an. Um verschiedenen Nutzungsgewohnheiten entgegen zu kommen, haben sich die Gestalterinnen und Gestalter der Website dazu entschlossen, verschiedene Navigationstechniken parallel anzulegen. Doch dies führt dazu, dass auf einer Seite Kartenreiter, Dropdown-Menüs und Thumbnaillisten zuzüglich verlinkter Textstellen und doppelter Menüicons an der Seite und am unteren Bildschirmrand aufgeführt werden, die mehrfach auf die selben Ziele verlinken. So geht die Orientierung selbst bei geübten Nutzern schon auf der ersten, entscheidenden Seite verloren. Denn hier wird nicht nur, wie es medientypisch ist, die Linearität des Gesamttextes an verschiedenen Stellen umgehbar gehalten, auch die Hierarchie der Textstellen und damit der Gliederung ist nicht mehr nachvollziehbar. Das ist ein mediendidaktisch riskantes Unterfangen. Wer nicht über Standleitungen sondern über ISDN oder gar Modem im Netz surft, wird angesichts zahlreicher Klicks, die notwendig sind, um die Site-Struktur zu erkennen, schnell ermüden. Zwar wird eine Sitemap angeboten, die Erfahrungen zeigen jedoch, dass Navigationshilfen den gleichen Rezeptionsgesetzen und damit der gleichen Beschränkung in der Nutzungszeit unterworfen sind wie die inhaltlichen Bereiche einer Website.
Interaktion und Didaktik:
Neben einer intuitiv erfahrbaren Navigation gehören rezeptionseffiziente Interaktionen zum Qualitätsmerkmal von Wissensvermittlung in neuen Medien. Navigatorische Links machen eine Site in ihrem Aufbau erfahrbar, die Inhalte werden jedoch über kleine Aufgaben, die fragende Auseinandersetzung mit Objekten und andere Interaktionen eindrücklicher vermittelt. Hier findet sich auf der Website nur wenig Anregendes, die Vermittlung der Inhalte folgt weitgehend traditionellen Strategien der Bild-Textkomposition. Besonders stolz sind die Gestalter der online-Ausstellung auf die 3-D animierten und zoombaren Objekte. Exponate können mittels eines Quicktime-Plugins vergrößert und um 360 0 gedreht werden. Der Versuch, die sensorischen Verluste bei der medialen Transformation von realer zu virtueller Ausstellung auf diese Weise zu kompensieren, ist technisch freilich nicht neu. Die Qualität der Zooms ist durchaus beeindruckend. Ob der optische Effekt den technischen Aufwand rechtfertigt, darf zumindest unter didaktischen Aspekten in Frage gestellt werden. Sicher sind diese virtuellen Möglichkeiten attraktiv und kommunizieren zumindest digitale Kompetenz. Damit wäre vor allem das eingangs erwähnte Marketingziel erreichbar. Doch mangels Abwechslung in der Interaktion bleiben die aufwändigen Dreh- und Zoomaktionen merkwürdig isoliert. So wird der Wert der inhaltlich ausgesprochen ambitionierten und interessanten Ausstellung durch Mängel in der Navigation und Didaktik bedauerlicherweise gemindert.
Und doch lohnt sich ein derartiges Unternehmen im Internet, denn bei allen konzeptionellen Mängeln besteht der Wert der Ausstellung im experimentellen Umgang mit digitalen Präsentationsformen, und es wird noch einige Zeit andauern, bis hier Standards etabliert werden können und Regeln des Sehens und Erfahrens auf der Nutzerseite verwertbar dokumentiert sind. Eine entsprechende Evaluation der Ausstellung dürfte hier ausgesprochen interessante Ergebnisse hervorbringen.