ANNO AustriaN Newspapers Online

Cover
Titel
Austrian Newspapers Online (ANNO) - Historische österreichische Zeitungen und Zeitschriften online.
Herausgeber
Müller, Christa [Projektverantwortung] <anno@onb.ac.at>
Veröffentlicht durch
Österreichische Nationalbibliothek: Wien, AT <http://www.onb.ac.at/>
Enthalten in
Von
Thomas Wollschläger

1. Nutzen und Einordnung von ANNO - Historische österreichische Zeitungen und Zeitschriften online

Zeitungen sind einzigartige historische Quellen. Durch ihre Erscheinungsweise bedingt, dokumentieren sie [zumeist] tages- oder wochenaktuell die laufenden und am Tag nach dem Erscheinen bereits historischen Ereignisse. Zeitungen gehören daher in den Bibliotheken zu den meistgenutzten Beständen. Gerade Zeitungen sind jedoch wegen ihres Großformats und des in aller Regel nicht alterungsbeständigen Papiers schon bei durchschnittlicher Benutzung starken physischen Belastungen ausgesetzt. Oftmals müssen Nutzungseinschränkungen erlassen werden, um das Material überhaupt für die Nachwelt erhalten zu können. Die Digitalisierung von Zeitungsbeständen ist daher die beste Möglichkeit, sowohl die künftige Belastung des Originals zu vermeiden als auch den Nutzern einen echten Mehrwert zu bieten.

Eines der ambitioniertesten Projekte im Bereich der Zeitungsdigitalisierung im deutschsprachigen Raum ist seit kurzem durch die Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB) in Wien der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Bisher konzentrierte sich die Digitalisierung von Zeitungen vorwiegend auf kleinere, eher themenbezogene bzw. abgeschlossene Bestände; Beispiele dafür sind etwa "Exilpresse digital", eine digitalisierte Sammlung deutscher Exilzeitschriften von 1933 bis 1945 an Der Deutschen Bibliothek 1 oder "Compact Memory", eine Sammlung jüdischer Periodika des 18. bis 20. Jahrhunderts 2. Das ANNO-Projekt der ÖNB soll den virtuellen Zeitungslesesaal der Österreichischen Nationalbibliothek bilden und damit eine so vollständig wie mögliche Gesamtschau der historischen Zeitungen und Zeitschriften Österreichs ermöglichen. Derzeit sind in Kooperation mit der Österreichischen Parlamentsbibliothek 3 über 30 Zeitungen in den Digitalisierungsplan aufgenommen und werden fortlaufend - allerdings nicht parallel zum Erscheinungsverlauf der Periodika - digitalisiert.

2. Aufbau des Web-Auftritts und Navigation

Der Web-Auftritt von ANNO präsentiert sich in einer angenehm schlichten (und trotzdem sehr modernen), sehr übersichtlich und klar gehaltenen Gestaltung und einer einfachen Benutzerführung. Die zentralen Recherche-Einstiege sind zentral positioniert: Eine Übersicht der verfügbaren Zeitungen und eine Jahresübersicht. Sucht man nach einem bestimmten Periodikum, ist dem Link zur Zeitungsliste zu folgen. Dort können auf der Folgeseite aus der Liste die bereits verfügbaren Zeitungen ausgewählt werden. Nach der Auswahl der gewünschten Zeitung gelangt man zur Übersicht der davon (bereits) verfügbaren Jahrgänge, von der Jahrgängen wiederum zur Übersicht der darin zugänglichen einzelnen Ausgaben nach Datum. Die Beschreibung klingt umständlicher als sich die Praxis darstellt: Die Hierarchien sind leicht überschaubar, die Ladezeiten der Seiten sehr kurz, so dass ein zügiges Benutzungsgefühl entsteht. Eine Volltextsuche ist derzeit nicht möglich, wird jedoch von ANNO für die Zukunft erarbeitet.

Der wahrscheinlich mehr genutzte und noch ansprechender wirkende Zugang ist der zentrale Rechercheeinstieg über die Jahresübersicht. Hier gelangt man direkt zur Übersicht der Jahre, zu denen bereits digitalisierte Bestände vorliegen; von dort aus zu den Tagesdaten innerhalb der Jahre. Wird jetzt ein (verfügbares) Tagesdatum ausgewählt, so erhält man in Form von Titelseiten eine Übersicht der für diesen Tag verfügbaren Zeitungen. Dies ist der ideale Einstieg für eine thematische Recherche in den Zeitungen nach historischen Ereignissen. Ist das Datum des Ereignisses bekannt, können die Ausgaben jenes Tages und der Folgetage am Bildschirm durchgeblättert werden. Ist das Datum nicht genau bekannt, kann auf diese Weise auch der Bestand eines längeren Zeitraums einfach durchgeblättert werden.

Die Navigation und die Anwahl der einzelnen Ausgaben funktioniert dabei sehr unproblematisch. Hat man eine (Tages)Ausgabe angewählt, erscheint auf dem Bildschirm eine Übersichtsdarstellung aller Blätter dieser Ausgabe. In der Tagesübersicht wird am oberen Bildrand eine Navigationsleiste erzeugt, zur vorigen bzw. nächsten Ausgabe zu blättern, zur Jahresübersicht der Zeitung oder zur ANNO-Gesamt-Jahresübersicht zurück zu gehen. Gleichzeitig ist über die Navigationsleiste eine Datei der Tagesausgabe im PDF-Format abrufbar. Über diese Datei kann das Dokument zur privaten und wissenschaftlichen Nutzung ausgedruckt werden. Die Ladezeiten der teilweise sehr großen PDF-Dateien können jedoch - je nach Art der Internet-Verbindung - auch mit einem schnellen Rechner durchaus umfangreich sein, so dass man sich beim Anwählen dieser Option ggf. in Geduld üben und nicht vorschnell den Klick wiederholen sollte.

Jedes Blatt der Zeitung aus der Tagesübersicht kann einzeln ausgewählt und in je 5 verschiedenen Größen auf dem Bildschirm dargestellt werden (Größen sind erkennbar an 5 verschieden großen Piktogrammen in der Navigationsleiste). Standardmäßig ist die mittlere Größe voreingestellt, die sich auch hervorragend zum Lesen am Bildschirm eignet. Die kleinste Größe dient bestenfalls einem besseren Überblick, ist jedoch zum Lesen kaum geeignet. Das Ausdrucken von Einzelseiten ist jedoch nur mit der Anwahl der Option "Einzelseite in voller Pixel-Größe" möglich. Bei der Anwahl erhält man den originalen Scan im TIFF-Format (Auflösung: 300 x 300 dpi). Ein Hinweis auf die Modalitäten zum Ausdrucken der Seiten bzw. einzelnen Ausgaben fehlt derzeit auf den ANNO-Seiten noch 4, wäre jedoch wünschenswert, auch im Hinblick darauf, ggf. urheberrechtliche Hinweise zur Nutzung der Digitalisate kenntlich zu machen.

3. (Derzeitige) Inhaltliche Schwerpunkte

Die aktuell bereits digitalisierten Bestände umfassen bereits eine ganze Reihe historisch besonders interessanter Zeiträume. So sind für die Perioden 1808 bis 1860 und 1869 bis 1938 für jeweils alle Jahre Digitalisate vorhanden. Die napoleonische Ära wird dabei z.B. durch die "Wiener Zeitung" ab 1809 mit zunächst drei Ausgaben/Woche, ab Oktober 1813 täglichen Ausgaben dokumentiert; dazu kommen mit zunächst wöchentlichen, später zweimal wöchentlich erscheinenden Ausgaben die "Vaterländischen Blätter" (1808 bis 1820).
Für 1848/49 liegen fast täglich Ausgaben von der "Klagenfurter Zeitung", von "Der Humorist" und den "Sonntagsblättern" vor. Die Jahre 1908 bis 1938 (Oktober) sind durch die für diesen Zeitraum vollständige Digitalisierung der "Reichspost" hervorragend erschlossen. Außerdem sind für denselben Zeitraum, insbesondere aber die Zeit des 1. Weltkriegs inklusive Vor- und Nachkriegszeit, zumeist täglich weitere Zeitungen verfügbar. Dazu gehören der "Pester Lloyd" (erschienen in Budapest, 1908 bis 1922) sowie die humoristisch-satirischen Zeitungen "Die Bombe" (1871 bis 1925) oder "Der Floh" (1869 bis 1919). Es lohnt sich also schon jetzt, bei Recherchen über die genannten Zeiträume die Seiten von ANNO zu benutzen, und das nicht nur bei Recherchen zur österreichischen Geschichte.

Neu digitalisierte Ausgaben aller Periodika werden in die Rubrik "Was ist neu bei ANNO", zugänglich über die ANNO-Startseite, eingetragen. Dieser Informationszugang empfiehlt sich insbesondere dann, wenn zu einem bestimmten Zeitraum bereits umfangreiche Recherchen durchgeführt wurden und man sich zunächst vergewissern möchte, ob zu dem jeweils relevanten Zeitraum seit der letzten Recherche neu digitalisierte Ausgaben hinzu gekommen sind. Nach Angaben der Projektleitung sollen wöchentlich kontinuierlich mehrere tausend Seiten Zeitungsmaterial digitalisiert werden.

Was das Portal momentan vermissen lässt, sind nähere inhaltliche Informationen zu den einzelnen Zeitungen. Außer einigen Stichworten, die in der Neuzugangs-Rubrik eingestreut sind, enthält ANNO keine Angaben zu Hintergrund und Erscheinungsdaten der Periodika. Dabei wäre es vom Arbeitsaufwand sicherlich vertretbar, zu jeder Zeitung eine Informationsseite zu erstellen, die wichtige Grundinformationen liefern sollte wie Erscheinungsort(e) und -verlauf, Herausgeber und/oder Besitzerschaft und -wechsel, politisch-gesellschaftliche Einordnung des Blattes, Einzugsbereich, Grund des Erscheinungs-Endes u.s.w. Es ist zu hoffen, dass derartige Informationen zukünftig noch erstellt werden.

4. Informationen zum Hintergrund von ANNO; Hilfetext

Erläuterungen und Informationen zum ANNO-Projekt sind über den Link "Was ist ANNO?" auf der Startseite abrufbar. Leider sind diese Angaben nicht allzu umfangreich. Es werden zwar einige kurze Informationen über Vorteile des Digitalisierens und die verwendete Scan-Technik gegeben. Des Weiteren ist eine Powerpoint-Präsentation abrufbar, mit welcher sich das ANNO-Projekt auf der IFLA-Konferenz 2003 vorgestellt hat 5, die jedoch kaum zusätzliche Angaben enthält. Informationen zum Hintergrund und zum Ablauf des Projektes fehlen gänzlich, ebenso wie ein Überblick über die gesetzten bzw. die noch zu erwartenden zeitlichen Meilensteine.

Einen ausgewiesenen Hilfetext enthält die ANNO-Seite nicht. Das ist in dem Fall keine große Beeinträchtigung, da die Navigation in ANNO leicht ist und ohne große Erklärungen auskommt. Allerdings wäre wenigstens zu einigen Details (z.B. den Druckoptionen) eine Grundinformation wünschenswert. Immerhin enthält die Startseite einen Link zu "Browserempfehlungen", unter dem die nötigen Browser-Einstellungen erläutert werden sowie Downloads entsprechender Browserversionen und Plugins angeboten werden. Der Link zu dieser Seite ist jedoch sehr unauffällig am Fuß der Seite angebracht, nur beim Darüberfahren mit der Maus als solcher erkennbar und kann leicht übersehen werden. Der Link zu "Kontakte" ist dafür sehr prominent platziert und enthält alle notwenigen Informationen. Es sollte auch betont werden, dass das Projektteam stets sehr schnell und eingehend auf Anfragen reagiert.

5. Fazit

Aufgrund des hohen inhaltlichen Nutzwertes ist ANNO beim Recherchebedarf in Periodika unbedingt zu empfehlen. Je weiter in Zukunft die Digitalisierung voranschreitet, desto vollständiger wird ANNO als Informationsdatenbank werden, ist jedoch bereits jetzt ein sehr wertvolles Hilfsmittel. Mit ANNO ist es außerdem gelungen, ein sehr gut funktionierendes, schnelles, leicht verständliches und sehr gut benutzbares Instrument zu schaffen. Insbesondere der Sucheinstieg über die Jahresübersicht dürfte sich als hervorragender Rechercheweg erweisen.

Allerdings lässt die dokumentarische Ausgestaltung der ANNO-Seiten zumindest momentan noch etwas zu wünschen übrig. Wenigstens einige Nutzungsdetails müssten hinzugefügt werden; klare Desiderate sind ebenso das Einbringen ausführlicherer Hintergrundinformationen zum Projekt und Informationen zu den digitalisierten Zeitungen. Wenn diese Desiderate erfüllt werden, dürfte ANNO eines der herausragendsten Informationsportale nicht nur für die historische Wissenschaft werden.

Anmerkungen:
1 <http://deposit.ddb.de/online/exil/exil.htm>
2 Projektkooperation der RWTH Aachen, der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt/M. und der Bibliothek Germanica Judaica, Köln; <http://www.compactmemory.rwth-aachen.de/cm2/html/>
3 <http://www.parlinkom.gv.at/pd/wd/bibliothek/default.html>
4 Hier: 12/2003. Laut Auskunft der ANNO-Redaktion vom 03.12.2003 ist das Anbringen drucktechnischer Hinweise in Arbeit.
5 69. IFLA Generalkonferenz und Ratsversammlung "Bibliothek als Portal : Medien - Information - Kultur", 1.-9. August 2003, Berlin; ANNO-Vortrag unter <http://anno.onb.ac.at/ifla_anno_de.ppt>