1998 wurde unter Federführung des Nordelbischen Kirchenarchivs in Zusammenarbeit mit dem Historiker Stephan Linck eine Sujet aufgearbeitet, das für die Forschung nicht unbekannt ist und sowohl aus kirchen- als auch aus regionalgeschichtlicher Sicht eine häufige Erörterung erfuhr. Das Team ging Fragen nach, die sich "eine Kirche jetzt zu ihrer Vergangenheit in der NS-Zeit stellt". Sie fragten nach Tätern und Opfern, nach Motiven, Hintergründen und Affinitäten. Zu diesem Zweck nutzten die Organisatoren neun Biographien und die Geschichte einer Kirchengemeinde, die diese Fragen deutlich werden lassen und - zuweilen widersprüchliche - Antworten geben. Aus diesen biographischen und ortsgeschichtlichen Dokumentationen ist eine Wanderausstellung entstanden, die am 20. September 2001 in Rendsburg der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, seitdem durch die nordelbischen Kirchen zieht und bis zum 8. Februar 2004 in Flensburg Station macht. Begleitend ist ein Ausstellungskatalog erschienen mit einem Vorwort der Bischöfin von Lübeck, Bärbel Warttenberg-Potter, den Texten der Ausstellung, Aufsätzen und Predigten. Dieser Katalog ist bereits für HSK rezensiert worden. 1 Der klassische Ausstellungskatalog ist jedoch lange nicht mehr einziges Medium der Vertiefung, Aufbereitung und Begleitung einer Ausstellung. Deshalb stellten die Organisatoren der Wanderausstellung eine eigene Web-Site zur Seite, die zusätzliche Informationen geben soll, aber auch ein Forum für den Dialog bietet. Zielgruppen des Auftritts sind Schüler und Lehrer, interessierte Privatpersonen und wissenschaftlich Tätige.
Die in vier Abteilungen unterteilte Seite ist übersichtlich gestaltet und reich an Inhalten. Die erste Abteilung führt gleich zur Ausstellung hin und ist selbst in zwei Bereiche aufgeteilt. Zunächst erhält der Benutzer eine Einführung, die die vorangestellten Fragestellungen der Ausstellung aufzählt und den kirchpolitischen Hintergrund nennt. Dabei erläutern die Organisatoren Konzept und Gestaltung der Ausstellung sowie den Wert der archivalischen Quellen und Arbeit für die Thematik. Der zweite Unterpunkt widmet sich den genuinen Inhalten der Ausstellung. Dabei wird der Nutzer in einen virtuellen Kirchenraum, der die Ausstellung birgt, geführt. Dort sind die einzelnen Räume mit den jeweiligen Ausstellungspunkten verlinkt. Man verfügt dabei über die Möglichkeit, Fotos einzelner Exponate und des Ausstellungsraumes zu betrachten, indem man die nummerierten Punkte anklickt. Gleichzeitig kann der Nutzer konventionell über verlinkte Überschriften die Ausstellungsinhalte durchgehen. Diese teilen sich in sechs aufeinander abgestimmte und aufbauende Einzelpunkte auf: Punkt Eins informiert über die Vorgeschichte und den kirchlichen Zeitgeist. Der Reihe nach werden exemplarisch für protestantischen Zeitgeist (Adolph Stoecker), zeitgenössische Theologie (Hans v. Schubert), die Synode (Beschluß von 1924/25/Friedrich Andersen) und kirchliches Leben (Gauredner Pastor Johann Pepperkorn) Personen vorgestellt, die eine wichtige Rolle für das (Miß-)Verhältnis von Judentum und evangelischer Theologie und Kirche gespielt haben. Der Kirchenkampf ist Thema des zweiten Punktes. Hier wird der Leser - immer in Bezug zum Untersuchungsraum - mit den einzelnen evangelischen Gruppen im "Dritten Reich" bekannt gemacht: Bekennende Kirche, Deutsche Christen, Deutsche Glaubensbewegung, Deutschkirche und Nationalkirche. Die dritte Abteilung nennt sich Portal. Hier werden Bilder von zerstörten Kirchen und Synagogen aus der Ausstellung gezeigt. Man könnte viel über diesen Zusammenhang philosophieren, wird jedoch ein wenig damit allein gelassen. Tondokumente fehlen ebenso wie Grafiken und Erläuterungen. Zudem ist der mit Blackbox betitelte vierte Bereich, der sich auf den realen Bereich "Blackbox" der Ausstellung bezieht, nicht aufrufbar. Klickt man im Schaubild auf die Nr. 4, dann öffnet sich zwar ein Popup-Fenster mit der Information "Blackbox: Bilder aus Theresienstadt, gezeichnet von Arthur Goldschmidt", aber die Bilder selbst werden nicht angezeigt. Höhepunkt und nicht zuletzt Mittelpunkt der Ausstellung ist schließlich Punkt Sechs. Dort werden die einzelnen Biographien vorgestellt, angefangen beim Gründer des Bundes für Deutsche Kirche, Friedrich Andersen, über den NS-kritischen Herausgeber der "Christlichen Welt", Hermann Mulert, bis hin zum SS-Sturmbannführer und Chef des Einsatzkommandos 6 in der Ukraine, Ernst Szymanowski vulgo Bieberstein. Die Bandbreite der Verstrickung dieser Personen reicht von Zivilcourage, offener Ablehnung bis hin zu Antijudaismus, Judenhass und organisiertem Massenmord. Als einzige Institution ist die Jerusalem-Gemeinde in Hamburg aufgeführt, eine Gemeinde, die von der Irisch-Presbyterianischen Kirche mit dem Ziel der Judenmissionierung 1845/49 errichtet und 1939 durch die Gestapo verboten wurde. Zu jeder Person/Institution existieren Hyperlinks d.h. Verknüpfungen, die dem Leser die wichtigsten Quellen und Archivalien mitteilen. Eine detaillierte Zeitleiste gibt Auskunft über die Geschehnisse in Deutschland und in Nordelbien. Sie ist bestückt mit weiterführenden und erhellenden Quellen- und Ausstellungstexten. Durch die Einzelschicksale der behandelten Personen und Institutionen erläutern die Organisatoren anschaulich und mit Sinn für Unterscheidung die Formen von Mut, Anpassung, Verstrickung und Schuld, die in der Massenorganisation Kirche anzutreffen sind. Dies versuchen sie auch in einem Diagramm, welches eine Skala von Ermordet bis Mörder beinhaltet, anschaulich zu machen.
Die zweite Abteilung heißt "Termine" und nennt die bisherigen und die zukünftig vorgesehenen Ausstellungsorte. Außerdem kann der Nutzer aktuelle Presseberichte einsehen, insbesondere die mit Verve über die Ausstellung geführte Debatte bei H-Soz-u-Kult zwischen Uwe Schmidt, Wolfgang Gründberg und Siegfried von Kortzfleisch. 2 In einem extra angelegten Pressearchiv sind zudem Verlautbarungen zu früheren Ausstellungsorten verzeichnet.
Die dritte Abteilung, ein für Lehrer, Studenten und Forscher interessanter Bereich, nennt sich Dokumentation. Hier sind Unterrichtsmaterialien als PDF-Datei didaktisch aufbereitet, die dem Lehrer die Vorbereitung seiner Klasse auf einen Besuch der Ausstellung erleichtern und einem vertieften Verständnis des Stoffes dienen sollen. Außerdem sind nochmals die Presseinformationen mit einem Hyperlink eingestellt sowie ein mehr als 280 Titel umfassendes Literaturverzeichnis zur Ausstellungsthematik. Dieses Verzeichnis ist in drei Hauptkategorien mit mehreren Unterpunkten unterteilt. Die erste Kategorie führt einige wenige Titel zum Thema Kirchengeschichte, Judenverfolgung und Christen jüdischer Herkunft im Nationalsozialismus aus überregionaler Perspektive auf. Hier beschränken sich die Organisatoren auf Titel, die lediglich einen Überblick zum Forschungsgegenstand geben können. Wesentlich detaillierter sind die beiden anderen, auf die Regionen bezogenen Rubriken: In der ersten regionalen Rubrik wird Literatur zum Thema "Jüdisches Leben, Judenverfolgung, Christen jüdischer Herkunft im Nationalsozialismus" genannt. Dabei wurde das Verzeichnis untergliedert in die Unterpunkte Schleswig-Holstein, Hamburg, Lübeck und Eutin. Die zweite regionale Rubrik, ebenfalls nach den vier genannten Regionen aufgeteilt, führt Titel zur "Geschichte und Kirchengeschichte im Nationalsozialismus" auf. Die verzeichnete Literatur reicht von bekannten wissenschaftlichen Gesamtdarstellungen bis hin zu unveröffentlichten Diplomarbeiten sowie "grauer" Literatur und kann ein wichtiges Hilfsmittel für alle sein, die sich weitergehend mit dem Thema oder auch nur mit der Heimatgemeinde beschäftigen möchten.
Die letzte Hauptabteilung der Web-Site nennt sich Dialog. Sie führt hin zu einem - offenbar nur wenig genutzten - Internetforum. Es besteht aus drei themenspezifischen Foren mit den Titeln: "Reaktionen auf die Ausstellung", "Christen und Juden - Gestern und Heute" und "Der Umgang der Kirche mit ihrer Vergangenheit". Wichtiger ist jedoch eine durchaus sinnvoll strukturierte Linkliste, die den Nutzer zu einigen mit Thema und Ausstellung korrespondierenden Partnern und Instituten führt. Diese Liste enthält Links für Schüler/Schulklassen ebenso wie für sonstige an Geschichtsarbeit und Erinnerungskultur interessierte Kreise. Außerdem können Forscher über angegebene Links auf die Seiten der benutzten Archive gelangen. Ganz "nett" ist auch die Idee, Verlinkungen zu "Pax Christi", "Aktion Sühnezeichen" und "Ökumenischer Friedens- und Entwicklungsdienst" anzubieten. Inwiefern diese Seiten in einem genuinen Zusammenhang mit der Ausstellungsthematik stehen oder ob sie vielmehr im Zuge eines kirchenspezifischen Reflex hineingeraten sind, entzieht sich der Kenntnis des Rezensenten.
Wie bereits erwähnt möchte die Ausstellung und damit auch die Web-Site Lehrer und Schüler, Forscher und Interessierte erreichen. Sie möchte dabei gleichzeitig ein dunkles, bisher eher vernachlässigtes Kapitel der nordelbischen Kirchengeschichte erhellen. Ihrem Anspruch ist die Seite ohne Zweifel gerecht geworden. Sie bietet für den Lernenden verständlich geschriebenes Material und Texte, dem Lehrenden gibt sie Hilfsmittel an die Hand und dem Forschenden eine gründliche Einführung sowie Literatur und Quellenhinweise. Die Web-Site ist übersichtlich und professionell gestaltet und lädt zum genaueren lesen und hinsehen ein. Sie bietet eine Vielzahl sinnvoll miteinander vernetzter und in Zusammenhang stehender Abschnitte und Texte, die ein umfassendes Bild zur Thematik zeichnen. Dabei sind die Texte frei von überkommener Erinnerungsrhetorik und machen den Blick frei auf das Wesentliche. Nicht zuletzt das dezente grafische Design unterstützt die Wirkung des Angebotes, da es Inhalt und Zielsetzung in den Vordergrund stellt. Lobenswert ist auch die schonungslose Offenheit, mit der Kirche und Organisatoren das Thema angehen und in der Diskussion halten. Dabei stellen sie sich auch der, teilweise harschen Kritik, sei sie nun berechtigt oder auch nicht. So wurde beispielsweise die bereits erwähnte Auseinandersetzung bei H-Soz-u-Kult ausführlich an prominenter Stelle dokumentiert. Der Internetauftritt der Ausstellung "Kirche, Christen, Juden" ist im Verbund mit Ausstellung und Katalog ein gelungenes Projekt, welches zur Nachahmung auffordert. Insbesondere der Verbund von allgemeinem geschichtlichem Ablauf und regionaler Auswirkung ist wegweisend. Vielleicht könnte aus diesem Projekt in Zukunft eine fortlaufende Werkstatt entstehen, die Forschungen vor Ort sammelt und anderen zu Verfügung stellt. Die Web-Site wäre als Plattform dafür sicherlich auch dann noch der geeignete Ort, wenn die Ausstellung ihre Tore längst geschlossen hat.
Anmerkungen:
1 Matthias Wolfes: Rezension zu: Göhres, Annette; Linck, Stephan; Liß-Walther, Joachim (Hrsg.): Als Jesus "arisch" wurde. Kirche, Christen, Juden in Nordelbien 1933-1945. Die Ausstellung in Kiel. Bremen 2003. In: H-Soz-u-Kult, 06.01.2004, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-1-005>.
2 Vgl. dazu die Rezension von Uwe Schmidt für H-Soz-u-Kult vom 28. Mai 2003: hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=16&type=rezausstellungen. Auf diese Besprechung bezieht sich eine kritische Stellungnahme der Hamburger Theologen Wolfgang Grünberg und Siegfried von Kortzfleisch vom 28. Juli 2003; siehe auch Schmidts am gleichen Tag veröffentlichte Replik.