Wer, vom Titel "Nachkriegszeit 1945–1949" angelockt, eine Webseite zur Geschichte der Besatzungszeit erwartet, sollte rasch den Untertitel lesen, der erläutert, dass es um "Dokumente zu Besatzungszeit und politischem Neubeginn im heutigen Landkreis Darmstadt-Dieburg" geht. An einem südhessischen Beispiel wird hier Nachkriegsgeschichte auf lokaler Ebene illustriert. Dabei handelt es sich um die Online-Version einer Wanderausstellung mit dem Titel "'Wähler, tut Eure Pflicht' – der Neubeginn des politischen Lebens nach 1945 im Landkreis Darmstadt-Dieburg", die das Hessische Staatsarchiv Darmstadt im Jahre 1996 zusammengestellt hatte. Vom entsprechenden Landkreis in Auftrag gegeben, wurde mit dieser Ausstellung dem 50. Jahrestag der ersten Sitzung der am 28. April 1946 neu gewählten Kreistage der damaligen Landkreise Darmstadt und Dieburg gedacht. Damit ist der Charakter des Webangebots bereits verdeutlicht: Es will keine wissenschaftlichen Ansprüche bedienen, sondern hat als Bestandteil des Digitalen Archivs der Abteilung Archivpädagogik des Hessischen Staatsarchivs Darmstadt einen breit angelegten Bildungsauftrag.
Insgesamt rund 50 ausgewählte Bild- und Textdokumente verschiedener Provenienz illustrieren fünf Themenfelder der unmittelbaren hessischen Nachkriegsgeschichte. Gewählt ist dabei – Pädagogik verpflichtet – ein problemorientierter, selektiver Zugang zur Materie, der zeigt, was den Alltag jener Jahre prägte und bewegte.
1. Zusammenbruch – Aufbruch – Stunde Null?,
2. Gegenwärtige Vergangenheit: Entnazifizierung – Juristische Vergangenheitsbewältigung – Jüdische Mitbürger – Was ist geblieben? – Heimkehrer und Vertriebene,
3. Organisation des Mangels: Von der Lebensmittelkarte zur Währungsreform,
4. Demokratischer Neubeginn,
5. Zukunft: Eine problematische Jugend und neue Schulen.
Unter einem sechsten Punkt finden sich abschließend Literaturhinweise. Jedes der Themenfelder 1 bis 5 ist mit einem kurzen Text versehen, der in Ansätzen über den historischen Kontext der nachfolgenden Dokumente informiert. All dem vorangestellt ist eine allgemeine Einführung unter den Blickwinkeln: Aufbruch, Gegenwärtige Vergangenheit sowie Überleben und die Zukunft gestalten.
Als neu bearbeitete und gekürzte Fassung der Ausstellung richtet sich die Webseite an eine historisch interessierte Öffentlichkeit. Darüber hinaus sind vor allem die Dokumente auch für einen Einsatz im Schulunterricht sehr zu empfehlen. Besonderes Interesse weckt das Internetangebot zweifellos in der Region selbst. Doch auch ein fehlender lokaler Bezug sollte nicht von einem Besuch abhalten. Schließlich kehrten die hiesigen Problemlagen und Grunderfahrungen in Spielarten überall im Nachkriegsdeutschland wieder.
Wer sich umfassend und systematisch über die Jahre der Besatzungszeit informieren will, sollte besser zu einem Buch greifen. Wer sich hingegen von illustrierten Geschichten inspirieren lassen möchte oder einen ersten Zugang zum Thema sucht, der wird dieses Webangebot des Staatsarchivs Darmstadt dankbar nutzen. Die begleitenden Texte bieten Basisinformationen, und die Quellen sind beredt. Staatliche Schlüsseldokumente, privates Schriftgut, Quellen bekannter Art, aber auch allerlei Originelles lassen sich hier finden: die amtliche Mitteilung zur Zulassung politischer Parteien, ein lokaler Wochenbericht an die Militärregierung, ein Fragebogen zur Entnazifizierung sowie Bilder der Schulspeisung. Aufhorchen lässt, dass ein Bürgermeister die Einwohner im Jahr 1947 eindringlich ermahnen musste, "sich den in der Stadt Dieburg untergebrachten Juden gegenüber korrekt und human zu benehmen". Mit ähnlichem Befremden liest sich für heutige Augen der Bericht von mit Hakenkreuzen beschmierten Straßen aus dem Januar 1946. Nicht zuletzt mit Blick auf den schulischen Nutzerkreis hervorgehoben sind die Probleme der Jugend und deren künftiger demokratischer Erziehung. Auf diesem Feld erfüllte der Landkreis Darmstadt, wie die Dokumente zeigen, eine Pionierfunktion: Mit dem "Schuldorf Bergstraße" entstand 1954 die erste Gesamtschule der jungen Bundesrepublik.
Ist die Auswahl der Quellen mit Bedacht erfolgt, hätte der Redaktion der Texte etwas mehr Sorgfalt gut getan. So sind die allgemeine Einführung und die einleitenden Texte der fünf Themenfelder nicht gelungen aufeinander abgestimmt. Sachliche Wiederholungen lassen ebenso aufmerken wie die unglückliche Verwendung von Abkürzungen. "DP" und "UNRRA" dürften sich gerade für historische Laien nicht von selbst erschließen und werden auf der Webseite erst unter Kapitel 3 (Jüdische Mitbewohner) im zweiten Themenfeld aufgelöst. Selbst wenn das Angebot keinen wissenschaftlichen Ansprüchen folgt, sollte die Kennzeichnung von Zitaten eindeutig ausfallen. Eine abermalige Durchsicht würde gewiss auch in Dokument 2 des ersten Themenfeldes den fehlenden Kursivsatz ergänzen sowie die Doppelungen einiger Wörter am Zeilenende und darauf folgenden Zeilenanfang tilgen. Ebenso könnte bei dieser Gelegenheit die Detailansicht der "Proklamation Nr. 2" die richtige Bildunterschrift erhalten. Eine Nachbesserung verlangt schließlich auch Dokument 3 im Kapitel Demokratischer Neubeginn, das sich nicht öffnen lässt. Neben solchen formalen Mängeln stolpert der Leser über Ausdrücke wie "Nazizeit", "Nazigedankengut" oder "Nazismus", die sich in der Umgangssprache eingebürgert haben mögen, in einer Veröffentlichung mit Bildungsauftrag aber keine Verwendung finden sollten. Wenig Umsicht ist auch bei der inhaltlichen Darstellung zu konstatieren. Die Autoren neigen bisweilen dazu, komplexe Sachverhalte auf pauschale Feststellungen zu reduzieren, wo doch moderne Pädagogik vorrangig darauf zielt, Problembewusstsein zu schärfen. Auch hier wirkt manches eilig zusammengezimmert und unbedacht formuliert.
Als gravierendster technischer Schwachpunkt des Webangebots erweist sich das Ausdrucken der Dokumente im JPEG-Bildformat. Druckversionen sind nicht durchgängig vorgesehen, und selbst an denjenigen Stellen, an denen es sie gibt, verdienen sie ihren Namen nicht. Das Druckmenü lässt sich von älteren Versionen des Internet-Explorers nicht unmittelbar aktivieren; in diesen Fällen müssen die Dateien erst umständlich an anderer Stelle gespeichert und dort über den Explorer erneut geöffnet werden. Benutzerfreundlicher wäre es, die Webseite würde direkt ein Druckmenü vorsehen, das sogleich auch für eine größtmögliche Anpassung der Bilder an das gängige DIN A4-Seitenformat sorgt. Aktuell liefert der Drucker bei großformatigen Vorlagen notgedrungen abgeschnittene Texte; auch das Querformat schafft dabei nicht immer Abhilfe. Um hier zu einem optisch ansprechenden Ergebnis zu gelangen, bleibt nur die empfohlene Lösung, die Dokumente mit Hilfe eines Bildbearbeitungsprogramms entsprechend zu gestalten; dabei bietet es sich an, gleich auch die Herkunftsangabe zu vermerken. Solche aufwendigen Hilfskonstruktionen gehen an den Bedürfnissen der Zielgruppe schlicht vorbei. Der wenig geübte Internetnutzer ist überfordert und selbst der versiertere verärgert.
Die digitale Umsetzung der Ausstellung lehnt sich im Erscheinungsbild an die anderen archivpädagogischen Veröffentlichungen des Hessischen Staatsarchivs Darmstadt an1 und fällt damit beschränkt aus. Die Möglichkeiten des neuen Mediums werden kaum genutzt. So sind etwa weder Suchfunktionen vorgesehen, noch interne und externe Links angebracht. Auf diese Weise wirkt das Webangebot etwas hausbacken. Obwohl Schlichtheit in diesem Gewerbe oft von Vorteil ist, erschließt sich mangels Seitenübersicht und aufgrund gleich dreifach vergebener Ordnungsziffern die Hierarchisierung der Ebenen nicht auf den ersten Blick. Um im vollen Umfang zu funktionieren, erfordert die Navigation einen Browser, der JavaScript interpretieren kann; ist diese – heute in der Regel gängige – Voraussetzung gegeben, erfolgt die Bedienung der Webseite nach einem schlüssigen, wenngleich gewöhnungsbedürftigen Schema. Erläuterungen bietet eine Hilfefunktion, die per E-Mail auch direkt mit dem Webmaster verbindet.
Unberücksichtigt blieb bei der Digitalisierung der Ausstellung die Tatsache, dass eine Internetpräsentation einen anderen Nutzerkreis findet als in den Gemeinden des fraglichen Landkreises ausgestellte Schautafeln. Um überregional anzusprechen, würde allein schon das ebenso simple wie probate Mittel einer Landkarte gute Dienste leisten. Der Verzicht auf didaktische und technische Aufbereitung lässt darauf schließen, dass diese Online-Version lediglich die vergriffene Dokumentation zur Ausstellung ersetzen soll. Das ist schade, denn man hätte weitaus mehr daraus machen können!
Anmerkungen:
1http://www.stad.hessen.de/DigitalesArchiv/anfang.html