Die Arbeiterzeitung (AZ) war das Zentralorgan der österreichischen Sozialdemokraten. Sie wurde als Nachfolgerin der 1889 verbotenen Zeitschrift "Gleichheit" von Victor Adler, der über Jahrzehnte unbestrittenen Führungsfigur der österreichischen Arbeiterbewegung, in Wien gegründet. Das Blatt erschien am 12. Juli 1889 zum ersten Mal, zunächst 14-tägig, bald wöchentlich. Seit 1895 erschien die AZ als Tageszeitung.
Vor dem Ersten Weltkrieg galt sie als Publikationsmittel des marxistischen Flügels der Partei. In der Zwischenkriegszeit avancierte die AZ zum offiziellen Organ der Sozialdemokratischen Partei Österreichs und der von ihr geprägten "austromarxistischen" Spielart des Marxismus. Nach dem Februaraufstand von 1934 wurde die Zeitung als Teil der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung durch das austrofaschistische Regime verboten. Bis 1938 produzierte die österreichische Exil-Sozialdemokratie die AZ in Brünn als Wochenblatt und schmuggelte sie nach Österreich. Nach dem Zweiten Weltkrieg erschien sie ab 5. August 1945 wieder als Parteizeitung und war bis 1955 die am weitesten verbreitete Tageszeitung Österreichs. 1948 erreichte sie eine Auflage von 245.000 Exemplaren. Eine seit den 1950er Jahren ständig sinkende Auflage zeugte vom nicht nur in Österreich zu beobachtenden Niedergang der Parteipresse. 1989 zog sich die Partei bis auf eine 10%ige Minderheitenbeteiligung von der AZ zurück. Mehrheitsgesellschafter wurde nun ein Team ehemaliger Redakteure. Aber auch diese Maßnahme konnte den Bestand der Zeitung nicht längerfristig sichern; am 31. Oktober 1991 erschien die letzte Ausgabe.
Bedeutende Chefredakteure (F. Austerlitz, 1895-1931; O. Pollak, 1931-34 und 1946-61; F. Kreuzer, 1962-67; P. Blau, 1967-70; M. Scheuch 1970-89) und prominente Mitarbeiter aus der Führungsschicht der Partei machten die Zeitung zu einer wichtigen Stimme in der politischen Debatte der sozialdemokratischen Arbeitnehmerbewegung, zumindest bis 1934 weit über Österreich hinaus.
Der hohe Wert der AZ als bedeutsame Quelle sowohl für die österreichische bzw. österreichisch-ungarische Sozialgeschichte im Allgemeinen wie auch für die Politik-, Parteien- und Mediengeschichte Österreichs kann überhaupt nicht bestritten werden. Auch innerhalb der europäischen und internationalen Arbeiterbewegung spielte die Publikation lange Zeit eine bedeutsame Rolle.
Es erscheint somit auf den ersten Blick erfreulich, das die AZ-Ausgaben nach dem Zweiten Weltkrieg nunmehr im Internet unter www.arbeiter-zeitung.at allen Interessierten zugänglich ist. Die Nutzer erhalten im genannten Portal die Möglichkeit, in den komplett vorliegenden AZ-Jahrgängen von 1945 bis 1989 zu lesen. Insgesamt stehen nicht weniger als 200.000 Tageszeitungsseiten online, wobei die Besonderheit dabei ist, dass die Ausgaben Seite für Seite "retrodigitalisiert" wurden. Dadurch wird anders als bei den meisten Archiven im Netz nicht nur der Text, sondern auch das Layout einschließlich der Schrift und der Bilder wiedergegeben. Das Archiv ist für jeden offen, der Zugang kostenfrei. Ein unter der Rubrik "Geschichte" knapp zusammengestellter Bericht über die wichtigsten Ereignisse der österreichischen Nachkriegsgeschichte, soll den Leser und die Leserin zur Recherche in der digitalen "AZ" animieren.
Allerdings sind die Möglichkeiten der Recherche bis dato außerordentlich eingeschränkt. Bisher kann lediglich durch die Eingabe von Jahr, Monat und Tag eine bestimmte Ausgabe abgerufen kann, in der per Mausklick geblättert werden kann. Teile der Blätter können dann per Zoom herangeholt und gelesen werden. Da die AZ im Format herkömmlicher Tageszeitungen gedruckt wurde, ist naturgemäß stets nur ein je nach Bildschirmgröße mehr oder minder kleiner Teil der Seite lesbar auf dem Bildschirm präsent. Es ist kaum anzunehmen, dass sich Historiker und Historikerinnen ihre Augen mit solcher schnell mühseligen "Telearbeit" verderben wollen.
Allerdings sind offenbar in der näheren Zukunft durch die für das Informationsportal zuständigen Kooperationspartner, darunter das Institut für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Uni Klagenfurt, eine Reihe von Erweiterungen geplant, die den Zugriff auf die digitale Version auch aus wissenschaftlicher Sicht interessant erscheinen lassen. Zunächst soll die "Retrodigitalisierung" der AZ bis zu ihrem Gründungsjahr weiter vorangetrieben werden, womit die geschichtlich wohl relevanteste Phase ihres Wirkens erfasst würde. Damit würde wohl weltweit die Gesamtausgabe einer historisch relevanten Zeitung komplett im Netz abrufbar sein.
Zugleich ist die Einführung einer Volltextrecherche geplant, deren Funktionsweise anhand einer Testseite bereits heute erfahrbar ist. Dass eine solche Suchfunktion nahezu alle denkbaren Forschungsprojekte, die die AZ als Quelle nutzen möchten, erheblich erleichtern würden, muss an dieser Stelle wohl kaum erläutert werden. Sie wäre zugleich eine erstrangige Pionierleistung auf diesem Gebiet. Es ist daher sehr zu hoffen und gespannt zu erwarten, dass die geplanten aufwendigen "Ausbauschritte" der Betreiber bald eingeführt werden und den Praxistest bestehen.
Bis es soweit ist, werden sich jedoch diejenigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die die "AZ" als historische Quelle nutzen möchten, bis auf weiteres persönlich in die entsprechenden Archive und Bibliotheken bemühen müssen.