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Titel
Gedenkstätten Forum.
Veröffentlicht durch
Stiftung Topographie des Terrors: Berlin, DE <http://www.topographie.de/>
Enthalten in
Von
Thomas Roth

Seit Januar 2000 steht das Online Gedenkstätten Forum der Stiftung Topographie des Terrors im Netz [*]. Den Impuls für die Entwicklung dieses Internetportals gab - wie die Urheber unter der Rubrik "Was ist das Forum?"1 erläutern - der Blick auf die vielgestaltige deutsche Gedenkstättenlandschaft. Um die meist aus lokalen Initiativen entstandenen, häufig auf die jeweilige Region bezogenen Einrichtungen zu vernetzen, den Austausch zu fördern und die Vielfalt des Gedenkens zu dokumentieren, wurde das Forum geschaffen - als "interaktive Einstiegs- und Kommunikations-Plattform" und zentraler "Knotenpunkt" im Netz der Gedenkstätten. Dabei versteht sich die Website nicht als reines Service-Angebot, sondern als Gemeinschaftswerk, das auf die aktive Mitarbeit der dezentralen Einrichtungen angewiesen ist.

Seit seiner Gründung hat das Gedenkstätten Forum stetig steigenden Zuspruch gefunden. Nach Angaben des zuständigen Referats der Stiftung Topographie des Terrors wurde im 1. Halbjahr 2002 ein Wert von über 27.000 Besucher(innen) erreicht (ohne zufällige Zugriffe); im Jahr darauf gab es eine Vervielfachung, und 2004 stabilisierte sich die Zahl der Nutzer(innen) auf hohem sechsstelligen Niveau.2 Auch der "Google-Indikator" spricht für eine gute Resonanz: wer mit "Gedenkstätten" zusammenhängende Suchbegriffe eingibt, findet das Forum auf den ersten Seiten der Trefferliste. Im Januar 2005 waren überdies 584 Nutzer(innen) eingetragen, Personen und Institutionen also, die sich offiziell registriert haben, um an dem Angebot partizipieren und eigene Beiträge einstellen zu können.

Die seit ihrer Einrichtung mehrfach erweiterte Site bietet verschiedene "Rubriken": eine täglich aktualisierte Presseschau, einen deutschlandweiten Veranstaltungskalender, eine Datenbank mit Basisinformationen zu den Gedenkstätten, eine öffentliche Plattform ("Public Newsgroup") für Ankündigungen, Anfragen, Texte und Kontaktaufnahmen sowie einen geschützten Diskussionsbereich mit antrags- und passwortabhängigem Zugang, der für spezifische Themen und Teilnehmer(innen) reserviert sein soll ("NetzwerkForum"). Thematisch wird ein breites Spektrum zugelassen, das von allgemeinen Fragen der Erinnerungskultur oder der Gedenkstättenpädagogik bis zu konkreten Problemen der Archivierung oder der Ausstellungsgestaltung reicht. Im Zentrum steht dabei jedoch immer das Gedenken an die Opfer und die Auseinandersetzung mit der NS-Herrschaft - eine wichtige Beschränkung, die weniger auf eine institutionelle Abschottungsstrategie verweist als vielmehr der historisch gewachsenen Struktur der NS-Gedenkstätten entspricht und einen deutlichen Akzent gegen die bedenkenlose geschichtspolitische Einebnung der "beiden deutschen Diktaturen" setzt. Man mag einwenden, dass diese Grenzziehung den Austausch mit den Gedenkstätten zur DDR-Vergangenheit erschwert; freilich steht sie einer pragmatischen, problemorientierten Kontaktaufnahme nicht im Wege.3

Der Aufbau der Site ist von drei vertikal verlaufenden Leisten geprägt: Auf der Linken findet sich gleichbleibend das Navigationsmenü, rechts gibt es ergänzende Verweise und in der Mitte die jeweils aufgerufenen Texte, Suchmasken und Datenbanken. Auf der Startseite präsentiert sich unter der Überschrift "Aktuelles" ein Kernstück des Forums: die Presseschau. Sie bietet Meldungen und Artikel vom Tage mit Überschrift, Kurztitel und Link, wobei die weite Fächerung des Angebots ins Auge fällt - berücksichtigt werden nicht nur die "üblichen Verdächtigen" unter den Printmedien mit ihren elektronischen Ablegern, sondern auch reine Internetpublikationen, stärker regional orientierte Zeitungen und Periodika, die nicht dem politischen "mainstream" entsprechen. Auch inhaltlich decken die ausgewiesenen Artikel ein breites Spektrum ab - von Buchbesprechungen und der Berichterstattung zu Gedenktagen über die regionalhistorische Spurensuche und denkmalschützerische Diskussionen bis zu dem Besuch des Bundespräsidenten in Israel oder der Auseinandersetzung mit den rechtsextremen Parteien. Dabei entsteht jedoch nicht der Eindruck von Beliebigkeit. Vielmehr gelingt es, inhaltliche Offenheit mit thematischer Fokussierung zu verbinden. Das Nebeneinander von Wikingerbootsbau und Weltkriegsreportage, das allgemein historische Portale bei ihren Presseschauen in Kauf nehmen müssen, begegnet hier nicht.

Die rechts von der Presseschau angelegte Leiste erschließt weitere zentrale Angebote des Forums: Neben einer Suchmaske für das "Newsarchiv" findet man hier die neuesten Links zu Veranstaltungen, Publikationen oder Forschungsprojekten. Das Gedenken an die Opfer des NS-Regimes wird in all seinen Facetten greifbar - Buchvorstellungen, wissenschaftliche Tagungen, Lesungen und Zeitzeugengespräche, Lerntage und Gedenkgottesdienste -, ohne dass jedoch die ordnende Perspektive verlorengehen würde. Die Beschränkung auf den Nationalsozialismus wird an dieser Stelle gelegentlich aufgebrochen, wenn es um Veranstaltungen zum Stalinismus, zur vergleichenden Diktaturforschung oder Fragen der "genocide prevention" geht.

Ist die Veranstaltungsübersicht möglichst umfassend angelegt, so sollte man in den Rubriken "Publikationen" und "Forschung" weder eine detaillierte Bibliographie zum Nationalsozialismus noch eine erschöpfende Aufstellung NS-historischer Forschungsvorhaben erwarten. Was der Nutzer oder die Nutzerin hier entdeckt, sind vielmehr Werke und Projekte, die in engem Zusammenhang mit den Gedenkstätten entstanden sind oder unmittelbar die pädagogische Arbeit betreffen - eine offenbar auch pragmatische Auswahl. Die "Public Newsgroup" stellt schließlich jenes Material bereit, das den sonstigen Rubriken nicht zuzuordnen ist: Stellenausschreibungen und Hinweise auf Demonstrationen "gegen Rechts", Kommentare zur Neugestaltung des "Topographie-Geländes", Protokolle und Stellungnahmen zu geschichtspolitischen Debatten (etwa dem umstrittenen CDU/CSU-Antrag zur "Förderung von Gedenkstätten zur Diktaturgeschichte in Deutschland"), Referattexte der zurückliegenden Gedenkstättenseminare oder Literaturlisten zur Gedenkstättenpädagogik.

Die über die Navigationsleiste auf der Linken anzuwählende Gedenkstättenübersicht - das mit Abstand am meisten "nachgefragte" Segment der Website - listet circa 100 Einrichtungen auf (Stand 2002) und verdeutlicht, mit welch eindrucksvollem Netzwerk man es in diesem Bereich mittlerweile zu tun hat. Eine Karte gewährt einen Überblick zur räumlichen Verteilung der Einrichtungen (die auf "ostdeutscher Seite" natürlich auch häufig dem Gedenken an die Verfolgungsmaßnahmen in der SBZ/DDR gewidmet sind), und mit Hilfe einer Suchmaske kann man thematische Schwerpunkte bei der Auswahl setzen: "KZ und Außenlager", "Euthanasie", "Kriegsgefangenenlager", "Polizei und Justiz", "NS-Verfolgungsapparat", "Regionale Gedenkstätten", "Jüdische Geschichte". Zu den ausgewählten Institutionen liefert die Übersicht jeweils eine kurze Zeitleiste mit Fotos, einführende Literaturhinweise, Angaben zum historischen Ort und Auftrag der Einrichtung sowie Adresse und weiterführenden Link - wobei diese "Verknüpfung" bei kleineren Gedenkstätten ohne eigenen Internet-Auftritt meist zu anderen Portalen wie dem des "Arbeitskreises der NS-Gedenkstätten in NRW"4 führt. Auch hier bewährt sich wieder das Konzept der Plattform: das Gedenkstätten Forum konkurriert nicht mit anderen Ressourcen, sondern bindet sie ein und fungiert so als Orientierungs- und Einstiegshilfe.

Diesem Zweck dient auch die Rubrik "Gedenkstättenrundbrief", unter der man bibliographische Angaben zu den Artikeln der seit 1983 erschienenen Hefte abrufen und im Volltext auf die seit 2000 publizierten Texte zugreifen kann. So ist ein Fundus von immerhin knapp 800 Einträgen entstanden, dessen Nutzbarkeit freilich durch eine bisweilen unübersichtliche Formatierung und das Fehlen von PDF-Versionen erschwert wird.

Eine umfangreiche, knapp 500 Einträge zählende Linksammlung rundet das Angebot ab. Das Gedenkstätten Forum verzichtet hier auf eine Einzelkommentierung; diese ist angesichts des engen thematischen Rahmens, strukturierender Kategorien ("Gedenkstätten", Museen", "Archive/Bibliotheken/Forschungseinrichtungen", "Pädagogische und bildungspolitische Einrichtungen", Verbände/Vereine/Sonstige", "Überblick") und der meist aussagekräftigen Seitentitel entbehrlich. Wie bei den anderen Datenbanksegmenten des Gedenkstätten Forums ist die innere Gliederung der ausgeworfenen Listen nicht immer stringent (alphabetische oder chronologische Sortierung werden meines Erachtens nicht konsequent durchgehalten), aber auch hier gibt es eine differenzierte und durchdachte Suchmaske, die es erlaubt, in den Datenbeständen schnell fündig zu werden.

Im Bezug auf die oft beschworenen Leitformeln des Internets - "Vernetzung", "Aktualität", "Multimedialität" - hat das Gedenkstätten Forum eine überzeugende zweckgebundene Lösung gefunden. Es vermeidet modische Applikationen und ist vor allem als vermittelnde Struktur definiert, die aktuelle Informationen zugänglich macht, Anschlüsse zu anderen Anbietern zur Verfügung stellt und thematische Filter setzt. Nicht nur Presseschau und Veranstaltungskalender, auch die anderen Angebote scheinen aktuell und gut gepflegt, es lassen sich nur wenige Doppelungen oder veraltete Adressen in der Linkliste erkennen.5 Eine wichtige Einschränkung, auf die auch die Betreiber des Forums aufmerksam machen, betrifft allerdings das "Newsarchiv": Da viele Zeitungen ältere Inhalte wieder aus dem Netz nehmen oder den Zugriff auf ihre Artikelsammlungen nur noch gegen Bezahlung freigeben, finden sich bei weiter zurückliegenden Einträgen immer wieder tote Links. So sorgt die fortschreitende Kommerzialisierung des Internet dafür, dass das "Newsarchiv" über kurz oder lang seine Textbasis verliert.

Den aktuellen Entwicklungen in der Gedenkstättenlandschaft und der Internationalisierung der Erinnerung, die dem Forum auch zahlreiche Zugriffe aus dem Ausland beschert, versucht man auf mehreren Ebenen gerecht zu werden: Die Kernbereiche des Forums sind mehrsprachig angelegt; die Redaktion kooperiert mit der "Task Force for International Cooperation on Holocaust Education, Remembrance and Research" 6 und plant auch eine Erweiterung der Site mit Bezug auf den globalen Kontext. So ist für das erste Halbjahr 2005 eine Ausdehnung der Gedenkstättenübersicht auf bedeutende internationale Einrichtungen, Museen und andere Institutionen der historischen Bildungsarbeit geplant, und seit Herbst 2002 lässt sich vom Gedenkstätten Forum aus eine weitere Plattform erreichen, die strukturell dem Forum nachempfunden ist: die Website des 2001 gegründeten "International Commitee of Memorial Museums in Remembrance of the Victims of Public Crimes"(IC Memo).7 Welche Funktion diese Plattform künftig übernehmen wird, scheint jedoch offen. Die Infrastruktur ist vorhanden, die Zahl der Einträge aber noch überschaubar.

Und wie steht es mit der "Interaktivität"? Spuren einer über das Internet vermittelten weitergehenden Interaktion tauchen im Gedenkstätten Forum nur gelegentlich auf. Kommentare sind in der sonst gut genutzten "Public Newsgroup" spärlich, und ausführliche Diskussionen lassen sich auch im geschützten Bereich des "NetzwerkForums" nicht ausmachen.8 Doch was besagt dies? Meines Erachtens verweist es eher auf die subsidiären Funktionen des Mediums als auf sporadischen Austausch. Während die Internetplattform für die Klärung von Spezialfragen und Übermittlung allgemeiner Informationen ein gutes Umfeld liefert, findet ein Großteil der Kommunikation zwischen den Gedenkstätten weiterhin jenseits des "virtuellen Raumes" statt. Die regelmäßig durchgeführten Gedenkstättenseminare mit ihren Arbeitsgruppen und informellen Kontaktmöglichkeiten dürften das eigentliche "Forum" der Praktiker(innen) sein.

Für die an der NS-Vergangenheit interessierten Historikerinnen und Historiker ist das Gedenkstätten Forum nicht nur hilfreiches Instrument, sondern auch Dokument. Denn über die Presseschau und den Veranstaltungskalender liefert die Site - das zeigt sich nicht zuletzt im Gedenkjahr 2005 - wertvolle Hinweise zu den Konjunkturen und thematischen Verschiebungen im Umgang mit der NS-Vergangenheit; sie erzeugt gewissermaßen ein Find- und Katalogbuch erinnerungspolitischer Aktivitäten. Schließlich lässt sich in der Anlage des Forums auch ein verstecktes Statement sehen: für eine differenzierte und dezentrale Struktur, in der die Ausprägungen des NS-Terrors ebenso wie das Gedenken am besten abgebildet sind.

Anmerkungen:
[*] Nicht zur Debatte steht an dieser Stelle die jüngst von Götz Aly in der "Süddeutschen Zeitung" vom 1.3.2005 und von Ulrich Herbert in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 4.3.2005 vorgetragene Kritik an den Berliner Gedenkstätten und der "Topographie des Terrors" (vgl. http://www.topographie.de/user/press.php). Die zentralen Punkte dieser Kritik (zur organisatorischen Struktur der Gedenkstätten sowie dem wissenschaftlichen und didaktischen Stand der "vor Ort" gezeigten Ausstellungen) betreffen nicht das hier besprochene "Gedenkstätten Forum".
1http://141.35.114.211:8080/Gedenkstaettenforum/was.htm
2 Vgl. die Hinweise in http://www.topographie.de/gedenkstaettenforum/presse/texte.htm; http://141.35.114.211:8080/Gedenkstaettenforum/FMPro?-db=GFFOR.FP5&-lay=detail&-format=pf_res.htm&GFFORSNR=1380&-findR=1380&-find; http://141.35.114.211:8080/Gedenkstaettenforum/FMPro?-db=GFFOR.FP5&-lay=detail&-format=index_content.htm&-token.0=2482&-token.1=PublicNewsgroup&GFFORSNR=2482&-find;GFFORSNR=2482&-find
3 Ansätze für einen derartigen Austausch finden sich punktuell im Gedenkstätten Forum; er bietet sich schon deswegen an, weil viele "ostdeutsche" Einrichtungen eine "doppelte" Vergangenheit thematisieren.
4http://www.ns-gedenkstaetten.de/nrw/eingang/index.php
5 Wobei dies angesichts der geringen personellen Ressourcen nur mit Mühe zu gewährleisten ist; vgl. die Anmerkung von Thomas Lutz unter http://141.35.114.211:8080/Gedenkstaettenforum/FMPro?-db=GFFOR.FP5&-lay=detail&-format=index_content.htm&-token.0=2482&-token.1=PublicNewsgroup&GFFORSNR=2482&-find;GFFORSNR=2482&-find.
6 Vgl. http://141.35.114.211:8080/Gedenkstaettenforum/FMPro?-db=GFFOR.FP5&-lay=detail&-format=index_content.htm&-token.0=2482&-token.1=PublicNewsgroup&GFFORSNR=2482&-find;GFFORSNR=2482&-find und http://taskforce.ushmm.org/affiliated/.
7http://141.35.114.211:8080/icom/index.htm
8 Inwieweit geschlossene projektbezogene Foren genutzt werden, kann der Rezensent natürlich nicht beurteilen.

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