Obwohl die Geschichtsforschung bis jetzt vom Text dominiert wird, gab es immer auch Versuche, visuelles Material zu nutzen. Generell war das Interesse am Bildlichen dort groß, wo textliche Überlieferungen rar waren, wie zum Beispiel in der Mittelaltergeschichte und in der Geschichte der Frühen Neuzeit. Dennoch wird das Bild erst seit relativ kurzer Zeit als eine eigenständige historische Quelle wahrgenommen, in der Geschichtswissenschaft geschieht dies im Rahmen der Historischen Bildkunde1. Auch in der Erziehungsgeschichte hat man in den letzten beiden Jahrzehnten begonnen – zum Teil unabhängig voneinander – Bilder als Quellen für die Erziehungsgeschichte zu entdecken.2
Allerdings standen und stehen Forscher/innen, die für (erziehungs)historische Untersuchungen Bildmaterial systematisch nutzen möchten, vor spezifischen Problemen der Quellenbeschaffung – es gibt bisher kein systematisch erschlossenes und nach einheitlichen Kriterien geordnetes bzw. beschriebenes erziehungswissenschaftliche Bildarchiv, sondern lediglich disparate, durch unterschiedliche Forschungs- oder Sammlungsinteressen charakterisierte Sammlungen an verschiedenen Orten. Zwar kann man auch auf gedruckte erziehungswissenschaftliche Quellensammlungen zurückgreifen – exemplarisch sei hier Robert Alts zweibändiger "Bilderatlas zur Schul- und Erziehungsgeschichte" (1960-65) genannt – aber das darin versammelte Bildmaterial unterlag natürlich auch bestimmten Auswahlkriterien. Hinzu kommt, dass jeder, der Bilder als Quellen zur Forschung nutzen möchte, mit diversen Rechtsproblemen konfrontiert ist – Urheber-, Verwertungs- und ggf. auch Persönlichkeitsrecht machen die Verwendung, Reproduktion und Veröffentlichung von Bildern problematisch.
Die Arbeit mit Bildern als Quellen ist dadurch erheblich erschwert – sicher einer der Gründe, warum Bildquellen vergleichsweise wenig genutzt werden, ein anderer sind die vielfältigen methodischen Probleme, die sich im Zusammenhang mit der Erschließung visuellem Materials stellen, doch davon soll hier heute nicht die Rede sein.
Mit dem Projekt Pictura Paedagogica Online (PPO) sind bereits konkrete Schritte unternommen, die themenbezogene Quellenrecherche zu erleichtern, denn seit 2001 bietet es ein virtuelles Bildarchiv an, in dem aus drei Sammlungen bildungsgeschichtlich relevante Bilder und Abbildungen als Einzelbilder erfasst und unabhängig von deren Standort zusammengeführt sind:
1. Die Sammlung "Alte Drucke" der BBF Berlin aus pädagogischen Werken von 1485 bis 1830.
2. Das Bildarchiv des Instituts für Angewandte Erziehungswissenschaft und Allgemeine Didaktik an der Universität Hildesheim, das seit 1982 unter der Leitung von Rudolf W. Keck systematisch aufgebaut wurde. Dabei handelt es sich vor allem um fotografische Reproduktionen aus den Beständen der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel und der Niedersächsischen Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, vom Mittelalter bis etwa 1900.
3. Die Ansichtkartensammlung (1870-1933) des Erziehungswissenschaftlers und Lehrers Dr. Otto May aus Hildesheim.
Ungefähr die Hälfte der Bilder aus diesen Beständen sind bis jetzt über die Datenbank recherchierbar, d.h. ca. 28 000 Abbildungen (in der Hauptsache Holzschnitte, Kupferstiche, Photodrucke) aus fast 500 Jahren Bildungsgeschichte. Das Angebot erfreut sich eines wachsenden Zuspruchs, seit 2001 hat sich die Anzahl der Zugriffe etwa vervierfacht. Pictura Paedagogica Online ist ein Kooperationsprojekt zwischen der Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung (BBF), Berlin und dem Institut für Angewandte Erziehungswissenschaft und Allgemeine Didaktik der Universität Hildesheim und wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanziert. Das Projekt befindet sich derzeit in der zweiten Phase, die 2006 abgeschlossen sein wird.
Für die Wissenschaftlerin ist nun vor allem interessant, wie sie diese Datenbank für ihre Forschungen nutzbringend einsetzen kann. Es gibt mehrere Wege, sich einen Überblick über das Profil und die Leistungen des virtuellen Archivs zu verschaffen. Wer sich zunächst einen allgemeinen Eindruck vom dem verschaffen möchte, was die Datenbank enthält, sollte damit beginnen, im zeitlich geordneten Gesamtbestand - nach Jahrzehnten sortiert von 1490-1930 - zu stöbern. Anschließend kann man im Menüpunkt "Einfache Suche" mit gängigen Schlagwörtern oder eigenen Stichwörtern probieren, was sich hierzu finden lässt. Die Suche ist mit zwei Eingabefeldern ausgestattet "Stichwort/Schlagwort" und "Entstehungszeit (von-bis)". Die von mir willkürlich gewählte Kombination von "Unterricht" und "1900" führte z.B. zu einer alphabetisch geordneten Liste von fünf Thumbnails mit den Basisdaten der Bilder. Auf dieser Liste lässt sich jedes Thumbnail einzeln anklicken, die damit geöffnete Ebene enthält neben einer ansprechenden Vergrößerung auch sämtliche zum Bild erfassten Daten (ikonografische Details, Herkunft, Entstehungszeit, Autor/Hersteller, Stich-/Schlagwörter, techinsche Daten, Rechtinhaber u.v.a.m.). Außerdem bietet diese Ebene weitere interessante Verknüpfungs- und Recherchemöglichkeiten, z.B. lassen sich andere Bilder des gleichen Fotografen oder der Werkstatt finden oder über Stich- und Schlagwörter sowohl thematisch als auch ikonografisch assoziierte Bilder aufrufen. Soweit ich es überprüfen konnte, haben alle Bildscans eine gute Qualität und können von der Bildschirmansicht als direkter Download (75 dpi) dem eigenen Untersuchungsbestand hinzugefügt werden. Unabdingbar für eine wissenschaftliche Bildforschung, aber für Bildarchive durchaus nicht selbstverständlich, ist die Erfassung des Bildkontextes zum Bild, bei PPO erhält man zur Buchillustration sowohl ausführliche Angaben zu Bildautoren/Werkstätten, Erscheinungsjahr und Ort, als auch einen Scan der gesamten Buchseite und ebenso ganzer Textpassagen, auf die sich Illustrationen häufig beziehen.
Für einen guten Ausdruck bzw. für die Veröffentlichung wird die Bildvorlage in der Auflösung von 75 dpi jedoch nicht hinreichend sein, zu diesem Zweck kann man einen 300dpi-Ausdruck zum Preis von 15 Euro zzgl. Porto und Verpackung ordern – im Moment noch telefonisch. In Zukunft soll diese Funktion auch online über den Warenkorb zur Verfügung stehen. In jedem Fall sollten in diesem Preis die Gebühren für eine (wissenschaftliche) Publikation enthalten sein – die Formulierungen in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind diesbezüglich noch nicht eindeutig.
Für die differenzierte Suche wird man die Expertenmaske "Erweiterte Suche" nutzen, die Verknüpfungsmöglichkeiten der verschiedenen Kategorien der Erschließung ermöglicht. Sie enthält auch Indexverzeichnisse der Such/Schlagwörter, Personen und Epochen. Außerdem ist von hier aus der Zugriff auf die Bibliotheksdatenbank angelegt, um gleichzeitig die gedruckte bzw. elektronische Literatur zum Thema zu erfassen. Neben der Standard- und der Expertensuche kann man über den Menüpunkt "Bücher" über die Buchtitel zum Bild gelangen, des Weiteren über das Verzeichnis der erfassten Zeitschriften oder über die Autoren bzw. auch dargestellte Personen.
Nicht empfehlenswert ist hingegen, sich die Datenbank über den Menupunkt "Nutzungshinweise" zu erschließen, da sie den Erstnutzer verwirren und auch für den eingelesenen Benutzer eine Herausforderung darstellen. Die Einführung in die Nutzung sollte im Zusammenhang mit der Installation einer Hilfefunktion - die auf den Seiten zwar als Link angelegt ist, aber bis jetzt noch nicht funktioniert - neu strukturiert und vereinfacht werden. Überhaupt lässt sich zum Handling sagen: so überzeugend das Angebot inhaltlich ist und so beeindruckend Menge und Qualität der Bilder sind, so unzulänglich scheint in mancher Hinsicht noch Struktur und Design des Internetauftritts. Da sich die Website zurzeit in der Überarbeitung befindet, könnten die folgenden Hinweise helfen, das Angebot Pictura Paedagogica Online für Benutzer leichter zugänglich zu machen.
So sollte gleich der Begrüßungsbildschirm von PPO Informationen bieten, um welche Art Internetangebot es sich handelt, bisher ist man dafür auf die Projektbeschreibung angewiesen, die aber mit ca. neun Seiten für eine erste Orientierung zu umfangreich ist. Die "erweiterte Suche" wirkt mit ihren ausdifferenzierten Suchfunktionen, die z.B. sowohl nach Entstehungszeit (frühestens und spätestens), nach dargestellter Epoche (mit einem Index der Epochenschlagwörter) und nach dargestellter Zeit (frühestens und spätestens) modifizierbar ist, schwerfällig. Doch ließe sich hier einwenden, dass diese Unterscheidungen bei sehr großen Datenmengen in Zukunft durchaus sinnvoll werden könnten.
Dagegen ist das Angebot des Menüpunktes "Personen" schlecht präsentiert, sowohl das Eingabefeld "Aufblättern" als auch die Aufforderung zur Auswahl aus der Liste unterstrichener Begriffe, schaffen Ratlosigkeit, denn es gibt keine Liste. Die zur Nutzung nötigen Informationen – dass sich eine Personenliste erst nach der Eingabe von Namen oder Wortstämmen öffnet, und dass darin sowohl Bildautoren, abgebildete Personen und Buchautoren erfasst sind - muss man sich durch das mühsame Studium der Nutzungshinweise recht umständlich erarbeiten. Während also hier erklärende Hinweise fehlen, erweisen sich andere als überflüssig. Z.B. zeigen Unterstreichungen in den Indexverzeichnissen (der Personen, Stichwörter usw.) an, dass diese Begriffe für die Suche aktivierbar sind. Das findet man erstens schnell selbst heraus und weil zweitens ohnehin fast alle Begriffe unterstrichen sind, erübrigen sich eigentlich die stereotyp wiederholten Aufforderungen zum Gebrauch unterstrichener Begriffe. Eine Erklärung für das Phänomen, dass einige der Begriffe fett gedruckt erscheinen und andere nicht, habe ich hingegen nicht gefunden. Zusammenfassend kann man sagen, dass eine Vereinfachung und Präzisierung der erläuternden Textteile, verständliche Felderbeschriftungen und Überschriften, eine übersichtlichere und ansprechendere grafische Gestaltung sowie die Sortierung der Textteile nach Informationswert für den Nutzer die Attraktivität dieses Internetangebotes zusätzlich erhöhen könnte.
Das Anliegen des Projektes PPO – Zusammenführen disparater Bestände, einheitliche Ordnung und Beschreibung – ist uneingeschränkt zu begrüßen, zumal auf diese Weise auch sehr alte Bildbestände konserviert und recherchierbar geworden sind, die im Original gar nicht mehr zugänglich sind. Es wäre für die Zukunft zu wünschen, wenn das die Integration bereits bestehender pädagogischer Bildsammlungen wie etwa die zur Reformpädagogik in Hamburg oder zur Jugendbewegung auf der Burg Ludwigstein bzw. von anderen Schulmuseen weiter gelingen könnte. Auf jeden Fall sind zunächst die Bildbestände aus den pädagogischen Nachlässen des Archivs der BBF mit Spannung zu erwarten.
1 Wohlfeil, R.: Das Bild als Geschichtsquelle. In: Historische Zeitschrift 243 (1986), S. 91-100; Jäger, J.: Photographie: Bilder der Neuzeit. Einführung in die Historische Bildforschung. Tübingen 2000
2 vgl. Schmitt, H./Link, J.-W./Tosch, F. (Hrsg.): Bilder als Quellen der Erziehungsgeschichte. Bad Heilbrunn 1997.