Die dänische Website "Holocaust Education", die unter dem angegebenen Link in großen Teilen auch in englischer Sprache abgerufen werden kann, bietet eine für das Internet konzipierte Überblicksdarstellung des Holocaust und seiner Hintergründe. Das im Jahr 2002 freigeschaltete Angebot wurde von zwei Magistranden in Zusammenarbeit mit dem geschichtswissenschaftlichen Institut der Universität Kopenhagen erstellt. Nach eigenen Angaben richtet sich die Ressource an Schüler der Oberstufe. Sie dürfte als verhältnismäßig umfangreiches und nüchternes, aber doch gut lesbares interaktives "Handbuch" zum Thema aber auch für jüngere Schülerinnen und Schüler sowie für Studierende, die sich einen Einstieg in den Themenkomplex erarbeiten wollen, nützlich sein.
Offizieller Träger der Web-Ressource ist das – institutionell nicht leicht zu greifende – Danish Centre of Holocaust and Genocide Studies (DCHF), das als "Department of Holocaust and Genocide Studies" zum staatlichen Danish Institute for International Studies (DIIS) gehört. "Holocaust Education" stellt sich aber kaum als professioneller Internet-Auftritt einer Institution dar. Eher sollte die Site als engagierter Beitrag und ambitioniertes Versuchsobjekt zweier Hochschulabgänger betrachtet werden. Um es vorweg zu sagen: Dass es sich um ein auf die größere Öffentlichkeit zielendes Projekt von institutionell nur lose gebundenen Einzelnen handelt, bedingt die Schwächen wie auch die Stärken von "Holocaust Education". In jedem Fall ist die dänische Site ein interessantes Gegenstück zu wissenschaftlich ambitionierten und offen angelegten Internet-Foren wie der deutschen Seite "Shoa.de" 1 oder zu pädagogisch, technisch und grafisch hoch profilierten Angeboten wie etwa der "Holocaust Encyclopedia" des United States Holocaust Memorial Museum (USHMM).2 In "Google" nimmt das Angebot des DCHF unter dem Suchbegriff "holocaust education" immerhin Platz 26 von insgesamt weit über 3 Mio. Treffern ein (Abruf Anfang Mai 2005).
Von bekannteren und größer angelegten Internetseiten zum Themenbereich unterscheidet sich "Holocaust Education" augenfällig durch seine schlichte technische und grafische Gestaltung. Es gibt keine Audio- oder Videoangebote, auch Bilder und grafische Elemente spielen eine deutlich untergeordnete Rolle. Die Vermittlung wird durch den klar gegliederten und in einfacher Sprache gehaltenen Text geleistet. Dieser ist in der hier besprochenen englischen Version im Allgemeinen gut lesbar. Nur in wenigen Fällen entstellen Unsicherheiten und Flüchtigkeiten der nicht muttersprachlichen Autoren den Sinn (so etwa, wenn von "immigration" statt von "emigration" die Rede ist). Tatsächlich störend wirkt es jedoch, dass eine ganze Reihe von Elementen dann doch nur in dänischer Sprache abrufbar ist (dies gilt z. B. für die meisten Einträge des die Darstellung ergänzenden "Dictionary"). Hier gewinnt man den Eindruck, dass das von wenigen Beteiligten getragene ehrgeizige Projekt kurz vor seiner Vollendung stecken geblieben ist – und tatsächlich scheint das letzte Update Ende 2003 vorgenommen worden zu sein.
Die Zentralerzählung der Website zerfällt in insgesamt 28 einen eigenen Link darstellende Kapitel, die jeweils auch in einer Druckversion abrufbar sind. Diese Einträge sind im Anschluss an ein einleitendes Kapitel in drei Blöcken angeordnet: "Background", "The Holocaust" und "Aftermath". Chronologisch wird damit ein Spektrum aufgespannt, das vom mittelalterlichen Antijudaismus bis zur Geschichte der Leugnung des Holocaust und zu gegenwärtigen neofaschistischen Tendenzen reicht. Die Autoren Brian Larsen und Peter Vogelsang wahren dabei aber durchaus den Bezug zum Zentralereignis des Holocaust, dem in der Darstellung auch quantitativ das größte Gewicht zukommt.
Wie bei einem Handbuch können die Kapitel konsekutiv als umfassende Erzählung wie auch einzeln im Sinne einer Enzyklopädie gelesen werden. Ihre Länge schwankt im Ausdruck zwischen einer und neun relativ eng beschriebenen Druckseiten. Für Jugendliche – als eigentliche Hauptzielgruppe der Site – könnten die Texte damit bereits zu umfangreich sein. Die Lektüre wird jedoch durch die einfache und klare Sprache sowie durch Unterteilung in deutlich kenntliche Sinnabschnitte erleichtert. Am Anfang jedes Kapitels steht ein knapper Überblickstext. Querverlinkungen führen ungeduldige Leser dann direkt zu den verschiedenen Unterkapiteln. Am Ende der Einzelseite bzw. des Einzelkapitels werden jeweils unterschiedliche Links zu verwandten Kapiteln angeboten, so dass sich wahlweise die Möglichkeit bietet, aus einer chronologisch organisierten Lektüre auszubrechen. Ein bloßes "Buch im Internet" ist "Holocaust Education" also trotz der Textlastigkeit nicht geworden.
In die Darstellung sind auch sparsame Links eingestreut, die zu kurzen biografischen Skizzen, Karten oder Quellentexten, selten auch zu externen Seiten (etwa dem Internetauftritt des Hauses der Wannseekonferenz) führen. Leider sind die angebotenen Karten (die überwiegend aus der "Holocaust Encyclopedia" des USHMM kopiert wurden) sehr unübersichtlich – kurze Erklärungen des Materials wären hier hilfreich gewesen. Bedauerlich erscheint es zudem, dass die durchaus sinnvoll ausgewählten Quellentexte nur in dänischer Sprache vorliegen. Wesentliche Kapitel werden durch eine kurze Literaturliste abgeschlossen. Diese ist gut zusammengestellt und relativ aktuell, geht aber möglicherweise am eigentlichen Zielpublikum der Seite vorbei.
Neben der Zentralerzählung zum Holocaust und den in sie eingebundenen weiterführenden Links bietet "Holocaust Education" verschiedene eigens abrufbare Zusatzmaterialien, unter anderem ein nicht zu knappes biografisches Lexikon, eine brauchbare Chronologie des Holocaust, eine Gesamtbibliografie sowie eine kommentierte knappe (und gerade darum gut brauchbare) Linksammlung. Einige weitere Zugaben sind nur in dänischer Sprache abrufbar. Dies gilt leider auch für die didaktisch-pädagogische Sektion der Seite ("For Teachers"). In Übersetzung zur Verfügung steht eine Einheit, die sich eigens noch einmal an Schülerinnen und Schüler wendet: Hier findet man unter anderem Themenvorschläge für Hausarbeiten, die aber allzu global und abgegriffen erscheinen. Hier wird noch einmal deutlich, dass es diesem Internet-Angebot an einer klaren Vermittlungsabsicht bzw. einer fundierten, explizit gemachten und konsequent durchgehaltenen pädagogischen Zielsetzung fehlt.
Der Mangel an pädagogisch zugespitzten Vermittlungsabsichten könnte im Zusammenklang mit anderen Angeboten zum Thema aber vielleicht auch wieder eine Stärke sein. Denn interessant ist diese elektronische Ressource zum Holocaust vielleicht vor allem aufgrund ihres verhältnismäßig sparsamen Einsatzes nicht nur von technischen Spielereien, sondern vor allem von inszenatorischen Mitteln. Im Unterschied zu vielen anderen auf öffentliche oder pädagogische Wirksamkeit zielenden Beiträgen zum Thema – innerhalb und außerhalb des World Wide Web – versucht "Holocaust Education" gar nicht erst, die unbestreitbare Aporie der bloßen Fakten-"Information" durch die Simulation von Stimmungen und Identifikationen zu ergänzen.
Wahrscheinlich ist es vor allem den spezifischen Entstehungsbedingungen der Seite geschuldet, dass sie die inzwischen wohl recht fest etablierte Erwartung einer umfassenden Einheit von Gedenken und Information auf zwei Ebenen unterläuft. Denn zum einen verzichtet "Holocaust Education" – im Widerspruch zur gleichnamigen pädagogischen Disziplin – auf eine "biografische Perspektive", also auf die Schilderung individueller Schicksale von Opfern der Verfolgung bzw. Ermordung durch das nationalsozialistische Deutschland und damit auf Identifikationsangebote, die eine einfühlende Anteilnahme möglich machen oder möglich zu machen scheinen. Zum anderen kommt die Site dem Bedürfnis nach einer Ästhetisierung der Erinnerung, also nach ausdrucksstarken, den Rezipienten tatsächlich oder vermeintlich unmittelbar berührenden Farben und Tönen für das Unvorstellbare nicht nach. Stattdessen scheinen die Autoren mit einiger Ernsthaftigkeit bemüht gewesen zu sein, den Wahnsinn des Verbrechens Holocaust gleichsam faktisch in den Griff zu bekommen – womit freilich auch seine methodischen und interessengeleiteten Aspekte deutlicher sichtbar werden. Sicher ist dies nicht der einzige und wahrscheinlich auch nicht der beste Weg der Auseinandersetzung mit dem Thema. Dass die Seite aber gerade aufgrund ihres inszenatorisch nüchternen, am Allgemeinen von "Strukturen", "Fakten" und "Zahlen" orientierten Zugangs zu berühren vermag, könnte zur kritischen Auseinandersetzung mit problematischen Aspekten des augenblicklichen Erinnerungsdiskurses einladen.
Anmerkungen:
1 Shoa.de ist unter der URL http://www.shoa.de/ abrufbar. Die Site wurde im Oktober 2003 von Wolfram Dornik für Clio-online und H-Soz-u-Kult besprochen: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=15&type=rezwwwzwww.
2 Die "Holocaust Encyclopedia" des United States Holocaust Memorial Museum ist unter der URL http://www.ushmm.org/wlc/en/ abrufbar. Sie bietet eine Art Online-Ausstellung zum Thema, die auch viele Bild- und einige Filmdokumente umfasst, und den Holocaust unter anderem an Einzelschicksalen greifbar zu machen versucht. In diesem Zusammenhang wäre unbedingt auch das vielseitige Internet-Angebot von Yad Vashem zu nennen: http://www.yadvashem.org/.