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Titel
Afrika - Hamburg [Deutsche Kolonialgeschichte].
Autor(en)
Jokinen <info@culturcooperation.de>
Veröffentlicht durch
CulturCooperation e.V.: Hamburg, DE <http://www.culturcooperation.de/>
Enthalten in
Von
Larissa Förster, Institut für Völkerkunde, Universität Köln

Seit den 100-Jahr-Gedenkfeiern zur Erinnerung an die Kolonialkriege im damaligen »Deutsch-Südwestafrika« und »Deutsch-Ostafrika« (heute Namibia und Tanzania), d.h. seit 2004/2005, ist auch im Netz das Angebot an Websites, die sich der kritischen Auseinandersetzung mit deutscher Kolonialgeschichte widmen, gestiegen. Entsprechende Initiativen, Projekte und Aktivitäten von Wissenschaftlern, Künstlern und NGOs sind gut dokumentiert (z.B. die Gedenkaktivitäten zum Maji-Maji-Krieg unter www.maji-maji.de, sowie eine zurückliegende Hamburger Veranstaltungsreihe unter www.hamburg-postkolonial.de). Gleichzeitig sind Sites wie »afrika-hamburg.de«, »Spuren des Kolonialismus in Hannover« (www.koloniale-spuren.de; rezensiert an dieser Stelle am 5.3.2005) und »freiburg-postkolonial.de« entstanden, die sich der kolonialen und postkolonialen Geschichte einzelner deutscher Städte widmen, um aus lokaler Perspektive einen Beitrag zur Diskussion zur leisten.

Die Website »afrika-hamburg.de«, die seit Oktober 2004 besteht, geht von der Stadtgeschichte Hamburgs aus und beleuchtet koloniale und postkoloniale Verflechtungen mit den Ländern der ehemaligen deutschen Kolonien, allen voran mit dem heutigen Tanzania. Allerdings ist sie keine systematisch angelegte Informationsplattform, sondern dokumentiert zunächst einmal das Kunstprojekt einer freischaffenden Hamburger Künstlerin, die unter dem Namen Jokinen auftritt. Jokinen hat im Oktober 2004 ein Hamburger Kolonialdenkmal, das Bildnis des Kolonialoffiziers und »Reichskommissars von Deutsch-Ostafrika« Hermann von Wissmann, im Hamburger Hafen wieder aufgestellt. Das Wissmann-Denkmal war im Jahr 1968 von Hamburger Studenten gestürzt und seither in einem städtischen Depot gelagert worden. Von Wissmann, der die Kolonisierung mit äußerst brutalen Methoden vorantrieb, war von vielen seiner Zeitgenossen einst als »Kolonialheld« gefeiert worden &#8722; in fast jeder deutschen Großstadt gab oder gibt es eine Wissmannstraße, die den Mythos vom kolonialen Helden bis heute fortschreibt.

Mit der Wiederaufstellung des Denkmals lud die Künstlerin ein, sich mit der Geschichte des Denkmals und mit deutscher Kolonialgeschichte insgesamt erneut und kritisch auseinanderzusetzen. Mit einer Hamburger Schule führte Jokinen einen Workshop durch, ließ am Denkmal literarische Lesungen veranstalten und forderte Passanten dazu auf, über das weitere Schicksal des Denkmals im Internet abzustimmen. Durch diese Intervention im öffentlichen Raum stieß die Künstlerin eine höchst lebendige, zeitweise auch kontroverse Diskussion über die Hamburger Kolonialgeschichte an, die &#8722; wie im Debattenforum und im Pressespiegel auf der Website nachzulesen ist &#8722; Hamburger Zeitungen, BürgerInnen und RepräsentantInnen der Stadt zu teils engagierten Stellungnahmen bewegte.

All diese Aktionen und Reaktionen sind auf der Website dokumentiert. Sie geben ein aufschlussreiches Bild vom Stand der öffentlichen Diskussion in Bezug auf das Thema deutscher Kolonialismus am Ende des Jahres 2005, als mit der Rückkehr der Wissmann-Statue ins städtische Depot das Kunstprojekt und die Begleitaktionen im Netz endeten. Darüberhinaus liefert die Seite ausführliche Hintergrundinformationen über die wechselhafte Geschichte des Denkmals und über die Biografie von Wissmanns (Autor: Thomas Morlang), sowie eine höchst informative Zusammenstellung weiterer Denkmal-Initiativen der Jahre 2004/05 (Autor: Joachim Zeller). Alle genannten Beiträge reflektieren die Bedeutung von Denkmälern im öffentlichen Raum für die Konstruktion und Dekonstruktion von Geschichtsbildern. EINE Informationslücke allerdings bleibt &#8722; und dies ist in gewisser Weise symptomatisch für die Schwächen des kollektiven Gedächtnisses in Bezug auf die deutsche Kolonialgeschichte: Die im Denkmal zu Füßen von Wissmann dargestellte Figur des »treuen Askari«, eines afrikanischen Mitglieds der deutschen Kolonialtruppe, wird nur en passant erläutert; ihr wird auch im Projekt »afrika-hamburg.de« kein eigenes Gesicht verliehen. Dabei rankt sich auch um die Askari ein kolonialer Mythos, den zu reflektieren und dekonstruieren sich gelohnt hätte - zumal in den letzten Jahren auch die Forschung auf diesem Gebiet intensiviert worden ist.

Über die Denkmal-Aktion hinausgehend sind auf der Website zahlreiche weitere Hamburger Kolonialdenkmäler, auf die Kolonialzeit verweisende Straßennamen, sowie Gebäude und Firmen zusammengestellt, die in der Kolonialzeit gebaut und gegründet wurden bzw. durch den kolonialen Handel florierten. Fotoserien mit erläuternden Texten und zahlreiche interne Links laden zum Surfen ein und dürften manchem Stadtinteressierten die Augen für die koloniale Vergangenheit Hamburgs öffnen. So lässt sich deutsche Kolonialgeschichte mit dem Fokus Hamburg auf der Seite »afrika-hamburg.de« visuell höchst anschaulich erschließen. Dabei wird deutlich, dass das künstlerische Nachdenken über Stadtraum und Stadtgeschichte der wissenschaftlichen Reflexion in seiner Wirkung auf eine größere Öffentlichkeit oft voraus ist: Die Mittel der Kunst können sichtbar machen, was die Wissenschaft mit ihren herkömmlichen Vermittlungsmedien Buch, Vortrag und Tagung nur schwer einem größeren Publikum zu veranschaulichen vermag. Künstlerische Eingriffe können Diskussionsanstöße geben, wo Wissenschaft eher Erklärungen liefert.

Doch hier liegt auch das Problem der Website: Wer nicht aufmerksam danach sucht, entdeckt hinter dem »wir« in der Projektdarstellung erst allmählich vor allem die Künstlerin selbst. Sie ist nicht nur Urheberin des Projekts, sondern auch der Seite, und damit &#8722; bis auf die wenigen genannten Ausnahmen &#8722; auch die Verfasserin sämtlicher Texte, was allerdings nicht gekennzeichnet ist. Entsprechend sind nicht alle der zahlreichen und manchmal sehr wortreichen Beiträge gleich und ausreichend präzise. Etwas dürftig ist die Beschränkung der Rubrik »Stichworte« (www.afrika-hamburg.de/stichworte.html) auf die Biografien der zwei Kolonialmilitärs Hans Dominik und Paul von Lettow-Vorbeck, während sich unter »Zitate« (www.afrika-hamburg.de/zitate.html) eine Liste unzähliger Aussprüche von Kolonialakteuren und deren Kritikern findet, die ohne Kommentierung nur schwer zu verdauen und einzuordnen ist. Beliebig erscheint der Verweis auf ein einziges »anderes Kunstprojekt« zum Thema, das sich &#8722; im Gegensatz zu bekannteren Projekten, die hier unerwähnt bleiben &#8722; gar nicht wirklich mit Kolonialgeschichte befasst (www.afrika-hamburg.de/kunstprojekte.html). Dass über andere Projekte Jokinens auf der Seite nichts zu erfahren ist, mag man einerseits als bescheidenes Zurücktreten der Künstlerin hinter das Projekt »afrika-hamburg.de« werten, andererseits unterstreicht es das Fehlen eines klaren Bekenntnisses zur individuellen Autorschaft der gleichnamigen Seite, wo doch an anderer Stelle eher unverhohlen die Werbetrommel für die eigene gute Sache gerührt wird. Die Auswahl des Materials ist also mitunter eher subjektiv und assoziativ. Im künstlerischen Diskurs ist dies zwar völlig legitim, für eine zielgerichtete, sachorientierte Recherche auf der Seite ist es jedoch manchmal hinderlich. Eingeräumt werden muss auch, dass die Seite seit dem Ende der Kunstaktion im November 2005 nur noch an wenigen Stellen aktualisiert wird (www.afrika-hamburg.de/aktuelles.html).

Dafür findet sich unter den Aktualisierungen das höchst interessante Konzept für einen »Park Postkolonial« in Hamburg, ebenfalls erstellt von Jokinen. In Abgrenzung zum umstrittenen »Tansania-Park«, in dem jüngst zwei Kolonialdenkmäler ohne jegliche kritische Kommentierung wieder aufgestellt wurden, schlägt die Künstlerin vor, sämtliche koloniale Denkmäler Hamburgs in einem Park zu versammeln, künstlerisch zu arrangieren und durch Forschungsarbeiten, Ausstellungen und ein virtuelles Debattenforum zu kommentieren. Durch einen solchen »Park Postkolonial« soll die Debatte über die Bedeutung von Kolonialdenkmälern für den öffentlichen Raum und das öffentliche Bewusstsein fortgeführt werden, was in der Tat sehr wünschenswert ist (an leider etwas versteckter Stelle ist auch über die Resonanz auf das Konzept in der Hamburger Kolonialpolitik zu erfahren: www.afrika-hamburg.de/denkmal4.html).

Auch wenn die Seite »afrika-hamburg.de« weder systematisch und umfassend, noch ganz aktuell ist bzw. sein kann, stellt sie ein sehr wertvolles Beispiel dafür dar, wie historische Themen mit Mitteln der künstlerischen Recherche und Bearbeitung aufgegriffen und zum Gegenstand öffentlicher Diskussion gemacht werden können. Das Projekt und seine Website zeigen, wie virtueller und tatsächlicher Raum verknüpft werden können und welche Kooperationsmöglichkeiten zwischen Kunst, Wissenschaft und Politik bestehen und auch weiter genutzt werden könnten, um solche Diskussionen zu befördern. Dies ist ein großes Verdienst des Projekts und der Seite. &#8722; Wer sich über jüngste Forschungen und Debatten informieren will, wird ohnehin auch andere Quellen heranziehen.

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