Arbeitskreis „Menschenrechte im 20. Jahrhundert“. Quellen zur Geschichte der Menschenrechte

Titel
Quellen zur Geschichte der Menschenrechte.
Herausgeber
Arbeitskreis Menschenrechte im 20. Jahrhundert, Fritz Thyssen Stiftung, Köln DE: <http://fritz-thyssen-stiftung.de>
Veröffentlicht durch
Arbeitskreis "Menschenrechte im 20. Jahrhundert"
Von
Anna Delius, Friedrich-Meinecke-Institut für Geschichts- und Kulturwissenschaften, Freie Universität Berlin

Dass Menschenrechte ein spannendes Beschäftigungsfeld für Historiker/innen darstellen, ist mittlerweile keine Neuigkeit mehr: Zahlreiche geschichtswissenschaftliche Publikationen und laufende Forschungsprojekte zeugen davon, dass man es im Bereich der Menschenrechtsgeschichte auch in Deutschland mit einem inzwischen etablierten Forschungsfeld zu tun hat. Die wissenschaftlichen Trends manifestieren sich auch in der Entstehung und Finanzierung wissenschaftlicher Projekte und Netzwerke. So hat die Fritz-Thyssen-Stiftung im Jahr 2012 den Arbeitskreis „Geschichte der Menschenrechte im 20. Jahrhundert“ ins Leben gerufen, um „[…] die Entwicklung der Menschenrechte im 20. Jahrhundert historisierend zu reflektieren“.

Bei den 14 renommierten Mitgliedern des Arbeitskreises handelt es sich überwiegend um Historiker/innen (meist Historiker), darunter große Namen der (deutschen) Zeitgeschichtsforschung wie Dan DINER, Norbert FREI oder Dieter GOSEWINKEL. Doch auch andere Disziplinen sind vertreten: Mit Susanne BUCKLEY-ZISTEL, Direktorin des Marburger Zentrums für Konfliktforschung, Andrea LIESE, Professorin an der Universität Potsdam und Spezialistin für Internationale Organisationen, sowie Claus KRESS, Direktor des Institute for International Peace and Security Law an der Universität Köln, hat die Gruppe wichtige Stimmen der Menschenrechtsforschung in ihrer Mitte, die in ihren Forschungen Anknüpfungspunkte gerade auch für geschichtswissenschaftliche Fragestellungen bieten.

Die genannten Wissenschaftler/innen sind alle, mit Ausnahme von José BRUNNER aus Tel Aviv, an deutschen Forschungseinrichtungen tätig. Ihre Themen sind hingegen häufig globalgeschichtlich, wie sich beispielsweise an den Arbeiten von Daniel STAHL zur Verfolgung von nationalsozialistischen Tätern in Lateinamerika oder an Jan ECKELS zeithistorischer Untersuchung über Menschenrechte in den Internationalen Beziehungen zeigt. Dies spiegelt sich auch in der Konzeptionalisierung des Arbeitskreises wider, der sich mit „nationalen und internationalen Akteuren, Konzepten und Praktiken“ der Menschenrechtsgeschichte beschäftigt. Motive verschiedener Gruppen im Kontext „menschenrechtliche[r] Normsetzung“, die Rolle von „Arenen“ wie der UNO oder des Internationalen Strafgerichtshofs sowie „Begründungen“ von „Anhängern und Gegnern der Menschenrechte“ nehmen einen besonderen Platz im Themenspektrum des Arbeitskreises ein.

Die Website ist optisch ansprechend und klar in drei Hauptkategorien gegliedert, dazu gehören „Personen der Menschenrechtsgeschichte“, „Mediathek zur Geschichte der Menschenrechte“ und „Schlüsseltexte zur Geschichte der Menschenrechte“. In der ersten Rubrik werden 16 unterschiedliche Menschen vorgestellt, die ihr Engagement für Menschenrechte als „wesentlichen Teil ihres Lebenswerkes“ verstehen. Es sind 16 meist biografisch-narrative Interviews abrufbar, entweder als Videomitschnitte und/oder in Textform. Eine klare Anordnung der Interviews – etwa chronologisch oder geographisch – wäre von Vorteil gewesen. Neben Ostmitteleuropa liegen weitere regionale Schwerpunkte auf Süd- und Mittelamerika sowie Israel/Palästina, hier wiederum mit dem Fokus auf palästinensischen Akteuren, wie zum Beispiel dem Gründer der größten palästinensischen NGO, „Al-Haq“, Raja SHEHADEH. An den Interviews zeigt sich, dass es sich bei „Menschenrechtsgeschichte“ oft um die Geschichte zivilgesellschaftlicher Initiativen, sozialer Bewegungen und/oder Internationaler Organisationen handelt. Das Gespräch mit den argentinischen „Madres de la Plaza de Mayo“, also den Müttern der in der Militärdiktatur (1976–1983) verschleppten und getöteten Gegner des Regimes, die seitdem Aufklärung fordern, steht neben dem Interview mit dem ehemaligen liberalen Bundesinnenminister Gerhart BAUM. Baum war in den 1990er-Jahren unter anderem UN-Sonderberichterstatter für den Sudan. Die lebensgeschichtlichen Interviews mit Menschenrechtsaktivisten und Völkerrechtlern wie Thomas BUERGENTHAL, Benjamin FERENCZ und Ariyeh NEIER illustrieren außerdem, dass es häufig Überlebende der Shoah bzw. deren Kinder waren, die sich beruflich dem Einsatz für Menschenrechte weltweit verschrieben haben.

In der Rubrik „Mediathek“ werden Videomitschnitte öffentlicher Veranstaltungen des Arbeitskreises präsentiert. Entsprechend sind die Themen in diesem Kontext weniger geschichtswissenschaftlich als gesellschaftspolitisch orientiert. So kann man etwa einer Podiumsdiskussion zwischen den Arbeitskreismitgliedern Annette WEINKE (Jena), Norbert Frei (Jena) und Claus Kreß (Köln) über „Macht und Ohnmacht völkerrechtlicher Normen“ in der Ukraine vom Juni 2014 folgen. Es wäre von Vorteil für die Nutzer/innen der Seite gewesen, diese auch als Text bereitzustellen – die Videos sind allerdings benutzerfreundlich in einzelne Themensequenzen aufgeteilt.

Die „Schlüsselwerke der Menschenrechte“ sind hervorragend ediert, aber leider völlig ungeordnet. Während kanonisierte Dokumente wie die „Menschenrechtspakte“ insbesondere mit Blick auf postkoloniale Akteure diskutiert werden, stellt das Portal auch weniger prominente Quellen vor, die beispielhaft aufzeigen, „wie die Sprache der Menschenrechte“ verwendet wurde. In diesen Analysen liegt der besondere Mehrwert der Seite. Die Aufsätze folgen ein und derselben Struktur: Entstehungsgeschichte, Inhalt sowie die „Wirkungsgeschichte“ des Dokuments. Die Beiträge können als pdf heruntergeladen werden. Außerdem werden jeweils der Forschungsstand und eine allgemeine Bibliographie mitgeliefert. Hier kommen neben bekannteren Historikern wie Benjamin NATHANS, der den Brief der Moskauer Menschenrechtler an Amnesty International aus dem Jahr 1973 diskutiert, auch Nachwuchswissenschaftlerinnen zu Wort. Beispielsweise zeigt Sonja DOLINSEK in ihrem Aufsatz über die Konvention zur Unterbindung des Menschenhandels (1949) und die Erklärung über Prostitution und Menschenrechte (1986), wie ein Dokument, bei dem es sich nicht „im engeren Sinne um eine Menschenrechtskonvention handelte, […] zum Gegenstand vielfältiger Aushandlungs- und Übersetzungsprozesse“ wurde. So wurde Frauen- und Mädchenhandel vor dem Ersten Weltkrieg in einem „rassisierten Vergleich“ als „weiße Sklaverei“ bezeichnet. Mit der Analyse des „Weißbuchs Menschenrechte in China“ von Katrin KINZELBACH, der stellvertretenden Direktorin des Berliner Global Public Policy Institutes, wird hier endlich ein asiatisches Land thematisiert. Asien scheint ansonsten, ebenso wie Afrika, auf der Website kaum eine Rolle zu spielen. Eine weitere Leerstelle ist die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, denn schließlich beginnt die Geschichte der Menschenrechte keineswegs erst mit der UN-Menschenrechtscharta von 1948.

Hervorzuheben ist die sorgfältige Redaktion der Website – dieser Eindruck wird lediglich durch Unachtsamkeiten bei der Schreibweise polnischer Eigennamen in einem der Interviews getrübt. Es wäre wünschenswert, wenn die generelle Sorgfalt auch auf den Umgang mit vermeintlich exotisch anmutenden Schriftzeichen angewendet würde, gerade weil es sich bei dem Arbeitskreis nicht dezidiert um Ostmitteleuropahistoriker/innen handelt. Die regionalen und temporalen Leerstellen sind sicherlich darin begründet, dass sich die Seite noch im Aufbau befindet – jedoch hätte eine klarere und feiner gegliederte Konzeption der Interviews und Schlüsseltexte diese als Forschungsdesiderat hervorheben können. Dies soll den positiven Gesamteindruck nicht schmälern: Der Arbeitskreis liefert hier ein professionelles Online-Angebot, das sich keineswegs ausschließlich am akademischen Mainstream orientiert, sondern sowohl klassische als auch marginalisierte Themen unter Berücksichtigung aktueller Forschungsansätze untersucht. Die Seite richtet sich sowohl an Wissenschaftler/innen, die sich mit Menschenrechten und den damit verbundenen Fragestellungen beschäftigen, als auch an die berühmte (deutschsprachige) „interessierte Öffentlichkeit“, da „Menschenrechte“ immer auch über die Grenzen der akademischen Welt hinaus diskutiert werden.