Cover
Titel
Weimarer Wahlen.
Herausgeber
Stögbauer, Christian <christian.stoegbauer@blb.de>; Sunder, Marco
Veröffentlicht durch
Ludwig-Maximilians-Universität München, Seminar für Wirtschaftsgeschichte: München, DE <http://www.econhist.de/>
Enthalten in
Von
Reiner Marcowitz

Seit Jahrzehnten untersucht die Geschichtswissenschaft Entstehung und Entwicklung der Weimarer Republik. Allerdings hat sich die Forschung erst relativ spät genauer mit dem Wahlverhalten der Weimarer Wähler und insbesondere dem Aufstieg der radikalen Flügelparteien von links - der KPD - und rechts - der NSDAP - beschäftigt. Wer wählte diese Parteien? In welchen Regionen verbuchten sie ihre größten Erfolge? Bestanden signifikante Zusammenhänge zwischen sozioökonomischen Faktoren und Wählerverhalten? Insbesondere im Hinblick auf die NSDAP herrschten lange Zeit drei verschiedene - empirisch unzureichend gesicherte - Erklärungsmuster vor: 1. Der klassentheoretische Ansatz: Die NSDAP sei ein reines Mittelstandsphänomen gewesen. 2. Der massentheoretische Ansatz: Die NSDAP mobilisierte Unpolitische und bisherige Nichtwähler für sich. 3. Der konfessionstheoretische Ansatz: Das katholische Milieu erwies sich als resistenter gegenüber einer nationalsozialistischen Infiltration als das protestantische.

Erst seit Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahren liegen fundierte Aussagen vor, vor allem dank der Arbeiten von Thomas Childers und Jürgen Falter, die mit Hilfe der elektronischen Datenverarbeitung eine große Anzahl von Sozial- und Wahldaten ausgewertet und Korrelationen hergestellt haben. Ihnen zufolge war die NSDAP eine sozial sehr viel heterogenere Partei als bis dahin angenommen: Die Wähler kamen zwar durchaus zahlreich aus dem Mittelstand, aber ebenso aus dem höheren Bürgertum und der Arbeiterschaft, wobei bei letzteren jener Teil dominierte, der bereits vorher bürgerlich und konservativ - auch die DNVP - gewählt hatte. Arbeitslose tendierten hingegen mehrheitlich nicht - wie früher angenommen - zur NSDAP, sondern vor allem zur KPD. Allenfalls arbeitslose Angestellte bildeten eine Ausnahme von dieser Regel. Eindeutig war die konfessionelle Verteilung: Selbst bei ihrem größten Wahlsieg am 31. Juli 1932 gewann die NSDAP nur 16 % der Katholiken, aber 38 % der Nichtkatholiken für sich, was mit der ausgesprochen nationalen Einstellung der meisten evangelischen Landeskirchen einerseits und einer größeren Resistenz des katholischen Milieus gegenüber einer nationalsozialistischen Infiltration andererseits zusammenhing.

Wer von der deutsch-englischen Website www.weimarer-wahlen.de, die im Jahr 2000 - letzte Änderung: 6. September 2001 - am Seminar für Wirtschaftsgeschichte der Ludwig-Maximilians-Uniersität mit finanzieller Unterstützung der VolkswagenStiftung erstellt wurde, eine umfassende Aufbereitung dieser und weiterer Ergebnisse der Forschung zum Wahlverhalten der Deutschen in den Jahren 1919 bis 1933 erwartet, wird enttäuscht. Bereits der Name der Website verspricht mehr, als die tatsächliche Präsentation hält: Es werden keineswegs alle relevanten Aspekte der Wahlen in der Zeit der Weimarer Republik behandelt, sondern nur "ausgewählte Details" des Wahlverhaltens auf Reichsebene zwischen 1924 und 1933. Das meint letztlich die Wählerbewegungen von KPD und NSDAP, wobei - eine weitere Einschränkung - zwei Aspekte im Vordergrund stehen: die weitgehende Unvereinbarkeit von Katholizismus und Nationalsozialismus sowie die Korrelation von (industrieller) Arbeiterschaft und KPD-Wählerschaft.

Diesem eigentlichen Hauptteil der Website gehen einige grundlegende Informationen voraus: Nach einer knappen Einführung folgt eine Karte der Länder und Provinzen des Deutschen Reiches, dann eine zweite der Provinzen, dieses Mal ergänzt um die "sozio-ökonomischen Kennziffern" Bevölkerungszahl, Wirtschaftsstruktur, Konfessionsstruktur und Säuglingssterblichkeit (als Indikator für Lebensstandard). Dem schließen sich "Zentrale Punkte der Partei-Programme" von KPD, SPD, DDP/DStP/DVP, Zentrum/BVP, DNVP und NSDAP an. Dann folgt eine "Wahlkreis-Gliederung", die für die 35 Wahlkreise der Weimarer Republik "den Stimmenanteil der bedeutendsten Weimarer Parteien" zeigt. Schließlich werden "Zeitliche vs. strukturelle Bestimmungsgründe des Wählerverhaltens" sowie "Theorien zum Weimarer Wahlverhalten" erörtert. Dies alles fällt sehr knapp, ja teilweise oberflächlich aus. Auch hier wird oft mehr versprochen, als gehalten werden kann: So wird bei der Darstellung der Parteiprogramme nur auf das Buch von William Brustein: The Logics of Evil. The Social Origins of the Nazi Party, 1925-1933, New Haven 1996 verwiesen. Der Stimmenanteil der wichtigsten Weimarer Parteien in der "Wahlkreis-Gliederung" bezieht sich nur auf eine, wenn auch sehr wichtige Reichstagswahl - jene vom 31. Juli 1932. Der Abriss der Wahlforschung enthält keinen Hinweis auf den erwähnten Gang der Forschung sowie zumindest die wichtigsten neueren Untersuchungen. (Ein Link, der vielleicht entsprechende Informationen enthält, ließ sich nicht öffnen.)

Auch der eigentliche Schwerpunkt der Website überzeugt nur bedingt: Im NSDAP-Teil verdeutlichen Karten, wo wie viele Wähler in den Reichstagwahlen zwischen 1924 und 1933 für diese Partei gestimmt haben. Dadurch wird zum einen die Kernaussage graphisch überzeugend belegt, dass die NSDAP zumindest bis zu den Reichstagswahlen vom März 1933 in überwiegend katholischen Gebieten nur unterdurchschnittliche Ergebnisse erzielte, was mit dem Minderheitenstatus und dem sich daraus ergebenden besonderen Lebensstil der Katholiken in der Weimarer Republik erklärt wird. Zum anderen illustriert vor allem die visuelle Aufbereitung der frühen Reichstagswahlen, wo die Keimzellen der NSDAP lagen - in Mittelfranken, der Rostocker Gegend und Posen-Westpreußen.

Allerdings ändert dies nichts daran, dass hier nur eine relevante Variable der NSDAP-Wählerschaft herausgearbeitet wird - die konfessionelle - , etliche andere indes unerwähnt bleiben. Damit aber droht ein zentraler Befund der Wählerforschung aus dem Blick zu geraten: dass die NSDAP nämlich eine sozial und letztlich - zumindest seit dem Frühjahr 1933 - auch konfessionell übergreifende "catch-all party of protest" (Thomas Childers) gewesen ist. Ähnlich eingeschränkt ist der Eindruck nach Durchsicht der "KPD-Sequenz": Zwar wird die Korrelation zwischen Arbeiterschaft und KPD-Wählern verdeutlicht, doch sie leidet unter der fehlenden Trennschärfe des verfügbaren Datenmaterials, das nicht zwischen industrieller und handwerklicher oder auch zwischen gelernter und ungelernter Arbeiterschaft differenziert. Dadurch bleibt unklar, ob und inwiefern sich denn die Wählerschaft von KPD und SPD unterschieden.

Angesichts dieser vielfältigen Einschränkungen eignet sich die Website nur als eine erste, wenn auch durchaus informative Annäherung an ein komplexes Thema. Das mag einem Teil der anvisierten Nutzer bereits genügen, zumal die Handhabung der Website erfreulich einfach ist: Schüler oder auch historisch interessierte Laien. Lehrer wiederum können die guten Graphiken für den eigenen Unterricht nutzen. Zumindest Studenten sollten sich hingegen durch die gebotenen (Teil-)Informationen zur weiteren Recherche und einem vertieften Studium an anderer Stelle anregen lassen.

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