Bildbestand der Deutschen Kolonialgesellschaft in der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main

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Titel
Universitätsbibliothek Johann Christian Senckenberg [Frankfurt am Main].
Veröffentlicht durch
Universit&#228;tsbibliothek Johann Christian Senckenberg: Frankfurt am Main, DE <http://www.ub.uni-frankfurt.de/>
Enthalten in
Universitätsbibliothek Frankfurt am Main <http://www.ub.uni-frankfurt.de/>
Von
Sonia Abun-Nasr

Das Internet hat weltweit den Zugang zu Archivverzeichnissen und Bibliothekskatalogen vereinfacht. Recherchen, für die früher Reisen erforderlich waren, können inzwischen vom Schreibtisch aus durchgeführt werden, und jede größere Bibliothek, jedes größere Archiv stellt seine Findmittel ins Netz. Diese technische Entwicklung spiegelt sich auch in der Präsentation von Fotosammlungen, die zunehmend digital erfasst und der Wissenschaft über das Internet zugänglich gemacht werden. Hier besteht ein besonderer Reiz darin, dass die Internetrecherche nicht nur trockene Archivdaten zu Tage befördert, sondern das gesuchte Objekt - das gewünschte Foto - direkt ins Blickfeld rückt. Diese ansprechende Form einer Recherche von Fotografien und Dias wird nicht zufällig in einer Zeit populär, in der der Stellenwert von Bildern als historische Quellen für die Geschichtsschreibung längst deutlich geworden ist. Technische und wissenschaftliche Entwicklungen scheinen sich in diesem Punkt auf glückliche Weise zu ergänzen und zu verstärken.

Die Deutsche Kolonialgesellschaft wurde 1887 mit dem Ziel gegründet, das koloniale Engagement des Deutschen Reiches durch Propaganda und praktische Hilfe für Auswanderer zu unterstützen. Ab 1936 bestand sie als Teil des nationalsozialistischen Reichskolonialbunds fort, so dass ihr Fotoarchiv weit über die Kolonialzeit hinausreicht. Die Sammlung, die inzwischen in der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main lagert, umfasst über 50 000 Fotos und Dias und damit einen veritablen Schatz historischen Bildmaterials. Dieser wird seit den 1990er Jahren in einem von der DFG geförderten Projekt erschlossen, wobei die Bilder zunächst einer Sicherheitsverfilmung unterzogen wurden, um sie danach zu digitalisieren und auf einer Website zu präsentieren. Die schiere Menge des Materials erklärt, weshalb sich die Website in der Testphase befindet. Recherchen gehen häufig ins Leere, da die Datenbank noch im Aufbau befindlich ist.

Dennoch ist es bereits jetzt erfreulich, mit der Site zu arbeiten. Besucher und Besucherinnen beginnen ihre Recherche auf einer ansprechend gestalteten Startseite, die Themen und Suchmöglichkeiten vorstellt. Von hier aus können fünf weitere Hauptseiten, denen jeweils eine spezifische Farbe zugeordnet ist, erreicht werden. Sie bieten Informationen über die Deutsche Kolonialgesellschaft, deren Bildersammlung und das DFG-Projekt, aus dem die Website hervorgegangen ist. Die wichtigste Seite dient der Recherche im Bildarchiv, eine andere eröffnet Suchmöglichkeiten im digitalisierten Deutschen Kolonial-Lexikon. Eine weitere Verzweigung führt zum umfangreichen Impressum, und eine Zeile am unteren Bildrand eröffnet den Zugang zu technischen sowie praktischen Informationen. Die inhaltliche Transparenz spiegelt sich in der optischen Darstellung wider: Alle Seiten sind klar und übersichtlich gestaltet, das Farbleitsystem auch ohne die Lektüre des Einführungstextes verständlich. Eine Titelleiste am linken Rand jeder Seite gibt stets klare Auskunft darüber, wo ein Benutzer sich gerade befindet und welche weiteren Hauptseiten aufgerufen werden können.

Beinahe alle Angaben zur Deutschen Kolonialgesellschaft stammen aus Lexika und sind auf zentrale, unkommentierte Fakten beschränkt. Die Bildersammlung der Gesellschaft wird hingegen ausführlich mit ihren inhaltlichen Schwerpunkten und einem Überblick über die ursprünglichen Ordnungsprinzipien vorgestellt. Hierbei tritt ihre weite geografische und thematische Spannbreite zutage: Die Bilder stammen aus allen Gebieten, in denen das Deutsche Reich Kolonialinteressen verfolgte, und in geringem Ausmaß sogar aus Kolonien anderer europäischer Nationen. Sie lassen sich einer großen Vielfalt an Sachgebieten zuordnen. Haupthemen sind u.a. Entdeckungs- und Forschungsreisen, Geologie und Bergbau, Vegetation und Landschaften der Kolonien, die Wirtschaftsentwicklung durch Europäer, Schule und Mission sowie militärische Auseinandersetzungen. Es wird ein Themenspektrum präsentiert, das nicht nur Kolonialhistoriker/innen, sondern auch Spezialisten der Wissenschafts-, der Architekturgeschichte und anderer Fachgebiete interessieren dürfte.

Die Beschreibung des DFG-Projekts verdeutlicht nicht zuletzt, welche technischen Entscheidungen der Projektausführung zugrunde liegen. Sie lässt auch erkennen, dass eine Website wie diese nur als Ergebnis einer Zusammenarbeit mehrerer Institutionen und Personen entstehen kann, da die Konstruktion der Site, der Aufbau der Datenbank, die Bearbeitung und Erschließung der Fotografien technische, archivische und wissenschaftliche Kenntnisse voraussetzen. In diesem Fall haben sich Irmtraud D. Wolcke-Renk und Wilhelm R. Schmidt von der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Uwe U. Jäschke von der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden und das Hochschulrechenzentrum der Universität Frankfurt auf eine offensichtlich erfolgreiche Kooperation eingelassen.

Die Recherche im Bildarchiv ist über mehrere Suchwege möglich. Das Formular der Standardsuche stellt Felder zur Eingabe von Begriffen für eine Region, eine Sachgruppe, eine Person, einen Fotografen oder ein bestimmtes Volk zur Verfügung; bei der erweiterten Suche können Parameter individuell festgelegt und kombiniert werden. Beispielhaft zeigt jedoch die Standardsuche, wie die Recherche funktioniert: Den jeweiligen Feldern sind Thesauruslisten zugeordnet, aus denen erkennbar wird, welche Suchbegriffe bei der Erschließung der Bilder verwendet wurden oder noch verwendet werden sollen. Sieht man von dem Problem ab, dass mancher Begriff noch nicht vergeben wurde - sprich: zu keinem Treffer führt - ist das System leicht verständlich und ohne weiteres anwendbar. Ergebnisse werden in Tabellenform präsentiert, wobei jeweils eine Zeile einem Einzelergebnis entspricht. Auf der linken Seite erscheint ein kleines Foto, dem rechts mit Angaben zur Region und zur Sachgruppe Basisinformationen zugeordnet werden. Beim Anklicken eines Fotos erscheint dieses in vergrößerter Form und mit weiteren Informationen. Nicht zuletzt ist auch eine Suche über Landkarten möglich, die momentan nach den Angaben auf der Website nur für Namibia - das frühere Deutsch-Südwestafrika - und die Südseeregion möglich ist, nach den Erfahrungen der Rezensentin jedoch nur im ersten Fall zu Ergebnissen führt. Bei der Recherche zu Deutsch-Südwestafrika erstaunt allerdings die Tatsache, dass sie auf einer Weltkarte mit Kolonialterritorien beginnt - diese sollte noch datiert werden -, dann jedoch weiterführt zu einer heutigen Landkarte, auf der deutlich genug jenseits der namibischen Grenzen moderne Staatennamen erscheinen.

Heikler als ein solcher Anachronismus ist die Präsentation des Deutschen Kolonial-Lexikons als Nachschlagewerk auf dieser Website. Das Lexikon wurde vor dem 1. Weltkrieg für den Druck vorbereitet, jedoch erst 1920 veröffentlicht und wird hier in digitalisierter Form zur Verfügung gestellt. Die Problematik des Vorgehens zeigt sich bei einer nicht zufälligen Recherche mit dem Begriff "Hereroaufstand". Sie führt zu einem ausführlichen Eintrag, der die Perspektive der deutschen Kolonialherren auf den Deutsch-Herero-Krieg (1904-07) in einer längst überholten, die afrikanische Bevölkerung auf die Stufe unzivilisierter Naturmenschen herabsetzender Begrifflichkeit präsentiert. Von einem "Eingeborenenaufstand" ist die Rede, von Unruhen der Herero, "die sich mit dem Fortschreiten der Kultur immer mehr in ihrer Unabhängigkeit bedroht fühlten" 1. Auch die Darstellung und Bewertung des Kriegsverlaufs entspricht verständlicherweise keineswegs dem heutigen Forschungsstand. Angesichts der Antiquiertheit des Deutschen Kolonial-Lexikons sei deshalb die Frage erlaubt, ob ein Verzicht auf die in ihm enthaltenen Informationen nicht vertretbar wäre. Zwar weisen die Verantwortlichen der Website auf die Entstehungszeit des Lexikons hin. Aber von Nicht-Historikern, die im Bildarchiv recherchieren, kann kaum erwartet werden, dass sie die Einträge in ihrer Zeitgebundenheit interpretieren und mit der nötigen kritischen Distanz beurteilen können. Dies ist jedoch der einzige wesentliche Kritikpunkt an einer noch nicht fertig gestellten, aber viel versprechenden, informativen und gut gestalteten Website.

Anmerkungen:
1 auf der Website zitiert nach: Deutsches Kolonial-Lexikon (1920), Band II, S. 59

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